Im Namen der Fürsorge

Begonnen von ManOfConstantSorrow, 12:44:20 Sa. 23.Juni 2007

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ManOfConstantSorrow

Im Namen der Fürsorge

Glückstadt – 35 Jahre lang hat er diese drei Monate verdrängt. ,,Heute weiß ich, dass sie mich grundlegend verändert haben. Da drin habe ich Brutalität und Hass gelernt. Und man hat mir die Fähigkeit, Vertrauen zu einem Menschen zu fassen, durch die programmierte Menschenverachtende Behandlung ausgetrieben", sagt Otto Behnck. Der 56-Jährige spricht vom Landesfürsorgeheim Glückstadt und fordert: ,,Das Unrecht von damals darf nicht länger verdrängt und zudeckt werden. Das gebietet der Respekt vor denen, die dort gezeichnet, misshandelt wurden oder gar zu Tode gekommen sind."
Lange Haare, Gitarrist in einer Rockband, Krach mit den Eltern. Schließlich Abbruch der Lehre, Umzug in eine Wohngemeinschaft und (selbst organisierte) Arbeit in einem Gartencenter. Bis hierhin ist die Geschichte von Otto Behnck eine von vielen. Keineswegs ungewöhnlich für die Zeit der Studentenrevolte und Proteste gegen das Establishment. Doch als sich der Vater weigert, dem Sohn seine Lohnsteuerrückerstattung auszuzahlen, kommt es zum Bruch: Die Eltern wenden sich an das Kreisjugendamt Bad Oldesloe. Obwohl der 19-Jährige weder straffällig noch gewalttätig geworden ist, ordnet das Amtsgericht Ahrensburg ohne Anhörung Fürsorgeerziehung an. Am 18.Oktober 1970 wird er ins Landesfürsorgeheim Glückstadt ,,verbracht", das in der NS-Zeit als Schutzhaftlager und Arbeitserziehungslager diente und von 1951 bis Ende 1974 geschlossenes Fürsorgeheim ist. Tausende zwischen zwölf und 21 Jahre verbringen dort Monate oder Jahre ihrer Jugend – manche, weil sie straffällig oder gewalttätig geworden sind, andere, weil sie die Schule schwänzten oder ,,aufsässig" und ,,unangepasst" waren.
Behnck wird dort sofort in ein vergittertes Zimmer eingesperrt. Die harmlose Variante der Begrüßung. Andere kommen gleich in den ,,Bunker" – die ehemaligen feuchten Schutzhaftzellen im Keller. In einer Diplomarbeit von 1997 über das Heim Glückstadt beschreibt ein Betroffener seine Begrüßung im Bunker: eine verschimmelte Matratze, kein Essen, ein Eimer, nichts außer Warten.
Bis zu einen Monat lang (dann natürlich mit Essen) müssen die als Heiminsassen bezeichneten Jugendlichen und jungen Erwachsenen in dem Bunker verbringen. Weil sie zu fliehen versucht oder gegen Schläge mit Lederknüppeln und Totschlägern revoltiert haben. Spätestens seit 1969 ist öffentlich bekannt, dass ein verwundeter 18-Jähriger während dreiwöchiger Bunkerzeit nicht ärztlich versorgt wurde. Und dass ein anderer 18-Jähriger sich am Fenster der Isolierzelle erhängte. ,,Nicht aus Verzweiflung, sondern aus Versehen", heißt es im damaligen Sozialministerium später.
In Hamburg sieht man das anders: Die Jugendbehörde holt alle Hamburger Jugendlichen aus dem Heim. Auch das Landesjugendamt Schleswig-Holstein bringt fortan niemanden mehr dort unter. Dennoch lässt das Sozialministerium das Heim bis Ende 1974 weitermachen, obwohl die Erfolgsquote niedrig ist: 80 Prozent der ,,Heiminsassen" sollen anschließend straffällig geworden sein. Der Bekannteste wird Terrorist: Peter-Jürgen Boock.
Behnck berichtet von anderen, die später ihrem Leben ein Ende setzten. Oder die bei Fluchtversuchen starben: ,,Wir wissen von mindestens zwei Jugendlichen, die dabei erschossen wurden. Ein Dritter ertrank in der Elbe. Das Ziel war klar: Unser Wille sollte mit Isolation, Schlägen und Arbeit gebrochen werden." Für seine Arbeit – sechs Tage pro Woche Fischernetze knüpfen – bekam er nur ein paar Filterzigaretten. Das hat auch sein Vater nicht gewollt: Per Gerichtsbeschluss holt er seinen Sohn 1971 aus dem Heim. ,,Es wird Zeit, dass das Land dieses düstere Kapitel offen legt", sagt der Behnck, der heute in Schwedeneck lebt. Er verlangt Antworten auf Fragen wie: Wie viele Menschen kamen während des Heimaufenthaltes um? Steht den Überlebenden Bezahlung für ihre Arbeit zu? Wurden dafür Rentenversicherungsbeiträge bezahlt? Und stimmt es, dass ein Aufstand im Heim 1969 von der Bundeswehr beendet wurde?

