»Ich will, dass netto mehr ’rüberkommt«

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 21:24:45 Fr. 25.Februar 2005

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Wilddieb Stuelpner

Neues Deutschland: »Ich will, dass netto mehr 'rüberkommt«

Berlins Wirtschaftssenator zu Hartz IV, drei Jahren Rot-Rot und einer Lebenslüge der Bundesrepublik 2006



ND-Foto: B. Lange


Um seinen Job ist Harald Wolf nicht zu beneiden – um sein Gemüt schon. Aber vielleicht hätte er den Bettel längst hingeschmissen, wenn er nicht so nüchtern und gelassen bleiben könnte. Mit dem PDS-Wirtschaftssenator sprach Gabriele Oertel.

ND: 2006 wird in Berlin gewählt. 2006 wird der Wirtschaftssenator 50. Viele nutzen diese Zäsur, um über Veränderungen in ihrem Leben nachzudenken. Sie auch?

Wolf: Ich denke immer über Veränderung nach. Und wünsche mir für 2006, dass sich in Berlin noch sehr viel ändert. Nur an einer Stelle nicht – bei der Landesregierung.

Dabei hat die PDS ernüchternde Umfragewerte. Was reitet Sie, sich in dieser Situation sogar zum Vorturner machen zu lassen?

Unsere Umfrageergebnisse finde ich nicht schlecht. Ich kenne die PDS-Werte seit der Vereinigung der Stadt. Unser Level lag immer zwischen 11 und 15 Prozent – selbst zu unseren besten Zeiten. Und da bewegen wir uns gegenwärtig mit 13 bis 15 Prozent eher darüber.

Für Sie wurde es mit Hartz IV nicht leichter. Der Kanzler ist offenbar der Meinung, bis 2006 beruhigen sich die Gemüter. Sie auch?

Meine Kritik an Hartz IV ist unverändert: Die Regelungen erhöhen den Druck auf Arbeitslose, schaffen aber keine neuen Jobs. Die 19,4 Prozent Arbeitslosigkeit, die wir in Berlin haben, sind ein unerträglicher Zustand. Damit kann man sich nicht abfinden. Mit der neuen Statistik nach Hartz IV ist diese Arbeitslosigkeit sichtbarer geworden. Die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger, die jetzt neu in der Statistik auftauchen, waren auch vorher schon erwerbslos. Wir hatten in Berlin 2004 einen Rückgang an Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr – und ich bin zuversichtlich, dass sich dieser Trend auch 2005 fortsetzt. Wir haben auch endlich wieder Wirtschaftswachstum. Ein Viertel der Berliner Unternehmen geht davon aus, dass sie in diesem Jahr neue Jobs schaffen können.

Aber denken Sie nicht an Kindl, Siemens, Infineon?

Gleichzeitig könnte ich die Gegenrechnung aufmachen. DaimlerChrysler: plus 300 Arbeitsplätze, Berlin-Chemie: plus 1500, Jamba: Verdoppelung der Belegschaft. Kindl und Infineon spiegeln nicht die ganze Realität der Berliner Wirtschaft wider. Es sind Umstrukturierungen innerhalb der jeweiligen Konzerne – für die einzelnen Betroffenen bitter, den Wirtschaftssenator ärgerlich, die aber nicht durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Berlin bedingt sind, sondern durch konzerninterne Probleme. Entscheidend ist doch, dass, wenn schon Jobs an einer Stelle abgebaut werden, an anderer Stelle wieder neue entstehen. Und da bin ich verhalten optimistisch. Auch wenn es immer wieder Probleme in einzelnen Unternehmen geben wird.

Sie sagen das ziemlich cool. Sind Sie noch nie nachts schweißnass aufgewacht, wenn sich irgendwo neue Entlassungen ankündigten?

Natürlich lässt mich so was nicht kalt. Aber ich muss die Gesamtentwicklung im Auge haben. Und die wird besser.

Vielleicht wird man auch genügsamer mit den Jahren?

Nein. Es macht aber keinen Sinn, sich unrealistische Ziele zu stecken und dann daran zu scheitern. Ich habe vorher gewusst, dass es schwierig wird. Und weiß auch, dass ich Entscheidungen in einzelnen Betrieben kaum beeinflussen kann, wohl aber Rahmenbedingungen. Das braucht Zeit. Ich setze mir ehrgeizige, aber realistische Ziele.

