Türkei: Repression gegen Antimilitarist_innen

Begonnen von ManOfConstantSorrow, 12:08:03 Fr. 15.Januar 2010

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ManOfConstantSorrow


Am 6. Januar fand im Zentrum von Ankara (Türkei) eine antimilitaristische Pressekonferenz auf offener Straße statt, in deren Anschluss die Polizei die Teilnehmer_innen der Veranstaltung angriff und zum Teil verhaftete. Die dort veröffentlichte Presseerklärung bezog sich solidarisch auf den Wehrdienstverweigerer Enver Aydemir, der sich zur Zeit im Hungerstreik befindet, nachdem er in Istanbul verhaftet wurde und mehrfach Folterungen ausgesetzt war.
Eine Hundertschaft der Polizei kontrollierte nach dem Ende der gesetzlich genehmigten Verlesung der Presseerklärung die Ausweise aller Anwesenden, kreiste sie ein und attackierte schließlich die Gruppe, in der sich überwiegend Anarchist_innen befanden. Eine Person erlitt daraufhin eine Herzattacke und befindet sich immer noch auf der Notfallstation im Krankenhaus. Die Polizei übte brutale Gewalt und sexuelle Übergriffe auf offener Straße auf die anwesenden Antimilitarist_innen aus und brachte sie anschließend in Polizeigewahrsam. Dort wurden sie gewaltsam gezwungen, bereits zuvor angefertigte Bestätigungen zu unterschreiben und mussten mehr als als 20 Stunden auf der Wache verbringen. Weitere Aussagen wurden jedoch erfolgreich verweigert - alle verhafteten Personen schwiegen.

Am nächsten Tag wurden die 23 Aktivist_innen dem Haftrichter vorgeführt, wo sie von vielen Antimilitarist_innen, Feminist_innen und ihren Familien begrüßt und unterstützt worden sind. Während 22 von ihnen freigelassen worden sind, wurde gegen den Anarchisten Volkan ein Haftbefehl erlassen. Das Gericht sah in der öffentlichen Pressekonferenz eine "ungesetzliche" Versammlung und warf Volkan vor, maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung dieser Veranstaltung beteiligt gewesen zu sein und außerdem eine Schusswaffe bei sich gehabt zu haben. Zudem bestehe die Gefahr der Verdunklung von Beweisen. Als Beweis dient lediglich ein Messer, von dem Volkan jedoch bestreitet, dass es zu ihm gehöre.

Unter Rufen "Schulter an Schulter gegen Faschismus" und "Aufstand, Revolution, Anarchie" von Freund_innen und Unterstützer_innen wurde Volkan von der Polizei in das größte Gefängnis in Ankara gebracht. Am darauffolgenden Tag, den 8. Januar 2010, protestierten Volkan's Freund_innen gegen seine Verhaftung. Mit den Transparenten "Die Gewissen können nicht verhaftet werden, Freiheit für Volkan" und "Freiheit für alle antimilitaristischen Gefangenen" machten sie auf die Situation in Ankara und auch Istanbul aufmerksam.

Das Kollektiv der anarchistischen Zeitung Ahali Gazetesi schreibt dazu:

"Diese Fakten zeigen so offensichtlich, dass die Macht mit dem Tod und der Gewalt ist und nicht mit dem Leben, dass Demokratie nichts weiter als eine dreckige Lüge ist. In diesem psychologischen und auch konventionellen Kriegszustand wird das von Tag zu Tag klarer. Der Krieg, der vor Jahrhunderten begann, um gegen die Existenz und Seelen der Anarchist_innen, Kurd_innen, Homosexuellen, Transgender, Roma und Sinti und allen anderen Individuen zu kämpfen, reproduziert sich immer wieder und macht weiter mit seinen schmutzigen Tricks.

