Verweigerung zumutbarer Arbeit bei Nichtannahme einer

Begonnen von Hajo, 13:06:14 Do. 13.Mai 2004

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Hajo

§§2, 18, 25 BSHG; § 291 StGB; § 138 BGB; § 66 SGB I

Verweigerung zumutbarer Arbeit bei Nichtannahme einer unzumutbaren »Praktikantenstelle«

Verwaltungsgericht Schwerin, Beschluss vom 4. April 2003 -6 B 296/03

1.   Es gehört nicht zu der Selbsthilfeverpflichtung eines
Sozialhilfebeziehers, eine unzumutbare Arbeit anzu
treten, wenn ihm ein Praktikantenvertrag mit sitten
widrigen Vertragsbedingungen angeboten wird.

2.   Die Selbsthilfeverpflichtung umfasst auch nachzu
weisende eigenständige Bemühungen um Arbeit.

3.   Es gehört nicht zu den Mitwirkungsobliegenheiten
nach § 60 ff. SGB I, Unterlagen vorzulegen, die nicht
im Zusammenhang mit dem Hilfebegehren stehen.

Zum Sachverhalt:

Der alleinstehende Antragsteller ist ein junger Erwachsener, der eine nach dem Ausbildungsförderungsgesetz förderungsfähige Ausbildung abgebrochen hatte, jedoch eine weitere Erstausbildung aufnehmen will. Er hatte eine ihm von einer durch den Antragsgegner eingeschalteten Beschäftigungsgesellschaft eines Trägers der Freien Wohlfahrtspflege angebotene »Praktikantenstelle« nicht angetreten. Daraufhin hatte der Antragsgegner die Sozialhilfegewährung eingestellt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht - begrenzt auf den Entscheidungsmonat - mit der Maßgabe Erfolg, dass bei der Leistungshöhe ein um 25 v.H. gekürzter Regelsatz zu Grunde zu legen und ein Unterhaltsbeitrag der Eltern zu berücksichtigen sei.

Aus den Gründen:

Der Antragsteller hat bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage einen Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Form laufender Leistungen nach den §§ 11 f., 21 f. des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) i.V.m. der Verordnung zur Durchführung des § 22 Bundessozialhilfegesetz (Regelsatzverordnung) sowie auf Gewährung des Mietzuschusses nach den §§31 ff. WoGG. Dazu ist Folgendes auszuführen:

Der Antragsteller ist [...] nicht auf den Nachrang der Sozialhilfe zu verweisen. Nach § 2 Abs. l BSHG erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Während es nach dem zweiten Halbsatz des § 2 Abs. l BSHG auf tatsächlich bezogene Leistungen und somit »bereite« Mittel ankommt, stellt das Gesetz für den Fall der Selbsthilfe nach § 2 Abs. l BSHG (»sich selbst helfen kann«) auf die gegebene Möglichkeit einer Einkommenserzielung ab. Die Selbsthilfeverpflichtung schließt es ein, dass ein sozial-hilferechtlicher Bedarf verneint werden muss wegen eines Einkommens, das zu erzielen dem Hilfesuchenden zuzumuten ist (vgl. W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 2 Rn. 8 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Dazu hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg mit Be-schluss vom 14. April 1998 (4 Bs 131/98, FEVS Bd. 49, 44 ff.), dem sich die Kammer im vorliegenden summarischen Verfahren anschließt, ausgeführt: [es folgt ein längeres wörtliches Zitat der Entscheidung OVG Hamburg].
Daran gemessen ist die sofortige Beschäftigungsmöglichkeit bei der P - im Folgenden: P - nicht geeignet, den Antragsteller auf diese (vorrangige) Selbsthilfemöglichkeit zu verweisen. Die dortige Tätigkeit stellt sich für die Kammer bei summarischer Betrachtung - unabhängig von Unklarheiten der von jener Gesellschaft vermittelten Arbeitstätigkeiten -als unzumutbare Arbeitsgelegenheit dar. Der angebotene Arbeitsvertrag wäre im Rahmen der hier lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sittenwidrig-

