Back & Frust

Begonnen von Kater, 09:48:04 Di. 19.Januar 2010

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Kater

ZitatBack & Frust
Wie ein Bäckereibetrieb in Berlin sogar noch die Dumpinglöhne von Schlecker unterschreitet
Jochen Knoblach

BERLIN. Der Flachbau ist nicht gerade eine Empfehlung. Vor allem gegen die schicke Audi-Filiale an der Ecke wirkt seine Fassade speckig. Auf dem Asphalt verteilen vorbei fahrende Lastwagen den Schneematsch. Am Straßenrand modert Müll in alten Plastiktüten. Marienfelde ist nicht immer schön. "Back & Frost" steht am Eingang eines verglasten Vorbaus, hinter dem ein kleiner Verkaufsraum versöhnt. Es duftet nach Schrippen, Kuchen und Kaffee. Appetitlich sind Obsttaschen und Plunderstücke ausgebreitet, die Preise einladend. Heiße Ware - coole Preise, lautet der Slogan der Firma. Doch hinter den Kulissen ist die Stimmung frostig. "Back & Frust" sagen einige Mitarbeiter. Lustig findet das niemand.

Judith Kolditz ist eine von ihnen. Wir treffen die zierliche Frau in einem Café. Sie ist Mitte zwanzig. Ihren richtigen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. "Dann könnte ich auch gleich kündigen", sagt sie und lächelt bitter. Da wäre sie nicht die Erste. In dieser Firma würde das ganz schnell gehen.

4,81 Euro die Stunde

Wenn Judith Kolditz den griffigen Spruch mit den coolen Preisen hört, ärgert sie sich. Sie ärgert sich über ihren Chef, und manchmal auch über sich selbst. Sie weiß, dass sie Teil der Rechnung ist. Laut Arbeitsvertrag bekommt sie 800 Euro im Monat. Wenn sie nicht fehlt, beispielsweise wegen Krankheit, kommt eine Prämie von 200 Euro oben drauf. Dafür arbeitet sie sechs Tage die Woche. "Die Arbeitszeit beträgt 48 Stunden wöchentlich", steht in ihrem Arbeitsvertrag. "Ohne Berücksichtigung von Pausen." Damit kommt Judith auf einen Stundenlohn von 4,81 Euro brutto und unterbietet so selbst Zeitarbeiter bei Schlecker um fast zwei Euro.

"Das ist Dumpinglohn", sagt Uwe Ledwig, Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Berlin und Brandenburg. Für ihn ist die Sache eindeutig: "Wenn der Lohn unter der Pfändungsgrenze liegt, dann schreit das zum Himmel", so Ledwig und verweist darauf, dass diese Grenze vom Staat eingeführt wurde, um Schuldnern eine minimale Existenzgrundlage zu sichern. Tatsächlich liegt die Pfändungsgrenze derzeit bei 990 Euro. Um diese nicht zu unterschreiten, bräuchte eine alleinstehende Kollegin ohne Kind einen Bruttoverdienst von mindestens 1 330 Euro - oder wenigstens 7,69 Euro die Stunde.

Davon ist Judith fast drei Euro entfernt, und da für den Arbeitslohn nicht gilt, was Schuldnern zugestanden wird, ist Judith längst kein Einzelfall. In Baden-Württemberg gibt es in der Postbranche nach Angaben der Gewerkschaften Verdi und Nahrung-Genuss-Gaststätten Stundenlöhne von 2,50 Euro. Im bayerischen Hotel- und Gaststättengewerbe geht es hinunter bis 3,33 Euro die Stunde. Im sächsischen Bäckereihandwerk wurden gar Stundenlöhne von zwei Euro und acht Cent ermittelt. Und auch in Berlin knausern die Chefs. "Hier verdienen 90 Prozent der Verkäuferinnen im Bäckereigewerbe deutlich weniger als die sieben Euro 69 die Stunde", sagt Gewerkschafter Ledwig.

Obwohl der Tarifvertrag für die Brot- und Backwarenindustrie selbst für "einfache Hilfs- und Reinigungsarbeiten" einen Stundenlohn von 9,50 Euro vorsieht, bekommt Judith nur die Hälfte und hat sich auf die Sechs-Tage-Woche eingelassen, um trotz des kleinen Stundenlohns halbwegs über die Runden zu kommen.

