Fritz Lamm: Die Linke hat keine Heimat

Begonnen von Kater, 23:43:00 Fr. 26.Januar 2007

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Kater

ZitatPeter Grohmann: Die Linke hat keine Heimat    

FRITZ LAMM - EIN ATEMBERAUBENDES LEBEN

Parteigründer zusammen mit Willy Brandt, Betriebsratsvorsitzender bei der Stuttgarter Zeitung und eine Ikone der undogmatischen Linken: 30 Jahre nach dem Tode Fritz Lamms hat Michael Benz eine Biografie über den unbequemen Streiter vorgelegt. In Stuttgart, Lamms politischem Wirkungsort, wird am 25. Januar eine Veranstaltung im Theaterhaus an den ungewöhnlichen Sozialisten erinnern. Der Kabarettist Peter Grohmann hat den begnadeten Redner und politischen Lehrer ein Stück seines Weges begleitet.

Wie sie werden könnte, diese Erde, davon hat Fritz Lamm, 1911 in Stettin geboren, zeitlebens klug gepredigt - mit Wortwitz und Überzeugungskraft. Der Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie wurde im antizionistischen jüdischen Jugendbund Kameraden groß und ging mit 18 Jahren zur Sozialistischen Arbeiterjugend und zur SPD. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn, 1931, wieder ausschloss. Bei dieser Gelegenheit trat der junge Lamm gleich auch "aus dem Judentum" aus - den Traum, Rabbi zu werden, hatte er längst begraben. Mit Willy Brandt und Walter Fabian gründete er die Sozialistischen Arbeiterpartei SAP.

Als Sozialist, Jude und Homosexueller war Lamm nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten besonders gefährdet: Die erste Verhaftung im Februar 1933, die zweite am 3. Mai 1933, der schwere Folter folgte, an der er zeitlebens litt. 1936 kam er mit Hilfe der SAP nach Stuttgart, von hier aus über ein gut funktionierendes illegales Netz, das politische Flüchtlinge mit gefälschten Papieren ausstattete, in die Schweiz. Lamm wurde von der Schweizer Polizei erwischt und nach Österreich abgeschoben. Über Prag, wo er an der Gründung der Freien Deutschen Jugend als Zusammenschluss linker Jugendverbände beteiligt war, floh er nach Frankreich, wurde interniert und konnte 1941 aus dem Pyrenäenlager Le Vernet über Casablanca nach Cuba entkommen. Atemberaubend!

Bündnispartner gegen die Eltern

Fritz Lamm hat seine Zeit dem Politischen gewidmet. Er war ein begnadeter Berichterstatter, faszinierte mit seinen Reden und Referaten. In den fünfziger und sechziger Jahren, als ich Lamm bei den Falken kennen lernte, waren die Befreiungskriege und Auschwitz unsere Themen, die Entwicklung der SPD nach rechts, der militante Antikommunismus der Zeit - und die eigenen Eltern, denen man nicht über den Weg traute. Wir gerieten immer wieder und immer öfter in Konflikte mit den Altvorderen, mit dem Filz von SPD- und Gewerkschaftsfunktionären. Dem Establishment, den angepassten Erwachsenen. Nur wenige der Genossinnen und Genossen konnten uns von Widerstand oder Exil erzählen, und die meisten warnten vor Jugendverführern wie Fritz Lamm.

"Immer wenn ein Dampfer aus Europa ankam", erzählte er, "standen wir am Hafen von Havanna. Jeder versuchte, die ankommenden Emigranten für seine politische Gruppe zu kaschen." Und mehr noch: Trotz der als historisch empfundenen Niederlage der Arbeiterbewegung bekämpfte man sich weiter. "Falsche Analysen, Sektiererei und der Stalinismus", so erinnerte sich Lamm, hätten sie in diese Lage gebracht.

Lamm war ein Unabhängiger, pragmatisch und voller Ausdauer. Doch die Leiden und Entbehrungen, die Folter, die Flucht über drei Kontinente, der Überlebenskampf in der Emigration - all das hatte ihn gezeichnet, innen wie außen. Wenn über die Résistance diskutiert wurde, über die ökonomische Lage in Cuba, innergewerkschaftliche Demokratie - er, der Betriebsratsvorsitzende der Stuttgarter Zeitung, der Bildungsobmann der Naturfreunde, der Referent beim SDS, brachte die Praxis zur Theorie und die Theorie zur Praxis.

Heimkehr mit roten Fahnen
Es muss bewegend gewesen sein, als das Schiff mit den Cuba-Rückkehrern 1948 im Hamburger Hafen einlief. Hunderte von Hafenarbeitern hatten sich zur Begrüßung versammelt, von der Militärpolizei zurückgedrängt, und die Genossen auf dem Oberdeck schnitten ihre wie Augäpfel gehüteten Federbetten auf, ließen die Federpracht auf die Militärpolizei segeln und winkten mit den Inletts. Rote Fahnen sieht man besser.

In Stuttgart nahm Lamm dann die alten Kontakte wieder auf - Genossen der Stuttgarter SAP wie Richard Schmid, der selbst im KZ gesessen hatte und später Generalstaatsanwalt werden sollte, verhalfen ihm zur Arbeit bei der Stuttgarter Zeitung. Schon 1949 gab er die Thomas-Münzer-Briefe, 1950 bis 1959 Die Funken, kapitalismus- wie stalinismuskritische Streitschriften, heraus - und trat wieder der SPD bei: "Die sind doch mein Wohnungsschlüssel für algerische Flüchtlinge."