P spricht in dem von ihr vorformulierten Vertragswerk zwar von einem »Praktikantenvertrag« bzw. »Praktikantenverhältnis« und dem Einsatz des Hilfesuchenden als »Praktikant«. Üblicherweise wird als Praktikant jedoch nur derjenige bezeichnet, der sich einer bestimmten Tätigkeit und Ausbildung in einem Betrieb unterzieht, weil er diese im Rahmen einer Gesamtausbildung, z.B. um die Zulassung zum Studium oder zur Hochschulprüfung zu erlangen, nachweisen muss (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl. 2000, § 16 Rn. 9 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts). Dieses Praktikantenverhältnis kann rechtlich unterschiedlich ausgestaltet sein. Soweit es Bestandteil des Studiums ist, findet Arbeitsrecht keine Anwendung (Schaub, a.a.O.). Stellt es sich in der Ausgestaltung als Ausbildungsverhältnis nach § 19 Berufsbildungsgesetz (BBiG) dar, so hat der Praktikant nicht nur Anspruch auf Vergütung, sondern nach § 3 Abs. 2 BBiG sind grundsätzlich die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und -grundsätze maßgeblich (Schaub, a.a.O.).
Schon bei oberflächlicher Betrachtung des hier in den Blick zu nehmenden angesonnenen Vertragsverhältnisses dürfte jedoch hier weder die eine noch die andere Ausgestaltung das Rechtsverhältnis zwischen dem Hilfesuchenden und P als Praktikantenverhältnis korrekt wiedergeben. Denn hier werden offenbar unterschiedslos alle (erwachsene junge) Hilfesuchende in einer Vielzahl von unterschiedlichen und wohl auch wechselnden (Weiter-)Beschäftigungsmöglichkeiten, noch dazu wohl weitgehend in Tätigkeitsbereichen ohne spezifische berufliche Qualifikationsanforderungen (sog. Hilfsarbeiten) eingesetzt bzw. an dritte Betriebe »vermittelt«, ohne dass sie diese Tätigkeit für ihre (häufig wohl gerade nicht vorliegende sonstige) berufliche Ausbildung oder Tätigkeit zwingend benötigen. Nach den von den Mitarbeitern von P und denjenigen des Antragsgegners fernmündlich gegenüber dem Berichterstatter dieses Verfahrens (im Verfahren [...]) mitgeteilten Erwägungen dürfte hier vor allem der Gedanke der Arbeitsgewöhnung bzw. des Nichteinsetzens einer Entwöhnung vom/aus dem Arbeitsprozess zugunsten der Hilfesuchenden oder - positiv ausgedrückt - des Sammelns beruflicher Erfahrungen eine entscheidende Rolle spielen, dies jedenfalls neben der offenkundigen Entlastung des kommunalen Haushalts betreffend die Sozialhilfe.

Auch die übrigen in der arbeitsrechtlichen Literatur (Schaub, a.a.O., § 16 Rn. 10) angebotenen Beschäftigungsmodelle (Anlernverhältnis, [Redaktions-JVolontariat, Aspiranten-Verhältnis) liegen hier nicht vor.
Angenähert sein mag das hier zu beurteilende Vertragsverhältnis zwar dem sog. berufspraktischen Jahr, in dem auf ein Jahr begrenzte Bildungsmaßnahmen der Wirtschaft für junge Arbeitslose im Alter von 18 bis 25 Jahren angeboten werden, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu fördern, wobei diese allerdings - was hier offenkundig nicht der Fall ist - von der Arbeitsverwaltung finanziert werden (Schaub, a.a.O., § 16 Rn. 10 a.E.), wenngleich einer Vergleichbarkeit hier vor allem die Vielfalt der arbeitsmäßigen Einsatzmöglichkeiten und der Umstand, dass hier die berufliche (Aus-, Weiter- oder Fort-)Bildung - wenn überhaupt -allenfalls eine sekundäre Rolle spielen dürfte, entgegensteht. Da hier aber eine Finanzierung der hier zu untersuchenden Tätigkeit des »Praktikanten« durch die Bundesanstalt für Arbeit nicht vorliegt, bleibt aus gerichtlicher Sicht allein die rechtliche Einordnung des angebotenen Vertragsverhältnisses als Arbeitsvertrag, für den insbesondere die §§611 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gelten. Wird - wie dies hier der Fall wäre - ein so titulierter »Praktikant« wie ein Arbeitnehmer beschäftigt, liegt ein Arbeitsverhältnis vor (Palandt/Putzo, a.a.O., Einf v § 611 Rn. 61 m.w.N.). Diese Auffassung wird auch vom Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 27. März 2003 geteilt, wo ausdrücklich davon gesprochen wird, der Antragsteller erhalte einen »regulären Arbeitsvertrag«.