Krank war sie lange nicht, aber der Job schlaucht. Sie ist schmal. Ihre Haut schimmert bläulich. Obwohl es in dem Café warm und gemütlich ist, trägt sie ihren Anorak noch immer bis oben geschlossen. Formal hat sie zwar ein Recht auf zwei freie Tage in der Woche, aber die sieht ihr Arbeitsvertrag nicht vor. "Ich habe vier freie Tage im Monat", sagt die junge Frau und erzählt auch, dass der Lohn unregelmäßig komme. Eigentlich müsste bis zum 15. des Monats gezahlt werden, es sei aber auch schon der 25. geworden. "Wenn der Chef im Urlaub ist, geht keine Überweisung raus. Dann gibt es das Geld erst, wenn er wieder aus dem Urlaub zurück ist."

Wenngleich das ein wenig nach kleiner Bäckerei an der Ecke klingt, so ist ihr Arbeitgeber fast schon ein Großbetrieb. Back & Frost mit Stammsitz in Leipzig wirbt mit zwei Jahrzehnten Erfahrung in der Herstellung "individueller Tiefkühlbackwaren". Es gibt Produktionsstandorte in mehreren Bundesländern, von denen aus Flughäfen, Bahnhöfe, Backshops und Supermärkte beliefert werden. Neuerdings gehört die Supermarktkette "Netto - Markendiscount" dazu. Auch Judith kauft dort ein - oder bei Lidl oder Aldi. Wo auch sonst. So sichert sich Back & Frost nachhaltig seine eigene Kundschaft.

In dem Marienfelder Betriebsteil des Unternehmens arbeiten schätzungsweise 100 Kollegen. Wie viele es genau sind, ist nicht zu erfahren. "Das geht sie nichts an", antwortete der Back & Frost-Betriebsleiter auf unsere Frage.

Dass die Umgangsformen dort nicht geschliffen sind, hat Judith Kolditz zur Genüge erfahren. Es sei schon vorgekommen, dass Kollegen gegen Mitternacht eine SMS mit der Anweisung bekommen haben, am nächsten Tag länger zu arbeiten oder früher zu erscheinen. Im Arbeitsvertrag heißt es: "Die Zeiten des Arbeitsbeginns sind flexibel und richten sich nach den betrieblichen Erfordernissen." Selbst morgens um halb drei seien Kollegen angerufen worden. "Auch im Urlaub, auch wenn einer krank ist." Ein Krankenschein sei da kein Hinderungsgrund. Man habe gefälligst zu kommen. Das werde erwartet. Judith erzählt von einer Kollegin, die einen Unfall auf dem Weg zur Arbeit hatte und erst nach der Schicht ins Krankenhaus durfte. Als sie dann mit ärztlichem Attest zu Hause blieb, sei sie immer wieder angerufen worden.

"Wer bei Back & Frost angestellt ist, hat kein Privatleben", sagt Judith Kolditz. Und genug Urlaub hat man offenkundig auch nicht. In dem der Redaktion vorliegenden Arbeitsvertrag eines ihrer Kollegen sind gerade 18 Tage als Urlaub verankert. Ihr eigener Vertrag gesteht ihr zwar wenigstens 19 Tage zu, doch schreibt das Bundesurlaubsgesetz einen Mindesturlaub von 24 Werktagen vor.

Aber warum lässt sie das mit sich machen? Versonnen spielt Judith mit ihrem Handy und sucht nach einer Antwort. Dann sagt sie, dass sie eine abgeschlossene Berufsausbildung hat und eigentlich nur kurz bei Back & Frost bleiben wollte. Als Brücke, wie sie es nennt. Doch nun ist sie schon fünf Jahre in der Tiefkühlbäckerei. Jede Woche schickt sie eine Bewerbung ab, aber es sei schwer, etwas anderes zu finden.

