Desinteresse an Parteien - Ostdeutschland – wo die Politik stört

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 13:22:02 Sa. 17.Mai 2008

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Wilddieb Stuelpner

Die Welt, vom 15. Mai 2008

Desinteresse an Parteien - Ostdeutschland – wo die Politik stört

Das Hauptproblem der Ost-CDU ist nicht die Linke. Sondern das Desinteresse jener Mittelschicht, um die es der Partei geht. Nach der Nachwendebegeisterung fehlen in der Partei jüngere Menschen, die im Leben etwas erreicht haben. WELT ONLINE hat Bürger besucht, die über die Politikerverdrossenheit im Osten klagen.

Thüringens Thüringens Ministerpräsidenten Dieter Althaus empfinden seine Landeskinder mitunter als störend. Vielleicht ist Halle die Zukunft. Marco Tullner, der inzwischen auch für die CDU im Landtag sitzt, ist mehr zufällig hierher geraten, damals kurz vor der Wende, als die SED-Behörden ihm einen Studienplatz für Biologie zuwiesen. Politik macht ihm Spaß. Aus Begeisterung für Helmut Kohl ist er damals bei der CDU gelandet, es hätte aber durchaus eine andere Partei sein können – Hauptsache für die Einheit. ,,Von dieser Nachwendebegeisterung glaubt man bei uns in der CDU noch ewig zehren zu können. Mit Kohl bekam man ja auch jeden Marktplatz voll", meint er und stochert grimmig in seinen Antipasti. ,,Heute trauen wir uns schon nicht mehr, einen großen Namen einzuladen. Und wenn, dann nur mit Kinderkarussell und Tamtam. Der Kredit ist aufgebraucht."

Das gilt allerdings für alle Parteien in Sachsen-Anhalt, denn hier hat es jede schon mal versucht: SPD und Grüne, SPD und PDS, jetzt die große Koalition unter dem CDU-Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer. Wenn sich Tullner unter den politischen Akteuren im Landtag umsieht, dem ,,Personal", wie er sagt, wird er vollends schwermütig. ,,Da sitzen viele, die haben seit 1990 eine politische Karriere angestrebt, schon um die Familie über Wasser zu halten. Eine innere Verbindung zu Themen, die man mit der CDU verbindet – Christentum, Wirtschaftsethik, irgendetwas – haben sie praktisch nicht."

In Halle ist die Linkspartei inzwischen die stärkste Fraktion, noch vor der CDU und weit vor der SPD. Im Stadtrat von Halle sitzen viele Unternehmer und Selbstständige bei der CDU, denen man deutlich die Hoffnung anmerkt, durch einen Informationsvorsprung über Bauvorhaben, Neueröffnungen oder andere Investitionen vorwärtszukommen. ,,Das größte Problem ist nicht die Linkspartei", meint Tullner, der in Halle auch stellvertretender Kreisvorsitzender ist. ,,Mit einigen von denen sitze ich im Landtag im Finanzausschuss, und wir arbeiten gut zusammen. Das Problem ist die völlige Ausdörrung des politischen Interesses der Eliten. Wir haben hier nicht nur Politikverdrossenheit, sondern auch Politikerverdrossenheit. Man will nicht gestört werden – das ist das Hauptgefühl."

Es fehlen Leute, die schon etwas sind

Ein paar Schritte weiter, in der Fußgängerzone von Halle, versucht eine Buchhandlung, Kunden mit Losen hereinzulocken. Der Trostpreis ist ein Tütchen Kaffee, ein Soßenbinder ohne Fett und das Angebot, falls man manchmal ein Buch lese, dieses mit Bertelsmann-Karte 30 Prozent billiger zu beziehen. 500 Mitglieder hatte die CDU hier vor vier Jahren, jetzt sind es noch 360, viele davon über 70, kaum Frauen, schon gar keine Berufstätigen mit Kindern. Ursula von der Leyen ist hier etwa so bekannt wie Georg Friedrich Händel, einer der großen Söhne der Stadt, für den sich auch nur die Touristen interessieren. Ein paar Junge gibt es.

Was der CDU hier fehlt, sind Leute um die 40, die schon irgendetwas sind im Leben. Einige von ihnen haben sich – auch das wird es in Zukunft wohl immer öfter geben – in der Wählergemeinschaft ,,Wir für Halle" zusammengeschlossen. Sie sind also durchaus bereit, etwas für die Stadt zu tun – aber nicht bei den ,,Etablierten", zu denen die Linkspartei mittlerweile ebenso gehört wie die CDU.

Glückliches Dresden. Träge fließt die Elbe am Weltkulturerbe vorbei. Hier lässt es sich leben. Man orientiert sich hier nicht an Berlin, sondern an München: Besser als Bayern dazustehen, das ist das Ziel, und auf manchen Feldern ist es schon erreicht. Auf den Büchertischen des Campus der Technischen Universität mit ihren 40.000 Studenten leuchten die lila, grünen, gelben Suhrkamp-Bände in der Sonne, dazu viel Lebensberatung, Alice Miller und der unvermeidliche Tolkien.