Am ehrgeizigen Ziel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sind schon ganz andere gescheitert.

Ich mache mir da auch keine Illusionen. All das, was wir tun, führt nicht zu Vollbeschäftigung. Wir sind nach wie vor in einer tiefen Strukturkrise, die nur mit Mitteln der Landespolitik nicht zu beheben ist. Da müssen in der Bundespolitik Weichen anders gestellt werden.

Wohin?

Es muss endlich etwas zur Ankurbelung der Binnenkonjunktur getan werden. Man kann nicht einerseits darüber klagen, dass die Leute zu wenig Geld ausgeben und andererseits akzeptieren, dass zugunsten noch besserer Aktienkurse Arbeitsplätze abgebaut und die Löhne gesenkt werden. Es ist klar, dass der Konsum zurückgeht, wenn die Menschen weniger in der Tasche haben und zugleich unsicher sind, wie es mit den sozialen Sicherungssystemen weitergeht.

Selbst wenn sich das ändert, wird das für den Arbeitsmarkt nicht der große Bringer sein, oder?

Richtig, deshalb müssen wir neue Wege gehen, um neue Beschäftigungsfelder hinzubekommen – auch da ist die Bundesregierung am Zuge, neue steuerliche Rahmenbedingungen und entsprechende Bedingungen zur Absenkung der Lohnnebenkosten zu schaffen.

So etwas sagen auch Landesminister anderer Parteien. Worin besteht der große Unterschied Ihrer Forderungen an den Bund zu denen CDU-regierter Länder?

Zum einen glaube ich kaum, dass Sie von einem Unions-Minister zu hören bekommen, dass es unsozial und widersinnig ist, über die Steuerreform einerseits den Spitzensteuersatz zu senken und andererseits über Hartz IV die Massenkaufkraft zu beschneiden. Zum anderen hätten die Konzepte der Union zu Niedriglohnsektor und Kombilohn vor allem den Effekt, Druck auf die Löhne auszuüben. Dabei ist das Gegenteil nötig: Gerade gering Qualifizierte müssen netto mehr rausbekommen. Unter den Langzeitarbeitslosen in Berlin hat die Hälfte keine oder nur geringe Qualifikation. Weil einfache Tätigkeiten aber schlecht entlohnt und mit hohen Abgaben belastet sind, ist in diesem Bereich Schwarzarbeit ein großes Problem. Sie verdrängt dort reguläre Beschäftigung.

Was wäre das Gegenkonzept?

Man sollte diese Jobs attraktiver machen, indem man die Sozialabgaben aus Steuermitteln finanziert. Stellen wir einmal eine Modellrechnung an: Ein ungelernter Arbeiter verdient rund 1000 Euro brutto – das sind etwa 800 Euro netto. Dieser Mini-Verdienst kostet das Unternehmen einschließlich der Sozialbeiträge aber insgesamt rund 1200 Euro. Wenn wir einfache Tätigkeiten von den Sozialbeiträgen freistellen und stattdessen aus Steuermitteln bezahlen, würde die Tätigkeit für 1000 Euro von 400 Euro Sozialbeiträgen entlastet. Damit wäre Spielraum gegeben – zur Erhöhung des Nettoeinkommens für den Beschäftigten und zur Senkung der Arbeitskosten für das Unternehmen. Derlei Modelle gibt es in skandinavischen Ländern schon – mit Erfolg. Wir müssen nun auch in der Bundesrepublik solch einen radikalen Schritt wagen.

Der gute, alte, linke Schrei nach Subventionen...

Nach Subventionen schreien ganz andere – und gerade zur Zeit sind es vornehmlich nicht Linke. Mein Vorschlag geht in eine andere Richtung: Spielräume zu schaffen, die diese Jobs für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber attraktiver machen. Derzeit haben wir doch die paradoxe Situation, dass teilweise Beschäftigung, mitunter sogar tariflich entlohnte, wegen der Abgaben unter den Transfereinkommen wie ALG II liegen. Wissen Sie, was im Wachschutz verdient wird? Unter 5 Euro die Stunde. Von einem existenzsichernden Einkommen kann man da kaum reden. Ich will, dass netto mehr 'rüberkommt.

