chefduzen.de - Forum der Ausgebeuteten

Neuigkeiten + Diskussion => (Sozial-) Politikforum & Aktuelles von Chefduzen => Thema gestartet von: Wilddieb Stuelpner am 22:14:06 Fr. 25.Februar 2005

Titel: Erinnerung an Arbeitertraditionen - Mutige Seilschaften - Dresdner im Widerstand gegen Hitler
Beitrag von: Wilddieb Stuelpner am 22:14:06 Fr. 25.Februar 2005
Neues Deutschland: Geschichte - Mutige Seilschaften - Dresdner im Widerstand gegen Hitler (http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=67340&IDC=29)

Von Gerd Kaiser

Die Roten Bergsteiger aus Dresden bildeten Seilschaften der besonderen Art. An den Steilhängen der Berge wie auch im politischen Kampf gegen Hitler konnten und mussten sie sich aufeinander verlassen können. Es waren ihrer nicht sehr viele. Sie gehörten zur Linken Opposition der KPD/Internationale Kommunisten Deutschlands (LO/ IKD). Deren Mitglieder und Sympathisanten verstanden sich als Anhänger des russischen Bolschewiken und Stalins Erzfeind Leo Trotzki. In der parteioffiziellen Forschung und Traditionspflege in der DDR war ihr mutiger antifaschistischer Widerstand weitgehend verschwiegen worden, sie selbst wurden teilweise diskriminiert und politisch verfolgt.

Barbara Weinhold erinnert nun an sie – mit kritischer Sympathie und anhand erstmals erschlossener vielfältiger Quellen. Sie zeichnet die sportlichen und politischen Wege der roten Bergsteiger und Bersteigerinnen nach.

Aus einer zunächst losen Verbindung junger Naturfreunde Dresdens kristallisierte sich Ende der 20er Jahre ein politischer Kern heraus, für den die Meisterung schwieriger Bergtouren und Bergkameradschaft ebenso wichtig waren wie der Kampf gegen die drohende faschistische Diktatur und für politische Solidarität. Der Weg dieser Arbeitersportler war hart und entbehrungsreich und nicht frei von Irrwegen und Irrtümern. Eigene Lebenserfahrungen als Facharbeiter und Gewerkschafter und heiße Diskussionen über Wandervogelromantik und Weltwirtschaftskrise sowie über die Gefahr des Faschismus in Deutschland führte sie nach dem Eintritt in die Vereinigte Kletterabteilung (VKA) innerhalb des Touristenvereins »Die Naturfreunde« in die entschiedene Gegnerschaft zu jeglicher Reaktion in der Weimarer Republik. Im VKA gaben Mitglieder der KPD, insbesondere Erich Glaser, den Ton an, wie Gerhard Grabs in seiner unveröffentlichten Geschichte der Rochwitzer Gruppe festhielt. Die Mehrheit der örtlichen VKA (etwa 260 Bergsteiger) schloss sich Mitte des Jahres 1930 zur Naturfreunde-Opposition (NFO-VKA) der »Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit«, kurz »Rot Sport« genannt, an.

Sie waren keine Kinder von Traurigkeit, trafen sich abends nach harter Klettertour noch auf ein Bier in der »Rosel« in Rathen oder anderen Kneipen und diskutierten Nächte lang. Sogar im Zelt in freier Natur. Sie schlossen schnell Kontakte, waren aber auch so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft und mussten ihren Dresdner Mitbürgern mitunter sonderbar anmuten. Käthchen und Wenzel Kozlecki feierten beispielsweise ihre Hochzeit mit einer Besteigung des Teufelsturmes in der Sächsischen Schweiz. Beide emigrierten schon 1933; Wenzel Kozlecki war 1939 im mexikanischen Exil Leibwächter und Sekretär bei Trotzki, von dem er sich aus persönlichen und politischen Gründen jedoch bereits nach vier Monaten trennte.

