Neueste Beiträge

#1
Wohnen / Aw: Zwangsräumung
Letzter Beitrag von Kuddel - Heute um 14:35:00
ZitatBerlins erster Mieterprotest – vor 150 Jahren
Erst das Militär stoppte den wütenden Mob

5000 Protestierende warfen Steine und stürmten ein Polizeirevier: Nach einer Zwangsräumung in Friedrichshain kam es zum ersten Mieterprotest in der Hauptstadt.


1872: Berlin übte sich in die Rolle der Hauptstadt des Deutschen Reichs ein. Kaiser Wilhelm I. hatte sich, getrieben von Bismarck, nach dem Krieg mit Frankreich auf den Thron gesetzt und Preußen geopfert; Berlin schien für Höheres prädestiniert. Nur bei den gewöhnlichen Menschen kam davon wenig an. Sie lebten, wenn überhaupt, in heruntergekommenen, feuchten Wohnungen, der Willkür des Vermieters mehr oder weniger hilflos ausgeliefert – es brodelte in der neuen Reichshauptstadt.

Am 25. Juli 1872 folgte der große Knall: Nach einer Zwangsräumung in der Blumenstraße in Friedrichshain flogen zunächst Steine, dann kamen zunächst 2000, später bis zu 5000 Menschen zusammen, Polizisten wurden mit einem Steinhagel empfangen. Drei Tage dauerte es, bis die Obrigkeit die Kontrolle brutal zurückeroberte, dann war das, was später ,,Blumenstraßenkrawalle" genannt wurde, auch schon wieder zu Ende.

150 Jahre liegt dieser erste Berliner Mieterprotest jetzt zurück, kein Wunder, dass vor allem Mieterorganisationen gern daran erinnern. Faktenreich und ausführlich berichtete Jens Sethmann in der Juni-Ausgabe des ,,Mietermagazins", der Mitgliederzeitschrift des Berliner Mietervereins, über die Ereignisse im Juli 1872.

Das, was Hausbesitzern gern – mehr oder weniger zutreffend – unterstellt wird, war damals ein Faktum. Wer ein Mietshaus besaß, wollte daraus so viel Geld wie möglich herauspressen und so wenig wie möglich investieren. Ungeziefer, Schimmel, feuchte Wände waren der Normalfall, ganze Familien mit fünf oder sechs Kindern drängten sich in einer Ein-Zimmer-Wohnung, und Tagschichtarbeiter vermieteten ihr Bett an den Kollegen von der Nachtschicht – das berühmte Phänomen des ,,Schlafburschen" grassierte in den armen Vierteln, zeitweise lebten 80 000 Menschen auf diese Weise.

Eine eigene Toilette war ein Glücksfall für wenige, ein beheizbares Zimmer das Maximum. Draußen auf den Straßen sammelte sich der Dreck, Betriebe lärmten rund um die Uhr. Krankheit und verfrühte Todesfälle begleiteten das Mieterelend.

Im April und Oktober standen die Möbelkarren auf der Straße

Alljährlich am 1. April und 1. Oktober, besonders stark am 1.Oktober 1871, liefen zahllose, nur auf ein halbes Jahr befristete Mietverträge aus, die Straßen füllten sich mit Möbelkarren und dem Gepäck all jener, die wieder auf die Suche gehen mussten. Und der Druck wurde immer höher, denn aus Brandenburg und den ehemals preußischen Ostprovinzen strömten die Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben und fester Arbeit in die werdende Industriestadt. Der Wohnungsbau kam nicht nach, oft wurde mit dem Bauland in Erwartung weiterer Preissprünge spekuliert, statt zu bauen.

Deshalb entstanden am Stadtrand auf Ackerland hinter dem Frankfurter oder Kottbusser Tor illegale Ansiedlungen aus Bretterhütten, die wir heute Slums nennen würden, allein am Kottbusser Tor standen bis zu 80 Baracken. Andere Menschen lebten in Schuppen und Ställen, in Eisenbahnwagen oder umgedrehten Booten.

Die Politik behandelte das Thema zynisch: eine vom Innenminister nach ersten Unruhen eingesetzte Kommission kam nach knapper Prüfung zu dem Ergebnis, dass eine Wohnungsnot ,,im eigentlichen Sinn des Wortes" nicht gegeben sei.

Wenn einer seine Miete nicht mehr zahlen konnte oder auch nur von einer willkürlichen Mieterhöhung überrascht wurde, flog er sofort hinaus – der Executor, eine Art Gerichtsvollzieher, hatte außerdem das Recht, bei Mietrückständen den gesamten Hausstand zu pfänden.