Auch soweit hier eine Arbeitnehmerüberlassung durch P an dritte Betriebe vorgenommen wird, besteht das Arbeitsverhältnis nur zwischen dem (überlassenen) Arbeitnehmer und dem (überlassenden) Arbeitgeber, nicht zu dem (»entleihenden«) Betriebsinhaber (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 62. Aufl. 2003, Einf v § 611 Rn. 38).

Zwar gibt es aus sozialhilferechtlicher Sicht keine grundsätzlichen Vorbehalte dagegen, gerade junge Hilfesuchende durch eine angemessene bzw. zumutbare Beschäftigung mit einem über dem sozialhilferechtlichen Bedarf liegenden Entgelt die Möglichkeit zu geben, im Wege der Selbsthilfe Erfahrungen auf dem Gebiet der Arbeitswelt zu sammeln. Dies trägt in der gerichtsbekannten Rechtswirklichkeit insbesondere auch dazu bei, die Chancen einer Einstellung auf dem l. Arbeitsmarkt - etwa auch womöglich später in dem »entleihenden« Betrieb - zu erhöhen.

Die Kammer hat aber bereits Bedenken, ob das von der privatrechtlichen gemeinnützigen Gesellschaft angebotene Arbeitsentgelt für die in der Art einer Zeitarbeitsfirma angebotenen Tätigkeiten auch unter Berücksichtigung des teilweise deutlich niedrigeren Lohnniveaus in den neuen Bundesländern bzw. speziell in Mecklenburg-Vorpommern nicht Anlass für die Annahme des sog. Lohnwuchers i.S. des § 291 Abs. l Satz l Nr. 3 des Strafgesetzbuchs einschließlich einer Teilnahme des Antragsgegners oder seiner Mitarbeiter an einer solchen Straftat bietet bzw. zumindest zivilrechtlich allein wegen des Entgelts als sittenwidrig/wucherisch i.S. des § 138 Abs. l oder 2 BGB zu werten ist (vgl. zu Zeitarbeitsfirmen, die Löhne zwischen 4 und 5,50 € zahlen, etwa die Wertung der Gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiative Darmstadt LGALIDA] im Internet unter http://www.galida.de/aktuell/aktuell.htm* Arbeitsamt vermittelt Lohndumping-Jobs; vgl. zu einem vom Arbeitsamt vermittelten Stellenangebot von 11 DM für Hilfsarbeiten in Berliner Industrieunternehmen auch das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2002 - S 58 L2003/O1 oder 58 AL 2003/O1, unter der genannten Internet-Adresse inhaltlich wiedergegeben; ebenso unter http://www.galida.de/aktuell/aktuell.htmttPressespiegel Lohnwucher wird ein Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 19. Juli 2002 genannt, der u.a. über ein Urteil des Arbeitsgerichts Bremen vom 30. August 2000 - 5 CA 5152/00 berichtet, wonach ein Stundenlohn von 11,50 DM für eine Lagerhelferin ohne berufliche Qualifikation, die bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt gewesen sei, zu niedrig sei; vgl. zur zukünftigen möglichen Ermäßigung des Regelstundensatzes in der geringsten Entgeltgruppe l für Leiharbeitnehmertätigkeiten mit nur kurzer Anlernzeit auf 6,85 € laut Eckpunkten zu einem entsprechenden Tarifvertrag zwischen DGB-Gewerkschaften und dem Bundesverband Zeitarbeit unter http://www.arbeit-zukunft.de/content/az0108.htm; vgl. im Übrigen Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl. 2003, § 138 Rn. 79m.w.N.; MünchKomm-Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl. 1993, §138Rn. 123m.w.N.).

