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Wat Noch => Theoriebereich => Thema gestartet von: Powerlusche am 18:57:10 So. 06.August 2006

Titel: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Powerlusche am 18:57:10 So. 06.August 2006
Was antwortet man solchen depppen der nation eigentlich ohne sie zu beleidugen: hier ein auszug aus einem anderen forum:


Ja sry leute aber ich hab 3 wochen nur stress und bin froh mal wieder an den pc zu kommen....wer 16-20h am tag, 7 tage die woche arbeitet...von dem kann man nich erwarten in ein spiel reinzuschauen oder? denke das versteht jeder....daher hab ich damals auch shcnibble mein main pw gegeben für notfälle.

@die die meinen meckern zu müssen: will euch mal sehen wenn ihr 16-20h am tag arbeitet dann noch ins spiel geht obwohl ihr platt wie nichts gutes seid weil ihr den ganzen tag aufm stapler sitzt und mehre mille tonnen am tag kutschiert und dabei voll konzentriert sein müsst weil sonst wegen einem ausrutscher mal eben 2 mille schaden entstehen kann. Also erstmal die andere seite hören. oder machts wie pani, icq antippseln. ich versuch übers handy das abzurufen geht aber nich immer. also erst eventuelle möglichkeiten in betracht ziehen wink

btw. wäre nen Dauersitterauftrag nich schlecht. Auf unbestimmt zeit da ich nicht eiß wie lang die aktionen noch gehen.

Danke


meine antwort;

sorry wer solange am tag arbeitet ist imho nicht ganz dicht ,nicht persönlich nehmen ich arbeite genau 8 stunden pro tag und hab noch ca 2 h an und abfahrtzeit, mehr werde ich bestimmt nie arbeiten,schrubb mir doch nicht mein leben für jemand anderes völlig kaputt
Wahrscheinlich ackerste auch noch fürn scheiss stundenlohn unterhalb jeglicher tariflöhne, also ich würd da jeden tag mindestens eine palette im wert von xxxx euro zerdeppern, solange die einen wie die sklaven treiben.


seine antwort

Das hat damit nichts zutun. Ich bin im Übergang zur festanstellung und ich will mich eben gut hinstellen. Es ist urlaubszeit. Was dazu führt das weniger leute da sind. Die überstunden bekomme ich Voll ausbezahlt. Übertariflich. Und mein Geldeingang ist mehr als Übertariflich.

meine antwort:

ist trotzdem wahnsinn solange zu arbeiten und ich wette ein jahresgehalt das du wenn es wieder normal läuft nen tritt in den allerwertetseten bekommst und du die ganzen stunden ohne wirkung geleistet hast.
wenn di9e so knapp mit leuten sind sollten die welche einstellen und nicht die bestehende mannschaft zu 200% leistung peitschen mit fadenscheinigen zusagen die bestimmt alle zur sicherheit nur mündlich gemacht wurde

sein heldenhafter freund:

mal ehrlich - das ist sein problem - nicht deins....
du hast sicher auch schonmal mehr als 8 stunden gearbeitet!

....btw - je nachdem was man tut kann sowas vorkommen - mein längster arbeitstag war mal 23,5 stunden (ohne an und abfahrt)
es war zwar nur ein studentenjob - ich würd's aber dennoch nochmal machen... schliesslich wenn man mal was braucht kann man dort immer wieder anklopfen!

solche unnützen diskussion gehören nicht mal in den spam...also bitte


meine antwort:

nja ich bin halt keine arbeitsameise(und hab auch nicht vor eine zu werden) und wer sowas auch noch freiwillig macht leistet nur unterstützung dazu das es immer wieder so gemacht wird.
im elektrobereich wird max 10 h am stück gearbeitet alles was länger macht kannste am nächsten morgen nämlich wieder rausreissen.
werd euch helden der arbeit bestimmt nicht mehr mit sowas wie eine "unnütze"diskussion darüber belästigen.


unser held der arbeit wieder:

....faul sterben kann jeder. Und leute einstellen geth nicht weil die nur aufhalten würden weil die die materie nicht kennen. Das ist ein spezialbetrieb für Logistik. Und einmalig in deutschland. Dafür gibts keine leute.


ende der diskussion.


meine abschliessende antwort:

Ja,Ja Arbeit macht frei......





könnte kotzen wenn ich sowas lesen muss, btw welche firma in bremen könnte damit gemaint sein?
Titel: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Ziggy am 20:04:57 So. 06.August 2006
Mittlerweile alle gehirnerweicht, diese Deppen!

Habe in meinem Betrieb auch immer wieder mit "übermotivierten" Leihkeulen zu tun, die "freiwillig" immer 120 Prozent produzieren, ohne jede Not ...

Kürzlich folgender Schichtende-Dialog zwischen Schichtleiter und mir:

Er: "Hat man dich schon angesprochen wegen neuer Leistungsvorgaben?"

Ich: "Ne, um was geht's?"

Er: "Na ja, wir müssen künftig auch von den Leiharbeitern mehr verlangen, 100 Prozent reichen nicht mehr, 120 sollte schon jeder bringen ..."

Ich: "Gut, dann wünsche ich euch viel Spaß, ich bringe auch künftig nicht mehr, das kannst du deinen Sklaventreibern bestellen. Wenn sie mehr wollen, sollen sie Leute einstellen, und basta. Mich könnt ihr alle am Arsch lecken. Wenn's euch nicht passt, könnt ihr meinen Chef anrufen und euch bei dem beschweren, ihr tut mir einen Gefallen damit, glaub mir ..."

Gesprächsende.

