Gewerkschaften

Begonnen von GotthilfFischer, 18:50:13 Mi. 12.Februar 2003

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Fritz Linow

Beim ,,Showdown" bei Verdi (junge welt) geht es um die Person Orhan Akman. Im ND wird er als kämpferisch und kritisch gegenüber den Gewerkschaftsstrukturen beschrieben:

ZitatEr gilt als harter Verhandler, lässt im Sinne der Beschäftigten nicht locker gegenüber Konzernen wie Amazon, H&M, Ikea, Rewe, Primark, Zalando oder Kaufland/Lidl.
Aber er kritisiert eben auch offen die Strukturen und Entwicklungen bei Verdi. »Ich erlebe, dass wir in unserer Gesellschaft einen strukturellen Rassismus haben, der auch vor den Türen von Verdi nicht haltmacht«, so Akman. Und das bei dem hohen Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund, fügt er an. Zudem legt er den Finger auch in andere Wunden aktueller deutscher Gewerkschaftsarbeit.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165540.gewerkschaften-wen-vertritt-verdi.html

Bereits 2009 weiß er zu gefallen:

ZitatMit vernebelten Ansätzen haben vor allem die Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten den Kapitalismus kaum in Frage gestellt, geschweige denn dieses System ernsthaft bekämpft. Entsprechend haben wir auch unsere Mitglieder politisch ,,erzogen". Statt einer ideologischen Auseinandersetzung mit dem System, haben die Gewerkschaften sich durch die ,,Standortlüge" sowie der ,,Sozialpartnerschaft" – erinnern wir uns ,,nur" an das ,,Bündnis für Arbeit"- der Kapitalisten weitgehend einvernehmen lassen. Aus dieser Fessel müssen wir uns endlich befreien.
Unsere Teilantworten wie ,,soziale Gerechtigkeit", ,,eine andere Welt ist möglich", ,,ein soziales Europa" usw. sind nicht ausreichend. Wir, als progressive Kräfte, müssen das System Kapitalismus gänzlich in Frage stellen. Ein System, welches den Menschen Armut, Elend, Ausbeutung und Kriege zufügt, kann und darf für uns nicht tragbar sein. Wir müssen unsere eigenen Alternativen zum Kapitalismus haben.

https://www.isw-muenchen.de/wp-content/uploads/2014/12/kkk-20090314-oa.pdf

Kein Wunder, dass so jemand auf keinen Fall in den Bundesvorstand von Verdi gewählt werden soll, und nun jede Menge Dreck veranstaltet wird.
Eine Einschätzung von der Basis wäre interessant, zum Beispiel von den kämpferischen Belegschaften und Verdistrukturen bei Amazon.

Kuddel

Ich bin ja normalerweise gegen diesen Identitätskram, also wie Leute aussehen, Geschlecht, sexuelle Ausrichtung, Style und was auch immer. Das sollte egal sein und es sollte einzig darauf ankommen, wofür man steht und was man tut.

Ich glaube, ich muß hier mal ne Ausnahme machen.

Der links im Bild ist Chris Smalls, Gewerkschaftschef der Amazon Labor Union (ALU).



Hier würd ich sagen, der Style ist die halbe Miete.

Fritz Linow

Zitat16.9.22
Positionen eines kritischen Gewerkschafters • UZ-Interview mit Orhan Akman

Kein Selbstzweck

Mit Orhan Akman hat die Gewerkschaft ver.di ihren ehemaligen Bundesfachgruppenleiter für Einzel- und Versandhandel fristlos gekündigt. Als Hauptamtlicher war er leitend unter anderem für die Betreuung von Gesamt- und Konzernbetriebsräten zuständig.
(...)
https://www.unsere-zeit.de/kein-selbstzweck-172472/

Kuddel

Der DGB Gewerkschaftsapparat bleibt verknöchert und fühlt sich bedroht von linken Strömungen und Basisaktivitäten im eigenen Laden.

Die überzeugendsten Basisaktivitäten sehe ich im Bereich der Krankenhäuser und bei Amazon.