Arbeiterverräter?
Angesichts des real existierenden Sozialismus machte sich Lamm allerdings keine lllussionen über die Verankerung sozialistischen Denkens in der Partei. "Ich kenne die sozialdemokratische Mitgliedschaft ... und nehme an, dass sich an vielen Orten dasselbe Bild ergibt ... Parteivorstand und Parteitag stehen in keinem ideologischen Gegensatz zur Mitgliedermasse, sind ihr im Niveau eher voraus als entsprechend." Das war, früher und auch später noch, seine Antwort auf den Vorwurf, die Funktionäre von SPD und Gewerkschaften hätten die Arbeiter verraten.

Sozialismus hatte in der damaligen Bundesrepublik nicht eben Konjunktur. Der Weg von der sozialdemokratischen zur Volkspartei war für Lamm zwar Verrat am Ziel - aber von den schnellen neuen Gründungen der Linken hielt er nicht viel. "Arbeitet lieber beim Ostermarsch oder in den Komitees gegen die Notstandsgesetze mit", riet er uns, auch wenn der Druck auf alles, was nicht dem Mainstream entsprach, zunahm. Die sozialistischen Falken reglementierten ihre linken Mitglieder, in den Gewerkschaften wurden die "Moskautreuen" aus den Funktionen entfernt, dem SDS die Mittel gestrichen. 1963 wurde Lamm wegen seines Engagements für den Sozialistischen Bund, der den SDS finanziell unterstützte, abermals aus der SPD ausgeschlossen. Er sah´s mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Ein Heimatloser
Während die Älteren aus der SPD und den Gewerkschaften eher ein distanziertes Verhältnis zu Lamm hatten, übte er auf die Jungen immer eine große Faszination aus. Den meisten von uns war - wie ihm selbst - der Zugang zur Hochschule versperrt geblieben. "Erspart geblieben", unkte er und riet dennoch, jeden Weg, der mehr Bildung versprach, nicht zu scheuen. Seine Radikalität war beeindruckend und konsequent - er lebte, was er sagte. "Jetzt bist Du heimatlos. Die Linke hat keine Heimat", lachte er.

Für Fritz Lamm, schreibt Werner Schmidt in einem Aufsatz, habe die eigentliche Heimatlosigkeit erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland begonnen: "Erst jetzt scheinen bei ihm - ähnlich wie bei etlichen anderen Emigranten aus der linkssozialistischen Arbeiterbewegung - die letzten Hoffnungen auf eine geläuterte und zugleich revolutionäre deutsche Arbeiterbewegung verflogen zu sein." Viele wandten sich von der revolutionären Zielsetzung ab, andere zogen sich zurück oder übernahmen die Rolle des Kritikers: Fritz Lamm wählte letztere.

Er war ein Überzeuger, bei dem das Gesagte mit dem Persönlichen übereinstimmte. Seine Wohnung stand immer offen, immer setzte er uns etwas zu Essen vor, und es gab auch ein paar Groschen für die Heimfahrt und für fast jeden ein individuell ausgesuchtes Buch, das man, bitte schön, lesen und vor allem zurückbringen sollte zum nächsten Lektüreabend, zusammen mit den offenen Fragen. So offen wie sein Haus war auch sein Geldbeutel. Quer durchs Land war er in seiner Freizeit unterwegs, ein Selbstzahler. Hunderte junger Leute sind durch seine "Rabbi-Schule" gegangen.

Mehr Fragen als Antworten
Für uns gab es damals so viele drängende Fragen - und nur selten Orte, wo sie gründlich diskutiert und vielleicht neu formuliert werden konnten. Zeigt uns das jugoslawische Modell den Sozialismus? Wiederaufrüstung, Nazis in der Bundesregierung? Der 17. Juni - Arbeiteraufstand oder gesteuerte, postfaschistische Provokation? Soll man den Sirenenklängen der FDJ folgen und mal nach "drüben" reisen? Darf man, wo Gewerkschafts- und Parteienfilz sich die sozialdemokratischen Hände reichen und der Demokratie gute Nacht sagen, mit eigenen Listen antreten wie die legendäre Plakat-Gruppe bei Daimler-Benz?

Prager Frühling, Kibbuz-Sozialismus, Tschernobyl - Fritz Lamm kannte für die tägliche Arbeit keine fertigen Rezepte, war oft ratlos wie wir. Er kam aus einem Milieu, das wir kannten, in dem wir uns sicher fühlten, sicherer als heute. Die Jugendgruppen waren für uns kleine Zellen: Lehrlinge, Facharbeiter, selten Gymnasiasten. Gruppenabend wöchentlich, sonst Wanderungen, Seminare, Zeltlager auch für die Kinder der Mittellosen. Das war unsere "soziale Bewegung", die Brüche zwischen Theorie und Praxis waren heilbar, alles war offen, die Utopie des Gemeinsamen greifbar: Solidarität im Kleinen, im Alltag. "Wer nur an sich selbst denkt, gefährdet mit dem gemeinsamen Wohl letzten Endes auch sein eigenes."

Also doch ein Rezept? Ja doch. Sich an die eigenen Traditionen erinnern in einem Land, das diese Erinnerung am liebsten auslöschen will. Kraft schöpfen, indem man den Alltag besteht. Und wenn man schon keine Fragen beantworten kann, dann sollten wir sie stellen. Beharrlich, scharf und mit Lust.

Am 15. März 1977 ist Fritz Lamm in Stuttgart gestorben. Im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt liegt ein Teil seines Nachlasses.

Michael Benz: Der unbequeme Streiter Fritz Lamm. Jude, Linkssozialist, Emigrant. 1911 - 1977. Eine politische Biografie. Herausgegeben vom Bürgerprojekt Die AnStifter. 552 S, Klartext-Verlag, 29,90 Euro.

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, ist Kabarettist und Autor in Stuttgart.

http://www.freitag.de/2007/04/07041801.php

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