Krise lässt Krankheiten nach Europa zurückkehren

Begonnen von Eivisskat, 08:15:28 Mi. 27.März 2013

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Eivisskat

Zitat
Forscher haben die Auswirkungen der Sparpolitik in Europa auf die Gesundheit untersucht. Ihre Ergebnisse sind teils erschreckend: Als verdrängt geltende Krankheiten wie Malaria brechen wieder aus.

Harte Sparmaßnahmen infolge von Finanzkrise und hoher Staatsschulden haben in Europa die Zahl der Selbstmorde steigen und Krankheiten zurückkehren lassen, die als verdrängt galten.

"Sparmaßnahmen haben die wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst und sie haben große Gesundheitsprobleme entstehen lassen", bilanziert Martin McKee, Professor für Europäische Öffentliche Gesundheit an der Londoner Schule für Hygiene und Tropenmedizin in der Fachzeitung "Lancet" jüngste Studien zu dem Thema.


http://www.abendblatt.de/wirtschaft/article114799853/Krise-laesst-Krankheiten-nach-Europa-zurueckkehren.html


Kuddel

Hätte man eigentlich von selbst drauf kommen können.
Wenn die politischen Verhältnisse sich in einen Neofeudalismus wandeln, die weihrauchschwenkenden Popen wieder eine zentrale Rolle im öffentlichen Raum einnehmen, dann können sich auch alle anderen Bedingungen zurück in Richtung Mittelalter bewegen...



Kuddel

Die Medikamente sind zu teuer, der Arzt zu weit weg: Viele Europäer können sich in der Finanzkrise ihre Gesundheit nicht mehr leisten. Mit drastischen Worten machen Mediziner auf manchmal tödliche Folgen aufmerksam und fordern politische Konsequenzen.

Die Finanzkrise in Europa tötet Menschen. Das ist die Botschaft einer aktuellen Analyse von Gesundheitsexperten, die die Auswirkungen der drastischen Sparpolitik in einigen Ländern der Europäischen Union untersucht haben. Vor allem in Griechenland, Spanien und Portugal geht es den Menschen der Studie zufolge schlecht: Kranke müssen pro Arztbesuch plötzlich mehr zahlen, sie bekommen weniger finanzielle Unterstützung für Medikamente, Krankenhäuser schließen und immer mehr Menschen leiden unter Depressionen. Andere Staaten hingegen haben ihre Einwohner offenbar vor einer Verschlechterung der Gesundheitsversorgung bewahren können.

Die Autoren des Gutachtens, das jetzt in einem Dossier des renommierten Medizinjournals "The Lancet" erschienen ist, erheben schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen: "Die wichtigste Botschaft unserer Untersuchung ist, dass die Regierungen in Europa und die Europäische Kommission die Auswirkungen auf die Gesundheit nicht berücksichtigt haben", sagte der Mediziner Martin McKee, einer der Hauptautoren, in einer Pressekonferenz. Das von Politikern vorgeschobene Argument, die erhobenen Daten seien unzureichend, erinnere ihn "schon fast an die Tabakindustrie."
...
"Die Stimme der Gesundheit ist wesentlich schwächer als die aus der Finanzwelt", sagt McKee. "In einigen Ländern, besonders in Griechenland, haben wir unverblümtes Leugnen beobachten können."
...
Länder wie Griechenland, Dänemark, Portugal und Lettland beispielsweise haben den Hebel vor allem bei Verhandlungen mit der Pharmaindustrie und bei den Krankenhäusern angesetzt. Zusätzlich wurden etwa in Zypern, Griechenland, Portugal und Irland die Gehälter von Beschäftigten im medizinischen Sektor reduziert. Häufig wurde die Bevölkerung stärker an direkten Gesundheitskosten etwa beim Arztbesuch oder in der Nothilfe beteiligt.

Das internationale Forscherteam bezeichnet Europa als "natürliches Labor für Gesundheit und Gesundheitspolitik"...

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/gesundheit-in-europa-wirtschaftskrise-toetet-menschen-a-891203.html


Eivisskat

Es iwrd inzwischen wirklich ALLES zerschlagen, was die Menschen sich über die Jahrzehnte sorgfältig und mühsam aufgebaut haben.

Im Gesundheitssektor scheint mir das am Allerschlimmsten und es ist absolut nicht mehr hinnehmbar, dass das immer so weiter gehen soll.

Ich weiss ja nicht, ob die Ärzte, die sich in dem Magazin/dem Gutachten beklagen, vielleicht mehr Einfluß als 100.000de von Protestierenden auf die Regierungen haben, um all diese schlimmen Konsequenzen abzuwehren und rückgängig zu machen.

Wir wollen es hoffen, allerdings sind es ja häufig genau auch diese Ärzte, die eben diese Regierung/en wählten, die dies alles verursacht haben.

Vielleicht fällt jetzt der Groschen  ???

Kuddel

Der Kapitalismus hinterläßt eine immer breitere Schneise der Verwüstung.
Während sich alles schnell "abbauen" oder auf andere Art zerstören läßt, dauert es Jahrzehnte, bis wieder funktionierende Strukturen aus den Trümmern entstehen können.

Die "Befreiung" des Iraks hat die Bevölkerung um viele Jahrzehnte zurückgeworfen. Jetzt bomben "die Freunde Syriens" mit den Waffenlieferungen des Westens die Menschen, die noch nicht geflüchtet sind, zurück ins Mittelalter.

