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Ämterstress - Fragen, Antworten und Erfahrungen => Infos + Urteile für Erwerbslose + Arbeitende => Thema gestartet von: Hajo am 10:12:35 Di. 11.Mai 2004

Titel: OVG NRW Widerspruch ...aufschiebende Wirkung
Beitrag von: Hajo am 10:12:35 Di. 11.Mai 2004
OVG NRW Widerspruch gegen einen HZA Bescheid entfaltet aufschiebende Wirkung
   
Gericht: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 12. Senat

Datum: 28. Mai 2002
Az: 12 B 360/02
NK: BSHG § 25 Abs 1 S 1, BSHG § 18, BSHG § 19

Titelzeile

(Kürzung von Sozialhilfe; Anforderungen bei Heranziehung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit)

Leitsatz

1. Die Heranziehung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit ist ein Verwaltungsakt mit (zumindest auch) belastender Wirkung, aus dem, wenn der Hilfesuchende ihm nicht nachkommt, die Behörde nach den allgemeinen Regeln (vgl. § 80 Abs 1 VwGO) nur dann Konsequenzen - d.h. hier die Kürzung der Hilfe - ziehen darf, wenn er unanfechtbar ist oder ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
2. Zu den Anforderungen, die sofortige Vollziehung der Heranziehung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit im öffentlichen Interesse besonders anzuordnen.

Verfahrensgang:
vorgehend VG Köln 31. Januar 2002 18 L 185/02

Tatbestand

Die Antragsgegnerin bot dem im laufenden Sozialhilfebezug stehenden arbeitslosen Antragsteller gemeinnützige und zusätzliche Arbeit an. Gegen den Heranziehungsbescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein und nahm die Arbeit nicht auf. Die Antragsgegnerin kürzte darauf hin die Hilfe zum Lebensunterhalt. Das VG lehnte den auf die Gewährung ungekürzter Hilfe gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die Beschwerde des Antragstellers blieb nur deshalb erfolglos, weil seine wirtschaftlichen Verhältnisse unklar waren.

Entscheidungsgründe

...
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
1. Dabei scheitert die Glaubhaftmachung nicht bereits deshalb, weil der Antragsteller die ihm von der Antragsgegnerin unter dem 9.10.2001 angebotene Arbeit (Laubkehren, Reinigung von Anlagen, Beseitigung von Spontanvegetation auf dem Nordfriedhof in B.) nicht aufgenommen hat. Allerdings darf der Sozialhilfeträger nach § 25 Abs. 1 BSHG die Hilfe zum Lebensunterhalt kürzen, wenn ein Hilfe Suchender sich weigert, zumutbaren Maßnahmen nach § 19 BSHG nachzukommen. Das gilt jedoch nicht, wenn - wie hier - die Maßnahme durch Widerspruch angefochten und nicht nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ihre sofortige Vollziehung besonders angeordnet ist.

Vor einer Kürzung nach § 25 Abs. 1 BSHG auf der Grundlage einer Maßnahme nach § 19 Abs. 2 BSHG muss für den Hilfe Suchenden eine Gelegenheit zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit geschaffen und ihm - und zwar mit Belehrung über die Folgen der Arbeitsverweigerung - angeboten, d.h. zusammengefasst "der Hilfe Suchende zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit herangezogen worden sein". Die Heranziehung ist ein Verwaltungsakt (a) mit (zumindest auch) belastender Wirkung (b), aus dem, wenn der Hilfe Suchende ihm nicht nachkommt, die Behörde nach den allgemeinen Regeln (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO) nur dann Konsequenzen - d.h. hier die Kürzung der Hilfe - ziehen darf, wenn er unanfechtbar ist oder ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat (c).

Zur Qualifizierung der Heranziehung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit nach § 19 Abs. 2, 3 BSHG als Verwaltungsakt vgl. BayVGH, Urteil vom 24.9.1998 - 12 B 96.400 -, FEVS 49, 467 ff., m.w.N., namentlich einer Übersicht der hierzu vorliegenden Rechtsprechung des BVerwG.
a) Nach der gesetzlichen Definition in § 31 Abs. 1 SGB X ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Unter diesen Begriff fallen nach einhelliger Auffassung gleichermaßen insbesondere gebietende, verbietende, gestaltende, feststellende oder beurkundende Verwaltungsakte. Entscheidend für das in Bezug auf den Heranziehungsbescheid allein zweifelhafte Merkmal der "Regelung" ist, ob die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt hat, d.h. ob durch sie Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt werden oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte mit Außenwirkung abgelehnt wird. Eine derart potentiell verbindliche Regelung kann auch dann anzunehmen sein, wenn eine generelle und abstrakte Regelung des Gesetzes für den Einzelfall mit Bindungswirkung als bestehend oder nicht bestehend festgestellt, konkretisiert oder individualisiert wird.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.4.1988 - 9 C 54.87 -, NVwZ 1988, 941.
Eine solche Regelung eines Einzelfalls wird in dem Heranziehungsbescheid sowohl deshalb getroffen, weil die Behörde verbindlich feststellen will, dass für einen bestimmten Hilfe Suchenden Gelegenheit zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit geschaffen worden ist, als auch weil die nach § 18 Abs. 2 Satz 2 BSHG bestehende Verpflichtung zur Annahme einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit nach § 19 BSHG für eine bestimmte Person aufgezeigt wird. Mit dieser individualisierenden und konkretisierenden Wirkung geht der Heranziehungsbescheid über ein bloßes Arbeitsangebot hinaus. Nachdem die Arbeitsgelegenheit geschaffen ist, wird mit der Zuweisung an die konkrete Person zugleich das Ergebnis der zuvor erfolgten Subsumtion festgestellt, dass es sich bei der geschaffenen Tätigkeit um eine gemeinnützige und zusätzliche Arbeit im Sinne von §§ 19, 18 BSHG handelt (gestaltender und zugleich feststellender Verwaltungsakt). Dieses Verständnis erhellt auch der Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 BSHG, indem dort Konsequenzen daran geknüpft werden, dass ein Hilfe Suchender sich weigert, einer zumutbaren Maßnahme nach § 19 BSHG nachzukommen.