Von Heike Stüben

http://www.kn-online.de/news/archiv/?id=2172691



,,Wer als Fluchtgefährdet galt, musste Anstaltskleidung mit einem roten Winkel tragen, damit ihn bei Flucht jedermann erkennen konnte. Allein das erinnert an schlimme Zeiten": Otto Behnck heute mit Anstaltshemd und 1970 in dem vergitterten Besuchszimmer des Landesfürsorgeheims Glückstadt. Foto JKK/hfr
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Kater

Ergänzung:

ZitatDie Zustände änderten sich erst Ende der sechziger Jahre mit dem Einsetzen der APO-Heimkampagne. Auf Demonstrationen wurde auf die Situation in den Heimen aufmerksam gemacht, Insassen wurde zur Flucht verholfen. Die APO organisierte Unterkünfte in Frankfurt und befreite Jugendliche aus dem Heim Staffelberg in der Kleinstadt Bieden kopf. Ulrike Meinhof und Andreas Baader waren maßgeblich an der Heimkampagne beteiligt. In dem Film »Bambule« schilderte Meinhof erstmals öffentlich die Zustände in den christlichen Heimen.

http://www.jungle-world.com/seiten/2006/25/7988.php

Pinnswin

ZitatLandesfürsorgeheim Glückstadt
von denen durfte ich ne Zeit lang die alten Akten verwalten, schlimm, was da teilweise abging.
Ebenso Selent... etc. alles nachzulesen im LandesarchivSchleswig, soweit man Zugang bekommt.

hier noch ein Aufruf von Glückststadt
http://www.landesfuersorgeheim-glueckstadt.de/
Das Ende Der Welt brach Anno Domini 1420 doch nicht herein.
Obwohl vieles darauf hin deutete, das es kaeme... A. Sapkowski

Martin Mitchell

ZitatOriginal von Pinnswin
[ .......... ]
hier noch ein Aufruf von Glückststadt
http://www.landesfuersorgeheim-glueckstadt.de/

Hier noch ein weiterer Link zur HÖLLE VON GLÜCKSTADT - vorheriges "Arbeitserziehungslager" und dann in der Bundesrepublik Deutschland "Landesfürsorgeheim" Schleswig-Holstein, an der Elbe:

http://www.heimkinder-ueberlebende.org/DIE-HOELLE-VON-GLUECKSTADT_-_vorheriges-Arbeitserziehungslager-und-dann-in-der-Bundesrepublik-Deutschland,-Landesfuersorgeheim-in-Schleswig-Holstein-an-der-Elbe.html

Und dann noch ein Foto, daß, dort, im Landesfürsorgeheim Schleswig Holstein, irgedwann zwischen 1950 und 1974 aufgenommen worden ist:



Ein kleineres Foto, unter vielen, vielen anderen Fotos von Jungen und Mädchen in westdeutschen Heimen (zwischen 1945 und 1985) ist hier zu finden: http://www.heimkinder-ueberlebende.org/Web-Links.html

Not only must justice be done; it must also be seen to be done.
Recht muss nicht nur gesprochen werden, es muss auch wahrnehmbar sein, dass Recht gesprochen wird.
IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND GESCHIEHT VIELFACH BEIDES NICHT.


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