Bei Amazon in Deutschland haben sich die Basisaktivisten das Recht erkämpft, spontan in den Streik zu treten, ohne die Gewerkschaftsführung um Erlaubnis zu fragen. Sie haben zumindest ein Kontigent an Streiktagen, über die sie frei verfügen können. Ich frage mich, ob Verdi dieses Sonderrecht einfach zurücknehmen kann?

Bei Amazon in Winsen wurde gerade erstmalig gestreikt und man wartete nicht die klassischen Termine wie "Primeweek" & "Blackfriday". Ihnen genügte es, daß eine Stimmung für Streik da war. Die Aktion wurde hauptsächlich von migrantischen Kollegen getragen. Es wurde zu arabischer und afrikanischer Musik getanzt und viel diskutiert.

Auch das gefällt mir sehr gut:

https://twitter.com/verdiAmazon_NDS/status/1571219348521361409

Ein Streikaktivist erzählt von dem Kampf auf einem Musik- und Politfestival in Belgien.
Die betrieblichen Kämpfe müssen in die Gesellschaft getragen und dort diskutiert werden. Das ist etwas, was alle angeht und wohl mehr Einfluß als Wahlen hat.

https://www.manifiesta.be/programma/

Kuddel

Orhan Akman hat sich lesenswerte Gedanken über Verdi gemacht:

ZitatEine einschneidende Änderung der Ausrichtung unserer Gewerkschaft ist nötig, um wieder Organisationsmacht, betriebliche und politische Durchsetzungs- und Gestaltungsmacht sowie gesellschaftliche Relevanz zu gewinnen. Gelingt uns das nicht, verschwinden wir in der absoluten Bedeutungslosigkeit.
https://www.jungewelt.de/artikel/435203.html

Fritz Linow

Ein kleines und altes Zitat, das im Thread ,,Gewerkschaften" vielleicht passt, damit mal wieder eine Diskussion über die eigentliche Bedeutung und Funktion vom Gewerkschaftsbegriff entsteht:

ZitatDer Kommunismus wird nicht eine natürliche Folge der Akkumulation sein, wie Marx es behauptete, sondern nur sozialistisch wollende und in diesem Sinne konstruktiv bauende Menschen können den Kommunismus schaffen. Damit ist gleichzeitig die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Kampforganisationen begründet, die gleichzeitig die Zellen für die neue Gesellschaft bilden müssen.
https://www.anarchismus.at/anarchistische-klassiker/pierre-ramus/6345-ramus-irrlehre-und-wissenschaftslosigkeit-des-marxismus

Kuddel

Die Debatte, ob man als Basisgewerkschaft nur die betrieblichen Interessen der Beschäftigten vor Ort organisieren soll, oder auch gesellschaftliche Fragen in Angriff genommen werden müssen, hat bei den Wobblies in den USA zu heftigen Konflikten geführt.

In Zeiten von Trump, dem gesellschaftlichen Rechtsruck und dem Tod von George Floyd, hielt ein Teil der Organisation es für notwendig, nicht nur um die Situation am Arbeitsplatz zu kämpfen, sondern eine gesellschaftliche Selbstverteidigung aufzubauen gegen rassistische Morde und antifeministische Gewalt.

Es führte fast zu einem Bruch mit den Leuten, die das nicht für die Aufgabe einer Gewerkschaft hielten.

Es erinnert mich an den Vorwurf, die FAU sei nur eine weitere linke Dödelgruppe, die sich um die üblichen szenelinken Themen kümmern. Die FAU scheint aber in Bewegung zu sein und sich mehr in Richtung einer Gewerkschaft zu entwickeln. Es findet zunehmend betriebliches Engagement statt.

Ich fand das obige Zitat hilfreich in dieser Diskussion. Die betriebliche Einbindung und Basis ist notwendig, doch sie stößt auch schnell an ihre Grenzen.
Zitat...sozialistisch wollende und in diesem Sinne konstruktiv bauende Menschen...
sind durchaus notwendig, wenn man nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern eine andere Gesellschaft will.

