SGB II: Zurück in die Arbeitsfürsorge

Begonnen von Hajo, 11:33:01 Do. 22.Juli 2004

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Hajo

SGB II: Zurück in die Arbeitsfürsorge
Albrecht Brühl

Einleitung
Die Absichten, die mit dem SGB II verbunden werden, sind in der Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drs. 15/1516, l - 3, 41 - 51) deutlich formuliert:


•   Das bisherige Nebeneinander zweier staatlicher Fürsorgesysteme – Arbeitslo-sen- und Sozialhilfe für Erwerbsfähige     ist ineffizient, intransparent und wenig bürgerfreundlich.   Um  in Zukunft kundenorientierte Leistungen anbieten zu kön-nen, werden mit dem SGB II flächendeckend Job-Center eingerichtet, in denen unter einem Dach alle relevanten Dienste zur Verfügung stehen.

•   Die Grundsicherung hat das Ziel, die Eigeninitiative von erwerbsfähigen  Hilfebedürf-tigen  durch  schnelle  und passgenaue Einführung in Arbeit und Anreize dazu zu
unterstützen (Grundsatz des Förderns).   Soweit das nicht ausreichend möglich ist, wird der Lebensunterhalt erwerbsfähiger Hilfebedürftiger und ihrer Angehörigen
durch pauschalierte bedarfsdeckende Leistungen und die Einbeziehung in die Sozialversicherung gewährleistet.

•   Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wird nicht nur gefördert, sondern auch mit Hilfe von Sanktionen gefordert (Grundsatz des Förderns). Dementsprechend muss sich ein Erwerbsfähiger vorrangig und eigeninitiativ um die Beendigung seiner Erwerbs-losigkeit bemühen und seine Arbeitskraft einsetzen, um seinen Lebensunterhalt
und den seiner Angehörigen zu bestreiten.

Adressat  des  SGB II1   ist  demnach  der  erwerbsfähige Mensch, der mit Peitsche und Zucker zur Arbeit bewegt werden soll.

l. Erwerbsfähigkeitspsychiatrisierung
Da die Erwerbsfähigkeit - die nicht gegeben ist, wenn jemand wegen Krankheit oder Behinderung keine drei Stunden täglich arbeiten kann (§8 Abs. l SGB II) - die zentrale Anspruchsvoraussetzung ist (§ 7 Abs. l S. l Nr. 2 SGB II), muss ihr Vorliegen von der BA geprüft und festgestellt werden (§ 44 a S. l SGB II). Sofern Zweifel bestehen, wird dies in einem aufwendigen Verfahren geschehen.

Dabei ist in der Sache darauf abzustellen, ob jemand wegen Krankheit oder Behinderung arbeitsunfähig ist oder nicht. Soziale Lebenslagen - wie lang andauernde Wohnungslosigkeit - sind nur insoweit relevant, als sie sich in einer Krankheit oder Behinderung auswirken. Liegt nicht eine noch relativ objektiv zu diagnostizierende körperliche oder geistige Behinderung vor, so steht die psychische/seelische Verfassung der Hilfesuchenden auf dem Prüfstand. Das betrifft etwa Alkohol- und Drogenkranke, manisch-depressiv Auffällige, Menschen mit Neurosen und Psychosen, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, nicht zuletzt mit der Modediagnose »Borderline«.

Erfahrungen mit der Beurteilung solcher Menschen sind im Sozialrecht bislang vor allem von den Rentenversicherungsträgern bei der Feststellung darüber gesammelt worden, ob jemand wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung (bis 2001 Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit) einen Anspruch auf Rente hat (§ 43 SGB VI), wobei zusätzlich zu entscheiden ist, ob diese befristet oder unbefristet (dauernd) geleistet wird (§ 102 Abs. 2 SGB VI), was bei der letzten Alternative sozialrechtlich zugleich seit 2003 bedeutet, dass die Anspruchsberechtigung für eine Grundsicherungsleistung gegeben ist (§ l GSiG).

Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat 2001 als Beurteilungshilfe für den »psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachgutachter« die Schrift »Empfehlungen für die sozialmedizinische Beurteilung psychischer Störungen« herausgegeben.2 Darin wird mitgeteilt, dass etwa 1A der Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen erforderlich werden. Die Empfehlungen basieren auf dem internationalen Qualifikationsschlüssel ICD (International Classification of Diseases) unter Berücksichtigung des WHO-Krankheitsfolgenmodells ICID l und 2 (International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps) und betonen (S. 6) als Kernbereiche jeder psychiatrisch-psychotherapeutisch gutachterlichen Beurteilung zum einen die Beschreibung von Einschränkungen, die sich immer dann, wenn sie auch leistungsmindernd sein sollen, in Bereichen darstellen müssten, die psychopathologi-scher Beschreibung zugänglich sind (gemäß der ICD), und zum anderen die Erforderlichkeit der Wahrnehmung und Gewichtung der störungsbedingten Einschränkungen auf der bio-psycho-sozialen Ebene (gemäß der ICIDH).

