Aus der ehemaligen Karl-Marx-Universität Leipzig wird Karl Marx verbannt

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 13:49:09 Sa. 08.März 2008

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Wilddieb Stuelpner

Leipziger Volkszeitung, Lokalteil Leipzig, vom 29. Februar 2008

Ärger über Marx-Relief reißt nicht ab - Auch nach gestriger Bekräftigung von Land, Uni und Stadt für Standort Jahnallee hagelt es Kritik

Es war alles andere als ein Wunschtermin. Sie hätte in Leipzig lieber zum anstehenden 600-Jahr-Jubiläum der Universität gesprochen, räumte Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) gestern im Rathaus ein. Stattdessen ging es in der Beratung von Vertretern aus Stadt, Land und Uni um die Zukunft des Karl-Marx-Reliefs der Alma mater. Seit Tagen gibt es in Leipzig eine heftige Diskussion über die tonnenschwere Bronzeplastik aus DDR-Zeiten. Die heftigsten Kritiker sind für Einschmelzen, die Uni will es am Campus in der Jahnallee aufstellen. Bei letzterem Vorhaben, so das Ergebnis der Runde im Rathaus, bleibt es. Und: Neben das Relief kommt eine Tafel, die das Monument und dessen Geschichte beschreibt. In gut zwei Monaten soll das Kunstwerk erneut der Öffentlichkeit übergeben werden.

Das Thema sei sowieso nur hochstilisiert worden, so Oberbürgermeister Burkhard Jung, und das Werk nur Propagandakunst. ,,Es verdient nicht die Aufmerksamkeit, die es momentan erregt." Stange sah dies genauso. Dennoch komme ein Einschmelzen oder Einpacken nicht in Frage, da es sich um ein zeitgeschichtliches Dokument handele, ,,mit dem wir uns aktiv auseinandersetzen müssen." Es sei nun mal ,,Teil der Uni". Deren Rektor Franz Häuser meinte, die Propagandakunst der DDR könne gar nicht besser dargestellt werden als mit diesem Monument.

Auch über Alternativen war gesprochen worden. Jungs Vorschlag: Das Relief nicht aufstellen, sondern hinlegen und mit einer Schutzhülle versehen. Stange lehnte ab, weil es die Kosten für das Relief an der Jahnallee verdoppeln würde – von 300 000 auf 600 000 Euro. ,,Das kann ich nicht verantworten." Wenn sich das Land aber eine 2,75 Milliarden-Bürgschaft für die Landesbank leisten kann, wieso dann nicht diese Alternative in Sachen Marx-Relief? ,,Weil es bei diesem um handfestes Geld geht", antwortete Stange.

Handfeste Kritik kam von Leipzigs CDU-Vorsitzendem Hermann Winkler: ,,Dass sich der Oberbürgermeister über die Meinungen der Leipziger hinwegsetzt, daran haben wir uns leider fast schon gewöhnt. Aber dass der Freistaat und die Universität das ebenfalls tun, ist eine neue Qualität." Er, so Winkler weiter, hätte sich mehr Kreativität in Sinne der Leipziger gewünscht, ,,als fantasielos den alten Beschluss einfach umzusetzen".

Noch schärfere Wortgeschütze fuhr ein Parteigenosse Jungs auf, der Leipziger Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber. Mit der Entscheidung stelle sich ,,die neue Universitätsleitung in die politische Kontinuität der alten SED-Universitätsleitung." Letztere habe ,,vor 50 Jahren den Vorschlag, die Paulinerkirche zu beseitigen," gemacht, ,,und ließ das marxistisch-leninistische Siegesmahnmal an Stelle der Kirche anbringen." Damals wie heute sei ,,der mehrheitliche Bevölkerungswillen ignoriert" worden.

Auch Rainer Fornahl, ebenfalls SPD-Bundestagsabgeordneter aus Leipzig, empörte sich über ,,einen schäbigen Umgang mit einem dunklen Kapitel der Universitätsgeschichte". Das habe er in seinen schlimmsten Träumen nicht für möglich gehalten. Nun könne sich die Hochschule ,,ja ab 2009 auch wieder Karl-Marx-Universität nennen".

Dagegen könne er, so der grüne Stadtrat Roland Quester, ,,gut mit der Entscheidung leben". Er finde es gut, dass das Relief nicht verschwinde, weil es ,,Teil der Leipziger Geschichte" sei. ,,Ich halte nichts von dem Ansatz, alles zu vernichten, was nicht mehr politisch populär ist", sagte Quester.

Volker Külow, Stadtrat der Linken, begrüßte es ,,außerordentlich, dass Stange, Jung und Häuser bei all dem Kesseltreiben der jüngsten Tage Rückgrat gezeigt haben". Trotz der heftig geführten Auseinandersetzungen freue er sich ,,über die lebendige Diskussionskultur, die es in Leipzig weiterhin gibt", so Külow.

