Polizeigewalt Berlin (wieder mal):14jähriger Demonstrant, Erinnerung ausgelöscht

Begonnen von schwarzrot, 10:15:01 Do. 10.Dezember 2009

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

schwarzrot

Zitat14jähriger Demonstrant leidet unter Amnesie
Erinnerung ausgelöscht

Ein 14-Jähriger geht auf eine Demo, sieben Stunden später liegt er mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Was passierte, weiß er nicht. Zur fraglichen Zeit war er in Polizeigewahrsam.


Sieben Stunden im Leben von Noel sind weg. Einfach gestrichen. Stattdessen - ein schwarzes Loch. Das Letzte, an das sich der 14-jährige Schüler erinnern kann: Er sitzt mit seinem Freund Tobias in der U-Bahn und isst Popcorn. Es ist Freitagnachmittag, der 20. November. Die Jungs sind auf dem Weg zum Hotel Adlon am Brandenburger Tor, wo Studierende im Rahmen des Bildungsstreiks ein Managertreffen stören wollen. Sie sind dort mit vier Freunden verabredet. Ob er am Adlon angekommen ist, daran erinnert sich Noel nicht. Und auch der Rest des Tages ist in seinem Kopf wie ausradiert.

Erst um Mitternacht setzt das Erinnerungsvermögen des Schülers wieder ein. Er liegt im Westend-Krankenhaus, seine linke Schläfe ist geschwollen. Die Ärzte diagnostizieren eine Gehirnerschütterung. Was die Amnesie ausgelöst hat, ist unklar. Noel ist vollkommen durcheinander. "Was mach ich hier? Was ist passiert? War was mit der Polizei?", fragt er seine Eltern noch in der Klinik. Marco und Anna B. wissen keine Antwort - bis heute nicht.

Zumindest müsste die Polizei etwas darüber wissen, wie es zu der Kopfverletzung und dem wohl darauf zurückzuführenden Gedächtnisverlust kam. Denn die Zeit, in der der Vorfall geschehen sein muss, lässt sich ziemlich genau eingrenzen: zwischen 18 und 19.45 Uhr. Und während dieser knapp zwei Stunden war der Junge in Polizeigewahrsam.

...

Der Jugendliche habe sich nicht in Begleitung befunden, so die Pressestelle der Polizei weiter. Die Festnahme sei durch einen uniformierten Beamten erfolgt, der ihn einem "Bearbeitungstrupp" übergeben habe. In einem Gruppenwagen sei Noel von zwei Beamten des Trupps nach Hause transportiert worden. Dort hätten die Beamten aber keinen Erziehungsberechtigten angetroffen. Deshalb sei der Junge "gegen 19.30 Uhr" beim Jugendnotdienst in Charlottenburg abgegeben worden. "Es gab keine Hinweise auf eine körperliche oder geistige Einschränkung seitens des Jugendlichen", betont die Pressestelle.

Der Bericht des Jugendnotdienstes, der der taz vorliegt, liest sich ganz anders. Um 19.45 Uhr sei Noel von einer Polizistin und einem Polizisten gebracht worden, heißt es. Die Beamten hätten gesagt, der Junge sei auf einer Demonstration festgenommen worden. Er habe dort selbst geschriebene Flugblätter verteilt. Bereits auf der Fahrt sei den Polizisten aufgefallen, dass Noel etwas desorientiert wirkte. So habe er immer das Gleiche gefragt und die Antworten anscheinend nicht registriert, so der Bericht des Notdienstes.

Wenige Minuten nach Noels Eintreffen ruft eine Sozialarbeiterin den Rettungswagen, der den Jungen ins Krankenhaus bringt. Noel habe über "sehr starke Kopfschmerzen" geklagt, so der Bericht. "Er umfasste immer wieder seinen Kopf, sagte, dass ihm der Kopf platze, war sehr unruhig und die Augen tränten ihm. Sein Gesicht war rotgefärbt." Er wisse nicht, was an dem Nachmittag geschehen sei, habe der Junge gesagt.

Normalerweise bekommt der Jugendnotdienst von der Polizei einen Tätigkeitsbericht, aus dem hervorgeht, warum der Jugendliche gebracht wird und was vorgefallen ist. Nicht in diesem Fall. "Wir wissen nicht, was passiert ist", sagt Notdienst-Mitarbeiterin Beate Köhn. "Das ist ungewöhnlich." Als der Jugendnotdienst am nächsten Tag beim Polizeiabschnitt 53 nachfragt, lautet die Auskunft: Es gebe keinen Tätigkeitsbericht, weil Noel "von einer mobilen Einsatzgruppe" aufgegriffen worden sei. Nicht nur dass es keinen Tätigkeitsbericht gibt, erstaunt. Mobile Einsatzgruppe ist der Fachausdruck für Zivilfahnder, die zur Observation eingesetzt werden. Dabei erklärt die Polizeipressestelle, Noel sei von einem uniformierten Beamten festgenommen worden.

...

<Mutter>Anna B. schlägt vor, dass Polizisten der Einsatzhundertschaften und jugendliche Demonstranten fernab vom Einsatzgeschehen zu einem Erfahrungsaustausch zusammenkommen. Das Treffen könnte beiden Seiten dazu dienen, mit Vorurteilen aufzuräumen und ohne Stress herauszufinden, wie es dem anderen ergeht. "Statt Konfrontation Dialog", wünscht sich die Mutter. "Noel möchte auch immer mit Polizisten diskutieren, um deren menschliche Seite kennenzulernen."
http://www.taz.de/regional/berlin/aktuell/artikel/1/auf-einen-schlag-ist-die-erinnerung-weg/

Die hat er ja an diesem tag vermutlich erschöpfend kennengelernt. Nur was hilfts, wenn sich die an diesem 'dialog' beteidigten sich nicht mehr später daran erinnern können, weil sie krankenhausreif geschlagen wurden (die jugendlichen) und die andere seite (schläger in uniform) eh nicht ermittelbar ist...
"In der bürgerlichen Gesellschaft kriegen manche Gruppen dick in die Fresse. Damit aber nicht genug, man wirft ihnen auch noch vor, dass ihr Gesicht hässlich sei." aus: Mizu no Oto

Wieder aktuell: Bertolt Brecht

  • Chefduzen Spendenbutton