Leider haben sich viele Kollegen einschüchtern lassen. Die Bosse lachen sich tot über uns. Ehrlich, mein Problem sind nicht die Stammis, sondern hosenvollscheißende LA, die für 7 € und weniger vollen Akkord schieben und dabei MEHR leisten als die Stammis, denen das natürlich auch nicht hilft. Das Perverse dabei: Wenn sich ein LA mal darauf eingelassen hat, und dann plötzlich mal leistungsmäßig einbricht (bei der Juli-Bullenhitze zum Beispiel), bekommt er ein Gespräch reingedrückt ...

Ich lass mir keine Angst machen und hab meine Ruhe. Wer sich EINMAL einschüchtern lässt, bei dem versuchen sie's immer wieder!

Grüße, Ziggy
Titel: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: uwenutz am 22:04:15 Mi. 16.August 2006
Bei Ziggys Bericht fällt mir mein altes Schulfach europäische Geschichte,
19. Jahrhundert, wieder ein. Seinerzeit wurde das Thema:
Manchesterkapitalismus und seine historische bedingte Überwindung
behandelt. Damalige Erklärung und für mich durchaus auch plausible
Beantwortung hieß: aufgrund des verstärkten
Demokratisierungsprozesses einerseits und der allgemein verbesserten
Lebensumstände, die durch eine verdichteten Automation andererseits
entstanden ist, sorgten dafür, den Frühkapitalismus und seine
Folgeerscheinungen zu beendigen. Tja, wie kann man sich nur so
irren, scheint in der Natur der Sache, rein kapitalistisch betrachtet, zu
liegen Irrungen als gottgegeben hinzunehmen. Denn in bester Tradition
sozusagen lag schon Godfather Adam Smith (für mich zumindest) mit
seiner volkswirtschaftliche Betrachtungsweise, der so hoch
geschätzten "unsichtbaren Hand" völlig daneben, wenn er vermeint,
daß eine Vereinbarkeit, ja Untrennbarkeit, des Eigeninteresses der
Einzelnen und des Gemeinwohls vorhanden sei und als Gesetz zu sehen
ist, allein die Monopolstruktur heutiger Konzerne und ihr Handeln
widerlegt Adam Smith, trotz der von ihm zumindest zuerkennenden
Gefahrensichtweise, dennoch.
Titel: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Regenwurm am 10:14:56 Do. 17.August 2006
Sklaven sollen dienen - "geh arbeiten"

Link (http://www.thur.de/philo/ina/ina21.htm)
Titel: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Rexton am 11:46:20 Fr. 18.August 2006
Einsatz, Engagement und Loyalität zum Arbeitgeber zählen gar nichts! Wenn nun der Vorstand beschließt das zur Maximierung von Gewinn und Börsenkurs am Personal gespart werden soll, dann wird am Personal gespart!

Wer sich nun bewußt auch noch Tot macht für die Villa des Vorstand ist selber Schuld!

Magnus Gerlach
Titel: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: leibeigner am 21:23:29 Di. 05.September 2006
Es giebt schon einen haufen irre in der welt.
Im juli bin ich mit dem pkw an einer straßen teerenden truppe von bauarbeitern vorbeigegefahren,mußte halte und meine der brütenden hitze wegen:" Schon eine scheiß arbeit was "
Alle bis auf einen verdrehten die augen und der eine meinte das die arbeit ja besser wäre wie gar keine.
Na prost mahlzeit bei 37 grad straßen teeren und dabei freudvoll von:"besser wie gar keine arbeit"-reden zeugt schon von reger hirntätigkeit.
Zu zonenzeiten hätte da keiner einen handschlag gemacht,da galt hitzefrei!Natürlich selbstverordnet.
Ich hab meine klimaanlage gemaxt und besser an die zeiten gedacht wo arbeiten noch spaß gemacht hat.
Da ich mich nur selbst ausbeute nehm ich an solchen tagen frei,der kreislauf dankt es!
Titel: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: uwenutz am 22:27:21 Di. 05.September 2006
So wie es Leibeigener@ beschrieben hat und das
gilt vermehrt für eine Vielzahl deutscher Jobs in heutiger Zeit,
diese fallen von Jahr zu Jahr primitiver aus, ist Bildung, Wissen,
Kreativität, Know How absolut kontraproduktiv, Pisastudien
dienen den europäischen "Vergleichs-Eliten" da mehr einer
olympischen Alibiveranstaltung.
Titel: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: muffpuddi am 17:40:46 Fr. 29.September 2006
ZitatOriginal von regenwurm
Sklaven sollen dienen - "geh arbeiten"

Link (http://www.thur.de/philo/ina/ina21.htm)

"Eigenes Tun schafft Selbstvertrauen und Selbstzufriedenheit".

Stimmt. Solange ich BOCK habe mir meine Hosen selberzunähen.
Nähen ist ein Hobby, sich runtermachen lassen, in einer unbelüfteten Kaschemme arbeiten und noch bei der Lohnabrechnung bescheissen lassen nicht  X(

mp, noch minijobberin
Titel: Re:Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 11:47:23 Sa. 01.Mai 2010
ZitatDie Arbeit nieder!

Plädoyer gegen eine Verherrlichung von Arbeit und für das Recht auf Faulheit - Von Stephan Grigat


Arbeit macht krank, Arbeit schändet, Arbeit ist Mühsal und macht hässlich. Karl Marx wusste das und hat allen Kritikern gesellschaftlicher Elendsproduktion ins Stammbuch geschrieben: "Das Reich der Freiheit beginnt erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört." Die sich merkwürdigerweise immer wieder auf Marx berufende Arbeiterbewegung hat die Vernutzung der Arbeitskräfte zum Zwecke der Verwertung des Kapitals hingegen zur anbetungswürdigen Selbstverwirklichung geadelt. Das proletarische Schaffen sei gut, und der eigentliche Skandal des Kapitalismus bestünde darin, nicht jedem Menschen einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

Ob Sozialdemokraten oder Bolschewisten, ob christliche Soziallehre oder faschistischer Produktivitätswahn, ob Leninisten oder Strache-Fans - sie alle konnten und können sich für die elende Parole "Die Arbeit hoch!" begeistern. Anstatt sich an Paul Lafargue, den Schwiegersohn von Marx, zu erinnern, der das "Recht auf Faulheit" hochhielt, soll es ein "Recht auf Arbeit" sein, für das am 1. Mai gestritten wird.