Ein maßgebender Punkt bei der Beurteilung ist die Frage (Empfehlungen S. 16), ob mit zumutbarer Willensanstrengung die Hemmungen, die einer Arbeitsaufnahme entgegenstehen, überwunden werden können. Wenn sich die Probanden nicht mehr leistungsfähig fühlten, müsse der Gutachter die bestehende Symptomatik gegenüber Aggravation (= bewusst intendierte gravierendere Darstellung) und Simulation (= Vortäuschung einer Störung) »eindeutig« abgrenzen. Liege eine »bewusstseinsnahe Verdeutlichungstendenz« vor, sei davon auszugehen, dass der Proband die Hemmungen, die einer Arbeitsaufnahme entgegenstünden, mit zumutbarer Willensanstrengung innerhalb absehbarer Zeit (sechs Monate) überwinden könne. Sei dies nicht der Fall, müsse die Leistungsfähigkeit als aufgehoben betrachtet werden, unabhängig davon, ob ein zeitlich uneingeschränktes körperliches Leistungsvermögen bestehe.
Aus der Praxis wird berichtet,3 dass bei der sozialmedizinischen Begutachtung der Antragsteller - etwa zur Hälfte Frauen und Männer - je nach Fallgestaltung entweder Befundberichte der behandelnden Ärzte und etwaige Krankenhausentlassungsberichte oder medizinische Unterlagen anderer Behörden beigezogen und durch den beratungsärztlichen Dienst der Rentenversicherungsträger ausgewertet werden, oder es erfolgt eine Untersuchung in den ärztlichen Begutachtungsstellen der Träger bzw. durch von diesen beauftragten externe Gutachter. Solche Begutachtungsverfahren können sich lange bis zu einer endgültigen Entscheidung hinziehen, insbesondere dann, wenn Rechtsschutz bei den Sozialgerichten - die jetzt auch für das SGB II zuständig sein werden - nachgesucht wird, wobei bis zu drei Instanzen durchlaufen werden können.4

Einer Erweiterung ihres Aufgabengebiets haben die Rentenversicherungsträger ab 2003 dadurch erfahren, dass das Grundsicherungsgesetz (§ 5 Abs. 2) die Prüfung über die medizinischen Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung - dauerhafte volle Erwerbsminderung wegen Krankheit oder Behinderung - auf sie übertragen hat (so jetzt auch § 45 Abs. l SGB XII). Dies ist deshalb geschehen,5 weil die Rentenversicherungsträger aufgrund ihrer Sachkenntnis in Erwerbsminderungsrentenverfahren über das erforderliche Know-how verfügen und von ihnen eine einheitliche Praxis im Bundesgebiet erwartet worden ist (statt die Prüfung den Kommunen als Grundsicherungsträger zu überlassen).

Trotz der Anregung,6 die Erwerbsfähigkeit »wie bewährt und üblich« auch im Anwendungsbereich des SGB II von den Rentenversicherungsträgern feststellen zu lassen, hat sich der Gesetzgeber für die BA als prüfende Behörde entschieden, die sich erst die entsprechende Infrastruktur schaffen muss. Es steht zu befürchten, dass sie sich mit externen Gutachtern aus dem Kreis der weniger beschäftigten niedergelassenen Fachärzte behelfen wird, deren Qualität nicht gesichert ist und von denen uneinheitliche Entscheidungen zu erwarten sind. Umso mehr ist darauf zu drängen, dass die Begutachtungskriterien, -befunde und -bewertungen in dem Feststellungsbescheid der BA mitgeteilt werden (wie es gemäß § 35 Abs. l S. 2 SGB XII erforderlich ist).


Für die (oft lange) Zeit des Prüfungsverfahrens stellt sich die Frage, welcher Träger Leistungen zu erbringen hat und welche Verpflichtungen den Betroffenen obliegen. Ausgerechnet für den Fall, dass die BA keine Erwerbsfähigkeit feststellt und der kommunale Träger oder ein Leistungsträger, der bei voller Erwerbsminderung zuständig wäre, d.h. meist der Rentenversicherungsträger, die Auffassung der BA nicht teilt, womit eine Gemeinsame Einigungsstelle zur Entscheidung berufen ist, bestimmt das Gesetz (§ 44 a S. 2, 3), dass die B A und der kommunale Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu erbringen haben, also SGB II-Leistungen mit ihrem Vorrang der Arbeitsforderung vor der Arbeitsförderung und Unterhaltsleistungen. Somit müsste die BA nach ihrer Feststellung, dass jemand nicht erwerbsfähig ist, ihn mit Eingliederungsmaßnahmen zur Arbeit anhalten. Das gilt nach Auffassung des Deutschen Vereins7 »richtigerweise« auch für die Zeit davor, in welcher die BA die Erwerbsfähigkeit prüft, und das auf die Gefahr hin, dass der Arbeitsuchende nicht erwerbsfähig ist.

Besondere Probleme entstehen, wenn hilfebedürftige Personen sich überhaupt nicht den Prüfungsuntersuchungen unterziehen, sondern entsprechende Aufforderungen ignorieren. Dann wird davon ausgegangen werden, dass sie ihre Mitwirkungspflichten verletzten, was Leistungsreduzierungen bis auf null zur Folge hat (s. §§31 Abs. 2, 3 SGB II, 62, 66 SGB I). Das entfällt nur, falls ein wichtiger Grund für die Nichtbeteiligung vorliegt (§§ 31 Abs. 2 S. l SGB II, 65 SGB I). Dieser könnte gegeben sein, wenn die unterbliebene Mitwirkung krankheitsbedingt ist, was glaubhaft gemacht werden muss (möglichst durch Bescheinigung eines Arztes).

Insgesamt entpuppt sich die Erwerbsfähigkeitsprüfung als eine auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten höchst bedenkliche, von einem Heer zweifelhaft qualifizierter niedergelassener Nervenärzte durchgeführte psychiatrische Reihenuntersuchung der potentiell erwerbsfähigen, möglicherweise eben gerade auch erwerbsunfähigen Bevölkerung mit Arbeitszwang.

