ARD-Anstalten contra jW

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 21:18:46 Do. 17.März 2005

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Wilddieb Stuelpner

Junge Welt: ARD-Anstalten contra jW

18.03.2005 Denis Gabriel

Neun Landesrundfunkanstalten gehen mit juristischen Mitteln gegen junge Welt vor, weil sie angeblich Rechtszustände falsch schildert und zum kollektiven Rechtsbruch auffordert

Das juristische Kesseltreiben gegen die junge Welt geht weiter: Alle neun Landesrundfunkanstalten der ARD, vom Bayerischen Rundfunk bis zum Norddeutschen Rundfunk, haben mit Hilfe des Bayerischen Landgerichts eine einstweilige Verfügung durchgedrückt, in der behauptet wird, die junge Welt würde die Auswirkungen des ab 1. April geltenden Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages »faktisch falsch schildern«. Außerdem stelle die Formulierung »Melden Sie Ihr Fernsehgerät bei der GEZ ab«, mit der gelegentlich die jW-Fernsehkolumne abschließt, »einen rechtswidrigen Boykott-Aufruf dar«. Nach Einschätzung des Anwaltes von junge Welt kostet alleine der bisherige Vorgang etwa 5000 Euro. Falls sich die junge Welt gegen die einstweilige Verfügung wehrt – und unterliegt –, muß sie mit Kosten in Höhe von etwa 10000 Euro rechnen. Bei jeder einzelnen Wiederholung der angeblich falschen Behauptungen der jungen Welt muß diese ab sofort »ein Ordnungsgeld bis zu EUR 50000,–« zahlen. Im Falle der Uneinbringlichkeit droht eine »Ordnungshaft bis zu sechs Monaten ... zu vollziehen am Geschäftsführer«.

Boykott der GEZ?

Geradezu lustig ist die Unterstellung, die junge Welt würde aus eigenen wirtschaftlichen Interessen zu einem Boykott der GEZ aufrufen. Wie der Anwalt der Landesrundfunkanstalten im Schreiben selbst zitiert, sind solche Aufforderungen durch Art. 5 Abs. 11 GG geschützt, wenn sie aus Sorge um politische, wirtschaftliche und soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit erfolgen. Zudem ist sie leicht als satirisches Mittel, als running gag, erkennbar. Und zwar nicht zufällig dort eingesetzt, wo sich der Autor zuvor äußerst besorgt um die politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Kompetenz von Sendungen oder Vorgängen bei den Öffentlich-Rechtlichen Sendern äußert. Im übrigen ist weder der Autor noch die junge Welt ein Gegner des Öffentlich-Rechtlichen Systems und vertritt keineswegs die Position, daß sich dieses künftig nur noch durch Werbeeinnahmen finanzieren sollte. Gerade wegen der Zahlungen an die GEZ können aber auch andere Ansprüche gestellt werden – die regelmäßig nicht erfüllt werden. Dieser Kritik sollten sich die Landesrundfunkanstalten stellen – anstatt die juristische Keule zu schwingen.

Handel bei der GEZ?

Auch der Hintergrund des zweiten Versuches der Einschüchterung einer kritischen und vermeintlich schwachen Tageszeitung ist hochinteressant: Am vergangenen Mittwoch hat in Stuttgart das letzte Landesparlament den neuen Rundfunkänderungsstaatsvertrag bestätigt. Damit wird ab 1. April 2005 nicht nur die Erhöhung der Rundfunkgebühr auf 17,03 Euro gebilligt: Im Paragraphen 8 wird ein neuer Absatz 4 wirksam. Obwohl in der Öffentlichkeit kaum beachtet, hat es diese Änderung in sich.

Die Landesrundfunkanstalten oder von ihr beauftragte Stellen, also etwa die GEZ, dürfen demnach künftig »personenbezogene Daten erheben, verarbeiten oder nutzen«.