Bei der vorliegenden summarischen Prüfung lässt die Kammer diese Fragen letztlich jedoch im Ergebnis unbeantwortet. Jedenfalls im Zusammenspiel mit den im Weiteren genannten Vertragsbedingungen lässt der Gesamtcharakter derartiger vertraglicher Arbeitsbedingungen auch und gerade gegenüber sich in einer finanziellen Zwangslage befindlichen Hilfesuchenden nach dem Bundessozialhilfegesetz nur den Schluss zu, dass dies im Falle des Vertragsschlusses ein sittenwidriger Arbeitsvertrag wäre. So verstößt die »Anlage zum Praktikantenvertrag« als Bestandteil des Arbeitsvertrags insoweit gegen die guten Sitten i.S. des § 138 Abs. l BGB, als dort lediglich die Krankschreibung des Hausarztes, nicht aber anderer (Fach-)Ärzte durch den - hier auch von P als solchen bezeichneten - Arbeitgeber »akzeptiert« wird. Dieses Ansinnen ist willkürlich, denn es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, dass Recht des Arbeitnehmers auf (freie) Wahl seines Arztes einzuschränken; insbesondere ist nicht erkennbar, dass gerade alle anderen Ärzte außer dem Hausarzt auch unberechtigte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (aus Gefälligkeit gegenüber dem Patienten oder aus anderen Gründen) ausstellen. Dies gilt erst recht bei Betrachtung der Folgen einer Krankschreibung durch einen anderen als den Hausarzt, die nach der »Anlage zum Praktikantenvertrag« als unentschuldigtes Fehlen gelten und »dementsprechend« geahndet werden soll, was mit Blick auf die beiden nachfolgend mit Pfeilen gekennzeichneten Überschriften offenkundig bedeutet, dass die P dann dem Arbeitnehmer kündigt.

Darüber hinaus ist das gesamte Vertragsgebilde deshalb dem »Verdikt« der Sittenwidrigkeit ausgesetzt, weil es jedenfalls für den Arbeitnehmer/Hilfesuchenden keine Sonderkündigungsmöglichkeiten gibt, insbesondere für den Fall, dass er auf dem sog. l. Arbeitsmarkt eine andere - vor allem besser bezahlte und ggf. unbefristete - Arbeitsstelle findet; ebenso besteht kein vertraglich vereinbarter Freistellungsanspruch - unabhängig von der Frage der Fortzahlung des vereinbarten Stundenlohns - bei Vorstellungsgesprächen usw. Die gegenteiligen fernmündlichen Behauptungen der Mitarbeiterin des Antragsgegners, Frau L., wie sie im Vermerk des Gerichts vom 11. Februar 2003 im Verfahren 6 B 123/03 aufgenommen und vom Antragsgegner auch im vorliegenden Verfahren nicht widerrufen bzw. klargestellt worden sind, finden sich nicht im vorformulierten Vertragswerk. Stattdessen gelten hier, soweit es sich um ein unbefristetes Arbeitsverhältnis handeln sollte, für den Arbeitnehmer bei einer ordentlichen Kündigung die gesetzlichen Fristen nach §622 Abs. l BGB, bei einem hier womöglich nur befristeten Arbeitsverhältnis gibt es nach der in der Rechtsprechung gängigen Auslegungsregel sogar grundsätzlich keine ordentliche Kündigungsmöglichkeit (vgl. Schaub, a.a.O., § 39 Rn. 100 m.w.N.). Außerordentliche (fristlose) Kündigungsmöglichkeiten aufgrund des vorgenannten Umstands nach § 626 BGB sind dagegen für den Arbeitnehmer nicht möglich, sondern dies bedarf gerade der ausdrücklichen einzelvertraglichen Abrede, an der es hier fehlt.

Ebenso ist es im Hinblick auf die vertragliche Bestimmung, wonach je nach Arbeitsbereich Schutz-AArbeitskleidung zu tragen sei, verwerflich, angesichts des derart geringen Entgelts dem geringverdienenden Arbeitnehmer zuzumuten, aus eigenen Mitteln derartige Bekleidung anzuschaffen.

Der Vorwurf vorsätzlichen Handeln der P liegt auf der Hand. All dies geschieht nämlich in Kenntnis des Umstands, dass sich an P offenbar nur junge Hilfesuchende i.S. des Bundessozialhilfegesetz nach entsprechendem Hinweis des Sozialamts des Antragsgegners wenden, also Menschen zwischen 18 und 29 Jahren, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen können.