Wer für erwerbsfähig erklärt wird, hat kaum Rechte, aber viele Pflichten.
2. Laxe Arbeitsförderung - rigide Arbeitspflicht mit Kür-zungsmaximierung und Rechtsschutzmininiierung
Bei der direkten Arbeitsförderung stehen im SGB II (§ 16 Abs. 1) formell fast alle Instrumente wie im SGB III zur Verfügung, doch handelt es sich durchweg um Ermessens-leistungen, die »entsprechend« zu erbringen sind, und damit weitgehend im Belieben des Trägers stehen. Gleiches gilt für die indirekten Arbeitsförderungsleistungen, die für die Eingliederung in das Erwerbsleben erforderlich sind, wobei das SGB II (§ 16 Abs. 2) fünf Beispiele nennt: Kinderbetreuung, Angehörigenpflege, Schuldnerberatung, psycho-soziale Betreuung, Suchtberatung; dazu können noch kommen einen höchstens auf 24 Monate begrenztes, in seiner Höhe noch durch Rechtsverordnung zu bestimmendes Einstiegs-geld als Kann-Leistung (§ 29 SGB II) und Arbeitsteilzeitleistungen.

Dem gegenüber steht die Verpflichtung (§ 10 SGB I) zu »jeder Arbeit«, es sei denn, sie ist nicht zumutbar, wobei aber lediglich die Erziehung eines Kindes, das noch nicht drei Jahre alt ist, einen handfesten Ablehnungsgrund darstellt, und der »sonstige wichtige Grund« nach der Vorgabe des Gesetzgebers (BT-Drs. 15/1516, 53) restriktiv zu handhaben ist, weil persönliche Interessen grundsätzlich zurückzutreten hätten gegenüber den Interessen der Allgemeinheit, welche die Leistungen an erwerbsfähige Menschen zu bezahlen haben.8

Knebelungsmittel ist eine so genannte Eingliederungsvereinbarung (§15 SGB II), die der von der B A gestellte »persönliche Ansprechpartner« (§§4 Abs. l Nr. 3, 14 Abs. l S. 2 SGB II) oder »Fallmanager« (BT-Drs. 15/1516, 46) mit jedem erwerbsfähigen Hilfesuchenden abschließen und in der »bestimmt« werden soll, welche Leistungen dieser zur Eingliederung in Arbeit erhält sowie welche Bemühungen er in welcher Häufigkeit zur Arbeitseingliederung mindestens unternehmen muss und wie er sie nachzuweisen hat, wobei außerdem bei Bildungsmaßnahmen eine Regelung zu treffen ist, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Schadensersatzpflicht eintritt, wenn sie nicht zu Ende geführt wird.

Verweigert ein Hilfebedürftiger den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung, kann sie nicht nur einseitig durch Verwaltungsakt erfolgen (§ 15 Abs. l S. 6 SGB II), sondern die Unterhaltsleistung Arbeitslosengeld II wird außerdem ebenso wie bei mangelhafter Erfüllung der Eigenbemühungen oder Arbeitsverweigerung (unter zusätzlichen Wegfall des nach § 24 SGB II für höchstens zwei Jahre zur Besitzstandswahrung zu zahlenden Arbeitslosengeldnachschlags von maximal 160 Euro im ersten und 80 Euro im zweiten Jahr) um 30 % der Regelleistung, d.h. ca. 100 Euro, abgesenkt - der Nachweis eines wichtigen Grunds obliegt unter bewusster Beweislastumkehr (BT-Drs. 15/1516, 60) dem Hilfebedürftigen -, bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung um jeweils noch einmal 30 % (§ 31 Abs. l - 3 SGB II), wobei auch Mehrbedarf, Unterkunfts- und Heizungskosten gekürzt werden dürfen. Immerhin kann die BA bei einer Minderung um mehr als 30 % »in angemessenem Umfang« ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen, d.h. (BT-Drs. 15/1516, 61) insbesondere Lebensmittelgutscheine, erbringen und soll dies tun, wenn die erwerbsfähige Person mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft lebt (§31 Abs. 3 S. 3, 4 SGB II), um deren »übermäßige Belastung« zu verhindern (BT-Drs. 15/1516, 61). Angesichts einer solchen gezielten Verelendungsstrategie wird es Aufgabe der Wohlfahrtsverbände sein, nicht nur für wohnungslose Menschen, sondern auch für von der BA als nicht eingliederungsbereit verstoßene Mitbürger Suppenküchen, Kleiderkammern und Duschmöglichkeiten zu unterhalten. Auch bei völligem Entzug des Arbeitslosengelds II bleibt der Zugang des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu sonstigen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, also auch zu Beratungs- und Betreuungsdienstleistungen, erhalten (BT-Drs. 15/1516, 61).

Ausdrücklich betont das SGBII (§31 Abs. 6 S. 3) zur »Klarstellung« (BT-Drs. 15/1516, 62), dass während der Absenkung oder des Wegfalls des Arbeitslosengeldes II kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII besteht. Dies ist schon grundsätzlich an anderer Stelle im SGB II (§ 5 Abs. 2 S. l, 2) und im SGB XII (§ 21 S. 1) bestimmt (dazu unter 4.).

Diejenigen, die nicht in den Arbeitsmarkt hineingeprügelt werden können, müssen sich bei »Arbeitsgelegenheiten« bewähren (§ 16 Abs. 3 S. l SGB II). Werden im öffentlichen Interesse liegende - früher »gemeinnützig« genannte -und zusätzliche Arbeiten durchgeführt, geht dies lediglich in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis mit Mehraufwandsentschädigung - übliche Praxis l Euro pro Stunde -und nicht mehr wie nach dem BSHG (§ 19 Abs. 2) als privatrechtliches Arbeitsverhältnis mit üblichem Entgelt und Arbeitslosenversicherungsschutz.

