Wohnmillieu, Ghetto, Gated City

Begonnen von Kuddel, 15:56:41 Mo. 17.Mai 2021

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Kuddel

Ich habe die Beiträge dieser wichtigen Diskussion aus dem Strang "Linkspartei auf dem Weg nach rechts" herausgenommen, weil es eher um die politischen Aspekte des Wohnens geht, als um die Ausrichtung der Linkspartei.
Admin


Sarah Wagenknecht:
"Ich finde, es sollte keine Stadtviertel geben, wo die Einheimischen in der Minderheit sind."

Was soll dieser Dreck!?!
Die Frau sollte sofort aus der Partei geschmissen werden!

counselor

Naja, die Städte sollten schon auf eine gewisse Durchmischung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen achten. Ich habe mich gestern mit einem Aktivisten unterhalten, der in einem Straßenzug lebt, in der bulgarische Wanderarbeiter in der Mehrheit sind. Er sprach davon, dass da eine gewisse "Gesetzlosigkeit" um sich greife.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Die Probleme von Migrantenstadtteilen sind soziale Probleme.
Die reichen bis in ihre Heimatländer. Ihre fehlende Bildung. Dort herrschender Rassismus gegen Roma und Sinti. Die gewalttätigen Verhältnisse der Heimaländer. Traumatisierung durch Krieg und von der Flucht. Der Rest ist normale Armutskrimalität und Mackertum. Sieht vielleicht schlimm aus, aber völlig harmlos gegen die saubere Kriminalität der Reichen. Die zerstören mit einem Federstrich die Lebensplanungen ganzer Belegschaften, sie zerstören mit Landgrabbing und industriealsierter Landwirtschaft ganze Kontinente, sie verdienen am Rüstungsexport. Es ist geradezu lächerlich, sich über die Ruppigkeit armer Einwanderer aufzuregen.

1957 kam das Musical West Side Story auf die Bühne. Da feierte man das wilde Leben und die Gangs der Einwandererkids.

Die Stadtteile Gaarden (in Kiel) oder Gröpelingen (Bremen) haben in einigen Gegenden definitiv eine migrantische Mehrheit. Es sind die coolsten bzw. lebendigsten Stadtteile der Stadt. In den Einfamilienhausvororten mit Jägerzaun wurde ich mich erschießen.

In Dubai beträgt der Anteil der Migranten etwa 80%. Mir hat das Leben unter den Migranten (aus aller Welt) so gut gefallen, daß ich versucht habe, mir da einen Job zu suchen. Hatte leider keinen Erfolg. Naja, das Wetter ist auch ziemlich heftig da.

Kuddel

Nachschlag:

Migranten dürfen mehrheitlich auf den Spargelfeldern arbeiten, in Schlachtbetrieben schuften, Schulen und Krankenhäuser reinigen, Kreuzfahrtschiffe bauen, aber zusammen wohnen sollen sie nicht?

Was soll der Scheiß!?!


Übrigens: Und es ist ja nicht so, daß sie so gerne in besagten Gegenden wohnen. Ihnen fehlt das Geld dort zu wohnen, wo die Wohnungen größer und in besserem Zustand sind.

Wagenknecht verachtet die Armen. Ich verachte die Wagenknecht.

Kuddel

Nachtisch:

Die dänische Regierung will festlegen, dass weiße Gutverdiener gegenüber schlechtverdienenden Einwanderern bei der Vergabe von Gemeindewohnungen bevorteilt werden, um so zu erreichen, dass in 10 Jahren in keinem Stadtteil mehr mehr als 30 % "nichtwestliche" Einwanderer leben.

counselor

ZitatEs ist geradezu lächerlich, sich über die Ruppigkeit armer Einwanderer aufzuregen.