Gegen Arbeitsfanatiker

Hitler proklamierte in Mein Kampf "den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird". Wie ernst er das gemeint hatte, konnte man später über den Toren der Vernichtungslager nachlesen. Die Linke hingegen polemisierte gegen die schmarotzenden Müßiggänger und wünschte sich "Arbeiter- und Bauernstaaten", anstatt die Menschen vom elenden Dasein als Arbeiter zu befreien.

Der Arbeitsfanatismus von links bis rechts sieht die ehrliche Arbeit um ihren gerechten Lohn betrogen, sei es durch die "Zinsknechtschaft" oder durch die keineswegs nur von der Antiglobalisierungsbewegung so inbrünstig gehassten "Spekulanten". Die Agitation geht gegen "die da oben", gegen die "Bonzen und Parasiten", die lieber konspirieren als eben durch anständige Arbeit selbst etwas zum Volkswohlstand beizutragen.

Der Hass auf das unterstellte oder tatsächliche arbeitslose Einkommen ist nicht nur eine falsche, sondern angesichts seiner Ressentimenthaftigkeit und seiner Verherrlichung des Staates eine äußerst gefährliche Antwort auf gesellschaftliche Krisenerscheinungen und ungleiche Reichtumsverteilung. Der in jedem arbeitsfetischistischen 1.-Mai-Aufruf artikulierte Sozialneid ist das exakte Gegenteil von dringend notwendiger Sozialkritik.

Das zynische Achselzucken des Liberalismus, der angesichts der schlechten Einrichtung der Welt erklärt, die Menschen seien nun einmal so, und der über seine eigenen Konstitutionsbedingungen nichts wissen will, ist aber nicht viel besser als das linke Geraunze. Gegen liberale Konkurrenzverherrlichung und linken Staatsfetischismus ginge es um eine Kritik der Arbeit, die weder mit dem traditionellen Marxismus noch mit alternativen Verzichtsideologien etwas zu tun hat. Ihr geht es nicht um eine gleichmäßige Verteilung des Elends, sondern um seine globale Abschaffung. Sie will nicht Konsumverzicht, sondern Luxus für alle. Solch eine Kritik skandalisiert, dass Luxus und Genuss den meisten Menschen vorenthalten werden, obwohl das angesichts der weit entwickelten menschlichen und gesellschaftlichen Fähigkeiten nicht notwendig wäre.

Für diese Vorenthaltung bedarf es nicht des bösen Willens von "Heuschrecken", wie die Charaktermasken des Finanzkapitals, welche die vermeintliche Würde der Arbeit beschmutzen würden, in zahlreichen Reden am 1. Mai in sehr eindeutiger Tradition wieder tituliert werden dürften, sondern allein der Logik eines Systems, das sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern der Verwertbarkeit des Kapitals orientiert.

Freiheit des Individuums


Eine Kritik der Arbeit richtet sich nicht gegen das Glücksversprechen der Bürger, sondern versucht, seinen ideologischen Gehalt aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass dieses Versprechen in der bürgerlichen Gesellschaft kaum eingelöst werden kann. Solcherart Gesellschaftskritik will keinen falschen Kollektivismus oder gar Gemeinschaftssinn, sondern die verwirklichte Freiheit des Individuums, das sich über seine gesellschaftliche Konstitution bewusst ist.

Dementsprechend verachtet solch eine Kritik die Parole "Die Arbeit hoch!" und setzt dagegen die Vorstellung Theodor W. Adornos von einem befreiten gesellschaftlichen Zustand: "auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen", was übrigens auch eine schöne Alternative zu den drögen Gewerkschaftsaufmärschen oder der Klassenkampfsimulation linker Splittergruppen am 1. Mai ist.

Zur Person: Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Uni Wien und Autor von "Fetisch und Freiheit" (ça ira Verlag, 2007). Im Mai erscheint der von ihm mitherausgegebene Band "Iran im Weltsystem" im Studienverlag.
(Stephan Grigat, DER STANDARD, Printausgabe, 30.4.2010)
Titel: Re:Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 09:10:31 Do. 21.Dezember 2017
Geschfreak hat an anderer Stelle einen Text gepostet, der mir so gut gefallen hat, daß ich ihn auch hier einkopiere:

ZitatFetisch Arbeit

,,Die ,Arbeit' ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit." Karl Marx

Alle fordern Arbeit, Arbeit, Arbeit! Manche fordern eine bedarfsorientierte Grundsicherung, andere ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber niemand durchleuchtet die Hintergründe der menschenverachtenden, absurden Verhältnisse, die heute in der Arbeitswelt herrschen. War es nicht ein uralter Menschheitstraum weniger arbeiten zu müssen, um endlich Zeit für's ,,eigentliche Leben" zu haben? Nicht das fürs Überleben notwendige Arbeiten sollte doch im Mittelpunkt stehen, sondern alles jenseits der blossen Bedürfnisbefriedigung: Die Musse, die Kunst, das Spiel, die Philosophie, alles, was das eigentlich Menschliche ausmacht. Heute wäre es endlich möglich, diesen Traum zu verwirklichen.
ZitatArbeit – so heisst die Tätigkeit der Sklaven

Ein Blick ins etymologische Wörterbuch und in Bücher, die die Geschichte der Arbeit aufzeigen, genügt, um unser sklavisches Verhältnis zur Arbeit besser zu verstehen.