Es gibt ja noch ein paar "Gewerkschaftslinke", die in den 70ern in die Betriebe gagangen sind, um die Revolution voranzubringen, doch die sind inzwischen in Rente. Es gibt noch Gruppen und Individuen, die in dieser Tradition stehen. Es herrscht bei denen auch Streit, bzw. man geht jeweils seinen politischen Weg ohne sich mit dem der anderen auseinanderzusetzen. Ein Teil dieser Leute verausgabt sich auf dem engen Rahmen, den die DGB Gewerkschaften, Betriebsverfassungsgesetz und das deutsche Streikrecht lassen.

Ich teile die Kritik der Minderheit, die nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern eine bessere Gesellschaft will.

Es gibt Automobilarbeiter, die sagen, wir wollen nicht zu besseren Bedingungen Autos bauen, wir wollen etwas anderes als Autos bauen.

Genau dieses weitergehende Denken ist angesichts der katastrophalen ökologischen und gesellschaftlichen Probleme notwendig.

Kuddel

Streiken jenseits des DGB:

ZitatPilotenstreik bei Eurowings
Gewerkschaften sind zum Kämpfen da

Elmar Wigand hält den Eurowingsstreik der Pilotengewerkschaft für richtig


Die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit bestreikt derzeit die Lufthansa-Tochter Eurowings. Dabei erleben wir ein Novum: Das Eurowings-Management stellte den Streikenden ein Ultimatum. Zwar werden sie nicht in Handschellen abgeführt und allesamt gefeuert, wie streikende US-Fluglotsen der Gewerkschaft Patco im Jahr 1981 unter Ronald Reagan. Doch stellt dieser ultimative Stil eine deutliche Verschärfung zumindest im Ton dar. Möglicherweise will die Lufthansa bei Eurowings ein Exempel statuieren.

Die Piloten sind neben den Bahnarbeiter*innen der GDL Vorreiter der Gewerkschaftsbewegung und Seismografen der Streikbereitschaft. Sie scheinen vorbildlich organisiert – besonders im Vergleich zu konkurrierenden Riesengewerkschaften. Ihre Apparate wirken schlank, basisnah und effizient. Sie wissen noch, wo der Hammer hängt und trainieren ihre Konfliktfähigkeit regelmäßig durch Ausübung eines im Grundgesetz verankerten Rechts: Sie machen, wofür Gewerkschaften da sind. Streiken.
(...)
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167790.pilotenstreik-bei-eurowings-gewerkschaften-sind-zum-kaempfen-da.html

counselor

ZitatCHEMIE-TARIFRUNDE - Geräuschlose Einigung auf einen faulen Kompromiss

Gestern einigten sich der Arbeitgeberverband der chemischen Industrie, BAVC, mit der Gewerkschaft IGCB nach dreitägigen Verhandlungen auf ein Verhandlungsergebnis für die 580 000 Beschäftigten der Chemie- und Pharmaindustrie.

Quelle: https://www.rf-news.de/2022/kw42/geraeuschlose-einigung-auf-einen-faulen-kompromiss
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Die IGBCE ist ja als reaktionärste DGB Gewerkschaft berüchtigt, aber das bleibt schockierend:

ZitatChemiegewerkschaft vereinbart Reallohnsenkung von 15 Prozent für 580.000 Beschäftigte

Zurzeit befinden sich in Deutschland knapp 7 Millionen Beschäftigte in Tarifauseinandersetzungen: 3,8 Millionen in der Metall- und Elektroindustrie, 2,3 Millionen im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen und 580.000 in der Chemiebranche. Nun ist die Chemiegewerkschaft IG BCE vorgeprescht und hat Reallohnsenkungen vereinbart, wie es sie seit der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre nicht mehr gab.
https://www.wsws.org/de/articles/2022/10/19/chem-o19.html

https://www.labournet.de/?p=198203


dagobert

Kann man sowas überhaupt noch Gewerkschaft nennen?
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

Fritz Linow

Verschiedene Ankündigungen, selbe Doku:

https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE3NTc4NjU

ZitatSWR: Kratzer im Lack

Über die Spaltung der Belegschaft

Die Automobilindustrie war in den vergangenen Jahren geprägt von Krisen und dem Strukturwandel hin zur E-Mobilität. Millionen von Arbeitsplätzen stehen auf dem Spiel. Wichtiger Player sind die Gewerkschaften. Die Größte ist die "IG Metall". Nun ist sie mit dem alternativen rechten Arbeitnehmerverein "Zentrum" konfrontiert. | Der Film steht exemplarisch für die Konflikte in der Arbeitswelt.