Der Politologe Werner J. Patzelt, ein Bayer mit Nähe zur CDU-nahen Adenauer-Stiftung, bringt hier immer neuen Generationen Politische Wissenschaften bei. In der Vorlesung in der Woche vor Pfingsten ist der Länderfinanzausgleich dran, eine aufregende Sache, wenn man sich erst einmal hineingewühlt hat. Patzelt ist ganz zufrieden, dass seine Schützlinge heute nicht mehr so idealistisch und missionarisch-anstrengend sind wie in den Siebzigerjahren. Aber ihr Engagement ermuntert er, sei es bei den Grünen, der SPD oder bei der Jungen Union.
Selbst für die Linke sind die Gegner die Altkommunisten

Wenn es nach ihm ginge – einem der wenigen Intellektuellen im Dunstkreis der sächsischen CDU – könnte Dresden ein Experimentierfeld sein wie Hamburg, für Schwarz-Grün. Hier im Schillerpark an der Elbe treffen sich längst die Enden der Parabel und machen gemeinsam Stadtpolitik: Die ,,Realo"-Fraktion der Linkspartei arbeitet hier gegen die Altkommunisten einträchtig mit der CDU zusammen, sei es in Sachen Waldschlösschenbrücke, sei es in Sachen Privatisierung städtischer Wohnungen. ,,Das ist kein formalisiertes Zusammengehen, keine offizielle Koalition", erklärt der Politikwissenschaftler, ,,aber man kann sich aufeinander verlassen." Leute wie den Linkspartei-Realo Roland Wegesser kennt man im Westen nicht so. Wegesser war Ingenieur bei der Staatsfirma Robotron, ein ,,außerordentlich tüchtiger Kerl", wie Patzelt sagt. ,,Der könnte ebenso gut in der CDU sein." Wegesser gehörte dem nicht kommunistischen Teil der DDR-Elite an, einer konservativen, staatstragenden Schicht von Akademikern und Naturwissenschaftlern. Er hätte gut zum Bekanntenkreis von Angela Merkel gehören können. Das Revoluzzertum der westdeutschen DKP-Aktivisten ist ihnen gänzlich fremd. Der Feind sitzt für ihn nicht in der Union, sondern in der eigenen Partei: die Phalanx der Altkommunisten, oft Leute mit niedrigerem Bildungsgrad und Stasi-Vergangenheit, oder den jetzt nachwachsenden Jungen, die nur so glühen vor Antiimperialismus und Wut auf Hartz IV.

Im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin rechnet die CDU-Spitze damit, dass sich die Mitgliederzahlen im Osten bis 2019 halbiert haben werden. In Sachsen sind es jetzt noch 13.546 (zum Vergleich: in Hessen hat die CDU etwa 48.000 Mitglieder, bundesweit sind es etwa 533.000). Im Dresdner Hauptquartier der CDU, gleich neben der Gründungsurkunde aus dem Jahr 1990, hockt ein junger Mann mit kreativ zerwuscheltem roten Haar und ansteckender Müdigkeit in den Augen. Es ist der 32-jährige CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer, der seit 2002 im Bundestag sitzt, wo er zusammen mit der Brandenburgerin Katherina Reiche Forschungspolitik betreibt.

Der nächste Landesvater soll Sachse sein Er findet eigentlich so gut wie jede Frage überflüssig – ein zuverlässiges Zeichen für Überforderung. Warum er in der CDU ist? Nun, nach seiner Konfirmation 1989 sei er zu Pfingsten zu den Friedensgebeten gegangen, wo noch viele andere aus der Jungen Union waren.

Dann ist er irgendwann Stadtrat geworden, dann dies, dann das, dann Abgeordneter, sagt er, und beißt ein Gähnen weg.

Klar, aber warum CDU? Die Marktwirtschaft, das sei einfach eine gute Alternative zur Planwirtschaft, eine Erfolgsgeschichte. Hat er mal in der Privatwirtschaft gearbeitet? Nun, er sei stolz darauf, einer der drei Handwerker zu sein, die Abgeordnete im Bundestag sind. Er ist auch Wirtschaftsingenieur. Und bei der ,,Sächsischen Zeitung" war er auch einmal. Kretschmer wird eine große Zukunft in Sachsen vorhergesagt.

Es ist hier für viele wichtig, dass der Ministerpräsident endlich mal ein Sachse wird. Auch das ist eine neue Erfahrung für die Ost-CDU: Die ,,gelernten DDR-Bürger" wollen ihre Geschicke jetzt in die eigenen Hände nehmen, auch bei der Kabinettsumbildung in Thüringen war das ein Punkt. Bei den Sachsen mit Migrationshintergrund, solchen wie dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Georg Milbradt, der aus Münster stammt, die hier in den Städten nach der Wende am Aufbau des Landes mitgewirkt haben, löst dieser neue Trotz zwar eine gewisse Bitterkeit aus. Insgesamt aber ist die Stimmung in Sachsen nicht am Boden. Die CDU wurde zwar stark gerupft; nach dem Desaster mit der SachsenLB oder der Korruptionsaffäre, die vielleicht gar keine war, ist man weit unter die absolute Üppigkeit des ,,Königs Kurt" (Biedenkopf) gerutscht.