Berlit9 hat treffend das Gesetzespaket wegen der klaren Forderung, aber vagen Förderung als asymmetrisch bezeichnet und sieht den sanktionsbewährten Eingliederungs-Vereinbarungszwang als unverhältnismäßigen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. l GG) sowie den Zwang zur rechtsgeschäftlichen Selbstunterwerfung als Formenmissbrauch unter Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1) an; darüber hinaus beanstandet er die »Arbeit um jeden Preis« sowie die Chancenzuweisung durch Fallmanager ohne Rechte der erwerbsfähigen Personen.

3. Junge-Menschen-Arbeitsdrangsalierung
Erwerbsfähige Hilfebedürftige ab 15 Jahre, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind »unverzüglich« nach Antragstellung in eine - an erster Stelle stehend - Arbeit, eine Ausbildung oder eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln; soweit sie ohne Berufsabschluss sind und nicht unverzüglich in eine Ausbildung vermittelt werden können, soll die BA darauf »hinwirken«, dass die durchzuführende Arbeit oder Arbeitsgelegenheit »auch« zur Verbesserung ihrer beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten »beiträgt« (§ 3 Abs. 2 SGB II). Die »kurzfristig mögliche Arbeit oder Ausbildung« soll nach Vorstellung des Gesetzgebers (BT-Drs. 15/1516, 51) dazu beitragen, dass Arbeitslosigkeit junger Menschen und eine Gewöhnung an den Bezug von Sozialleistungen vermieden werden, wobei die BA freilich nicht verpflichtet sei, eine Ausbildung aus eigenen Mitteln bereitzustellen, falls eine Vermittlung in sie nicht möglich sei.
Bei Verweigerung einer Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit ist das Arbeitslosengeld II sofort auf die Unterkunfts- und Heizungskosten zu beschränken, die direkt an den Vermieter gezahlt werden sollen (§ 31 Abs. 5 S. l  SGB II), so dass keine Geldleistungen erfolgen, wohl aber Sachleistungen erbracht werden sollen (§ 31 Abs. 5 S. 3 SGB II), alles zu dem Zweck (BT-Drs. 15/1516, 61), »bei jungen Menschen von vorn herein der Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken«, denen auch in einer solchen Situation »der Zugang zu sonstigen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, also auch zu Beratungs- und Betreuungsdienstleistungen, erhalten bleibt«. Modell für diese Regelung ist das Job-Center in Köln. In einem Bericht darüber in den vom damaligen Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Sozialpolitischen Informationen 2001 (Nr. 6, S. 7) wird der Fall des arbeitslosen 27jährigen Ahmet Yasa geschildert, der zwei Monate nach Eintritt seiner Arbeitslosigkeit und Ablehnung eines Antrags auf Arbeitslosengelds in Folge zu weniger Beitragsmonate wegen dringend notwendiger Hilfe zum Lebensunterhalt beim Sozialamt vorspricht und von ihm an das Job-Center verwiesen wird, dass er verlässt mit zwei Arbeitsangeboten, für die keine Vorkenntnisse erforderlich sind, und »ohne Geld«. Geistiger Vater dieser Praxis ist ein ehemaliger Kölner Sozialamtsleiter, der in der Sozialhilfegewährung an junge Menschen den Tatbestand »Verführung Minderjähriger« erfüllt gesehen hat und aufgrund dessen Wirken das Kölner Sozialamt den Zwang zur Arbeit damit verteidigte, dass die Freiwilligkeit von Hilfemaßnahmen rein mittelschichtorientiert und bei der Sozialhilfeklientel nicht angebracht sei, weil diese wegen mangelnder Einsichtsfähigkeit die Güte des Angebots nicht beurteilen könne.10

4. Arbeitslosengeld II: unter BSHG-Niveau mit Aufrechnung und Sachleistung

Das ALG II, das erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Einsatz ihres Vermögens und Einkommens zusteht, setzt sich zusammen aus einem Grundbedarf (ALG II a: Regel-, Mehr-, Unterkunfts- und Heizungsbedarf), einem Zusatzbedarf (ALG II b: Wohnungsbeschaffungs-, Mietkautions-, Umzugskosten, Mietschuldenübernahme, Erstausstattungs- und Klassen-Fahrtenkosten, Versicherungsbeitragszuschuss sowie Regelabweichungsbedarf) sowie einem Arbeitslosengeldnachschlag (ALG II c).

Die Regelleistung (§ 20 SGB II) des Grundbedarfs umfasst zwar jetzt fast alle einmaligen Bedarfe, liegt aber in ihrer per order mufti Clement als Arbeits- und Wirtschaftsminister schon im Gesetz festgesetzten Höhe von 345 € West/ 331 € Ost, d.h. 15 % Zuschlag zum BSHG-Regelsatz, unter dem bisherigen Sozialhilfeniveau, welche das Bundesverfassungsgericht' ' bezüglich des einmaligen Bedarfs in mehreren Entscheidungen zum Existenzminimum im Steuerrecht immer mit mehr als 15 % des Regelsatzes beziffert hat. In der Aufzählung der Bedarfe fehlt auffälligerweise der durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz in die Regelsatzverordnung (§ l Abs. l S. 2) aufgenommene Zusatz »die Leistungen für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender oder sonstiger Hilfe«.

Der Mehrbedarf (§ 21 SGB II) ist Absatz für Absatz aus dem BSHG (§ 23) übertragen, allerdings mit niedrigeren Prozentzahlen, die sich freilich auf einen höheren Regelbedarf jetzt beziehen, im Endeffekt aber auf eine Absenkung hinauslaufen, weil damit nunmehr auch der vom Regelbedarf umfasste einmalige Bedarf - z.B. Waschmaschinenreparatur - bei den Mehrbedarfspersonengruppen zu decken ist (mit Ausnahme des Zusatzbedarfs Erstausstattung).