Ulrich Stötzner, Vorsitzender des Paulinervereins, zeigte sich ,,verwundert darüber, dass entgegen der Mehrheit der Leipziger gehandelt" worden sei. ,,Für unseren Verein ist aber der zügige Aufbau der Paulinerkirche viel wichtiger als diese Frage." Weniger gelassen blieb Thomaskirchenpfarrer Christian Wolff nach Bekanntgabe der Entscheidung. ,,Die Uni-Leitung bleibt sich treu bei der Geschichtsverdrängung." Sie nehme nicht zur Kenntnis, ,,dass der Umgang mit dem Relief eine gesellschaftliche Frage" und keine hausinterne sei. ,,Das Marx-Monster stand an der Stelle des Kreuzes – gegen die freie Meinung. Es sollte bei den Resten der Paulinerkirche stehen."

Ulrich Milde/Peter Krutsch

Spiegel-Online: Uni Leipzig - Marx muss weg

MDR, Sendung "artour": Streit um das Karl-Marx-Relief in Leipzig

Evangelischer Pressedienst: Leipziger Universität bleibt Karl-Marx-Relief erhalten - 33-Tonnen-Monument soll trotz Kritik am Campus Jahnallee aufgestellt werden

Deutschlandradio - Campus & Karriere: Leipziger Karl-Marx-Relief demontiert

Ehemalige Universitätskirche - Die Paulinerkirche in Leipzig

Wikipedia: Die Paulinerkirche

MDR, Sendereihe "Lexi-TV": Die Paulinerkirche

Strombolli

Kürzlich hatte ich es schon mal gesagt: Laß doch alles neu machen. Kirche aufbauen... Schmucke neue Häuser bauen ... usw.
Dann macht die Enteignung nachher mehr Spass.

In diesem Sinne könnten dann ja auch alte, zeitweilig entfernte, Denkmale wieder an einen vernünftigen Standort kommen.

Es zeugt von tief verinnerlichter Angst, die Ideen eines Marx könnten nochmals die Massen ergreifen.

Allein, das tägliche Erleben dieses turbo-kapitalstischen Desasters macht mich von Tag zu Tag röter. So wirds nicht nur mir gehen.
Ich meine: Wenn das die Machthaber so wollen, müssen sie nur so weitermachen wie bisher.
Das Systemmotto: "Gib mir Dein Geld! - Jetzt, Du dreckiges Opfer !!!! - Und habe immer ANGST VOR DEM MORGEN !!!"

"Hört auf, Profite über Menschen zu stellen!" Occupy
Permanent angelogen & VERARSCHT IN DEUTSCHLAND! - Ich habe mit Dir fertig

Aloysius

Ich verstehe die Aufregung nicht.

Soll der Werftpark hier in Kiel auch wieder Horst-Wessel-Park heißen, um der Logik zu folgen? Und der Hiroshima-Park wieder Kaiser-Wilhelm-Park?

Geschichte schreitet voran, und manche Kapitel werden abgeschlossen.

Wenn sich wirklich eine Mehrheit gegen die Veränderung findet, dann soll sich sich organisieren und dagegen öffentlich Front machen. Aber ich denke, diese Mehrheit gibt es nicht.

Das muß nicht allen gefallen. Aber es spricht ja nichts dagegen, daß ihr ein neues Denkmal errichtet. Wer ein Grundstück hat, kann ja seinen Vorgarten zur Verfügung stellen.
Reden wir drüber

Strombolli

ZitatOriginal von Aloysius
Soll der Werftpark hier in Kiel auch wieder Horst-Wessel-Park heißen, um der Logik zu folgen? Und der Hiroshima-Park wieder Kaiser-Wilhelm-Park?

Das würde manchem sicher in den Kram passen.

ZitatOriginal von Aloysius
Geschichte schreitet voran, und manche Kapitel werden abgeschlossen.

Manchmal wird das Rad der Geschichte auch gebremst. So manches Kapitel ist noch nicht zu Ende geschrieben und plötzliche "Wendungen" sind nicht ausgeschlossen.

ZitatOriginal von Aloysius
Wenn sich wirklich eine Mehrheit gegen die Veränderung findet, dann soll sich sich organisieren und dagegen öffentlich Front machen. Aber ich denke, diese Mehrheit gibt es nicht.

Doch diese Mehrheit gibt es. Sie ist sich aber uneins und viele haben die Schnauze von der letzten "Revolution" noch voll.

ZitatOriginal von Aloysius
Das muß nicht allen gefallen. Aber es spricht ja nichts dagegen, daß ihr ein neues Denkmal errichtet. Wer ein Grundstück hat, kann ja seinen Vorgarten zur Verfügung stellen.

Viele von denen, die das machen würden sind schon "kalt" enteignet worden, indem sie in den Ruin getrieben wurden und Haus und Hof dem finanziell Stärkeren opfern mussten.

ZitatOriginal von Aloysius
Ich verstehe die Aufregung nicht.

Es ist, meinerseits, weniger Aufregung, als vielmehr der Hinweis auf die Lächerlichkeit von Bilderstürmerei, Verbrennung von Büchern und soetwas. Ideen lassen sich nicht rückgängig machen, zumal das tägliche Erleben diese Ideen immer wieder bestätigt.

