"Frauen dienen hier, um gevögelt zu werden"

Begonnen von Kuddel, 19:17:32 Sa. 23.Februar 2013

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Kuddel

Zitat"Frauen dienen hier, um gevögelt zu werden"

Der Oscar-nominierte Dokumentarfilm "The Invisible War" erzählt von ungesühnten Vergewaltigungen im amerikanischen Militär. Die Geschichten der porträtierten Frauen verschlagen dem Zuschauer den Atem.
Von Uwe Schmitt

Kori Cioca (neben ihrem Ehemann Rob) diente in der US-Küstenwache. Ein Vorgesetzter vergewaltigte sie und zertrümmerte ihren Kiefer. Seit fünf Jahren ernährt sie sich von Pudding und Kartoffelbrei, weil sie die Schmerzen beim Kauen sonst nicht erträgt

Kori Cioca verlässt nie ihr Haus ohne das Jagdmesser und ihr Taschen-Kruzifix. "Jesus beschützt mich, aber man kann nie wissen", erklärt die zarte Frau, während die Kamera in ihrem Gesicht, dem breite Wangenknochen einen harten Zug geben, nach Gottvertrauen sucht und Bitterkeit findet.

Seit fünf Jahren ernährt sich Cioca von einer Diät aus Kartoffelbrei und Pudding. Sie erträgt die Schmerzen beim Kauen nicht. Vor fünf Jahren vergewaltigte sie ein Vorgesetzter bei der US-Küstenwache und zerstrümmerte ihren Kiefer. Seit fünf Jahren kämpft sie um die Sühne der Tat und um Anerkennung als schwer verletzte Veteranin. Wie die Dinge liegen, hat Kori Cioca weit größere Chancen, am kommenden Sonntag durch einen Oscar für den Dokumentarfilm "The Invisible War" zu internationalem Mitgefühl zu kommen als zu ihrem Recht bei Amerikas Militär.

Cioca ist eine der traurigen, großartigen Heldinnen des Regisseurs Kirby Dick und seiner Partnerin Amy Ziering, verantwortlich für Interviews und die Produktion. Auch zwei männliche Opfer treten im Film auf, allerdings keine fünf Minuten lang und erst nach einer Stunde. Michael Matthews und Brian Lewis werfen dem Regisseur vor, sie und ihre Leidensgenossen abermals zu verraten und totzuschweigen.

Sie haben recht. Denn sie haben noch mehr riskiert als die Frauen; die Homophobie in den Streitkräften macht ihre "Schande" noch größer und ihr Schweigen tiefer. Es sind keine Schwulen (im üblen Jargon "buddy fuckers"), die ihre Kameraden sexuell missbrauchen, quälen, erpressen.

Anzeige nur in einem Drittel der Fälle

Auf 10.000 Männer und 9000 Frauen wird die Dunkelziffer der jährlichen Vergewaltigungen in den US-Streitkräften geschätzt. Exakt 3223 Fälle wurden 2012 angezeigt, 529 Täter wurden von Militärgerichten verurteilt, 175 verbüßen eine Haftstrafe.

Ihre Peiniger im Knast zu wissen, und sei es nur für ein paar Monate, würde den Zeuginnen im "Unsichtbaren Krieg" guttun. Ihre Geschichten gleichen einander auf so empörende Weise, dass man unwillkürlich aufstöhnt, wenn sich wieder eine erinnert: "Sie sagten, ich solle mich nicht wegen dem bisschen verschütteter Milch aufregen"; "sie sagten: ,Reiß dich zusammen, es gibt es keine Beweise'"; "sie sagten: 'Du beschuldigst einen Offizier, das heißt, du lügst; man sollte dich wegen Fraternisierung und Ehebruch anklagen!'".

Die Frauen heißen Jessica Hives, Robin Lynne Lafayette, Hannah Sewell, Arianna Klay und Kori Cioca; sie dienten als ehrgeizige, vertrauensvolle Patriotinnen bei den Marines, in der Luftwaffe, der Küstenwache und im Heer: Sie alle hatten keine Chance gegen die Angriffe durch Kameraden und die Komplizenschaft ihrer Vorgesetzten.

So lautet der vielleicht schlimmste Vorwurf der Männer wie der Frauen: Die Führung, von ihrer Einheit angefangen nach oben bis ins Pentagon, versagt nicht nur ihren Beistand. Sie schützt die Täter und ihre eigenen Karrieren. Für die Opfer bleibt eine dreifache Wahl: "Selbstmord, Fahnenflucht oder Verdrängung."