Das tun wir von der Montagsdemo ja auch nicht. Besagte Bulgaren wohnen in Gostenhof, einem Stadtteil mit hohem Migrationsanteil (hauptsächlich Griechen und Türken). Ich mag diesen Stadtteil und habe dort selbst von 2008 bis 2017 gewohnt. Die Bulgaren werden dort von ihren Arbeitgebern in heruntergekommene Billigwohnungen einquartiert. Einwanderer trifft auf die Bulgaren weniger zu, weil sie nur auf Zeit während des Arbeitseinsatzes in Deutschland sind.

Wagenknecht ist für mich nicht wirklich links. Ihre Politik mag ich auch nicht. Sie schadet uns und den Arbeitern.

Naja, ich war schon immer für eine bessere Durchmischung der Wohngebiete mit allen Bevölkerungsgruppen. Damit keine Ghettos entstehen.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Eigentlich ist das mit dem Wohnen und der Bevölkerungdurchmischung ein spannendes Thema.
In den Villengegegenden gibt es keine Durchmischung.
Weltweit gibt es die Tendenz zu "Gated Cities" wo sich die Reichen hinter Mauern und Wachleuten verschanzen.

Der Bremer Plattenbaustadtteil Tenever ist in den 70ern als Vorzeigebezirk aus dem Boden gestampft worden.


Die Klötze sind als Sozialwohnungen gebaut worden und hatten guten Komfort zu bezahlbarem Preis.
Es leben in dem Stadtteil Menschen aus über 100 Ländern. Es mag architektonisch scheiße aussehen, das Leben war da immer gut. Einige Leute sind sozial aufgestiegen, hatten bessere Jobs bekommen. Die verdienten dann "zuviel" für eine Sozialwohnung. Sie wurde gezwungen auszuziehen. Man hat so die natürlich entstandene sozialen Durchmischung beendet und ließ nur noch arme Leute da wohnen. Das verschlechtete das Lebensgefühl im Stadtteil und die Leute beschwerten sich. Die Stadt gab dann Unsummen für Soziologen und Erforschung des Problems, für Kulturprojekte und kostenlose Wohnungen für Künstler aus. Dann kam man auf die Idee jedes 3. Hochhaus abzureißen. Man hätte einfach nur nicht die Leute, denen es etwas besser ging, nicht rausschmeißen sollen. Jetzt fehlt wieder die Wohnfläche, die man abgerissen hat...


Ist aber ziemlich O.T. jetzt...

Fritz Linow

Zitat von: counselor am 16:09:48 Mo. 17.Mai 2021
(...) Er sprach davon, dass da eine gewisse "Gesetzlosigkeit" um sich greife.

Worin bestehen aus seiner Sicht diese Gesetzlosigkeiten? (Nur so als Erfahrungsaustausch)

Ansonsten scheint diese Forderung nach Durchmischung von Stadtteilen auch gerne dafür benutzt zu werden, um eine Pseudogerechtigheit herzustellen, die die reichen Bezirke nicht betrifft, die armen Bezirke aber aufwerten soll, d.h. alles wird teurer und die Armen müssen irgendwann abziehen.

In Kiel gab es z.B. jahrzehntelang gewachsene Barrackengegenden für Obdachlose, die mit der Begründung aufgelöst wurden, dass es ihnen besser ginge, wenn sie in normalen, teils bürgerlichen Vierteln untergebracht werden. Viele von den wollten das aber gar nicht, weil dadurch das ganze soziale Umfeld zerstört wurde. Ghetto kann man wohl so oder so sehen, mal als Fortschritt, mal als eine renditeträchtige Unternehmung.

Eigentlich geht es ja um die dumme LINKE Partei. Daher hier der Stein des Anstoßes:

Zitat(...)
Finden Sie, dass zuletzt zu viele Menschen nach Deutschland gekommen sind?

