SG Berlin: Eingliederungsvereinbarung darf nicht widersprüchlich sein

Begonnen von dagobert, 22:44:30 Fr. 01.April 2016

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dagobert

Sozialgericht Berlin: Eingliederungsvereinbarung muss klar sein

Jobcenter müssen in Eingliederungsvereinbarungen klar formulieren, was sie von einem Hartz-IV-Bezieher genau erwarten. Werde einerseits der Ausbau einer bestehenden Selbstständigkeit verlangt, gleichzeitig aber auch mit gleicher Priorität Bemühungen um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, ist dies widersprüchlich, entschied das Sozialgericht Berlin in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 17. März 2016 (Az.: S 75 AS 3600/16 ER).
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

dagobert

"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

mousekiller

Mit einem ähnlichen Argument hat das SG Leipzig meinen letzten EGV-VA atomisiert. Zwei unterschiedliche Termine, zu denen ich meine Bewerbungsbemühungen vorweisen sollte, geht nicht.
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

dagobert

In dieselbe Kerbe hat kürzlich auch das LSG Berlin-Brandenburg gehauen (23.02.2017 - L 32 AS 1626/13).

ZitatDie Funktion der Arbeitsgelegenheiten als Eingliederungsleistung liegt in erster Linie darin, erwerbsfähige Hilfebedürftige, die bereits über einen längeren Zeitraum keine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr ausgeübt haben, wieder an eine regelmäßige Arbeitstätigkeit zu gewöhnen und zu erproben, ob der Leistungsempfänger den sich daraus ergebenden Belastungen gewachsen ist (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 \226 B 4 AS 60/07 R, Rdnr. 23, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr. 4). Wenn nach dem Aktenvermerk vom 30. September 2010 auch eine Arbeitsgelegenheit als sinnvoll erschien, bedeutet dies, dass der Beklagte an der Beschäftigungsfähigkeit des Klägers Zweifel hatte. Bei einer nicht gegebenen Beschäftigungsfähigkeit machen jedoch weder die Teilnahme an der Maßnahme intensiver Vermittlung noch Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse Sinn. [...]

Stand mithin nach dem Aktenvermerk vom 30. September 2010 seinerzeit die Beschäftigungsfähigkeit des Klägers in Zweifel (nach dem Inhalt dieses Aktenvermerks lag die letzte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Jahr 2003), wäre es vornehmlich geboten gewesen aufzuklären, ob der Kläger beschäftigungsfähig ist oder nicht. Eine Eingliederungsvereinbarung, die ungeachtet dessen den Kläger verpflichtet, an einer Maßnahme intensive Vermittlung teilzunehmen und ihm aufgibt, Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen, beruht mithin nicht auf einem schlüssigen Eingliederungskonzept. Sie ist vielmehr Ausdruck dessen, irgendwelche Maßnahmen, die nach dem Gesetz als Maßnahmen zur Integration in Arbeit in Betracht kommen, mit dem Ziel auf einen möglichen Erfolg beim Kläger auszuprobieren. Wie die Ausführungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vermuten lassen, mag zwar eine solche Handlungsweise einer täglichen Praxis des Beklagten entsprechen. Eine solche Handlungsweise widerspricht jedoch ersichtlich dem gesetzlichen Anliegen nach einer maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen auf den jeweiligen Leistungsberechtigten.

Nach alledem entbehrt die Eingliederungsvereinbarung vom 30. September 2010 eines schlüssigen Eingliederungskonzepts, so dass sie dem Kläger Verpflichtungen auferlegt, ohne ihm eine angemessene Gegenleistung zu verschaffen. Sie ist mithin insgesamt nichtig, so dass darauf eine Minderung des Arbeitslosengeldes II nicht gestützt werden kann.
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

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