Bei Ein-Euro-Jobs sehen Sie das anders. Die seien immer noch besser, als kein geförderter Job, werden Sie zitiert. Ist es klug, sich als Sozialist mit derlei abzufinden?

Wann habe ich je von »damit abfinden« geredet? Ich habe es immer gesagt und bleibe dabei: Die so genannten Ein-Euro-Jobs sind eine schlechte Form öffentlich geförderter Arbeit. Sinnvoller wäre der Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. In der konkreten Situation heute ist es für viele Betroffene aber wichtig, überhaupt wieder gebraucht zu werden. Natürlich sitzt die Idee der Ein-Euro-Jobs dem gleichen Irrglauben auf, wie es die ABM taten – dass es sich nur um Überbrückungen handle, bis es auf dem ersten Arbeitsmarkt besser werde. Wir werden aber in der Bundesrepublik auf absehbare Zeit einen hohen Sockel an Arbeitslosigkeit behalten.

Wenn das so ist, muss dieser Irrglaube doch nicht von einem PDS-Senator verteidigt werden, oder?

Tut ja auch keiner. Wir haben als PDS immer und überall die öffentlich geförderte Beschäftigung – z.B. über ABM und SAM – gegen Angriffe und Absenkungen verteidigt und gleichzeitig als unzureichende Instrumente kritisiert. Wir kritisieren auch die Zusatzjobs, die noch eine Verschlechterung gegenüber ABM darstellen. Ich kann aber nicht so tun, als ob es diese Jobs, die übrigens nicht das Land, sondern die Agentur für Arbeit anbietet, nicht gibt und ob es nicht von vielen – nicht allen – Betroffenen auch eine Nachfrage danach gibt. Ich muss dafür kämpfen, es zu ändern, besser zu machen. Deshalb finanzieren wir in Berlin zusätzliche Qualifizierung, damit das eben nicht nur sinnlose Beschäftigungstherapie ist, sondern die Chancen der Betroffenen für den ersten Arbeitsmarkt steigert. Wir müssen dafür kämpfen, dass man sich endlich von einer Lebenslüge der Bundesrepublik verabschiedet.

Nämlich?

Dass öffentlich geförderte Beschäftigung ein vorübergehendes Phänomen ist. Dieses Land braucht – und das fordern wir als PDS so lange ich denken kann – einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. In vielen Bereichen der Kinder- und Altenpflege, Kultur-, Gemeinwesen-, Umwelt- und Sozialarbeit gibt es einen gesellschaftlichen Bedarf, aber keine ausreichend kaufkräftige Nachfrage, so dass diese gesellschaftlich wichtige Arbeit nicht angeboten wird. Wir finanzieren hierzulande Arbeitslosigkeit statt öffentlich geförderter Beschäftigung. Diese absurde Situation muss umgedreht werden.

Nicht absehbar ist eine Verwirklichung dieser PDS-Idee. Stattdessen muss die Partei in Regierungsverantwortung Dinge umsetzen, von denen sie nicht viel hält. Ist dieser Spagat für PDS-Mitglieder und -Wähler nicht eine Zumutung?

Manchmal habe ich den Eindruck, für die PDS ist Berlin die einzige Stadt, wo Hartz IV stattfindet.

Einspruch – zumindest auch Mecklenburg-Vorpommern hat ein Hartz IV-Problem.

Stimmt – was die Wahrnehmung in Teilen der PDS-Mitgliedschaft betrifft. Aber die Umsetzung von Hartz IV ist keine Landesangelegenheit, sondern kommunale Zuständigkeit. Wir haben in Berlin deshalb so viel damit zu tun, weil wir Stadtstaat sind. Aber Tatsache ist doch, dass jeder PDS-Bürgermeister, Landrat oder Gemeindevertreter Hartz IV umsetzt und in seiner Kommune die Instrumente wie die Zusatzjobs verwendet werden. Das ist kein Berliner Phänomen. So, wie wir bundesweit mit der Steuergesetzgebung konfrontiert sind und sie gleichzeitig ändern wollen, verhält es sich mit den Hartz-Gesetzen auch. Wir kämpfen beim Bundesarbeitsminister für konkrete Veränderungen. Und wir werden auch welche erreichen.

Es ist doch eigentlich kein schlechtes Zeichen, dass in der PDS so hart diskutiert wird. In anderen Parteien ist das längst vorbei.

Das ist auch wieder wahr.

(ND 25.02.05)

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