Ich finde, es sollte keine Stadtviertel geben, wo die Einheimischen in der Minderheit sind und es sollte keine Schulklassen geben, in denen mehr als die Hälfte der Kinder kaum Deutsch spricht. Ganz davon abgesehen, dass wir dringend Regeln brauchen, die verhindern, dass Zuwanderer in unserem Arbeitsmarkt als Lohndrücker missbraucht werden können. Es gibt eine Reihe von Branchen, in denen wären die Löhne in den zurückliegenden Jahren längst gestiegen, wenn die Unternehmen nicht immer wieder auf billige Arbeitskräfte aus dem Ausland hätten zugreifen können. So wird etwa bei Postzustellern oder Reinigungskräften ein miserables Lohnniveau verfestigt, von dem viele Menschen das Leben in einer durchschnittlichen deutschen Großstadt nicht mehr finanzieren können.
(...)
https://web.de/amp/35809050?

Vom hiesigen MdB der dummen LINKEN habe ich noch keine Eigeninitiative erlebt, wenn es darum geht, im Stadtteil mit Armen und Ausgebeuteten in Kontakt zu kommen. Da geht es eher darum, Stimmungen aufzufangen, als Bewegungslinke zu instrumentalisieren, rumzuschwallern und Antilopen Gang zu hören. Das interessiert kein Schwein hier.

counselor

ZitatWorin bestehen aus seiner Sicht diese Gesetzlosigkeiten?
Er hat es nicht genau spezifiziert. Er hat sich aber in der Vergangenheit zB darüber beschwert, dass die Bulgaren ihre Frauen schlagen und er schon dazwischen gehen musste.

ZitatAnsonsten scheint diese Forderung nach Durchmischung von Stadtteilen auch gerne dafür benutzt zu werden...
Teuerer werden die Waren so und so. Das läuft im Kapitalismus gesetzmäßig ab. Aber es gibt in Gostenhof auch Kämpfe gegen Gentrifizierung. Meiner Meinung nach kann man die Wohnungsfrage im Kapitalismus nicht dauerhaft lösen. Was aber nicht heißt, dass es keine Reform gibt. Ich denke da an das Wiener Modell (https://www.wienerwohnen.at/).
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Fritz Linow

Gated City von Oben zu Ende gedacht:

ZitatIm Rausch der vollkommenen Freiheit

Private Städte schaffen rechtsfreie Räume - Rechtslibertäre und neoliberale Netzwerke treiben weltweit den Aufbau von Privatstädten voran. Doch was genau ist eine private Stadt? Und wie lassen sich außerstaatliche Reißbrett-Enklaven realisieren? Ein Beispiel aus Honduras.
(...)
https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/384_jugoslawien/trau

Fritz Linow

Zitat20.5.21
Bremer Baugesellschaft: Wohnungen nur für Weiße?

Die städtische Bremer Baugesellschaft Brebau hält Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund gezielt von Wohnungen fern. Das belegen Dokumente und Zeugenaussagen, die Radio Bremen und Panorama vorliegen. Danach lässt die Brebau von ihren Mitarbeitenden spezielle Notizen über Wohnungsinteressierte erstellen, in denen - so die Anleitung an die Kundenmitarbeitenden der Brebau - vermerkt werden soll, ob ein Bewerber oder eine Bewerberin schwarz ist, ein Kopftuch trägt, mit der deutschen Kultur vertraut ist, westlich integriert ist oder wie die Deutschkenntnisse sind. In einer "Zielgruppendefinition" vergibt die Brebau für "People of Colour" die Abkürzung E40, wozu "auch Sinti und Roma, Bulgaren, Rumänen gehören". (...)
https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2021/Bremer-Baugesellschaft-Wohnungen-nur-fuer-Weisse,brebau100.html

Kuddel

Zitat von: counselor am 01:31:53 Di. 18.Mai 2021
ZitatWorin bestehen aus seiner Sicht diese Gesetzlosigkeiten?
Er hat es nicht genau spezifiziert. Er hat sich aber in der Vergangenheit zB darüber beschwert, dass die Bulgaren ihre Frauen schlagen und er schon dazwischen gehen musste.