Wer davon getroffen wurde, war mittel- und obdachlos. Für eine Kündigung reichten auch geringfügige Verstöße gegen den Mietvertrag wie das Halten von Tieren und unerlaubte Untervermietung: Der nächste Interessent wartete schon und nahm die unvermeidliche Mieterhöhung in Kauf.

Protest entzündete sich an einer unerlaubten Untervermietung

So ging es am 25. Juli 1872 auch dem Tischler Ferdinand Hartstock, der wegen Untervermietung gekündigt wurde und seine Wohnung in der Blumenstraße 5c von einem Tag auf den anderen verlassen musste. Doch er konnte sich mit dem Fuhrunternehmer nicht über den Preis des Transports einigen, und dieser Streit machte die gesamte Nachbarschaft aufmerksam.

Unzählige Menschen nahmen ihn zum Anlass, gegen die Vermieterwillkür zu protestieren. Die Polizei schaffte es zunächst, die Lage in den Griff zu bekommen, Hartstocks Möbel wurden mit einem Feuerwehrwagen weggeschafft – doch der Funke hatte gezündet.

Demonstranten warfen die Scheiben des Vermieters ein, der in der Nähe wohnte, Arbeiter aus der Nachbarschaft solidarisierten sich und protestierten gegen das unmenschliche Mietrecht. Erst in der Nacht beruhigten sich die Proteste, flammten aber am nächsten Tag auf, als sich die Nachricht verbreitete, dass das Barackenlager am Landsberger Tor geräumt werde. Barrikaden wurden errichtet, die anrückenden Polizisten aus vielen Häusern mit Steinen und Flaschen beworfen, wieder dauerte der Aufruhr bis in die Nacht.

Kaiser Wilhelm ordnete hartes Durchgreifen ein

Der Kaiser ließ sich informieren, befürchtete eine neue Revolution nach dem Muster von 1848 und ordnete hartes Durchgreifen an. Am Morgen des dritten Tages tauchte an allen Anschlagsäulen eine Warnung des Polizeipräsidenten auf: Das Präsidium warne ausdrücklich vor neuen Unruhen, weil Vorbereitungen getroffen seien, ,,jeden Exzeß energisch zu unterdrücken" – gemeint war der Einsatz von Säbeln und Schusswaffen.

Doch noch einmal gingen schätzungsweise 5000 Menschen auf die Straße. Sie bauten erneut Barrikaden, griffen Polizisten an, stürmten sogar ein Revier in der Langen Straße und verletzten einen Beamten schwer. Erst der Einsatz des Militärs stoppte die Tumulte, 85 Demonstranten wurden verhaftet, 159 durch Säbelhiebe verletzt, 33 später verurteilt.

Sechs Männer wurden am härtesten bestraft und für viereinhalb Jahre ins Zuchthaus geschickt. Die Wohnungsnot blieb, verschärfte sich sogar noch – und Friedrich Engels schlug in seiner Artikelserie ,,Zur Wohnungsfrage" noch 1872 die Enteignung der Hausbesitzer vor.
Die Blumenstraße existiert heute noch, ist allerdings wesentlich kürzer als damals, weil die Gegend im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde. Das Haus von Ferdinand Hartstock lag dort, wo sich heute der Hintereingang des Hauses Strausberger Platz 12 befindet. Gedenktafeln oder andere Zeichen der Erinnerung an die Krawalle gibt es – selbst hier hinter den sozialistischen Bauten der Karl-Marx-Allee – nicht.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-erster-mieterprotest--vor-150-jahren-erst-das-militar-stoppte-den-wutenden-mob-555328.html
#3
Praxisbereich / Aw: 1.Mai
Letzter Beitrag von Kuddel - Heute um 09:45:11
Das Video ist schon älter.
Die dort ausgedrückte Wut fand ich inspirierend.


https://vimeo.com/163933830
#4
Gesundheitswesen / Aw: Zerschlagung der Belegscha...
Letzter Beitrag von Kuddel - Heute um 09:29:45
ZitatErneuter mehrtägiger Streik der Charité-Tochter CFM gestartet

Bei der Charité-Tochter CFM hat ein mehrtägiger Ausstand für eine bessere Bezahlung begonnen.


"Wir streiken", sagte Verdi-Verhandlungsführerin Gisela Neunhöffer am Dienstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Der Ausstand laufe seit Beginn der Frühschicht und gehe bis zum Ende der Nachtschicht am Freitagmorgen. Für Freitag sind weitere Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite angesetzt.