Bewahrheitet sich dann sogar noch die weitere fernmündliche Auskunft der P-Mitarbeiterin gemäß dem gerichtlichen Vermerk vom l I.Februar 2003 im Verfahren 6 B 123/03, wonach das Arbeitsentgelt nur fließe, wenn auch tatsächlich gearbeitet oder die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nachgewiesen werde, so verstieße dies auch gegen das Entgeltfortzahlungsgesetz (§2 Abs. 1), soweit dies zur Folge hätte, dass für gesetzliche Feiertagen, an denen der Arbeitnehmer nicht arbeitet bzw. arbeiten darf, kein anteiliges Arbeitsentgelt gezahlt wird.

Im Weiteren steht die Vorschrift des § 25 Abs. l BSHG dem Anspruch des Antragstellers nur hinsichtlich der gesetzlichen Mindestkürzung in Höhe von 25 % des Regelsatzes entgegen.

Nach § 25 Abs. l Satz l BSHG hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach den §§19 und 20 BSHG nachzukommen. Satz 2 dieser Vorschrift schreibt sodann vor, dass die Hilfe in einer ersten Stufe um mindestens 25 vom Hundert des maßgebenden Regel satzes zu kürzen ist. Nach § 25 Abs. l Satz 3 BSHG ist der Hilfeempfänger vorher entsprechend zu belehren.

Das Verständnis des § 25 Abs. l BSHG als Hilfenorm, deren Anwendung einen Hilfesuchenden zur Selbsthilfe durch Aufnahme von (zumutbarer) Arbeit motivieren soll, bestimmt auch die Anforderungen, die im Rahmen dieser Vorschrift an die Weigerung, zumutbare Arbeit zu leisten, gestellt werden müssen. Die anspruchsvernichtende Wirkung von § 25 Abs. l BSHG tritt deshalb nur ein, wenn ein Hilfesuchender (Hilfeempfänger) durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass ihm der Wille zur Selbsthilfe durch Einsatz seiner Arbeitskraft fehlt. [Wird unter Hinweis insbesondere auf die Obliegenheit zu eigenständigen Bemühungen um einen Arbeitsplatz ausgeführt.]

Im konkreten Fall geht die Kammer davon aus, dass es dem Antragsteller zuzumuten war, sich auch unabhängig von den Bemühungen Dritter (insbesondere des Arbeitsamts) selbst eine Arbeit zu suchen, und sei es auch nur eine (befristete) Aushilfstätigkeit. Für die Kammer ist auch nicht erkennbar, dass Bemühungen des Antragstellers, Arbeit auch unabhängig von den Anstrengungen des Arbeitsamts oder etwaiger privater Arbeitsvermittlungen zu finden, von vornherein aussichtslos wären. Irgendwelche diesbezüglichen Aktivitäten des Antragstellers sind im hier streitbefangenen Zeitraum indessen weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch unter Berücksichtigung der ärztlichen Atteste ist eine Arbeitsaufnahme zuzumuten, wobei manche Tätigkeiten, die etwa rückbelastende Hebel- und Kraftanstrengungen erfordern oder atemwegsbelastend wären, ausscheiden dürften. Dennoch stehen dem Antragsteller vielfältige Arbeitsbereiche trotz des geschilderten Krankheitsbildes offen.

Die zwingende Belehrung nach § 25 Abs. l Satz 3 BSHG ist bei summarischer Betrachtung hinreichend auf der Rückseite des sog. Laufzettels Arbeitssuche, den der Antragsteller am 30. Januar 2003 unterschrieben hat, vorgenommen worden, wenn es dort pragmatisch heißt, dass das Sozialamt berechtigt sei, den Regelsatz um mindestens 25 % zu kürzen, sofern u.a. bei dem Hilfesuchenden keine Bemühungen zur Arbeitsaufnahme zu verzeichnen seien, obwohl er dazu körperlich und geistig in der Lage sei.

Eine Kürzung des Regelsatzes um mehr als 25 % erscheint angesichts der erstmaligen Kürzung nicht angebracht. Eine entsprechende Ermessensbetätigung des Antragsgegners nach § 25 Abs. l BSHG ist nicht erfolgt.