b) Der Heranziehungsbescheid ist ein (zumindest auch) belastender Verwaltungsakt. Es handelt sich bei ihm nicht nur um eine Hilfemaßnahme zugunsten des Sozialhilfeempfängers, auch wenn es dem Sozialhilfeempfänger nach der Konzeption des Gesetzes ermöglicht werden soll, sich wieder in das Arbeitsleben einzugliedern bzw. seine Arbeitskraft für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten.
Den auch belastenden Charakter des Heranziehungsbescheides ebenfalls bejahend BayVGH, Beschluss vom 2.7.2001 - 12 CE 01.495 -, FEVS 53, 181 (183 f.); für einen nur begünstigenden Verwaltungsakt OVG NRW, Beschluss vom 12.3.1999 - 24 B 1378/98 -, FEVS 51, 86 (87).
Eine förmliche Feststellung, die als "Regelung" die Rechtsfolge möglicher Bestandskraft für sich in Anspruch nimmt, stellt sich jedenfalls dann als Belastung dar, wenn der Inhalt der Feststellung dem Betroffenen erklärtermaßen nicht genehm ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.11.1985 - 8 C 105.83 -, BVerwGE 72, 265 (267).

Das ist hier unzweifelhaft der Fall. Der Antragsteller hat schon mit der Einlegung des Widerspruchs eindeutig zu erkennen gegeben, mit der Arbeitsmaßnahme nicht einverstanden zu sein. Ungeachtet dessen ergibt sich die belastende Wirkung des Heranziehungsbescheides insbesondere aus der auch mit seinem Erlass intendierten Wirkung für den sozialhilferechtlichen Status des Hilfe Suchenden. Mit dem Erlass wird eine der Voraussetzungen für die Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 25 BSHG geschaffen. Die zu Gunsten des Hilfe Suchenden nach § 19 Abs. 2 BSHG getroffene Maßnahme führt gleichsam auf der Kehrseite der Medaille zur Verschlechterung der Rechtsstellung des Hilfe Suchenden.
Vgl. BayVGH, Beschluss vom 2.7.2001 - 12 CE 01.495 -, a. a.O.
c) Der (fristgerechte) Widerspruch gegen einen (belastenden) Verwaltungsakt hat nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung; nach Satz 2 gilt dies auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten. Die aufschiebende Wirkung erfasst dabei den Heranziehungsbescheid insgesamt, weil - wie ausgeführt - Begünstigung und Belastung durch ihn in untrennbarem Zusammenhang stehen. Diese aufschiebende Wirkung bedeutet ein umfassendes Verwirklichungs- und Ausnutzungsverbot.

Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 80 Rdnr. 28 m. w.N.
Der von einem Verwaltungsakt Belastete ist vorläufig bis zur Entscheidung über sein Rechtsmittel vor einer Verschlechterung seiner Rechtsposition durch Aufrechterhaltung des status quo zu schützen.
Vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, Stand Juli 1998, § 80 Rdnr. 42.
Für eine Durchbrechung dieses Grundsatzes genügt es auch nicht, wenn ein (zusätzliches) öffentliches Interesse daran besteht, unverzüglich Konsequenzen aus dem Verwaltungsakt ziehen zu dürfen. Für ein derartiges öffentliches Interesse könnte vorliegend viel sprechen, weil der Antragsteller auf Dauer ohne Arbeit zu bleiben droht - ausweislich der bislang in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin dokumentierten erfolglosen Bewerbungen neigt er dazu, die Situation am Arbeitsmarkt für "Berufseinsteiger" (auch seines Ausbildungsstandes) falsch einzuschätzen, so dass ihm durch die hier in Rede stehende Arbeitsgelegenheit der Bezug zur Arbeitsmarktwirklichkeit (wieder) verschafft werden könnte. Zur Verwirklichung des öffentlichen Vollzugsinteresses bedürfte es der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Erst dann dürfte die Antragsgegnerin - die Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheides vorausgesetzt - mit einer Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt reagieren, wenn der Antragsteller die Gelegenheit zur Arbeit nicht wahrnimmt.

2. Das Begehren des Antragstellers scheitert indes daran, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse unklar sind....