ZitatKratzer im Lack - Wie ein rechter Verein die Arbeitswelt unterwandern will

Der rechte Verein "Zentrum Automobil" will die IG Metall als größte Gewerkschaft ablösen. Auch in der Pflegebranche sind sie auf Stimmenfang. Die IG Metall dagegen warnt vor dem "Zentrum" als rechtspopulistischen Verein, der von Björn Höcke unterstützt wird und enge Kontakte in die rechte bis rechtsextreme Bewegung pflegt. Wem können die Mitarbeiter:innen vertrauen?
Die Automobilindustrie war in den vergangenen Jahren geprägt von Krisen und dem Strukturwandel hin zur E-Mobilität. Millionen von Arbeitsplätzen stehen auf dem Spiel. Wichtiger Player sind die Gewerkschaften. Die Größte ist die "IG Metall". Nun ist sie mit dem alternativen rechten Arbeitnehmerverein "Zentrum" konfrontiert. | Der Film steht exemplarisch für die Konflikte in der Arbeitswelt.


Fritz Linow

Ein etwas längerer Vortrag zum DGB von 2015:

ZitatWie die Faust in eine Bettelhand verwandelt wurde

Zur Entstehung des DGB nach 1945
Die folgenden Aufzeichnungen sind das Manuskript eines Vortrags, den ich auf einer Veranstaltung beim ,,Jour Fixe Hamburg" gehalten habe. Der ,,Jour Fixe" gilt als Treffpunkt der linken Gewerkschaftsopposition - nicht gegen Gewerkschaften überhaupt, sondern gegen die Gewerkschaftspolitik im Sinne der ,,Sozialpartnerschaft" des DGB mit dem Kapital.
(...)

https://gewerkschaftslinke.hamburg/wp-content/uploads/2019/07/Wie-die-Faust-in-eine-Bettelhand-verwandelt-wurde.pdf

Im Schlusssatz heißt es:

        Ich bleibe Mitglied im DGB, was mich aber nicht daran hindern darf, kämpferisch gewerkschaftlich tätig zu sein!

Warum haben sich in den letzten Jahrzehnten nur rudimentäre Alternativen zum DGB herausgebildet,  obwohl es schon seit langem klar ist, dass der Laden staatstragend handelt?

Warum arbeiten sich diejenigen, die es eigentlich besser wissen, so am DGB ab und bleiben drin?

Warum wurden und werden keine Alternativen gegründet? (Ist das immer noch die alte KPD-Linie aus den 20'ern?)

Werden Gewerkschaften insgeheim als nicht wirklich wichtig abgetan, weil es ja immer noch die wichtigere Partei gibt?

(und so weiter...)

Kuddel

Selbst bürgerliche Medien zeigen sich peinlich berührt, wie angepaßt und arschkriecherisch die Gewerkschaften in der Krise auftreten:

ZitatVorauseilender Lohngehorsam

Was wurde nicht gewarnt vor einer Lohn-Preis-Spirale, selbst die SPD stimmte ein in das Lied. Jetzt liegt die Kaufkraft am Boden. Und die Unternehmen verdienen prächtig.


Eines muss man entschuldigend vorwegschicken. So gut wie niemand hat erwartet, dass es so kommt. Deutschland hatte sich auf das Schlimmste in diesem Winter eingestellt und sich vorsichtshalber in Sparsamkeit, auch in Demut geübt. Es war ja geradezu gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz der hohen Preissteigerungen zurückhalten sollen mit allzu forschen Lohnforderungen. Schließlich müsse Rücksicht genommen werden auf die Unternehmen, die es ebenfalls sehr schwer hätten. 