Wieso der Antragsgegner berechtigt sein soll, die Leistung nach § 66 des Sozialgesetzbuchs (SGB) - Allgemeiner Teil -auch für die Zeit ab dem 19. März 2003 einzustellen, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen. Nicht vorgelegt hat der Antragsteller insoweit zwar zum einen die Lohnsteuerkarte und den Sozialversicherungsausweis; warum der örtliche Träger der Sozialhilfe diese für die Gewährung laufender Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt benötigt, erschließt sich für die Kammer aber nicht. Forderungen nach der Vorlage von irgendwelchen Unterlagen ohne erkennbaren Zusammenhang zum Hilfebegehren braucht der Antragsteller aber nicht nachzukommen. Demgegenüber liegt insbesondere ein gefordertes Gutachten über die körperliche Einschränkung vor; wenn der Antragsgegner dies nicht für ausreichend - weil nicht »aktuell« - hält, mag er im Hinblick auf die §§ 18 ff. BSHG weitere Schritte einleiten. Jedenfalls aber für die Gewährung laufender Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ist eine Gesundheitsbescheinigung gleich welcher Art für sich genommen nicht erforderlich; auch kranke Hilfeempfänger erhalten laufende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Schließlich hat der Antragsteller zwar auch nicht Nachweise über (fehlendes) »Barvermögen (Kontoauszüge, Sparbücher) 3 Monate« vorgelegt. Insoweit hat aber der Antragsgegner auch nicht im letzten Schriftsatz vom 3. April 2003 begründete Zweifel dargelegt, ob der Antragsteller nicht zur sofortiges Verwertung bereites Vermögen oberhalb der sog. Schongrenze nach § 88 BSHG sein Eigen nennt. Zudem hat der Antragsteller in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 19. März 2003 (und auch früher) darauf hingewiesen, kein Geld mehr zu haben. Damit hat der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht, neben Einkommen auch kein Barvermögen oder sonstige bereite Mittel zur Verfügung zu haben, die dem Hilfeanspruch aktuell entgegenstünden.

Kurzanmerkung:

Mit der Entscheidung beschäftigt sich soweit ersichtlich erstmals ein Verwaltungsgericht mit der Zumutbarkeit eines sittenwidrigen Arbeitsverhältnisses.1 Dabei überprüft das Gericht eine ganze Reihe von sittenwidrigen Vertragsbedingungen: den Inhalt der unzutreffenderweise als »Praktikantenverhältnis« umschriebenen Arbeitsverpflichtung, die Höhe des Arbeitsentgelts, die Einschränkung der freien Arztwahl, das fehlende Sonderkündigungsrecht des Arbeitnehmers, den Verstoß gegen das Entgeltfortzahlungsgesetz und die Verpflichtung, von dem geringen Entgelt auch noch Arbeitskleidung anzuschaffen. Dies führt im Ergebnis zur Unzumutbarkeit der Arbeitsaufnahme. Diese Zumutbarkeitsfrage hätte sich allerdings besser nicht im Rahmen des § 2 BSHG und dem OVG Hamburg folgend, sondern im Rahmen der Anwendung des § 25 BSHG einordnen lassen.

2
Auch mit weiteren überzogenen Mitwirkungspflichten setzt sich die Entscheidung auseinander, wobei die grundsätzliche Verpflichtung der eigenständigen Arbeitssuche im Rahmen des § 25 BSHG bestätigt wird.

Hintergrund der Entscheidung ist nicht nur wieder ein Fall von zweifelhafter Arbeitnehmerüberlassung, sondern eine verzerrte Form von Beschäftigungsförderung, die gegenwärtig nicht nur in Schwerin praktiziert wird. Bei der genannten Firma P. handelt es sich nämlich nicht um irgendein fragwürdiges Privatunternehmen. Die Firma Protinus ist eigens von der Arbeiterwohlfahrt AWO als gemeinnützige GmbH gegründet worden. Der Lohn beträgt bei 40 Stunden Arbeitsverpflichtung 2,24 € netto /pro Stunde.3 Vermutlich halten sich die Akteure immer noch für selbstlose Helfer von jungen Arbeitslosen. Die Entscheidung macht deutlich, dass Arbeit aber auch zu vergleichbaren fairen Arbeitsbedingungen angeboten werden muss. Sonst schlägt die Hilfe in sittenwidrige Beschäftigungsverhältnisse um, die letztlich auch ungeeignet sind, den Menschen Zukunftsperspektive zu bieten.
Helga Spindler

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