P.S.: Für Aloysius habe ich nochmal den Kerngedanken hervorgehoben, ohne neu zu antworten.
Das Systemmotto: "Gib mir Dein Geld! - Jetzt, Du dreckiges Opfer !!!! - Und habe immer ANGST VOR DEM MORGEN !!!"

"Hört auf, Profite über Menschen zu stellen!" Occupy
Permanent angelogen & VERARSCHT IN DEUTSCHLAND! - Ich habe mit Dir fertig

Aloysius

Die Idee stirbt doch wohl nicht, nur weil da ein einziges Denkmal wegkommt. Wenn ja, dann ist die Idee nichts wert.

Die Zeiten ändern sich, und wer sich mit den Änderungen in Kunststilrichtungen beschäftigt, der sieht, welche neuen Wege diese gehen kann, und wie diese so einer stationären undynamischen Plastik weit überlegen sind.

Ein Beispiel: YouTube als Transportmittel, eine Kurzfilmserie als Medium.

Zahllose Beispiele von Menschen, die mit einfachsten Mitteln einen Film gemacht haben und dieser durch die gesamte Welt ging.

Das geht mit minimalen Kosten- und Technikaufwand.

Wenn du Marx ein Denkmal setzen willst, waruim nicht so?

So erreichst du auch Leute, die vom Denkmal nie erreicht werden und die Denkmale langweilig finden.

Ein kurzer Clip, vielleicht noch mit guter Musik, und du kriegst sie vielleicht doch.
Reden wir drüber

zweimal

ZitatOriginal von Strombolli




Es zeugt von tief verinnerlichter Angst, die Ideen eines Marx könnten nochmals die Massen ergreifen.







seh ich auch so

Wilddieb Stuelpner

Es ist doch immer wieder bezeichnend, wie schleunigst die vorläufigen Sieger einer Ideologie, Weltanschauung, Religion oder Philosophie die unterlegenen Gegner und die Erinnerungen an Sie radikal ausradieren und tilgen wollen.

Man denke nur an die Straßen- und Platzumbennenungen nach großbürgerliche VIPs nach der Wende, die dem Bürger nur unnötige Kosten aufbürdeten, weil Personalausweise, Pässe, Führerscheine, Firmenschilder, Visitenkarten etc. umgeschrieben werden mußten, weil es für einige und eilige westdeutsche Geschichtsumschreibern und -fälscher nichts Wichtigeres gab als jegliche Erinnerung an den vorangegangenen Staat zu beseitigen. Alles was im Entferntesten nach Sozialismus roch, mußte beseitigt werden. Es durften z.B. nach deren Weltbild keine kommunistischen Widerstandskämpfer gegen den Faschismus geben, sondern nur z.B. die aus den Kreisen der Wehrmacht um Stauffenberg, bestenfalls wurden z.B. die Geschwister Scholl, Martin Niemöller oder Dietrich Bonhoeffer grade mal so geduldet.

Und in den Schul- und Lehrbüchern der BRD kommt der Sozialismus nur mit den schlechten Seiten weg oder wird gleich gar nicht als Thema behandelt, so wie man das 3. Reich stark reduziert.

Der ideologische Gegner wird nicht respektiert, sondern ausgelöscht. In der BRD praktizieren viele Lobbyisten aus Wirtschaft und Politik immer noch die Grabenkämpfe des kalten Krieges.

Wilddieb Stuelpner

14. März: 125. Todestag von Karl Marx

Ihm zu Ehren und als Beweis, dass seine Ideen fortleben, hier eine kleine Episode aus der Jetztzeit:

Das ,,Geheimnis" eines Zitats

Bei einem Bekannten stand ich im berechtigten Verdacht, ,,Das Kapital" nicht entsorgt zu haben. Er bat mich kürzlich, ihm den genauen Wortlaut eines allgemein bekannten Zitats über die wachsende Profitgier des Kapitals mit Quellenangabe mitzuteilen. Die Suche war nicht unkompliziert, schließlich aber erfolgreich. Da das Ergebnis von allgemeinem Interesse sein dürfte, sei es hiermit den ERTE-Lesern vermittelt:

Im ,,Kapital", Band I (Berliner Ausgabe von 1959, Seite 801) endet der Abschnitt 6 im Kapitel 24 wie folgt:

,,Wenn das Geld ... mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt, so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut - und schmutztriefend. (250)"

Als Fußnote 250 zitiert Karl Marx T.J.Dunning, einen von 1799 bis 1873 lebenden Theoretiker der englischen Gewerkschaftsbewegung und bürgerlichen Arbeiterpolitik.

,,Das Kapital hat seinen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es
überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens. ..."

Also nicht von Marx - und doch von Marx!

Wen wundert's da noch, dass die Lakaien der Profithaie in Leipzig, Chemnitz und anderswo versuchen, das Bildnis von Karl Marx auszulöschen!

rego

Quelle: Elbe-Rödertal-Echo, Ausgabe 03/2008, S. 6

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