Aber war diese Zurückhaltung, dieser vorauseilende Lohngehorsam, auch richtig? Wie sich jetzt zeigt: eher nein.
(Soweit bis zu Nezahlschranke) https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-12/inflation-kaufkraft-lohn-preis-spirale-unternehmen-spd

Kuddel

ZitatArbeitnehmer büßen so viel Lohn ein wie noch nie

Aufgrund der Inflation verdienen Beschäftigte deutlich weniger Geld. Forscher sprechen vom größten Reallohnverlust in der Geschichte der Bundesrepublik.
https://www.sueddeutsche.de/politik/lohn-verlust-inflation-1.5714314?utm_source=Twitter&utm_medium=twitterbot&utm_campaign=1.5714314

Gut geworden, Leute!

counselor

Primär ist das die Schuld der Arbeitgeber, die ihre Gewinne maximieren wollen. Den Gewerkschaften kann man nur vorwerfen, dass sie nicht ihre gesamte Kampfkraft zur Durchsetzung ihrer Lohnforderungen eingesetzt haben. Und schlussendlich muss man auch akzeptieren, dass die Gewerkschaftsbasis die Verhandlungsergebnisse nach einer innergewerkschaftlichen Debatte annimmt.

Außerdem sind weit weniger als die Hälfte der Arbeiterschaft in der Tarifbindung (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-5/tarifbindung-arbeitnehmer.html). Das zeigt, dass die Position der Gewerkschaften deutlich geschwächt ist und diesbezügliche Politik der Arbeitgeber aufgegangen ist.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Im Kapitalismus herrscht permanenter Klassenkampf.
Wir befinden uns in Zeiten, in denen wir fast nur den Klassenkampf von oben erleben und die Gegenwehr schwach ausfällt.

Gewerkschaften sollten die Organisationen der arbeitenden Klasse sein, aber in Deutschland sind sie in der Beziehung unbrauchbar. Einige sagen, sie seien auf den Hund gekommen, andere behaupten, sie seien nach Kriegsende von den Allierten (insbesondere der USA) aufgebaut worden, um ein Kontrollinstrument über die Arbeiter:innenklasse zu haben.

Wie auch immer, man sollte, wenn man die Situation durchschaut, es nicht einfach hinnehmen. Die Arbeitgeber machen das, was in ihrem Interesse ist. Eine "innergewerkschaftlichen Debatte" findet nicht statt. Vielleicht, weil die gewerkschaftlichen Strukturen es nicht zulassen. Vielleicht, weil die gesamte linke Debatte so auf den Hund gekommen ist, sodaß Klassenkampf kein Thema mehr ist und man sich an lieber Identitäspolitik abarbeitet.

Ich denke, es wird gesellschaftlich nichts in Bewegung kommen, wenn wir in dieser Frage nicht den Stillstand der Debatte und der praktischen Auseinandersetzung durchbrechen.

Es wird wahrscheinlich wenig nützen, auf die Rezepte der wenigen Gewerkschaftslinken zu setzen, die in den letzen 50 Jahren nicht zu einer grundlegenden Verbesserung der Gewerkschaftspolitik geführt haben.

counselor

ZitatEine "innergewerkschaftlichen Debatte" findet nicht statt.

Das ist doch falsch.

Die Ergebnisse werden durchaus an der Basis diskutiert (siehe zB: https://www.rf-news.de/2022/kw47/vertrauensleute-von-mercedes-untertuerkheim-lehnen-faulen-tarifkompromiss-ab). Überhaupt wird doch in jedem Betrieb immer wieder unter den Beschäftigten über den Lohn gesprochen.