Innerhalb Europas braucht es zur Zeit noch keine Bomben, die Angriffe auf die Errungenschaften der Gesellschaften (Gesundheitssystem, Renten, Sozialstaat) durchzusetzen. Die Wirtschaftslobby macht die Vorgaben, die Politik setzt es um und die Medien hämmern es in die Köpfe als notwendig und alternativlos.

P.S.: Die behämmerten Spiegeljournalisten lassen ja in oben zitiertem Artikel tief blicken:
ZitatDennoch sind einige Thesen der Mediziner steil - und umstritten: So wird beispielsweise Island als leuchtendes Beispiel genannt, weil sich die wirtschaftlichen Entscheidungen des Landes im Rahmen der Bankenkrise nicht negativ auf die Gesundheit der Menschen ausgewirkt habe. Island hatte Banken, die 2008 überschuldet vor dem Konkurs standen, nicht gerettet sondern liquidiert.
Das was der gesunde Menschenverstand sagt, bezeichnen sie als "steil - und umstritten". :rolleyes:

Troll

ZitatHow Austerity Kills

Countries that slashed health and social protection budgets, like Greece, Italy and Spain, have seen starkly worse health outcomes than nations like Germany, Iceland and Sweden, which maintained their social safety nets and opted for stimulus over austerity. (Germany preaches the virtues of austerity — for others.) As scholars of public health and political economy, we have watched aghast as politicians endlessly debate debts and deficits with little regard for the human costs of their decisions. Over the past decade, we mined huge data sets from across the globe to understand how economic shocks — from the Great Depression to the end of the Soviet Union to the Asian financial crisis to the Great Recession — affect our health. What we've found is that people do not inevitably get sick or die because the economy has faltered. Fiscal policy, it turns out, can be a matter of life or death. – At one extreme is Greece, which is in the middle of a public health disaster. The national health budget has been cut by 40 percent since 2008, partly to meet deficit-reduction targets set by the so-called troika — the International Monetary Fund, the European Commission and the European Central Bank — as part of a 2010 austerity package. Some 35,000 doctors, nurses and other health workers have lost their jobs. Hospital admissions have soared after Greeks avoided getting routine and preventive treatment because of long wait times and rising drug costs. Infant mortality rose by 40 percent. New H.I.V. infections more than doubled, a result of rising intravenous drug use — as the budget for needle-exchange programs was cut. After mosquito-spraying programs were slashed in southern Greece, malaria cases were reported in significant numbers for the first time since the early 1970s.
Quelle: NYT

Anmerkung Orlando Pascheit: Der Artikel soll auf das Buch der Autoren "The Body Economic: Why Austerity Kills" aufmerksam machen, das hoffentlich bald in das Deutsche übersetzt wird. Der Arzt Sanjay Basu und der Gesundheitsökonom David Stuckler beziehen sich auf viele Studien und Daten, die bis in die "Große Depression" zurückreichen und nicht nur Griechenland oder Italien, sondern auch die Situation nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erfassen. In ihren dargebotenen Zahlen zeigen sie auf, dass Krisen nicht nur an sich krankheitsfördernd sind, sondern dass die Antwort, Austeritätsprogramme, in vielen Ländern und in unterschiedlichem historischem Kontext Arbeitslosigkeit, Selbstmorde, Infektionen, chronische Krankheiten und Depressionen ansteigen lassen. So weisen sie z. B. nach, dass in Griechenland stressbedingte Erkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes seit 2008 ständig angestiegen sind: "Recessions can hurt. But Austerity kills." Sie schließen daraus, dass der Gesundheitsetat in den Krisenländern angehoben werden müsste. So stärkte Franklin D. Roosevelts im Rahmen seines "New Deal" die öffentliche Gesundheitsfürsorge. Als Folge reduzierte sich die Zahl der Totgeburten, die Todesfälle durch Pneumonie und die Zahl der Selbstmorde. Sie begegnen den als ökonomisch alternativlos geltenden Austeritätsrezepten mit dem Nachweis ökonomischer Langzeitschäden. Sie zeigen, wie z.B. in den die baltischen Staaten (auch in Lettland als neuestem Mitglied der Währungsunion) nach einer radikalen 'Schocktherapie' die Lebenserwartung absank, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Selbstmordrate dramatisch anstiegen. Während Länder wie Polen und Slowenien die Krisen der Transformation pragmatisch moderierten und sehr viel "gesünder" blieben. ,,Es ist keine unabänderliche Konsequenz, dass sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung nach wirtschaftlichen Rezessionen verschlechtern muss. Es ist eine politische Entscheidung" folgern sie. – Die Frage ist, so zynisch das klingen mag, ob die neoliberalen Nutzenmaximierer nicht sogar insgeheim wollen, dass die Schwachen aussortiert werden. Vielleicht sollte man die an sich zutreffende Aussage: ,,Wäre Austeritätspolitik ein Medikament, das in klinischen Studien getestet würde, hätte man es aufgrund seiner tödlichen Nebenwirkungen schon längst aus dem Verkehr gezogen" in diesem Lichte sehen. – Siehe auch
das Interview mit den Autoren auf Democracy Now! (video)

Quelle: NDS
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

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