Der Begriff ,,Arbeit" hängt mit einem germanischen Verb zusammen, das ,,verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein" bedeutet; noch im Mittelhochdeutschen meint es ,,Mühsal", ,,Plage", ,,unwürdige Tätigkeit". Dem englischen ,,labour" liegt das lateinische ,,labor" zugrunde: ,,Leid", ,,Mühsal", ,,Anstrengung". Das französische ,,travailler" und das spanische ,,trabajo" leiten sich aus dem lateinischen ,,tripalium" ab: eine Art Joch, das zur Folter und Bestrafung von Sklaven und anderen Unfreien eingesetzt wurde. Auch das russische ,,robota" kommt aus dem altslawischen ,,rob", das ,,Sklave", ,,Knecht" heisst.

,,Die Moral der Arbeit ist eine Sklavenmoral, und in der modernen Welt bedarf es keiner Sklaverei mehr", sagte der englische Wissenschaftler und Nobelpreisträger Bertrand Russel.

Bis zur Antike gab es den Begriff ,,Arbeit" überhaupt nicht. Das Wort ,,Arbeit" entstand erst als Bezeichnung einer fremdbestimmten Tätigkeit unter Aufsicht und Befehl von anderen Personen.
ZitatAlle wollen den Kapitalismus gerechter, humaner und ökologischer machen, aber in Frage stellt ihn niemand! Niemand hinterfragt die mörderische Warenlogik, die den Kapitalismus ausmacht. Im Kapitalismus ist es oberstes Prinzip, Profit zu machen, also Geld zu vermehren, (Mehr-)Wert zu schaffen.
...
Für die meisten Menschen ist eine selbstbestimmte Produktion und Verteilung von Gütern ohne Tausch und ohne Zwang undenkbar. Woher rührt bloss die panische Angst, über die todbringende Logik des kapitalistischen Systems hinauszudenken?

Die Forderung nach Solidarität und Mitgefühl kann heute nur noch heissen: Angriff auf die Herrschaft der heutigen Form von Arbeit und Ökonomie. Auch mit einem Grundeinkommen würde die mörderische Warenlogik nicht durchbrochen werden, weil das Geld, das verteilt wird, nicht einfach gedruckt werden kann. Es muss unter kapitalistischen Bedingungen erwirtschaftet werden. Diese Bedingungen bedeuten aber längst nur mehr eine Abwärtsspirale, die nichts und niemand mehr aufhalten kann. Kapitalismus kennt nur mehr den irrationalen Selbstzweck, bis ans Ende aller Zeiten aus Geld mehr Geld zu machen. Innerhalb des Kapitalismus ist keine emanzipatorische Perspektive mehr möglich. Er ist an seine eigenen Grenzen gestossen.
ZitatFussfesseln für Arbeitslose: irrwitzig, aber logisch

Was hat es mit der Forderung des hessischen Justizministers Christean Wagner (CDU) nach Fussfesseln für Arbeitslose auf sich? Ende April 2005 verbreitete er die Idee, auch therapierten Suchtkranken und Langzeitarbeitslosen als wohlwollende ,,Hilfe zur Selbsthilfe" elektronische Fussfesseln zu verpassen.
...
Seit einigen Jahren aber wird dieser Status immer brüchiger. Insbesondere Langzeitarbeitslosen wird die Berechtigung als vollwertiges Subjekt zunehmend abgesprochen.
...
In der Logik kapitalistischer Verwaltung von Nicht-Subjekten machen die Fussfesseln also durchaus auch für Langzeitarbeitslose Sinn.
ZitatPositives Denken – vom Esoterik-Glaubenssatz zum selbstverordneten Gleitmittel

In einer Welt, die immer mehr an ihren Widersprüchen zugrunde geht, in der der Schein längst mehr zählt als alles andere, ist Positives Denken das wirksamste Mittel zur Anpassung. Früher wurden Sklaven brachial zur Arbeit gezwungen, heute ist jeder sein eigener Sklaventreiber – ganz positiv gestimmt. In den letzten 25 Jahren hat es die Esoterik-Bewegung vorgebetet: mittels völlig verquerer Denkkapriolen die unmenschlichen Verhältnisse schön zu phantasieren. Positiv, ganzheitlich und spirituell lauten die Zauberwörter, die nun die für die Lohndienenden oft unerträglichen Zustände in der immer härter werdenden Arbeitswelt heilen sollen.

Sehr treffend.

Hier der komplette Text: http://www.untergrund-bl (http://www.untergrund-bl)ättle.ch/gesellschaft/fetisch_arbeit_4458.html
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Nao am 09:06:37 Fr. 19.April 2019
Zitat72 Stunden pro Woche zu arbeiten ist ein Segen, sagt Alibaba-Gründer Jack Ma

Arbeiten bis zum Umfallen: 72-Stunden Wochen findet Jack Ma, Gründer des chinesischen E-Commerce Riesen Alibaba, gar nicht schlecht. Im Gegenteil: Die in der chinesischen Tech-Branche übliche Arbeitszeit sei ein ,,großer Segen für junge Unternehmen". Inzwischen regt sich jedoch öffentlicher Widerstand gegen diese Arbeitskultur, berichtet ,,t3n".
https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/alibaba-chef-jack-ma-karriere-nur-bei-72-stunden-arbeit-pro-woche-a-1263291.html
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 10:11:03 Mi. 12.Juni 2019
Es gibt Grund zur Hoffnung:

ZitatNach der Generation Z verlieren auch Millennials die Lust am Arbeiten

...Die nach 1995 geborenen jungen Arbeitnehmer und Hochschulabsolventen erobern aktuell den Arbeitsmarkt und bringen eine lange Wunschliste mit. Ihr Tenor: Viel bekommen – doch nicht zu viel leisten müssen.