Man muß bei diesen Dingen verdammt vorsichtig sein.
Es gibt genug Vorurteile gegen arme Leute, besonders gegen zugewanderte.
Als der Hurrikan Katrina Teile von New Oleans in den Fluten versinken ließ, wurden die gerade obdachlos gewordenen Menschen in einem Football-Stadion untergebracht. Die Medien berichteten, dort würde Mord und Totschlag herrschen. Die Armen würden sich nicht nur gegenseitig ausrauben, sie würden auch einander ermorden. In dieser Anarchie würden sogar Säuglinge vergewaltigt werden. Das ging nicht nur durch die US-Medien, sondern auch durch unsere Qualitätsmedien.

Das Problem: Es entsprach nicht der Wahrheit. Es war ein rechter US Thinktänk, der diese Lügengeschichten in die Welt gesetzt hat. Ihm ging es darum, daß die schwarzen Armen als Tiere gesehen werden. So bekamen sie keine Wiederaufbauhilfe, um ihre von dem Wasser zerstörten Häuser wieder in Stand zu setzen. So konnten reiche Weiße deren Grundstücke billig erstehen.

Aber Arme und Zugewanderte galten schon immer gern als Projektionsfläche. Die sexuell besonders aktiven Südländer und Afrikaner galten als geborene Vergewaltiger.

Aber Vorurteile kamen nicht nur von rechts. In den 60ern hatten auch Gewerkschafter und einige Linke Vorurteile gegen Arbeitsmigranten. Sie arbeiteten angeblich alle wie die Irren, würden damit Akkordlöhne drücken, kennen keine Solidarität und wären reaktionär.

Als mit dem Fordstreik 1973 eine Welle wilder Streiks von Arbeitsmigranten losbrach, guckten sie alle blöd, die Gewerkschafter genauso wie die Kommunisten. Diese ungebildeten und "reaktionären" Zugewanderten waren kämpferischer und radikaler als sie selbst.

Kuddel

ZitatPrivatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus

Eine Kritik der totalitär-kapitalistischen Privatstädte in Honduras


Taschenbuch, 184 S.

Totalitär-kapitalistische Ideologien und Netzwerke haben sich eines der ärmsten und autoritärsten Länder Lateinamerikas ausgesucht, um dort ihre Version einer ›Brave New World‹ zu realisieren: Honduras. Hier sollen Privatstädte entstehen, in denen Unternehmen mit eigener Gesetzgebung, eigenen Gerichten und privaten Sicherheitsorganen herrschen. Ginge es nach Unternehmern wie Titus Gebel, soll aber nicht nur in Honduras Demokratie »durch den Geldbeutel ersetzt« werden. Eigenen Worten zufolge möchte er noch zu seinen Lebzeiten solche Privatstädte auch in Deutschland sehen. Bereits 2009 wurden unmittelbar nach dem Putsch in Honduras die Weichen für die Übertragung lokaler Staatsgewalt an Privatunternehmen gestellt, um das Land zu einem Experimentierfeld – vor allem auch deutscher – Investor*innen zu machen. In Honduras sind zurzeit bereits drei solcher Investorenstädte vereinbart, mindestens drei weitere sind in Planung. Als ausgewiesene Sonderwirtschaftszonen, denen weitgehende Autonomie in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung zugesprochen wird, hebeln diese Privatstädte nicht nur die Souveränität des Staates aus, sondern enteignen auch die lokale Bevölkerung und stellen sie vor die Wahl, sich ihren neuen Herren zu unterwerfen und für sie zu arbeiten oder ihre angestammte Heimat zu verlassen.

Das Buch wirft einen detailscharfen Blick auf diese manchesterkapitalistischen Netzwerke in Europa und den USA, berichtet aber ebenso auch von den massiven Protesten in immer mehr honduranischen Gemeinden, die sich gegen ihre Enteignung und Vertreibung wehren.
https://black-mosquito.org/de/privatstadte-labore-fur-einen-neuen-manchesterkapitalismus.html


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