Baustellenläufer machen Jagd auf Schwarzarbeiter

Begonnen von Kater, 17:40:14 Mo. 20.Oktober 2008

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Kater

ZitatDetektiv am Bau - Mit Fernglas und Kamera machen Baustellenläufer Jagd auf Schwarzarbeiter. Ihre Erfolgsquote ist hoch
Anne-Kathrin Bronsert

BERLIN. Ercin Balcin täuscht seine Bekannten - sie denken er arbeitet am Bau. Von seiner tatsächlichen Arbeit wissen nur seine zwei Söhne und sein Bruder. Ercin Balcin ist auch nicht sein richtiger Name, denn niemand soll ihn erkennen. Er arbeitet als Baustellenläufer, das heißt er ist ein Detektiv, der gezielt nach Schwarzarbeitern auf Baustellen sucht. Seine Werkzeugkiste ist ein schwarzer Koffer, darin eine Digitalkamera und ein Fernglas, mit dem er auch fotografieren kann.

Vorbereitete Ausreden

Die erste Station auf Ercins Observations-Tour ist ein eingerüsteter Wohnblock in Wedding, der saniert wird. Ercin beobachtet vom Auto aus, was auf der gegenüberliegenden Straßenseite passiert. Neben einem Schuttcontainer parkt ein blauer Pkw mit auswärtigem Kennzeichen. Ein schlanker, blonder Mann in staubiger Arbeitskluft verdrückt gerade die Reste eines Brötchens, dann läuft er mit Zigarette vor dem Haus hin und her, das Handy am Ohr. Ercin hängt sich sein Foto-Handy unters Shirt, steigt aus, geht rüber und unter dem Baugerüst hindurch in den Hauseingang. Suchend betrachtet er das Klingelschild. Dabei schaut er, ob der Vermieter einen Zettel ausgehängt hat, auf dem der Name der beauftragten Firma steht. Fehlanzeige. "Ich habe einen Termin, ich warte, ich suche" sind Ercins Standard-Ausreden, wenn jemand fragt, was er auf der Baustelle verloren hat. Doch diesmal fragt niemand - der mit dem Handy und der Zigarette bemerkt ihn gar nicht.

Seit vier Jahren arbeitet Ercin zusammen mit einem Kollegen in Berlin als Baustellenläufer für die Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg, einem Verband mittelständischer Bauunternehmen. Insgesamt vier weitere Detektive der Fachgemeinschaft Bau in Potsdam und Neuruppin werden über das Arbeitsamt finanziert, die Stellen werden gerade neu besetzt. "Es wird so viel schwarz gearbeitet, dass es überrascht, dass der weiße Markt überhaupt noch bestehen kann", sagt Wolf Burkhard Wenkel, der Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau, "darum wundert mich, dass wir als einziger Verband Baustellenläufer beschäftigen."

4 358 abgeschlossene Ermittlungsverfahren wegen Straftaten im Zusammenhang mit Schwarzarbeit - nicht nur am Bau - hat das Hauptzollamt Berlin im vergangenen Jahr gezählt. Dessen Sprecher sieht die Schwarzarbeit konstant auf relativ hohem Niveau. Bundesweit dagegen zählte der Zoll 117 441 Fälle, mehr als doppelt so viele wie noch im Jahr 2004.

Durch Schwarzarbeit gehen dem Staat beträchtliche Einnahmen verloren. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft errechnete, dass im Jahr 2007 durch Schwarzarbeit 150 Milliarden Euro an Wertschöpfung erbracht wurde, das entspricht etwa sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Das tatsächliche Ausmaß der Schwarzarbeit ist schwer zu messen. Darunter fallen nicht nur ausländische Arbeitnehmer ohne Arbeitsgenehmigung oder solche, die schlechter bezahlt werden als Deutsche. Zur Schwarzarbeit zählt auch, wenn die Arbeiter nicht den in Berlin vorgeschriebenen Mindestlohn für Helfer beziehungsweise den für Facharbeiter bekommen, länger arbeiten müssen oder zu Unrecht Arbeitslosengeld beziehen.