Viele Personaler freuten sich angesichts dieser Perspektive, noch schnell neue Mitarbeiter aus der ,,Vorgängergeneration" eingestellt zu haben. Die Generation Y, auch als Millennials bekannt, gilt nämlich als strebsam und arbeitswillig. Wer zwischen 1981 und 1995 geboren wurde, ist gerne rund um die Uhr erreichbar und belastbar.
...
Die nach 1995 geborenen jungen Arbeitnehmer und Hochschulabsolventen erobern aktuell den Arbeitsmarkt und bringen eine lange Wunschliste mit. Ihr Tenor: Viel bekommen – doch nicht zu viel leisten müssen.

Doch nach der Generation Z wird jetzt auch die Generation Y zum Sorgenkind in vielen Unternehmen – die Millennials verlieren offenbar die Lust am Job.

Jetzt also die Kehrtwende, die eine neue Studie liefert – denn sie will ausgerechnet den entscheidenden Motivationsfaktor der Millennials entkräften.

Die Millennials wollen mehr Geld um jeden Preis.

(https://abload.de/img/dwo-wi-millennials-si56j3i.jpg) (https://abload.de/image.php?img=dwo-wi-millennials-si56j3i.jpg)

(https://abload.de/img/dwo-wi-millennials-en0oj82.jpg) (https://abload.de/image.php?img=dwo-wi-millennials-en0oj82.jpg)
https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/article194914883/Nach-Generation-Z-Nun-verlieren-auch-Millennials-Lust-am-Arbeiten.html?utm_source=pocket-newtab

Jeweils unterhalb der Nullinie. Vorbildlich!
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 12:12:46 Fr. 31.Januar 2020
ZitatDas neoliberale Aktivierungs- und Arbeitszwangregime der EU-Kommission
Willkommen im Arbeitslager!

Bereits bei ihrer Gründung 1993 weist die EU steigende Erwerbslosenzahlen auf. Auch wenn die Union in der Sozialpolitik keine Regelungskompetenz hat, so war doch im Laufe der Jahre in vielen Staaten eine ähnliche Entwicklung festzustellen.


Statt den Staat in die Verantwortung für die ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen zu nehmen, für die Aufteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung oder gar den Aufbau alternativer Beschäftigungsfelder zu forcieren, war wie aus dem Nichts in vielen Staaten ein Dogmenwechsel festzustellen. Bei der abrupten Einführung von Hartz IV zeigte sich das 2004 am deutlichsten. Die Blaupause für die Politik lieferte die ,,OECD Jobs Strategy" von 1996, die 1997 von der dänischen Präsidentschaft unter dem Schlagwort der ,,Aktivierung" propagiert wurde.

Folgende Grundannahmen oder Glaubenssätze stehen dahinter:
   

  • Lohnarbeit ist das beste Mittel gegen Armut.
  • Der Arbeitsmarkt ist unflexibel – Sozialsystem und Arbeitnehmerrechte sind ein Hindernis.
  • Wachstum fördert Beschäftigung – Beschäftigung fördert Wachstum.
   
Aus der alten ,,aktiven Beschäftigungspolitik" der 80er Jahre wurde die ,,aktivierende Arbeitsmarktpolitik":

  • Grund für Arbeitslosigkeit sind nicht mehr fehlende Arbeitsplätze, sondern dass die Chancen des freien Marktes nicht genutzt würden.
  • Statt der Politik ist jeder einzelne Mensch als Marktteilnehmer selbst für sein Schicksal verantwortlich.
  • Statt der Solidarität aller (Arbeitszeitverkürzung), gilt die Eigenverantwortung im Wettbewerb, die Differenzierung als höchster Wert.
  • Aus dem ,,Recht auf Arbeit und soziale Sicherheit" wird unter dem Motto ,,kein Recht auf Faulheit" die Pflicht sich durch Betreuer fördern und fordern zu lassen.
  • Statt bei Mangel an ,,Arbeitskräften" nach dem Pull-Prinzip Lohn zu erhöhen, herrscht das Push-Prinzip in Form von noch mehr Druck.
  • Statt Vermittlung in volle und regulär bezahlte Arbeit am ,,ersten Arbeitsmarkt" gilt bereits verbesserte Arbeitsmarktnähe, prekäre Leih- oder Teilzeitarbeit oder Arbeit am ,,zweiten Arbeitsmarkt" als Erfolg.
   
Was nicht hinterfragt, aber geradezu eskalierend verschärft wird, ist, dass ,,Integration" nur durch Erwerbsarbeit (Arbeitszwang) möglich sei, Arbeitslose keine eigenständigen politischen Akteure sind (keine Vertretung) und natürlich, dass das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem mit dem Wachstumszwang keinesfalls in Frage gestellt werden darf. Als Ausgleich wird ,,Decent Work" in Aussicht gestellt (,,Soziale Säule").

Was seither mehr oder weniger zumindest in den Kernstaaten der EU festzustellen ist:

  • Verringerung der Bezugsdauer und Senkung der Bezugshöhe,
  • Verschärfung des Sanktionenregimes,
  • Verschlechterung der Kriterien für ,,zumutbare Jobs", prekäre Arbeit wird zumutbar,
  • Ausbau des ,,zweiten Arbeitsmarktes" mit reduzierten ArbeitnehmerInnenrechten (,,Workfare"),
  • Auslagerung von Aufgaben an private, gewinnorientierte Agenturen – ,,Kursindustrie", teilweise sogar börsennotiert!
   