Unterkunfts- und Heizungskosten (§ 22 Abs. l SGB II) sind stark an die BSHG-Regelsatzverordnungsregelung (§ 3 Abs. l S. l, 2) angelehnt, jedoch ebenfalls tendenziell eingeschränkt worden, weil die Übernahme unvermeidbar unangemessener Kosten jetzt in der Regel auf sechs Monate beschränkt ist; eine Direktüberweisung an den Vermieter soll bei nicht gesicherter zweckentsprechender Verwendung erfolgen (§22 Abs. 3 SGB II, Hauptfall nach BT-Drs. 15/1516, 57: »Trunksucht«). Außerdem enthält das SGB II (§ 27 Nr. 1) eine Ermächtigung zum Erlass einer Bundes-Rechtsverordnung, mit der bestimmt werden kann, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen diese pauschaliert werden können, was nach den etwa aus Kassel bekannt gewordenen Erfahrungen Schlimmes befürchten lässt.'2

Die Zusatzbedarfe Wohnungsbeschaffungs- und Mietkautionskosten (§ 22 Abs. 3 SGB II) entsprechen der Regelung in der BSHG-Regelsatzverordnung (§ 3 Abs. l S. 5, 6). Hinzugekommen sind die Umzugskosten als Kann-Leistung, die nach dem BSHG (§21 Abs. l a) eine Pflichtleistung sind;13 sie stehen darüber hinaus in der Gefahr, pauschaliert zu werden (§ 27 Nr. 2 SGB II).

Besonders krass zurückgefahren wird im SGB II (§ 22 Abs. 5) die Hilfe zum Lebensunterhalt zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage nach dem BSHG (§ 15 a Abs. 1). Die dortige Soll-Regelung bei drohender Wohnungslosigkeit mit Beihilfe oder Darlehensmöglichkeit mutiert zu einer Kann- Über-nahme lediglich bei Mietschulden, die darüber hinaus noch voraussetzt, dass durch die drohende Wohnungslosigkeit »die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindert würde«. Hier hat aber der Gesetzgeber den Rettungsanker insofern geworfen, als er in diesem einzigen Fall für SGB II-Berechtigte auch SGB XII-Leistungen (§ 34 Abs. 1) zulässt, welche dem § 15 a Abs. l BSHG entsprechen (s. §§5 Abs. 2 S. 2 SGB II, der fälschlich auf § 35 SGB XII verweist, § 21 S. l SGB XII, der richtig § 34 SGB XII anführt).


Ein kleiner Lichtblick ist es, dass im SGB II (§ 23 Abs. 3) ausdrücklich der Erstausstattungsbedarf für Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten und für Bekleidung einschließlich Schwangerschaft und Geburt (sowie Klassenfahrtenkosten) als nicht von der Regelleistung umfasster Zusatzbedarf hervorgehoben wird, was freilich durchaus bisheriger BSHG-Rechtslage entspricht;14 weiterhin ist bestimmt, dass dieser Bedarf als Sach- oder Geldleistung erbracht wird und pauschaliert werden kann (§§ 23 Abs. 3 S. 5, 6, 27 Nr. 3 SGB II).

Demgegenüber ist es ein verheerender Rückschritt, wenn das SGB II (§ 23 Abs. 2) die Möglichkeit eröffnet, die Regelleistung in voller Höhe oder anteilig als Sachleistung zu erbringen, solange sich ein Hilfebedürftiger »insbesondere bei Drogen- und Alkoholabhängigkeit sowie im Fall unwirtschaftlichen Verhaltens«, als ungeeignet erweist, mit ihr seinen Bedarf zu decken. Damit werden Krankheiten als Legitimation für Sachleistungen benutzt, ohne dass, wie es das Bundesverwaltungsgericht in seinem grundlegenden Urteil von 198515 als erforderlich angesehen hatte, die Sachleistung Teil eines Gesamtkonzepts zusammenwirkender ärztlicher, psychologischer und sozialer Hilfen ist. Die nackte Sachleistung - so das Bundesverwaltungsgericht damals im Stuttgarter Berberfall - ist in unserer Gesellschaft mit der Würde eines erwachsenen Menschen (Art. l GG, § l Abs. 2 S. l BSHG) nicht vereinbar, die es gebiete, ihm die Möglichkeit zu lassen, im Rahmen der ihm nach dem Gesetz zustehenden Mittel seine Bedarfsdeckung frei zu gestalten.
Verfassungsrechtlichen Bedenken16 in mehrfacher Hinsicht begegnet die SGB-Regelung (§ 23 Abs. 1) bezüglich der abweichenden Erbringung von Regelleistungen: Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Unterhaltsbedarf- z.B. Sonderanfertigung für Kleidung oder Hausrat bei einem behinderten Menschen - weder durch den neu eingeführten Vermögensfreibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro noch auf andere Weise - d.h. nach den Materialien (BT-Drs. 15/1516, 57) mit dem Verweis »z.B. auf Gebrauchtwarenlager oder auf Kleiderkammern« - gedeckt werden, erbringt ihn »bei entsprechendem Nachweis« (§ 23 Abs. l S. l SGB II) »des unabweisbaren Bedarfs« (BT-Drs. 15/1516, 57) die BA und gewährt eine Geld- oder Sachleistung in jedem Fall als Darlehen (bei Sachleistung in Höhe des ihr entstandenen Anschaffungswerts), das durch monatliche Aufrechnung in Höhe bis zu 10 % der Regelleistung getilgt wird. Damit wird ein notwendiger Bedarf nicht nur lediglich als Darlehen gedeckt, sondern dieses wird auch noch vom notwendigen Grundbedarf auf nicht begrenzte Zeit abgezogen.