Langsam fährt Ercin an die nächste Baustelle heran, auf der Wärmeleitungen verlegt werden sollen. Vor der Baustelle stoppt Ercin, hält seine Digitalkamera hinter den Beifahrersitz und fotografiert die Arbeiter, die gerade in der Mittagspause zusammensitzen, durch das getönte Seitenfenster.

Im vergangenen Jahr haben Ercin und seine Kollegen 889 Baustellen observiert und 276 Verdachtsfälle an den Zoll gemeldet. Dazu leiten sie ihre Fotos und Berichte, in denen sie mit Ort, Datum und Uhrzeit ihre Beobachtungen dokumentieren, an den Zoll weiter. Die zuständige Fachabteilung des Zolls, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit mit bundesweit 6 500 Mitarbeitern, kontrolliert Baustellen ganz unabhängig davon, ob ein Verdacht vorliegt und natürlich auf Hinweise hin. Mit Ausreden wie "Ich bin heute den ersten Tag hier", soll kein Schwarzarbeiter dem Zoll entkommen. Dafür sorgen die Baustellenläufer. Ercin vermutet, dass ihr Verdacht bisher so gut wie in jedem Fall zutraf, obwohl sie vom Zoll nur vage Rückmeldungen bekommen.

Auch der Bundesrechnungshof würdigte die qualifizierten Hinweise der Baustellenläufer. In einem Bericht Anfang des Jahres kritisierte er dagegen die Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Demnach verfehlt diese deutlich die vorgegebene Quote, mindestens 50 Prozent der Arbeitszeit im Außendienst Präsenz zu zeigen.

Angesichts dieser Kritik des Bundesrechnungshofes fordert auch der Gewerkschafter Rainer Knerler, Geschäftsführer des IG Bau Bezirksverbands Berlin, eine effizientere Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Die staatliche Verfolgung der Schwarzarbeit müsse besser funktionieren. "Dagegen ist ein stärkeres Engagement der Bauwirtschaft selbst nur die zweitbeste Lösung", sagt Knerler. Aus diesem Grund befürwortet er die Arbeit der Baustellenläufer. Datenschutzrechtliche Bedenken mit Blick auf deren Methoden sieht er nicht. "Für eine Verurteilung der Schwarzarbeiter ist detailliertes Material nötig und das bekommt man nur über eine Observation", sagt Knerler.

Hilfreiche Indizien

Als Ercin das zweite Mal auf die gerade fotografierte Baustelle zusteuert, lehnt einer der Arbeiter über der Absperrung, den Blick genau auf Ercins Auto gerichtet. Der lässt seine Kamera schnell wieder in den Schoß sinken und fährt vorbei. Aber er wird wiederkommen, ohnehin beobachtet er jede Baustelle drei bis vier Tage, manche sogar zwei Wochen lang, bis er einen Verdacht an den Zoll meldet. Früher, sagt Ercin, konnte er Schwarzarbeiter innerhalb von zwei Tagen identifizieren, doch inzwischen sind sie raffinierter geworden.

Für Schwarzarbeit hat er einen Blick, schließlich hat Ercin selbst zwanzig Jahre als Polier am Bau gearbeitet. Dann wurde ihm gekündigt, als seine Firma in die Insolvenz ging. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit war die Stelle als Baustellenläufer für den heute 41-Jährigen, der im Alter von sechs Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam, wie ein Sechser im Lotto. Indizien für ihn sind fehlende Bauschilder, Autos mit auswärtigem Kennzeichen, Arbeiter ohne Sicherheitskleidung, schlecht gesicherte Baustellen oder Arbeiter, die von anderen angeleitet werden müssen.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/1020/wirtschaft/0004/index.html


Auferstanden

Dieser Bericht sagt mehr über diesen Staat und seiner arbeitsteiligen Gesellschaft, einschl. seiner ökonomischen Realitäten aus
als es tausend Worte feinster Wirtschaftstheorien je vermögen.
Nicht das man darauf käme, dass beschäftigsungslos gewordene Mitbürger nur zu gern ihr Schäflein am
sozialversicherungpfl. Bruttosozialprodukt beitragen würden, weit gefehlt.
Opfer werden hier vielmehr zu Täter stilisiert und dank dieses kranken Systems vom Opfer gar zum "Blockwart" erhoben.
Der agenda-reformierte Sklavenstaat schafft so neue Arbeitsplätze...




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