Thüringen schaut nach Bayern, nicht nach Berlin ,,Aber die Leute hier wissen schon, wem sie die Arbeitsplätze, den Abbau der Staatsverschuldung, die besseren Pisa-Ergebnisse und den Applaus der Touristen zu verdanken haben", meint Kultusminister Steffen Flath. Flath gehörte in der Blockpartei CDU zu den stillen Duldern des Regimes von oben, nicht zu den anstrengenden Reformern wie der Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz. Überhaupt hört man von den ehemaligen Bürgerrechtlern jetzt nicht mehr so viel. ,,Selig sind die Friedfertigen", sagt ein Beobachter sarkastisch. ,,Ihnen gehört jetzt das Himmelreich." In Thüringen strahlt nicht nur der Raps. Die Dörfer sind frisch aufgehübscht. ,,Hier können Sie keinen DDR-Film mehr drehen", meint die Kellnerin im Straßencafé ,,Rösler" zufrieden. Auch hier schauen sie eher nach Bayern als nach Berlin. Im Erfurter Landtag, einem sachlich-modernen Bau mit afrikanischen Holzskulpturen und Rondellsitzordnung, liefert man sich nach der Vereidigung der sechs neuen Minister im Kabinett Althaus ein vergnügtes Rededuell: ,,Gehe ich recht in der Annahme, dass dem Land erhebliche Kosten erspart geblieben wären, wenn man nicht sechs Minister ausgewechselt hätte?" Es wird viel zwischendurch gelacht.

Für die Linke spricht Sabine Berninger, eine junge Frau in studentischen Jeans und T-Shirt, in Richtung der CDU von ,,den Herrschenden". Die wiederum schießt, in der Person ihres Generalsekretärs und neu bestallten Fraktionsvorsitzenden Mike Mohring, zurück. ,,Was Sie in der DDR gelernt haben – Kritik und Selbstkritik –, das praktizieren Sie hier, in der Demokratie sind Sie noch nicht angekommen." "Partei muss Serviceagentur werden"

SPD und Linke möchten eigentlich nur über Nazis reden – ,,ich habe Angst!" –, die CDU über den Zusammenhalt der Demokraten. Marion Walsmann, die neu vereidigte CDU-Justizministerin, kann nicht fassen, dass ausgerechnet sie in der Presse jetzt als ,,Blockflöte" dasteht. Und dass auch die ,,bürgerlichen" Zeitungen umstandslos die Version der Thüringer Zeitungen übernommen haben, die samt und sonders in der Hand der SPD-nahen WAZ-Gruppe sind. Es gab, so Walsmann, damals keine Abstimmung über die Erklärung zum Massaker am Tienanmen-Platz. Der SED war zu Ohren gekommen, dass die Abgeordneten der CDU nicht mitstimmen würden, deshalb sei nur etwas verlesen worden. Walsmann war 21 damals, eine CDU-Juristin. Mit Opa im Westen. ,,Es war dumm, in die Volkskammer zu gehen, aber ich war damals zu jung, um das zu begreifen."

CDU-Fraktionschef Mohring glaubt, es gebe für die CDU im Osten nur zwei Wege, mit der Linkspartei fertig zu werden: die Erinnerung an die Mauer und den Umbau der Partei zur ,,Serviceagentur". Vor einer Weile hat er die Website //www.kuemmern.de eingerichtet, wo Menschen bei der Partei ihre Alltagsprobleme loswerden können: Rentenhöhe, Mietstreit mit dem Eigentümer, Vorsorge. Das macht nämlich sonst die Linkspartei. ,,Wenn wir in den Lebenswelten der Leute nicht präsent sind", meint der 36-jährige Mohring aus Apolda, ,,dann sind wir nur noch ein Kampagnenverein, der nur zu den Wahlen wach wird." Die jüngste Diätenerhöhung für die Bundestagsabgeordneten habe in Thüringen für viel mehr Furore gesorgt als die Affäre um den CDU-Politiker Peter Krause, der wegen seiner Artikel für die rechtsradikale ,,Junge Freiheit" unter Beschuss geraten war. Gut gelaunt sitzt Peter Krause, der seine Kandidatur wegen der Angriffe zurückgezogen hat, im Landtag und verfolgt das Hauen und Stechen um seine Person. Wirkliche Sorgen machen sie sich hier nicht um die Zukunft der Partei, auch wenn sie in den Umfragen derzeit gar nicht gut aussieht. Irgendetwas muss es doch zählen, dass es den Leuten heutzutage besser geht als früher.

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