Angesichts dieser für unvorstellbar gehaltenen Regelung tröstet es wenig, dass bisherige Bezieher von Arbeitslosengeld (I) innerhalb von zwei Jahren nach dessen Bezugsende einen Zuschlag erhalten (§ 24 SGB II), der sich im 1. Jahr höchstens auf 160 Euro beläuft (gegebenenfalls plus Partnerzuschlag von höchstens 160 Euro und Kinderzuschlag von höchstens 60 Euro je Kind) und im 2. Jahr auf höchstens 80 Euro.
5. Mittelanrechnungs- und Bedarfsgemeinschaftschaos

Nicht mehr verständliche Regelungen hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Anrechnung von Einkommen und Vermögen sowie der Bedarfsgemeinschaft getroffen, obwohl ihn gerade das Bundesverfassungsgericht17 im Zusammenhang mit der Kindergeldanrechnung beim Unterhalt (§ 1612 b BGB) nachdrücklich aufgefordert hat, Vorschriften zu schaffen, die dem Grundsatz der Normenklarheit entsprechen.

Bezüglich Einkommen und Vermögen ist lediglich klar, dass sie sich auf den Grundbedarf und den Zusatzbedarf Erstausstattung auswirken (s. §§ 9 Abs. l, 19 S. 2, 23 Abs. 3, S. 3, 4 SGB II). Unklar ist, ob und inwieweit sie bei den weiteren Zusatzbedarfen, dem Arbeitslosennachschlag und dem Einstiegsgeld sowie den Arbeitseingliederungs-maßnahmen zu berücksichtigen sind. Die Regelungen zum Einkommen und Vermögen im SGB II (§§ 9, 11, 12) bei den Anspruchsvoraussetzungen und vor den Leistungen sprechen dafür, dass die Mittel bei allen Leistungen zu berücksichtigen sind, doch hat das der Gesetzgeber so offensichtlich nicht gewollt (vgl. § 9 S. 2 SGB II). Höhe- bzw. Tiefpunkt der Unverständlichkeit ist die Freibetragsregelung bei Erwerbstätigkeit (§ 30 SGB II).

Die Bedarfsgemeinschaft, die gebildet wird (§ 7 Abs. 3 S. 2) aus erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, ihren im Haushalt lebenden Eltern, zusammenlebenden Partnern und den dem Haushalt angehörigen minderjährigen, unverheirateten Kindern erwerbsfähiger Personen oder ihrer hilfebedürftigen Partner, wirft eine Reihe von derzeit und wohl auch in Zukunft fast unlösbaren Problemen auf. Das erste hängt mit der blauäugig-guten Absicht des Gesetzgebers zusammen, Familien nur wegen ihrer Kinder nicht SGB II-abhängig zu machen. Um sie nicht in die Hände der BA als Leistungsträger des SGB II fallen zu lassen, führt er im Bundeskindergeldgesetz (§ 6 a) einen von der Familienkasse der BA zu erbringenden Zuschlag je minderjährigem Kind von höchstens 140 Euro monatlich und längstens 36 Monaten zur Vermeidung von Bedürftigkeit ein, wobei bei dessen Gewährung dann noch Wohngeld bei der dafür zuständigen Behörde geltend gemacht werden muss. Ob dieser Zuschlag gezahlt wird, ist erst bei einer höchst komplizierten Rechnung ermittelbar, die solides mathematisches Wissen und Geduld erfordert. Kommt es zu einer Bedarfsgemeinschaft, so fragt sich, ob sie als Rechtssubjekt eigener Art anspruchsberechtigt ist oder Einzelansprüche der ihr angehörigen Personen wie beim BSHG bestehen.18 Der Gesetzgeber ist offenbar von Ersterem ausgegangen, sagt er doch in den Materialien (BT-Drs. 15/1516, 52) einerseits forsch, dass »der Anspruch der Bedarfsgemeinschaft« grundsätzlich gemäß einer weiter hinten im SGB II (§ 38) stehenden Vorschrift von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen realisiert werde, bei mehreren von dem, der die Leistung beantragt (und wenn diese von mehreren beantragt wird?), während er andererseits den offenbar von komplexer Unsicherheit geplagt folgenden Satz in das Gesetz (§ 9 Abs. 2 S. 3 SGB II) aufgenommen hat: »Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig.« Deutschland sucht den Superstar, der dieses Rätsel löst. Es wird noch dadurch erschwert, dass bei der Annahme einer Bedarfsgemeinschaft als Rechtssubjekt dieser auch die Gesamtleistung als Bedarfsgemeinschaftsgeld zusteht, womit es überhaupt kein Sozialgeld geben würde, während das SGB II (§ 28 Abs. l S. 1) felsenfest angibt: »Nicht erwerbsfähige Angehörige in Bedarfsgemeinschaft erhalten Sozialgeld...«.

6. Ausschluss von Personen ohne gewöhnlichen Aufenthalt und in stationärer Unterbringung
Während wie im BSHG (§§ 26, 120 Abs. 2) Auszubildende und Asylbewerber im SGB II (§ 7 Abs. l S. 2 Hs. 2, Abs. 5, 6) weitgehend ausgeschlossen werden, trifft dies über das BSHG hinaus im SGB II (§ 7 Abs. l S. l Nr. 4, Abs. 4) noch Personen ohne gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und solche, die länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sind (außerdem weiter Bezieher von Altersrenten, soweit sie noch keine 65 Jahre alt sind, danach sind sie grundsiche-rungsberechtigt gemäß § 41 Nr. l SGB XII). Diese Ausschlüsse, die besonders für wohnungslose Menschen relevant sein können, sind kaum mit dem Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1) vereinbar.19 Soweit stationär untergebrachte Menschen in den ersten sechs Monaten SGB II-Leistungen erhalten, wirft dies die Fragen auf, was eine stationäre Unterbringung ist und in welchem Umfang dort Leistungen zu erbringen sind; das wird im Gesetz nicht beantwortet, weil sein Entwurf alte stationär untergebrachten Menschen ausschließen wollte, was aber nach massiven Einwänden20 dahin abgeschwächt wurde, dass der Ausschluss erst nach sechs Monaten Unterbringung erfolgt.