Das Problem ist doch, dass die Gewerkschaftsbürokratie eine Art Arbeitsgemeinschaft mit den Arbeitgebern hat ("Sozialpartnerschaft") und ihre Politik der Basis aufzwingen kann. Sie ist bestrebt, die Gewerkschaften zum Verhandlungspartner der Arbeitgeberverbände zu degradieren, um den Kampf zur Durchsetzung der gewerkschaftlichen Forderungen zu vermeiden. Dabei wollen die Gewerkschaftsführer nach Möglichkeit nur einen Scheinkampf führen, das heißt mit Kampfmaßen nur drohen, um den Verhandlungspartner zu gewissen Zugeständnissen zu drängen. Nur wenn die Stimmung in den Betrieben zum Sieden kommt, leiten sie echte Kampfmaßnahmen ein (Urabstimmung und ggfs Streiks).

Ich denke, unsere Aufgabe ist es, in den Gewerkschaften politisch zu arbeiten, um die Gewerkschaftsmitglieder, die den wichtigen Schritt der Organisierung für ihre Interessen bereits gegangen sind, für den Klassenkampf zu gewinnen und die Stimmung in den Betrieben zum Sieden zu bringen.

PS: kleiner Nachtrag, der zeigt, dass es durchaus innergewerkschaftliche Debatten (hier auf einer Betriebsversammlung bei Mercedes) um den Tarifabschluss gibt
ZitatBei der Aussprache war ein wichtiges Thema der Tarifabschlusses. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende begründete die Ablehnung des Verhandlungsergebnis durch die Vertrauensleute, hielt aber den Abschluss für das Ergebnis eines demokratischen Prozesses. Als die Zentrums-Frau die Kritik am faulen Abschlusses missbrauchte, um die Kollegen aufzufordern, aus der IG Metall auszutreten, gab es viele Buhrufe. Ein Kollege zog dagegen den Schluss, jetzt selbständig für einen Lohnnachschlag von 500 Euro pro Monat zu kämpfen. Die Kollegen sollten sich nicht mit einer Sonderzahlung zufriedengeben, die von der Geschäftsentwicklung abhängt. Vielmehr gelte es, als Mercedes-Beschäftigte, Pilotbetrieb für eine Lohnnachschlags-Bewegung zu werden!

Quelle: https://www.rf-news.de/2022/kw49/im-zeichen-der-verarbeitung-der-tarifrunde-und-luxusstrategie
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Fritz Linow


Kuddel

ZitatDGB-Gewerkschaften im Sinkflug – sie haben es zugelassen, dass die Tarifbindung seit vielen Jahren kontinuierlich abnimmt

Für Gewerkschaften gibt es nichts Wichtigeres als Mitglieder. Wenn sie die Unternehmen nicht mit Mitgliedern beeindrucken können, können sie sie auch nicht mit Streikdrohungen erschrecken. Wer nicht einmal mit Streiks drohen kann, der braucht an den Tischen der Tarifverhandlungen gar nicht erst Platz zu nehmen.


Die Zahl der Mitglieder, die in den DGB-Gewerkschaften organisiert sind, ist seit der Wiedervereinigung um etwa die Hälfte eingebrochen. Im Jahr 2017 ist sie erstmals unter 6 Millionen gesunken und zum Jahresende 2021 waren es noch 5.7 Millionen, ein Minus von 130.000 Mitglieder gegenüber dem Vorjahr.(...)
https://gewerkschaftsforum.de/dgb-gewerkschaften-im-sinkflug-sie-haben-es-zugelassen-dass-die-tarifbindung-seit-vielen-jahren-kontinuierlich-abnimmt/#more-15312

counselor

Einerseits ist der gesamte Reformismus in der Krise (nicht nur die Gewerkschaften haben Mitglieder verloren, sondern auch die SPD und die Linke liegt in den letzten Zügen), andererseits betreiben die Arbeitgeber aber auch eine Politik gegen die Gewerkschaften (indem sie zB ganze Belegschaften mit Versprechungen wie Aktienpaketen am Unternehmen geködert haben, wenn die Arbeiter aus der Gewerkschaft austreten).
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Tiefrot

Hierbei
ZitatDGB-Gewerkschaften im Sinkflug – sie haben es zugelassen, dass die Tarifbindung seit vielen Jahren kontinuierlich abnimmt
stellt sich mir grade die Frage, ob sich die Gewerkschaften immer noch Sklavenbuden halten (Stand 2011).
Falls ja, brauchen die sich nicht wundern, wenn denen die Leute weglaufen.
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

Wie bekommt man Milllionen von Deutschen zum Protest auf die Straße ?
Verbietet die BILD und schaltet Facebook ab !

