Pflegeberuf - Kündigungsgrund Berufsethos?

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 17:21:51 So. 10.April 2005

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

Wilddieb Stuelpner

Neues Deutschland: Betrieb & Gewerkschaft - Kündigungsgrund Berufsethos?


Vivantes-Konzern kündigte einer Berliner Altenpflegerin, die sich nicht mit kostenbedingter Verschlechterung der Pflege abfinden wollte. Unterstützer sprechen von Disziplinierung

Von Andreas Schug

In den halb privatisierten Pflegeheimen der Hauptstadt sinkt die Pflegequalität durch unternehmerischen Kostendruck. Von individueller Pflege kann schon lange keine Rede mehr sein. Und die Mitarbeiter sind angehalten, Leistungen unzureichend qualifizierter Hilfskräfte in den Pflege-Akten als korrekt zu unterzeichnen.

Im Berliner Tempodrom trafen sich gestern tausende Vivantes-Beschäftigte, um über ihre Arbeitsbedingungen zu sprechen. Jeder dritte Krankenhauspatient in Berlin ist in der Obhut der GmbH, die etwa 5000 Betten und 15 Pflegeeinrichtungen betreibt. Seit der (Teil-)Privatisierung der Krankenhäuser zur Jahrtausendwende machte das Unternehmen jetzt erstmals Gewinn.

Massiver Personalabbau

Das Plus in Höhe von 1,6 Millionen Euro basiert laut Geschäftsführung allerdings überwiegend auf reduzierten Personalkosten. Mindestens 2000 der 14500 Stellen sind ersatzlos gestrichen worden, Entlassungen in ähnlicher Größenordnung sollen folgen. Die bisher übrig gebliebenen Beschäftigten, die der Betriebsrat in den spitz gezackten Kulturbau am Anhalter Bahnhof eingeladen hatte, spüren täglich die Folgen des Stellenabbaus. Sie sollen mit weniger Personal genauso viele Patienten und Pflegebedürftige versorgen.

Zu den Abgewickelten zählt Brigitte Heinisch, die im Februar 2005 fristlos entlassen wurde. Kollegen und Freunde verteilten gestern am Eingang Flugblätter, die zur Solidarität aufriefen. Die 44-jährige examinierte Altenpflegerin aus dem Prenzlauer Berg wehrt sich seit Jahren gegen die schlechten Arbeitsbedingungen im Vivantes-Wohnpflegezentrum in der Teichstraße in Berlin-Reinickendorf. Mit schriftlichen Überlastungsanzeigen führte das ver.di-Mitglied der Heimleitung vor Augen, dass das Pflegepensum mit dem üblichen Personalbestand nicht zu schaffen ist.

»Patientenwohl bedeutet für uns, sowohl kompetente Medizin und Pflege in höchster Qualität zu leisten, als auch jeden einzelnen Menschen individuell zu betreuen«, wirbt Vivantes im Internet. Heinisch erlebte etwas anderes. Abfertigung im Akkord. »Ich wünsche mir, jeden pflegebedürftigen Menschen ohne Hast und Eile bei der Ernährung zu helfen, so oft bei den Ausscheidungen zu unterstützen wie er es benötigt, und auch mal die Möglichkeit eines Gesprächs zu bieten«, so Heinisch. Manchmal, berichtet sie, liegen die Alten bis zum Mittag in ihrem Kot, weil sich niemand um sie kümmern kann. Für die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme würden unzureichend qualifizierte Kräfte von Zeitarbeitsfirmen eingesetzt. Bei den Schluckproblemen etlicher Pflegebedürftiger kann dies durchaus gefährlich sein.

Die Überlastungsanzeigen von ihr und anderen hatten Heimleitung und Geschäftsführung ignoriert. Stattdessen verlangten die Vorgesetzten, auch nicht professionell ausgeführte Leistungen in der Pflegedokumentation abzuzeichnen. Diese dient als Nachweis medizinisch korrekter Versorgung für die Krankenkassen. Als die 44-Jährige keinen Ausweg mehr sah, erstattete sie im Dezember 2004 Anzeige gegen die Geschäftsführung – wegen Abrechnungsbetrugs. Die Staatsanwaltschaft sah aber keine »tatsächlichen Anhaltspunkte«. Auch das Land, noch immer Mehrheitseigner, tat bisher nichts.

Nach all den vergeblichen Beschwerden spielte Brigitte Heinischs Körper nicht mehr mit. Sie litt unter Rückenschmerzen, weil sie Patienten häufig allein umlagern muss. Ihr Arbeitgeber nutzte die Gelegenheit, um ihr im Dezember »krankheitsbedingt« zu kündigen. Der Betriebsrat lehnte dies ab. Kollegen, Freunde und Bekannte schrieben ein Flugblatt und verteilten es bereits Ende Januar. Sie sehen in der Entlassung eine Disziplinierungsmaßnahme, »um den berechtigten Widerstand vieler Beschäftigter im Gesundheitswesen für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung mundtot zu machen«. Zwei Wochen darauf gründeten sie in den Räumen des ver.di-Bezirks Berlin-Brandenburg einen »Solidaritätskreis«, der für alle Interessierten offen ist.

Gleich doppelt gekündigt

Wenige Tage später erhielt Heinisch wegen der »Initiierung eines Flugblattes« sicherheitshalber noch eine zweite Kündigung, so dass sie nicht einmal bis zum Ende der Kündigungsfrist auf Arbeit erscheinen durfte. Inzwischen beschäftigt der Fall Vivantes die 39. Kammer des Arbeitsgerichts Berlin. In der ersten Verhandlung vor drei Wochen schlug der Richter eine gütliche Einigung vor, die von beiden Parteien abgelehnt wurde. Weder hielt es die Geschäftsführung für vorstellbar, ihre Mitarbeiterin an einer anderen Stelle zu beschäftigen, in der sie nicht täglich in Gewissenskonflikte gestürzt wird, noch wollte die Pflegerin eine Abfindung akzeptieren und mit Mitte 40 arbeitslos werden.

Eine weitere Verhandlung vor dem Arbeitsgericht soll im Juni folgen. Ilse Kather, Sprecherin des Solidaritätskreises und ver.di-Vertrauensfrau im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: »Wir werden Brigitte begleiten bis sie wieder eingestellt wird.«

(ND 08.04.05)

-----------------------------------------------------------

Na sind das nicht rosige Aussichten für 1-Euro-Jobber? Das sind ja alles meist nicht examinierte Pfleger und Altenbetreuer. Da kann Vivantis noch mehr Profite scheffeln. Wie die Berliner vorgesetzten Behörden und Arbeitsrichter reagieren, sehen wir ja - die Methode der 3 Affen und Rechtshandel wie auf arabischen Basaren. Warum reagiert der Arbeitsrichter nicht auf die Pflichtverletzungen des AG - er hat seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht für seine Mitarbeiter nachzukommen und körperlich schwere Arbeit bzw. gesundheitsgefährdende Fehl- und Dauerbelastungen zu beseitigen. Das kann technisch, personell und organisatorisch erfolgen.

Man sollte eigentlich mal Arbeitsmediziner und REFA-Fachleute hinzuziehen, die Arbeitsplatzanalysen in den Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen anfertigen müssten. Aber man schaut lieber weg und läßt profitgeile AG bestehende Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen straffrei und fortgesetzt verletzen.

  • Chefduzen Spendenbutton