7. Zuständigkeitssplittingarbeitsgemeinschaft
Als ob bei diesem »neuen Irrsinn, wieder aus Berlin«21 noch etwas gefehlt hätte, hat der Vermittlungsausschuss in seiner Mitternachtsgeisterstunde noch eine Zuständigkeitsregelung beschlossen, die ihresgleichen sucht: Träger der SGB II-Leistungen sind einmal die kreisfreien Städte und Kreise als kommunale Träger, sofern das Landesrecht nicht andere Träger bestimmt, und zwar für den indirekten Arbeitseingliederungsbedarf Beratung/Betreuung, den Unterhaltsgrundteilbedarf Unterkunft und Heizung einschließlich dem Zusatzteilbedarf Wohnungsbeschaffungs-, Mietkautions-, Umzugskosten, Mietschuldenübernahme und Erstanschaffung (mit Klassenfahrten), sowie zum anderen die BA für die anderen SGB-Leistungen, d.h. direkte Arbeitsförderung, indirekte Arbeitsteilförderung Einstiegsgeld/Arbeitsteilzeitleistungen und den Unterhaltsgrundteilbedarf Regel- und Mehrbedarf, den Zusatzteilbedarf Versiche-rungsbeitragszuschuss, Regelabweichungsbedarf und den ALG I-Nachschlag als Ausstiegsgeld.

Damit ist den kommunalen Trägern ein dicker finanzieller Brocken aufgebürdet worden, insbesondere in den Städten, in denen hohe Unterkunfts- und Heizungskosten anfallen. Dazu kommt noch, dass das Wohngeld nicht mehr nach dem Wohngeldgesetz von Bund und Ländern zur Hälfte aufgebracht wird und damit die Unterkunftskosten der kommunalen Träger absenkt, sondern diese die gesamten Unterkunftskosten im Rahmen des Arbeitslosengelds II zu tragen haben, weil es für ihre Bezieher kein Wohngeld mehr gibt.

Im Zuge dieses Zuständigkeitssplittings ist auch eine Regelung (§ 19 S. 2 SGB II) getroffen worden, wie Einkommen und Vermögen Hilfeberechtigter auf die Träger zu verteilen ist, wobei die Kommunen wiederum den Kürzeren gezogen haben: Das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen mindert zunächst die Geldleistungen der BA, und diejenigen der kommunalen Träger erst, wenn noch etwas übrig bleibt.

Mit dem Zuständigkeitssplitting ist die Grundidee der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, nämlich die Trägerleistung aus einer Hand, aufgegeben worden. Um sie nach außen zu retten, hat sich der Vermittlungsausschuss noch ein Ding einfallen lassen (§ 44 b SGB II): die in den Job-Centern einzurichtende Arbeitsgemeinschaft ohne Namen, deren Schild künftig die Briefbögen und Gebäude der BA schmücken wird und die gegenüber dem Hilfesuchenden Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide erlassen darf. In dieser Arbeitsgemeinschaft nimmt die BA ihre SGB-Aufgaben wahr, während die kommunalen Träger ihren Teil lediglich auf sie übertragen »sollen«. Vertreten wird die Arbeitsgemeinschaft von einem Geschäftsführer, der bei Nichteinigung der Träger jeweils für ein Jahr von der BA sowie dem kommunalen Träger gestellt und beim ersten Mal durch Los bestimmt wird.

Die Trägerschaft aus einer Hand ist dank einer genialen Initiative der hessischen Landesregierung im Vermittlungsausschuss nicht ganz zu Grabe getragen worden, heißt es doch in einer dort neu eingefügten SGB-Vorschrift (§6 a S. 1): »Abweichend von der grundsätzlichen Regelung sind die kommunalen Träger auf ihren Antrag anstelle der BA vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit als alleinige Träger der SGB II-Aufgaben zuzulassen.« Nur wie das gehen soll, dafür hat die Genialität nicht mehr gereicht, so dass ein zweiter Satz hinzugefügt wurde: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Dieses soll im ersten Halbjahr 2004 beschlossen werden, so dass sich die Kommunen bis August entscheiden können, ob sie diese Option wählen.

Mit dem Optionsgesetz verbunden werden könnte ein Korrekturgesetz zum SGB II, in dem wenigstens die gröbsten Klopse ausgemistet werden könnten.

Fazit
In dem ersten großen Urteil nach seiner Gründung hat das Bundesverwaltungsgericht am 24.6. 195422 ausgeführt, dass bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes das Recht von dem Grundsatz ausgegangen sei, dass die ursprünglich als Armenpflege bezeichnete Fürsorge dem Bedürftigen lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, aber nicht um seiner selbst zu gewähren sei, und er daher nicht Subjekt der behördlichen Verpflichtung, sondern nur Objekt des behördlichen Handelns sei. Diese Auffassung werde jedoch den Leitgedanken des Grundgesetzes über das Verhältnis des Menschen zum Staat nicht gerecht, nach denen der Einzelne zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan sei, sondern Bürger. Darum dürfe er in der Regel nicht lediglich Gegenstand staatlichen Handelns sein. Er sei vielmehr als selbstständige sittlich verantwortliche Persönlichkeit und deshalb als Träger von Rechten und Pflichten anzuerkennen, wenn es um seine Daseinsmöglichkeiten gehe.