Die Soldaten unterliegen nicht dem Zivilgericht

Nicht zufällig erinnert die Omertà im Namen des höchsten Guts an den Umgang der katholischen Kirche mit Priestern, die ihnen anvertraute Kinder missbrauchten. Kirby Dick hat den Kirchenskandal 2004 in "Twist of Faith" dokumentiert, schon damals war er für einen Oscar nominiert.

Verwandt sind Kirche und Armee durch den familiengleichen Zusammenhalt, der sich zwischen Gläubigen einer Gemeinde wie zwischen Soldaten einer Einheit bildet. Eine Psychiaterin vergleicht in "Invisible War" die Vergewaltigung von Kameraden mit gewaltsamem Inzest.

Anders als kriminelle Priester, die nicht vor Strafe durch zivile Gerichte geschützt sind, unterliegen amerikanische Soldaten der Militärgerichtsbarkeit. Kommandeure hatten bis vor Kurzem das Recht, die Strafverfolgung eines angezeigten Falls zu verhindern oder zu betreiben. Kirby Dick berichtet nicht ohne Stolz, dass Verteidigungsminister Leon Panetta zwei Tage nach einer Vorführung von "Invisible War" im Pentagon dieses herrschaftliche Kommandeursrecht, in Personalunion als Ankläger, Richter und De-facto-Begnadiger aufzutreten, kassierte. Es existiert nicht mehr.

Erschütternde Abschiedsbriefe


Man müsste aus Eisen sein, fühlte man nicht mit den Frauen und den beiden Männern Wut und Scham und Ohnmacht. Manche haben Selbstmord erwogen, einige haben ihn verübt und sind gescheitert. Kori Cioca etwa, die bis heute nicht weiß, warum alle die Pillen sie nicht töteten.

Sie liest vor der Kamera ihren Abschiedsbrief an ihre Mutter, es sind schöne, ein besseres Leben lobpreisende Worte. Nur ihre Schwangerschaft gab ihr Lebenswillen. Ihr Mädchen ist süß. Doch die Dämonen, die sie im Schlaf verfolgen und sie oft im Wachzustand stumpf und kalt gegenüber ihrem Mann Rob werden lassen, geben sie nicht frei. Cioca wünscht dem Mann, der ungestraft ihr Leben zerstörte, den Tod. Ginge er eines Tages über Bord seines Coast-Guard-Bootes und kehrte nie zurück, "es wäre ein Freudentag".

Hannah Sewell kommt aus einer Soldatentradition. Sie rief ihren Vater in der Nacht an, als man sie vergewaltigt hatte. "Dad, ich glaube, ich habe meine Unschuld nicht mehr", schluchzte sie. Ihr Vergewaltiger brach Rückenwirbel und verrenkte ihre Hüften. "Nicht doch, Kleines", tröstete sie ihr verzweifelter Vater, "niemand kann dir die Unschuld nehmen." Im Film weint der große Mann in Heeresuniform: um seine geliebte geschändete Tochter wie um seine geliebte, schändliche Army. Der Täter blieb straflos und unerkannt.

"Der unsichtbare Krieg" kennt nur Besiegte


Amerikas Militär gleicht einem Orden mit eigener Gerichtsbarkeit. 1950 sprach das höchste Bundesgericht ein Urteil, das als "Feres-Doktrin" gültig ist. Danach ist der Staat nicht haftbar für Verwundungen, die US-Soldaten während ihres aktiven Dienstes davontragen. Kori Ciocas zerstörter Kiefer zählt dazu. Auch für ihre innere Verletztheit wie ihren getöteten Glauben an die Menschheit gibt es weder Orden noch Schmerzensgeld.

"Der unsichtbare Krieg" kennt nur Besiegte. Das lehren die Gesichter und Geschichten: Aus 300 Vorgesprächen wurden 150 Interviews und daraus keine zehn Opferhelden. Das immer Gleiche ihres Leids ist schwer zu ertragen. Dazu treffen uns Stiche, wie durch das Unwort "Selbstbedienung". Es fällt mehrfach für Vergewaltigung, es steht für die Verächtlichmachung ihres Leids durch Kameraden.

"Stell dich nicht an", sagt man am ersten Tag einer der Frauen, die es zu den "Besten der Besten" der Marines in Washington schafft. Sie tun im Weißen Haus Dienst und auf dem Soldatenfriedhof Arlington. Amerikas Elite in Uniform. Sie erinnert sich an ihre Diensteinweisung durch einen Offizier: "Willkommen, Kameradin, Frauen dienen hier, um gevögelt zu werden."

Bislang lief der Film hauptsächlich auf amerikanischen Festivals, für Deutschland gibt es keinen Verleih. Ein Oscar für "The Invisible War" wäre ein Signal.
http://www.welt.de/kultur/oscar/article113844408/Frauen-dienen-hier-um-gevoegelt-zu-werden.html

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