Kuddel

Ich glaube, die Leihklitschen in DGB-Hand gibt es nicht mehr. Sie waren auch nicht groß, aber sie ließen tief blicken in den Gewerkschaftsapparat, der immer planloser wird. Schlimmer noch, das Hauptinteresse liegt in Mitgliedern und deren Beiträge. An Mitgliedern in prekären Jobs hat man wenig Interesse, weil deren Mitgliedsbeiträge zu niedrig wären. In Deutschland wird kaum gestreikt, Es sind zumeist Warstreiks, die die Gewekschaft nichts kosten. Außerhalb der Tarifauseinandersetzungen zeigen die Gewerkschaften kaum betriebliche Aktivitäten.

Aber noch übler ist, wenn ihnen die Beschäftigten nicht nur egal sind, sondern man gegen deren Interessen arbeitet. Damit meine ich die mehrjährigen Tarifabschlüsse, die ein mehrjähriges Streikverbot bedeuten. Und manchmal fallen die Gewerkschaften ihren Mitgliedern in den Rücken. Sie brechen Auseinandersetzungen und Streiks einfach ab, obwohl sie in einer guten Position sind und den Kampf noch intensivieren könnten und dann kommt es zu Abschlüssen, die weit unter dem liegen, was möglich wäre.

Ich sagte "manchmal"? Während der augenblicklichen Inflation handelten die DGB-Gewerkschaften einen Reallohnverlust aus:
ZitatUnter dem Strich sanken die Realllöhne daher um mehr als vier Prozent.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/realloehne-deutschland-inflation-101.html

Kuddel

ZitatVor dem Mobilitätsgipfel im Kanzleramt am Nachmittag hat IG-Metall-Chef Hofmann einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland gefordert.
https://www.deutschlandfunk.de/ig-metall-chef-hofmann-fordert-schnellen-ausbau-der-ladestationen-fuer-die-verkehrswende-106.html

Der IGM-Chef macht sich wieder zum Sprachrohr der Autoindustrie.

Die "Elektromoblität" ist keine Lösung, sondern ökologisch kontraproduktiv. Die Batterieherstellung findet unter menschlich und ökologisch unhaltbaren Bedingungen statt. E-Autos sind keine Alternative zu dem falschen Verkehrskonzept des Individualverkehrs.

Staus, Bodenversiegelung und Verkehrstote bleiben.

counselor

Nicht nur das. Es sind auch imperialistische Kriege um Lithium zu befürchten.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Nicht nur Linke drehen sich an dieser Front im Kreis, wir im Forum sind ja nicht besser.
Wir werden nicht eine andere Gesellschaft erkämpfen können, wenn die Menschen in den Betrieben nicht mitmachen.

Seit 50 Jahren und länger versuchen Linke sich daran, die reaktionären und verkrusteten DGB Gewerkschaften umzukrempeln, aber ich sehe keine Chance sie zu reformieren und all die Versuche waren nicht von Erfolg gekrönt.

Manchmal treten sie so blöd und bösartig auf, daß man sich auf sie einschießen möchte, aber ich glaube, das ist der falsche Weg.

In Deutschland haben wir die Basisgewerkschaften FAU und IWW, die von ihrer Idee her einen anderen Weg aufzeigen könnten, doch in ihrer Praxis bisher einfach zu klein und schwach sind, um ein echtes Gegengewicht in der betrieblichen Arbeit darzustellen.

Es gibt in eingen Betrieben auch Leute, die in DGB Gewerkschaften organisiert sind, dort auch im Betriebsrat vertren sind, sich aber unabhängig treffen und eine Politik fern vom DGB vertreten.