Damit es keine Ausweichmöglichkeit gibt, werden die Bereiche des ,,Sozialstaates" enger verzahnt:

  • Anbindung der Sozialhilfe an das verschärfte Regime der Arbeitsagentur,
  • Verschärfung des Zugangs zur Invaliditätspension, selbst Behinderte werden ,,fit 2 work" erklärt (GB),
  • Verschlechterungen bei der Alterspension, Erhöhung des Pensionsalters,
  • verstärkte Datenerhebung und automatischer Datenaustausch,
  • Förderung privater Sozialversicherungen (Pensionsvorsorge),
  • Verringerung von Freiräumen und Ausstiegsmöglichkeiten.
   
Aus grundlegenden, auch kollektiven Menschenrechten werden individuelle Pflichten:
   

  • Aus ,,Jeder Mensch ist gleich an Rechten und Würde geboren und hat daher das Recht auf frei gewählte gute Arbeit" wird ,,der Mensch erlangt seine Würde erst durch die Arbeit. Arbeit um jeden Preis ist Bürgerpflicht".
  • Statt Recht auf Gesundheit und freie Behandlungswahl wird die Pflicht zum Erhalt der ,,Arbeitsfähigkeit" und Zwangsrehabilitation mit Case-Management.
  • Aus Unschuldsvermutung wird Schuldvermutung: An der Arbeitslosigkeit ist der Arbeitslose schuld, Defizitorientierung (,,Vermittlungshindernisse" = individuelle Schuldzuschreibung).
  • Einschränkung der Privatsphäre und des Selbstbestimmungsrechts,
  • Tendenz zur Ersetzung festgelegter Rechte und Pflichten durch ,,Vereinbarungen" auf ungleicher Machtbasis,
  • höhere Hürden beim Rechtszugang.
   
Die fehlende Regelungskompetenz der EU wird 2000 als Teil der Lissabon-Strategie durch die ,,Open Method Coordination" ausgeglichen. Geradezu krebsartig wuchern die Agenturen, Konferenzen, Untersuchungen und Berichte mit denen EU-Staaten gelobt oder gerügt werden. Im ,,Europäischen Semester" fordert die EU planwirtschaftlich höhere Erwerbsquoten speziell für marktabsente Gruppen wie Frauen, Ältere, Gesundheitlich angeschlagene und Migrantinnen.

Ausserhalb der EU-Kernstaaten kommt die teure ,,Aktivierung" weniger zum Zug. Die EU-Kommission machte 2016 eine ,,Öffentliche Konsultation betreffend der Dienstleistungen für Langzeitarbeitslose". Nur in Englisch.

Immer mehr Menschen werden so im Namen von Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung auf den Arbeitsmarkt getrieben. Möglichst alle Lebensbereiche, gerade die ,,unproduktiven", in schlecht bezahlte, prekäre Erwerbsarbeit umgewandelt. Auf Kosten der Versicherten und Steuerzahlenden subventionierte Arbeit wird Unternehmen billig wie Dreck nachgeworfen.

Alle Stakeholder sind am Gewinn versprechenden Geflecht der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik beteiligt und haben Lobbygruppen in Brüssel. Alle? Bis auf die Betroffenen selbst; die Erwerbsarbeitslosen. Ressourcen für eine EU-weite Vernetzung bekommen die Arbeitsloseninitiativen nicht. Die Hürden für Projektförderungen sind zu hoch. Dafür gibt es als Feigenblatt der Sozialbranche von der EAPN (Europäisches Armutsnetzwerk) einmal im Jahr in Brüssel wohlorganisierte Treffen, wo Politiker sich ausgesuchte Vorzeigearme anhören können. Alles fernab der Kontrolle durch das Europäische Parlament.

Die politische Verantwortung verschwindet im von den Lobbyistengruppen bearbeiteten Institutionengeflecht. Nicht einmal die Europäische Grundrechteagentur darf einen kritischen Blick in Form von Untersuchungen und Berichten auf den Stand der ,,Sozialen Menschenrechte" in der EU werfen. Wie wunderbar. Das Soziale ist das, was über bleibt, wenn überhaupt ...

Martin Mair
streifzuege.org
https://www.untergrund-blättle.ch/politik/europa/eu-kommission-neoliberalismus-3446.html
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: BGS am 00:46:00 Sa. 01.Februar 2020
Zitat
... .
In Kürze, natürlich erst nach der Wahl (zwischen Pest und Cholera). werden hier sicher Arbeitslager gebaut
... .
Zitat
2:02:43 Di. 15.Juni 2010
https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.msg204845.html#msg204845 (https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21713.msg204845.html#msg204845)
Zitat
... .
Ich sehe in D. bereits neue Arbeitslager für "Langzeitarbeitslose"  ... .
... .
00:17:58 Do. 08.September 2005
https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21817.msg207804.html#msg207804 (https://forum.chefduzen.de/index.php/topic,21817.msg207804.html#msg207804)

etc. etc.