Auch Helios-Mitarbeitende legen Arbeit nieder

Bei der Charité Facility Management GmbH (CFM) arbeiten rund 3.500 Menschen in den Bereichen Medizintechnik, Krankentransport, Außenanlagepflege, Reinigung und Sicherheit. Für 3.200 von ihnen fordert Verdi eine Bezahlung nach dem an der Charité gültigen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Der bislang letzte Streik endete am Freitag. In einer Urabstimmung hatten die Verdi-Mitglieder bei der CFM für unbefristete Streiks gestimmt.

An der Streikversammlung der CFM, die am Dienstag in Berlin-Wedding stattfindet, werden sich laut Verdi auch Therapeuten des Helios-Klinikums in Berlin-Buch beteiligen, die diese Woche ebenfalls im Streik sind. Ihre Situation ähnele der Situation der CFM-Beschäftigten, hieß es. Die gut 50 Physio-, Ergo- und Kunsttherapeuten sowie Logopäden sind in die Tochtergesellschaft HTO ausgegliedert. "Sie werden wesentlich schlechter bezahlt als ihre Kolleg:innen in Berlin-Zehlendorf, die nach Helios-Konzerntarifvertrag vergütet werden", hieß es von der Gewerkschaft.
https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2025/04/charite-tochter-cfm-verdi-streik.html

"Physio-, Ergo- und Kunsttherapeuten sowie Logopäden sind in die Tochtergesellschaft HTO ausgegliedert"
Auf die Spaltung durch Ausgliederung mit gemeinsamen Kämpfen und Aktionen zu reagieren, verdient Beachtung.
#5
Off-Topic & Neu Hier / Aw: Kacksack-Thread...wenn all...
Letzter Beitrag von BGS - Heute um 06:28:45
ZitatSo scheiße, wie dieses H4-System die Elos "fix und foxy" macht, müsste jedoch jedem Betroffenen einleuchten, nur wer sich wehrt, kann überleben.
Sich dem reibungslos fügen bedeutet Verlust der Selbstbestimmung bis hin zum Betreuungsfall.

Sehe ich genauso. Muss zur Schicht.

MfG

BGS
#6
Theoriebereich / Aw: Degrowth - Konzepte gegen ...
Letzter Beitrag von BGS - Gestern um 20:35:45
Verstehe nicht, was "Ausweiten der Profitmasse" ist, sorry.

MfG

BGS
#7
Theoriebereich / Aw: Degrowth - Konzepte gegen ...
Letzter Beitrag von counselor - Gestern um 20:19:45
Der Kapitalismus muss ewig wachsen, weil die Unternehmen dem tendenziellen Fall der Profitrate durch stetiges Ausweiten der Profitmasse begegnen.
#8
Theoriebereich / Aw: Degrowth - Konzepte gegen ...
Letzter Beitrag von BGS - Gestern um 20:04:11
Der Glaube an ein nie endendes, ewiges Wachstum ist irre.

MfG

BGS

#9
Stillgestanden!!! / Aw: Hafenarbeiter streiken weg...
Letzter Beitrag von BGS - Gestern um 20:00:38
That's the way I like it. Solidarische Grüsse aus dem Norden!

MfG

BGS
#10
Auch mit Menschen, die sich selbst in irgendeinem Sinne als links verstehen, muss man inzwischen erbitterte Auseinandersetzungen darüber führen, ob die Festung Europa, Zuwanderungsstopp und Massenabschiebungen nicht eigentlich gute sozialistische Politik sind, weil mehr Zuwanderung mehr Jobkonkurrenz und mehr Druck auf die Sozialsysteme bedeute und die Bejahung von Zuwanderung damit nicht die Position der ArbeiterInnenklasse schwäche und nur den KapitalistInnen in die Hände spiele, die ja ein Interesse an Zuwanderung hätten, um durch immer ausreichend verfügbare billige Arbeitskraft das Lohnniveau zu drücken. In den letzten Wochen hatte ich mit solchen Positionen in meinen Kommentarspalten sehr viel zu tun, befeuert auch davon, dass ein meinem Eindruck nach BSW-naher Youtuber eine Salve von Videos gegen meine angeblich liberale und kapitalfreundliche Position zu Zuwanderung veröffentlichte. Es ist also, auch wenn ich über dieses Thema schon in mehreren Videos gesprochen habe, an der Zeit, noch einmal ausführlicher darzulegen, warum "Linke sollten im Interesse von Lohn- und Sozialleistungsniveau für Zuwanderungsstopp plädieren und die Festung Europa verteidigen" eine wirklich haarsträubende Position ist.

  • Chefduzen Spendenbutton