Dieser Krieg und Militarismus äußert sich nicht nur als militärische Verpflichtung oder als Schuss aus einer Waffe. In dieser Zeit ist das einzige, was getan werden sollte, gegen all das als soziale Struktur anzukämpfen und den Tod zu verweigern. Darum sitzt Volkan jetzt im Gefängnis: Weil er den Tod and das Töten verweigert hat."

  http://www.ahaligazetesi.org

http://de.indymedia.org/2010/01/270749.shtml
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Heute nachmittag, am 12.2.2010, fand vor der türkischen Botschaft in Berlin-Mitte eine unangemeldete Kundgebung statt, um gegen die Repression gegen Kriegsdienstverweigerer und ihre Unterstützer_innen in der Türkei zu protestieren. Anschließend gab es eine Spontandemo zum Kottbusser Tor. Mit Samba-Band, Transparenten und deutschen und türkischen Slogans wurde die Freilassung von Volkan Sevinc und Enver Aydemir gefordert.
Um 14 Uhr erschien eine Gruppe von ungefähr 40 Menschen vor der Botschaft. In den deutschen und türkischen Redebeiträgen wurde Wut über die Festnahme des Kriegsdienstverweigerers Enver Aydemir im Dezember in Istanbul und die Teilnehmer_innen einer Demonstration in Ankara im Januar, von denen der Anarchist Volkan Sevinc seitdem in Haft ist, ausgedrückt. Ebenso wurde die Abschaffung des Artikels 318 der türkischen Verfassung gefordert. Das Gesetz stellt die ,,Entfremdung des Volkes von der Armee" unter Strafe. In Solidarität mit den Angeklagten in der Türkei demonstrierten die Berliner Antimilitarist_innen und Anarchist_innen für das Recht zur Kriegsdienstsverweigerung und für die Abschaffung aller Armeen.




Nach einer Viertelstunde begann die kleine, aber lautstarke Demonstration zum Kottbusser Tor. Mit Sprüchen wie ,,Ne oldu, ne devlet, aşk aşk hüriyet!" (Keine Armee, kein Staat, Liebe und Freiheit!") oder ,,Wir machen aus dem Staat Gurkensalat und aus der Scheiß-Armee Kräutertee!" und dem Verteilen von Flyern an Passant_innen und Autofahrer_innen wurde die Kreuzberger Nachbarschaft auf die Repression gegen den Kriegsdienstverweigerer und die Antimilitarist_innen aufmerksam gemacht. Die völlig überraschte Polizei stieß erst kurz vor Ende der Aktion dazu und versuchte halbherzig und ohne Erfolg, die türkischen Transparente zu übersetzen und eine verantwortliche Person zu finden. Währenddessen konnte die Demonstration am Kottbusser Tor mit dem erneuten Abhalten der türkischen und deutschen Redebeiträge und dem Verteilen der letzten Flyer gegen 15:30 Uhr erfolgreich beendet werden.

Im Dezember hatte Enver Aydemir den Kriegsdienst verweigert. Daraufhin wurde er in Istanbul verhaftet, gefoltert und während seines Hungerstreikes zwangsernährt. Enver hat seine Weigerung religiös begründet, was zu kontroversen Diskussionen innerhalb der anarchistischen und antimilitaristischen Szene in der Türkei führte. Anfang Januar entschied sich eine Gruppe in Ankara, eine Solidaritätskundgebung durchzuführen. Dort wurden sie von der Polizei angegriffen und in Gewahrsam gebracht. (Mehr zum Vorfall in Ankara unter  http://de.indymedia.org/2010/01/270749.shtml)

Während der Anarchist Volkan Sevinc seitdem in Untersuchungshaft sitzt, wurden 18 weitere Teilnehmer_innen der Kundgebung inzwischen wegen Verstoßes es Versammlungsgesetzes und wegen ,,Entfremdung des Volkes von der Armee" angeklagt, nun drohen ihnen bis zu 10 Jahren Haft. Am kommenden Montag, den 15.2.2010 wird die Verhandlung gegen die 19 Antimilitarist_innen beginnen. In der Türkei sind für den morgigen Samstag zahlreiche Solidaritätsaktionen unter dem Motto ,,Wir entfremden das Volk vom Armee!" (,,Halkı Askerlikten soğutuyoruz!") angekündigt.

Freiheit für Enver Aydemir, Volkan Sevinc und alle Antimilitarist_innen

Wir entfremden das Volk vom Militär

Neuigkeiten über den Verlauf der Verhandlungen werden in Kürze veröffentlicht. Weitere Informationen (auf türkisch) auf der Website des anarchistischen Kollektivs in Ankara:
  http://www.ahaligazetesi.org
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