MfG

BGS
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 11:32:23 Di. 26.Januar 2021
Die Gewerkschaften quatschen ständig von "guter Arbeit".
Hier hat sich ein Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler ausgiebig mit diesem Thema beschäftigt. (Lang, aber lesenswert:)

Zitat»Gute Arbeit«, Arbeitsschutz oder Widerstand?
Anmerkungen zur schönen neuen Arbeitswelt – Von Wolfgang Hien*


In: express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 08-09/2019

Der Hype um »gute Arbeit«

Die Arbeitssoziologie überschlägt sich mit Studien und Vorschlägen zu »gute[r] Arbeit«.
Etwa 2005 gab es seitens der IG Metall dazu die ersten Initiativen, dann kamen die Aufträge
für den Index Gute Arbeit, dann die Forschungsaufträge – nicht zuletzt über den Einfluss der
IG Metall-Führung auf die Programme der Bundesregierung und anderer Mittelgeber. Mittlerweile
sind zehn Jahrbücher Gute Arbeit (Bund-Verlag, Frankfurt am Main) mit insgesamt
mehr als 200 wissenschaftlichen Aufsätzen erschienen, allen voran von ForscherInnen der
Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Instituts für Sozialforschung (ISF) München.
Auch die wirtschaftliche und politische Elite redet wie selbstverständlich von »gute(r) Arbeit
«, einschließlich der dem Arbeitsministerium unterstellte Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin (BAuA). Das Konzept »Gute Arbeit« setzt einige Axiome – unhinterfragte
Grundannahmen – voraus: (a) Arbeit – im Kapitalismus: Lohnarbeit – ist für den Menschen
der entscheidende Faktor seiner Identitätsbildung, gleichsam eine anthropologischer Kernkonstante;
(b) sinnvolle, persönlichkeitsfördernde und gesunderhaltende Arbeit ist im Kapitalismus
grundsätzlich möglich; (c) Mechanisierung und Digitalisierung schafft tendenziell
schwere Arbeit ab; (d) Interessengegensätze lassen sich über Mitbestimmung ausgleichen,
d.h. »Arbeitgeber« lassen sich durch gute Argumente überzeugen. Um es vorweg offen zu
sagen: Diese Grundannahmen sind mehr oder weniger illusorisch, und das wissen im Grunde
auch die beteiligten wissenschaftlichen, politischen, administrativen und gewerkschaftlichen
AkteurInnen. Und selbst dann, wenn sich Menschen mit Arbeit, auch mit schlechter Arbeit zu
identifizieren scheinen, und ihnen dies selbst so erscheint, erzählt ihr Körper – ihr körperliches
und seelisches Leid – eine andere Geschichte. Jede/r dritte Erwerbstätige quält sich mit
einer, oftmals jedoch mit mehreren chronischen und schmerzhaften Erkrankungen, bei den
50-Plus-Jährigen ist es jede/r Zweite. Der Körper spricht wahr, der Mund nicht immer. Und
weil aus der leiblichen Existenz niemand wirklich entfliehen kann, staut sich bei vielen
Betroffenen eine Wut auf, die sich mit der Zeit immer drängender ein Ventil sucht, eine Projektionsfläche
für die Aggressionen, die – weil die Möglichkeit des kollektiven Widerstandes
gegen die herrschenden Arbeits- und Lebensbedingungen so verschüttet sind – ihr Objekt weit
verfehlen.

Immer noch körperliche Arbeit
Im Juli dieses Jahres kam ein Mitteilungsblatt der BAuA heraus (baua: Aktuell 2/2019), in
dem neue repräsentative Befragungsergebnisse veröffentlicht wurden. Demnach ist schwere
körperliche Arbeit in Deutschland nach wie vor sehr verbreitet. Jede/r zweite Beschäftigte
muss zumeist im Stehen arbeiten, jede/r Fünfte muss schwer heben und tragen. In bestimmten
Branchen wie z.B. Bauwirtschaft, Logistik und Lagerwirtschaft, Kranken- und Altenpflege,
Gastronomie und in weiten Bereichen der Dienstleistungsberufe ist schwere Arbeit an der
Tagesordnung. Dies gilt auch für die Automobilindustrie und vor allem für deren Zulieferer.
Hinzu kommt ein steigendes Maß an teilweise extremen psychischen Belastungen. Die BAuA
nennt als Beispiel die Lagerwirtschaft mit rund 1,2 Millionen Beschäftigten, die nicht nur
unter körperlich anstrengenden Tätigkeiten sowie Kälte, Hitze, Nässe und Zugluft leiden,
sondern zugleich unter permanent hohem Termin- und Leistungsdruck stehen, bei gleichzeitig
mangelndem Handlungsspielraum. Zur schweren Arbeit kommen hier zusätzlich hohe
psychische Belastungen hinzu, die zu leibseelischen Verspannungen führen. 61 Prozent der
Beschäftigten klagen über anhaltende Schmerzen im unteren Rückenbereich. Das ist mehr als
vor 50 Jahren; zugleich nehmen psychosomatische Erkrankungen deutlich zu. In Forschungs-,
Entwicklungs-,Planungs- und Verwaltungsbereichen greifen Konzepte der Projektarbeit, der
agilen und flexiblen Arbeit und weitere neue Managementtechniken tief in den Arbeitsalltag
hinein, alle darauf ausgerichtet, die Leistung jedes einzelnen zu steigern. Im BAuAMitteilungsblatt
wird von Forschungen des ISF München berichtet, nach denen Zielvorgaben
bewusst so vorgegeben werden, dass sie nicht erreichbar sind. Dies führt zur systematischen
Überlastung – ein Konzept der indirekten Steuerung, genauer: ein Konzept der verantwortungslosen
Leistungssteigerung. So werden Probleme der Arbeitsverhältnisse, also soziale
Probleme, individualisiert, d.h. zu einem Problem des Einzelnen gemacht. Immerhin dies
konstatieren die BAuA und die ForscherInnen durchaus, doch welche Lösungswege geben sie
an? Ich zitiere wörtlich: »Arbeitgeber können den hohen Arbeitsanforderungen mit einer gesundheitsförderlichen Gestaltung der Arbeit begegnen« (S. 5). Und an anderer Stelle heißt es:
Arbeitsintensität müsse genauer erfasst werden, und den Problemen müsse durch »gute betriebliche
Leistungspolitik sowie eine Kultur des gesunden Scheiterns« entgegengewirkt
werden (S. 11). Die Formulierungen unterstellen, dass »die Arbeitgeber« ein Interesse daran
hätten, das Leid ihrer MehrwertproduzentenInnen zu lindern oder aufzuheben. Es mag einige
UnternehmerInnen geben, die Derartiges anstreben, doch diese sind Ausnahmen. Die
Mehrheit sieht das Ganze garantiert anders, zumal manche Gutwillige vom herrschenden
Marktgeschehen eines Besseren belehrt wurden und werden. Des Weiteren klingt im Terminus
»Leistungspolitik« für die Betroffenen immer Entfremdung, Druck und Angst mit. Eine
Ökonomie, die als freie Assoziation freier Menschen, die je nach ihrem eigenen Maß versuchen,
in Kooperation etwas gesellschaftlich Nützliches zu tun – genau dies hat einen anthropologischen
Kern –, bräuchte keine »Leistungspolitik«. Und was heißt »gesundes
Scheitern«, vor allem im Kontext kapitalistischer Verhältnisse? Dass Menschen lernen
müssen, zurückzustecken und ihre Ziele ihren Möglichkeiten anzupassen, wird in jeder
menschlichen Gesellschaft notwendig sein. Doch Scheitern im Kontext von totaler
Konkurrenz – und nichts anderes hat der neoliberale Kapitalismus in den Betrieben installiert
– ist psychisch und psychosomatisch bedrohlich und zuweilen vernichtend. Das wird
durch kein Coaching und keine Psychotherapie aufzufangen sein.

