Binnelandkonjunktur für den Mittelstand?

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 11:45:51 Mi. 18.Oktober 2006

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Wilddieb Stuelpner

ARD/SR, Sendung "plusminus" vom 17.10.2006: Angebot - Einkaufen mit dem ,,Chiemgauer"

Bayern, am Rande des Chiemgau. Im Voralpenland, dort, wo die Welt noch in Ordnung ist. Die Chiemgauer sind stolz auf ihre Heimat und unterstützen sie. Zum Beispiel, in dem sie beim Einkaufen nicht mit Euro bezahlen, sondern mit dem ,,Chiemgauer".

Die ,,Chiemgauer"-Scheine sehen zwar aus wie Spielgeld– Münzen gibt es nicht – haben sich aber seit ihrer Einführung vor vier Jahren zu einer richtigen Parallel-Währung entwickelt. Die Idee dazu hatte ein Lehrer aus Prien in einem Schulprojekt, um den jungen Menschen Wirtschaftszusammenhänge klar zu machen. Mit seinen Oberstufenschülern fing er an, Geld zu drucken – keine Blüten, sondern eigenes ,,Chiemgauer" eben.

Eine Erfolgsgeschichte

Inzwischen hat sich das Ganze zu einem richtigen Unternehmen gemausert. Neue Schüler haben die alten beim Gelddrucken längst abgelöst, und einen bescheidenen Stundenlohn zahlen sich die ,,Jungbanker" auch. Zurecht, denn sie waren fleißig. Rund 500 Läden akzeptieren inzwischen die Regionalwährung, über 1.500 Kunden tragen den Chiemgauer als zusätzliches Zahlungsmittel im Geldbeutel.

Und die Macher sind innovativ. Nach dem Start in Prien am Chiemsee gilt es immer neue Gemeinden davon zu überzeugen, beim Chiemgauer-Projekt mitzumachen. Neuerdings gibt es sogar eine ,,Chiemgauer"-EC-Karte, mit der man ohne Bargeld auf Shopping-Tour gehen kann. Als Testgebiet dafür hat man Wasserburg am Inn gewinnen können.

Der Gründervater Christian Gelleri vom Chiemgauer regional e.V. ist zuversichtlich, weil "der Unternehmerverband sehr offen für die Versuche war. Der erste Bürgermeister steht voll dahinter, die Vereine machen mit und die Leute hier wollen den Chiemgauer, deshalb haben wir hier gestartet."

50 Unternehmer haben sich auf einen Schlag im 12.000 Einwohner Städtchen fürs Mitmachen entschieden. Solche Zuwächse sind beim ehemaligen Schülerprojekt keine Besonderheit. Über die ganzen Jahre sind bisher nur zwei Unternehmer wieder ausgestiegen.

Die guten Erfahrungen mit dem Regionalgeld sprechen sich herum, wie Alexandra Blüml, die Geschäftsführerin vom RangerTravel Freizeitladen weiß:"Wir versprechen uns vom Chiemgauer zum einen Umsatzsteigerungen, zum anderen eine Verbesserung des Images. Man kommt wieder mehr ins Gespräch, und das Geld bleibt hier in der Region , so dass sich die Unternehmer in Wasserburg gegenseitig unterstützen können. Das schafft auch noch eine neue Qualität in der Geschäftswelt."

Zinsen gibt es nicht!

Die Regionalwährung soll den Euro nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Der Chiemgauer taugt nämlich nicht als Sparanlage, sondern er muss rollen, damit er nicht zum Verlustgeschäft für seine Besitzer wird. Wer seine ,,Chiemgauer" nämlich hortet, verliert alle drei Monate zwei Prozent des Wertes. Zinsen gibt es grundsätzlich keine.

Diese Nichtverzinsbarkeit resultiert aus den Erfahrungen mit dem ,,richtigen" Geld, erläutert Prof. Ulrich Scheiper von der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt:

"Die Zinseinkommen, die Anleger für sich beanspruchen, müssen in der realen Wirtschaftswelt durch Waren und Dienstleistungen erarbeitet werden. Und wenn man bedenkt, dass es Renditeerwartungen von 15 oder 20 Prozent gibt, ist das unmöglich zu schaffen."

Wirtschaftsförderung ganz anders!

Das Regionalgeld soll keine Ware sein, die Zinsen bringt. Es soll der Wirtschaft in der Region zugute kommen. Man kann es nicht überall ausgeben, nur in den Geschäften, die bei der Aktion mitmachen. Am Anfang waren das in erster Linie Bäckereien oder andere Handwerksbetriebe. Jetzt gehören fast sämtliche Branchen dazu.

Finanziell ist der Tausch von Euro in ,,Chiemgauer" zunächst eher unspektakulär, denn der Kurs steht genau 1:1. Und für das Finanzamt rechnen die Unternehmen selbstverständlich in Euro ab. Das macht zwar einerseits zusätzliche Arbeit, aber auf der anderen Seite lockt die Aussicht auf bessere Geschäfte. Denn die Erfinder haben sich etwas einfallen lassen, damit ihr Projekt wächst und immer mehr Kunden das neue Geld nutzen.

Helga Gnerlich nutzt den ,,Chiemgauer", weil davon ihr Verein profitiert: "Ich bin Mitglied im Turn- und Sportverein Wasserburg und durch meinen Einkauf wird mein Verein begünstigt und deshalb mache ich beim"Chiemgauer" mit." Drei Prozent von ihrem persönlichen Umsatz fließen an ihren Verein – zahlbar vom Unternehmer. Für viele Kunden ist das der Grund, sich den ,,Chiemgauer" zuzulegen, zumal sie wählen können, welcher Verein – ob Turnverein, Kinderkrebshilfe oder Musikverein – das Geld bekommen soll.

Das globale Dorf

Das Konzept geht auf. Seit Bestehen des Projekts konnten 30.000 Euro – pardon ,,Chiemgauer" an die 78 gelisteten Vereine ausgeschüttet werden. Ein schöner Nebeneffekt. Das Hauptziel ist aber ein anderes, wie Prof. Ulrich Scheiper von der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt weiß:

"Es geht darum, eine Substanz von Unternehmen zu unterhalten, sich ein Teil unabhängig zu machen von der globalisierten Weltwirtschaft – die regionale Wirtschaft dadurch zu stärken. Das ist der eine Punkt der Regionalisierung. Ein weiterer ist die Schonung der Umwelt durch die Verkürzung der Transportwege."

Die ,,Chiemgauer"-EC-Karte

Geld und Heimatgefühl – offenbar eine gute Mischung fürs Geschäft, die auch die Raiffeisenbank in Wasserburg am Inn überzeugte. Die Bank fungiert als kontoführendes Institut und verwaltet ab sofort die Konten der ,,Chiemgauer"-Kunden, die bei der neuen EC-Karte mitmachen. Denn nur eine richtige Bank darf so etwas. Mit der ,,Chiemgauer"-EC Karte erhoffen sich die Banker eine noch stärkere Regionalbindung und noch höhere Umsätze. Und ein weiteres Argument, um in sechs Monaten die nächste Gemeinde vom ,,Chiemgauer" zu überzeugen.

Ein Beitrag von Mirko Tomic

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