Mir ist es letztendlich egal ob Leute in einer DGB Gewerkschaft sind oder in einer Basisgewerkschaft oder gar nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Hauptsache, sie kümmern sich um Betriebsarbeit, versuchen zu diskutieren, innerhalb und außerhalb des Betriebs.

Das halte ich für entscheidend. Hier im Forum sind wir bisher daran gescheitert, das zu diskutieren, was man im Betrieb erlebt und wie die Kollegen darauf reagieren, wenn man versucht, sich da einzumischen...


counselor

Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Leserbrief in der JW

ZitatLohnarbeit und Kapital

Zu jW vom 31.12./1.1.: »Fahimis Aussagen ›verheerend und falsch‹«

»Solange der Lohnarbeiter Lohnarbeiter ist, hängt sein Los vom Kapital ab. Das ist die vielgerühmte Gemeinsamkeit des Interesses von Arbeiter und Kapitalist.« (Karl Marx)

Wer wollte diese fundamentale Wahrheit leugnen, wie sie von Marx klar und deutlich ausgesprochen wurde? Bei allen veränderten Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft, besteht sie bis in unsere Tage auf dem Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit, Ausbeuter und Ausgebeuteten, Lohnarbeit und Aneignung des durch Lohnarbeit geschaffenen Mehrwertes.

Ein DGB, dem dies nicht mehr bewusst ist, eine Gewerkschaft der Solidarität, der das Kapital höchster Wert ist, ist überflüssig als Interessenvertreter der arbeitenden Klasse. Gewerkschaften, die zum wachsenden Gegensatz zwischen Armut und Reichtum keine Erklärung mehr haben, braucht niemand – es sei denn die Kapitalklasse zur Rechtfertigung ihres Reichtums, ihrer privatkapitalistischen Aneignung der mit Lohnarbeit geschaffenen Werte. Ein DGB, der seit Jahrzehnten das Lied des Kapitals singt, Solidarpakt beschwört bei zunehmender Verelendung der Massen bei gigantischem Reichtum in immer weniger Händen, ist nichts anderes als Erfüllungsgehilfe bei der kapitalistischen Ausbeutung. Wie lange liegen kapitalismuskritische Grundsatzdebatten zurück? Davon weiß die DGB-Chefin gar nichts mehr. An diese Zeiten kann sie sich nicht einmal mehr erinnern, geschweige denn hat sie die geringste Ahnung von der ökonomischen Lage der arbeitenden Klasse, die seit Jahrzehnten zerschlagen, entsolidarisiert und gedemütigt wird – mit Hilfe und Unterstützung eines DGB, der diesen Kapitalismus nicht einmal mehr für die Arbeitenden erträglicher machen will.

Roland Winkler, Aue
https://www.jungewelt.de/artikel/442323.aus-leserbriefen-an-die-redaktion.html

Kuddel

Irgendwie kommen wir am Problem mit den Gewerkschaften nicht vorbei.
Sie stehen eher im Weg als hilfreich zu sein. Ich sehe zur Zeit keine tauglichlich Alternative, bei aller Sympathie mit Basisgewerkschaften.

Ich halte zur Zeit eine unabhänge Diskussion mit Beschäftigten, Kontakte und Solidarität über die betrieblichen- und Branchengrenzen hinaus, für die wichtigste Chance auf Fortschritt. Mehr Selbstbewußtsein, um die Deals und Beschlüsse der Funktionäre hinter verschlossenen Türen nicht mehr zu dulden und die Belegschaften über Aktionen, Streiks und Abschlüsse entscheiden zu lassen.

Die Krankenhausbewegung hat in dieser Richtung einiges möglich gemacht.

https://twitter.com/RArnsburg/status/1618948118544007170

"Wir treffen uns mit vielen Kolleg:innen über die Berufsgruppen hinweg"
"Auf dieser Versammlung wurde mit überwältigender Mehrheit die schnellstmögliche Aufkündigung der Schlichtungsvereinbarung beschlossen, die ein Knebel für den Arbeitskampf ist."

So soll es sein! Es geht doch.


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