Zehn Monate Probezeit

Alles lasse sie sich jedoch nicht gefallen, protestiert sie, gibt dann aber zu, dass es Nerven aufreibend sei. Wer sich wehrt, werde gemobbt. Einen Betriebsrat gibt es nicht. Judith sagt, schon das Wort wäre ein Kündigungsgrund und erzählt von einem Kollegen, der nur mal wissen wollte, weshalb es eigentlich keinen Betriebsrat bei Back & Frost gibt. "Der bekam sofort seine Kündigung", erinnert sich Judith. "Probezeit", sagt sie zur Erklärung. Nach Definition des Back&Frost-Arbeitsvertrages währt diese Probezeit zehn Monate. Die fristlose Kündigung ist im ersten halben Jahr möglich.

Und was sagt man bei Back & Frost zu alldem? Thorsten Knoll ist der Betriebsleiter der Berliner Filiale, viel beschäftigt und schwer erreichbar - für Nachfragen offenbar ganz besonders. Sein Sekretariat ist bestens präpariert, es vertröstet, verschiebt und könne leider nichts tun. Irgendwann haben wir ihn dann aber doch am Telefon, wobei er alle Anschuldigungen weit von sich weist. "Solch ein Quatsch." Natürlich werde genug Urlaub gewährt. "Das ist juristisch völlig einwandfrei", sagt Knoll. Es werde auch niemand aus dem Urlaub geholt. Man hätte schließlich genug Mitarbeiter und könne folglich den Urlaub vernünftig planen, so der Betriebsleiter, der ja nicht einmal verraten will, wie viel Kollegen bei ihm arbeiten.

Und wie ist das mit dem Lohn?

"Wir sind erstmal grundsätzlich nicht tariflich gebunden, zahlen aber durchaus den ganz normalen orts- und branchenüblichen Lohn", sagt Knoll.

Und was bedeutet im Verständnis eines Back & Frost-Betriebsleiters orts- und branchenüblich?

"Das geht doch keinen was an. Wenn ich Ihnen sage, orts- und branchenüblich, dann muss das einfach reichen."

Back & Frost zahlt also keine Stundenlöhne von fünf Euro und weniger?

Plötzlich lacht Thorsten Knoll laut los. "Das wäre schön, wenn wir solche Löhne zahlen dürften oder könnten."

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/0119/wirtschaft/0003/index.html

Alan Smithee

Hier beim Aldi gibt es neuerdings einen "Backofen". Das ist ein großer Automat, wo der Kunde per Taste das gewünschte Brot / Brötchen auswählt, und plumps - kommt sofort ein knusperfrisches, warmes Brötchen unten raus. Man packt es dann selbst in eine durchsichtige Tüte und bezahlt ganz normal an der Kasse. Preise:

Meisterbaguette (aus Weizen), 250 g: 0,79 €

Weltmeistersemmel (Mehrkornsemmel mit 25 % Ölsaaten) Stück: 0,29 €

Weizensemmel, Stück: 0,15 €

Unser Rustikales (Roggenmischbrot mit 34 % Roggenmehl), 750 g : 1,29 €

Unser Meisterliches (Mehrkornbrot mit 37%  Weizen, 9%  Dinkel, 6%  Roggen, 10% Ölsaaten, 750 g: 1,59 €

Unser Uriges (Dinkelvollkornbrot, 42 % Dinkel) 750 g: 1,99 €

Laugenbrezel, Stück: 0,39 €

Beim kleinen Bäcker um die Ecke zahlt man für jedes Teil fast das Doppelte. Die backen allerdings noch selber, die Backstube ist hinter dem Verkaufsraum. Allerdings verwenden die überwiegend auch schon Fertigmischungen, und rühren nur noch selber an und backen es dann. (Außer bei ihrem Sauerteig-Brot; da wird der Teig mit frischem Sauerteig angerührt und muss mehrere Stunden "gehen" - hat natürlich seinen Preis...)

Außerdem haben sie eine Bäckereifachverkäuferin und eine Azubine im Verkauf.

Die Preise in den Discountern können nur deshalb so niedrig gehalten werden, weil  Lohndumping, Verletzung des Arbeitsrechts und pure Ausbeuterei fester Bestandteil der Preiskalkulation sind.

Und das Traurige: selbst wenn die Menschen genau wissen, was hinter den Kulissen so vor sich geht: nicht alle Menschen haben das Geld und damit die Wahl, diese Produkte zu umgehen. Ein perfektes Perpetuum Mobile.


...still dreaming of electric sheep...

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