Praktisch heißt das: Jetzt darf die GEZ Adressen bei kommerziellen Datenhändlern aufkaufen und für ihre Zwecke nutzen und beispielsweise die Adreßdateien von Beziehern von Fernsehprogrammzeitschriften mit ihren eigenen Daten abgleichen. Allerdings kaufte die GEZ schon vor dieser Gesetzesänderung jährlich mehrere Millionen Adressen hinter dem Rücken der Betroffenen beim kommerziellen Adreßhandel auf. Dagegen haben Datenschutzbeauftragte verschiedener Bundesländer in der Vergangenheit immer wieder protestiert, weil sie dies für rechtswidrig hielten. Anstatt aber auf Kritik und Änderungsvorschläge der Datenschutzbeauftragten einzugehen, haben nun die Länderparlamente den Mißstand einfach behoben – indem sie ihn legalisierten. Dagegen protestierten die Datenschutzbeauftragte verschiedener Länder in einer Erklärung vom 8. November 2004. Sie kritisieren vor allem, daß die Rundfunkanstalten und die GEZ nun »personenbezogene Daten unter den gleichen Bedingungen verarbeiten dürfen wie privatwirtschaftliche Unternehmen. Die vorgesehene Befugnis ist mit datenschutzrechtlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren.« Denn »die Datenverarbeitung der im Wettbewerb stehenden Privatwirtschaft (ist) vom Prinzip der Vertragsfreiheit geprägt«, heißt es dort weiter. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 27. Januar 2005 beschreibt in einem Beitrag zum Thema, daß selbst die Datenschutzbeauftragen der Sender den immensen juristischen Handlungsspielraum kritisierten, der ab dem 1. April 2005 mit der Gesetzesänderung entsteht: »Der neue Abschnitt im Staatsvertrag veschweigt nämlich, in welchem Umfang die GEZ Adressen aufkaufen darf. Und auch, was nach der Auswertung mit den Adressen passiert. In letzter Konsequenz wäre sogar ein Weiterverkauf der Kundendaten möglich«, schreibt die FAZ. Zuvor schrieb sie in ihrem Beitrag vom Handel der GEZ mit Adreßhändlern.

Das werden die neun Rundfunkanstalten zwar auch gelesen haben, sie gehen aber gegen den Artikel der jungen Welt vom 27. Januar vor, in dem es zusammenfassend heißt: »Der neue Rundfunkstaatsvertrag weist der GEZ den Status einer Ermittlungsbehörde und eines Datenhändlers zu.« Weiter heíßt es, daß der kommerzielle Aufkauf von Adreßdatenbanken möglich sei, und in diesem Zusammenhang wird auch behauptet, daß die GEZ ihre Daten auch weiterverkaufen dürfe. Wer wie die Privatwirtschaft Daten kaufen und nutzen darf, kann (insofern er dieses Recht mitgekauft hat), diese Daten auch weiterveräußern. Es ist einer der Fehler der Gesetzesänderung, dies nicht eindeutig ausgeschlossen zu haben (wenn man davon absieht, daß die gesamte Änderung ein Fehler war).

Wiederverkauf möglich?

Die Landesrundfunkanstalten machen aber was anderes daraus: In einem gestern eingegangenen Schreiben fordern sie von der jungen Welt eine Richtigstellung. Die Gesetzesänderung sehe nicht die Befugnis vor, die Daten der GEZ an dritte Abnehmer zu veräußern oder in sonstiger Weise zugänglich zu machen. Auch mit der Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages verbleibt es bei der Regelung, daß personenbezogene Daten nur für die im Rahmen des Rundfunkgebühreneinzugs obliegenden Aufgaben verarbeitet und genutzt werden dürfen. So soll es die jW richtigstellen.

Unstrittig ist, daß die GEZ ihre eigenen Daten nicht weiterveräußern darf. Datensätze, die aber auf dem freien Markt eingekauft wurden, können – wenn das mit dem Verkäufer so vereinbart ist – auch für den Wiederverkauf genutzt werden. Zumindest ist diese Möglichkeit im neuen Vertrag nicht ausgeschlossen worden. Mit dieser Kritik steht die junge Welt nicht alleine da. Doch diese Nuß ist wohl am einfachsten zu knacken, glauben offensichtlich die Landesrundfunkanstalten. Aber da mußten sich gerade in letzter Zeit schon andere eines Besseren belehren lassen.

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