Folge dieses Urteils war, wenn auch mit erheblicher Verzögerung, die Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes. Mit seinem Ende Ende 2004 und dem Inkrafttreten des SGB II fällt die Gesetzgebung wieder auf den Stand vor dem BSHG zurück: Der erwerbsfähige Mensch wird zum Objekt der Arbeitsfürsorge, die seine Erwerbstätigkeit fordert, ohne angemessen auf seine Persönlichkeit einzugehen und ihm Rechte zu geben.

Der epochale Rückschritt - ein vom Gesetzgeber verursachter Rechtskulturschock - wird besonders deutlich, wenn man
mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.1. 196823 die Rolle der Arbeit in der Rechtsgeschichte betrachtet. Danach hat sich schon das vor dem BSHG gültige Fürsorgerecht immer mehr von der Vorstellung der Arbeit als eines bloß wirtschaftlichen Faktors gelöst. Die Arbeit habe neben ihrem sozialethischen Wert (Art. 165 der Weimarer Reichsverfassung) Anerkennung als ein Mittel der Entfaltung der Person gefunden. Dies habe das BSHG fortführen und weiterentwickeln wollen. Damit macht das SGB II ein Ende und wirft uns zurück in die Zeit der Fürsorge, nein, sogar noch weiter davor, 100 Jahre zurück, denn selbst im preußischen Arbeitslosengesetz von 1912, bei dem Zwangsmittel gegen den Armen im Vordergrund standen, war »bereits die Arbeitsfürsorge als eine nicht allein wirtschaftliche Aufgabe erkannt worden24«.

§ l Abs. l SGB I lautet immer noch:
»Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfe gestalten. Es soll dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.«
Mit Inkrafttreten des SGB II wird diese Bestimmung als gesetzliches Lügentorso ein Relikt aus einer anderen Zeit.

l  Gesamtüberblick aus der Sicht der Wohnungslosenhilfe bei Brühl wohnungslos 1/2004, l ff.
2 S. weiter Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Hg., Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5. Aufl. 1995, insbesondere dort die Beiträge von Bochnik, S. 451 ff., über Psychiatrie und Suchterkrankungen sowie von Foerster, S. 509 ff., über Neurosen und psychogene Erkrankungen, derselbe auch in Venzlaff/Foerster, Hg., Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl. 2000, S. 505 ff., über Psychiatrische Begutachtung im Sozialrecht.
3   Lammersmann, Recht und Psychiatrie 2002, 152 ff., und 2003,
177 ff.; s. weiter anschaulich Plagemann, Münchener Anwalts
handbuch Sozialrecht, 2003, § 16 Rn. 11 ff.
4   Zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezüglich »Ren
tenneurosen« s. die Nachweise bei Brühl/Hofmann, Gesetz über
eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei  Er
werbsminderung - Info-Kommentar für Lehre und   Praxis (IK-
GSiG), 2003, § l Rn. 82.
5   Brühl/Hofmann, IK-GSiG § 5 Rz. 34.
6   Zum  Beispiel  BAG  Wohnungslosenhilfe. wohnungslos  2003,
108, 109.
7 NDV 2003, 496, 499.
8 Zu den Zumutbarkeitsgrenzen bei Niedriglöhnen und Lohnwucher Spindler, info also 2003, 56 ff.
9 info also 2003, 195, 203 f.
10   S. mit Nachweisen Spindler, Sozialer Fortschritt 2003, 296 ff.,
und Soziale Sicherheit 2003, 338 ff., die durchaus den richtigen
Gedanken sieht, auch schwierige Fälle nicht einfach »hängen zu
lassen«, was aber mit grundsätzlichem Leistungsausschluss ver
bunden sei, womit der junge Mensch zum Spielball werde, und
zwar jeder, ob mit oder ohne Schulabschluss, ob motiviert oder
desorientiert.
11   BVerfGE 87, 153 = NJW 1992, 3154, BVerfGE 91, 216 = NJW
1994, 2817, BVerfGE 99, 246 = NDV-RD  1999, 23 = NJW
1999,561.
12   Zur  Problematik  Putz,  info  also 2000,  5,  8  ff.,   Rothkegel.
ZfSH/SGB 2002, 657, 662 ff.
13   S. LPK-BSHG-Hofmann, § 12 Rz. 48.
14   Brühl, Rechtsschutz für Wohnungslose, 1998, 50 ff., 226 ff.
15   BVerwGE 72, 354 = info also 1986, 82 = NDV 1986, 293.
16   Dazu jetzt Mrozynski, ZFSH/SGB 2004, 198, 217 f.
17   FamRZ 2003, 1370 = NJW 2003, 2733.
18   Dazu LPK-BSHG-Roscher, § 11 Rn. 7.
19   Brühl,  Kurzgutachten für die Evangelische Obdachlosenhilfe,
2003, unter Bezug auf BVerfGE 27, 220 = NDV 1970, 54 = NJW
1970,91 =ZfSH 1970, 15.
20   BAG Wohnungslosenhilfe, wohnungslos 2003, 129, Deutscher
Verein, NDV 2003, 496, 499.
21   Wiesbadener Kurier vom 5. 2. 2004, S. 5.

sumpf

hervorragende zusammenfassung, auch wenn ich sie in teilen nicht teile. trotzdem danke für diesen artikel.
es grüsst der sumpf

Rentner

das kann ich nur untermauern !  da selbst davon betroffen , Psychoterror wäre die treffende Formulierung.

diese Begutachtungen (5 Begutachtungen in 12  Monaten )  machen Krank  u haben bei  mir u. a.  Angstpsychosen ausgelößt, und meine Krankheit noch verschlimmert !



der Rentner

Insgesamt entpuppt sich die Erwerbsfähigkeitsprüfung als eine auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten höchst bedenkliche, von einem Heer zweifelhaft qualifizierter niedergelassener Nervenärzte
Carpe Diem nutze den Tag

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