Jene, die in Deutschland geblieben waren, hatten bereits 1933 ihre illegale Arbeit aufgenommen. Sie schmuggelten antifaschistische Schriften, beispielsweise das »Braunbuch«, die »Inprekor«, »Die Weltbühne«, die »Baseler Rundschau« und »Die sozialistische Aktion«, auf ihnen vertrauten Wegen aus der CSR nach Deutschland und sorgten für deren Verbreitung bis nach Leipzig, Magdeburg und Berlin. Die Lochwitzer/Rochwitzer Gruppe verfasste eine hektographierte Zeitung, die sich sowohl mit dem deutschen wie internationalen Geschehen befasste. Sie leisteten Aufklärungsarbeit unter Reichswehr- und Polizeiangehörigen. Dabei wurde Gerhard Grabs gestellt und erstmals für 15 Monate inhaftiert. Die Roten Bergsteiger schleusten Antifaschisten und Verfolgte unterschiedlicher politischer Strömungen aus Deutschland und veranstalteten Bildungsabende in ihrer Gruppe. Es bahnte sich eine Zusammenarbeit mit Dresdner Mitgliedern der SAP an und mit trotzkisten Gruppen.

Barbara Weinhold erinnert an Kurt Buchmann und Bruno Voland, die schließlich in die Strafeinheit der Wehrmacht, zu den 999ern, gepresst wurden. Gerhard Grabs wurde im KZ Buchenwald inhaftiert, Elisabeth Grabs in Ravensbrück und Friedrich Kochan in Sachsenhausen. Wir erfahren von Fritz Töpert, dessen Leidensstation u.a. das Zuchthaus Hameln war. Die Autorin weiß darüber zu berichten, dass es im Kreis der Roten Bergsteiger keine Verräter gab wie bei manch anderen Widerstandsgruppen. Niemand schwor seinen politischen Überzeugungen ab.

Diejenigen, die in die Emigration gegangen waren, kehrten nach der Befreiung Europas vom Faschismus in ihre Heimat zurück – so ihnen nicht wie Wenzel Kozlecki die Heimkehr verweigert wurde. Sie beteiligten sich von der ersten Stunde an am Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung, organisierten sich in der KPD bzw. später der SED, wirkten in der VVN und rückten den materiellen wie geistigen Trümmern nach Ende des mörderischen Krieges zu Leibe. Die Druckerei-, Bau- oder Metallarbeiter bauten engagiert die zerstörten Betriebe wieder auf. Doch trotz selbstlosen Einsatzes sahen sie sich später verdächtigt, diffamiert und kriminalisiert. Im Juli 1948 hatte der SED-Parteivorstand – gemäß Moskauer Vorgaben – die »Säuberung von feindlichen und entarteten (!) Elementen« angekündigt und gefordert. Die Kampfansage traf auch diese Dresdner Frauen und Männer. Beschämend der Ton der Schriftsätze. Von einem »innerlichen Sterben« sprach Käthchen Kozlecki später. Wie sie mögen viele ihrer ehemaligen Mitstreiter gefühlt haben. Auch darüber ist zu sprechen und zu schreiben. Der Autorin sei gedankt.

Barbara Weinhold: Eine trotzkistische Bergsteigergruppe aus Dresden im Widerstand gegen den Faschismus. ISP-Verlag. Köln 2004. 236S., br., 21 EUR.

(ND 12.02.05)

Anmerkung: In der Sächsischen Schweiz (Elbsandsteingebirge) gibt es auch den  Bergsteigerchor "Kurt Schlosser" (http://www.bergsteigerchor.de/de/index.phtml).

Dresdner Blätt'l: Kurt Schlosser (http://www.dresdnerblaettl.de/Ausgaben/00/16/00160201.htm)

Am 30. Juni 1944 fällt der 2. Senat des ,,Volksgerichtshofes" unter Ausschluss der Öffentlichkeit das Urteil: Todesstrafe für Kurt und seine Freunde Herbert, Otto und Arthur. In Anwesenheit der Nazi-Richter spricht Kurt Schlosser deutliche Worte: ,,Genossen, lasst uns nochmals die Hände reichen. Es ist vielleicht für immer."

Zu Friedel Landgraf gewandt, die zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde: ,,Sollte es dir vergönnt sein, wieder zu den anderen zu kommen, so grüße alle. Und vergesst die Arbeit nicht !" Im Morgengrauen des 16. August 1944 vollstreckt der Scharfrichter im Hof des Landgerichts am Münchner Platz das Urteil mit dem Fallbeil.

Der Sächsische Bergsteigerchor ,,Kurt Schlosser" Dresden ehrt seinen ehemaligen Vorsitzenden am 18. Oktober 2000, 18.00 Uhr in der Gedenkstätte am Münchner Platz, am 21.10. mit einer Wanderung von Schmilka über den Großen Winterberg nach Ostrau und während seiner Jahreskonzerte ,,Freunde der Berge" am 12.11., 11.00 und 17.30 Uhr im Festsaal des Kulturpalastes Dresden.