Die Kultur des neuen Kapitalismus
Der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett veröffentlichte 1998 ein Buch zu den gravierenden
Wandlungen der kapitalistischen Arbeitswelt. Der deutsche Titel: »Der flexible
Mensch« (Berlin-Verlag) – der englische Originaltitel »The Corrosion of Character« kommt
der Problematik deutlich näher. 2005 veröffentlichte Sennett eine vertiefte Betrachtung unter
dem Titel: »Die Kultur des neuen Kapitalismus«. Was ist seine Grundthese? Diese »neue Kulexpress
tur« ist eine Kultur der Zerstörung. Die Flexibilisierung der Arbeitswelt – nicht nur der Arbeitsorte
und Arbeitszeiten, sondern auch der Arbeitsinhalte – fordert von arbeitenden
Menschen ein derart hohes Maß an Anpassung, dass sich auch ethisch-moralische Orientierungen
ändern. Der Charakter wird im Verlauf der zunehmenden Anpassung aufgerieben –
er zersetzt sich. Oder: Der Mensch versucht, sich nicht verbiegen zu lassen, und droht zu zerbrechen.
Das ist Sennetts Beobachtung aus den USA der 1990er Jahre, und diese Entwicklung
hat nun auch uns in Mitteleuropa erreicht. Gleichwohl war – um gleich einem gravierenden
Missverständnis vorzubeugen – früher nicht alles besser: Der Preis dafür, eine sozial sichere
Einbindung in ein Traditionsunternehmen zu haben, war hoch. Auch die alte Kultur der Arbeit
− man war der Macht von Hierarchien und Autoritäten ausgesetzt, nicht selten hatte man
jahrelang brüllende und schikanierende Meister zu ertragen – war nicht gerade gesundheitsförderlich.
Abweichungen von tradierten Regeln und Verhaltensmustern wurden
zuweilen hart sanktioniert, nicht selten auch von unseren lieben Kolleginnen und Kollegen.
Gleichwohl gab es auch viel Alltagssolidarität. Teil dieser »alten Kultur« war freilich der unhinterfragte
physische Gesundheitsverschleiß. Heute, wo die neue Kultur der Arbeit Einzug
gehalten hat, gibt es mehr Freiheiten, genauer: oft nur scheinbare Freiheiten, doch ist der Preis
hoch: Egozentriertheit, Konkurrenz untereinander, Unsicherheit, Rücksichtslosigkeit, Vereinzelung
– das alles führt zu hohen psychischen Belastungen, und in vielen Bereichen gibt es
ein Fortleben alter Belastungen, zu denen die neuen hinzukommen. Eine besonders heimtückische
Form der »neuen Kultur« ist das Konzept der »agile(n) Arbeit«. Alle Verantwortung für
die Turbulenzen und Schrecklichkeiten des kapitalistischen Marktes werden auf die arbeitenden
Menschen abgewälzt. Kollektivität darf sich nur im Konsens mit den Markterfordernissen
entwickeln – eine entfremdete und letztlich absurde Fehlorientierung menschlicher
Ressourcen. Es ist bestürzend zu sehen, wie gewerkschaftlichen Protagonisten der »gute(n)
Arbeit« sich diesen Verirrungen anbiedern – siehe die Ausgabe 2019 des Jahrbuchs »Gute
Arbeit«.

Die Überforderung unserer Psyche
Psychische Belastungen führen, wenn unsere Bewältigungsressourcen erschöpft sind, zu
psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. 17 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage
gehen auf das Konto psychiatrischer Diagnosen, wobei Depressionserkrankungen deutlich im
Vordergrund stehen. Diese Diagnose steigt zahlenmäßig in allen Industrieländern seit Jahren
an. Es wird davon ausgegangen, dass etwa 15 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung an
psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen leiden, wobei viele Erkrankte weiter zur
Arbeit gehen und versuchen, ihre Probleme zu übergehen oder zu verheimlichen. Hinter
vielen Burnout-Fällen versteckt sich eine Depression. Auch hier gilt es, auf ein Missverständnis
hinzuweisen: Nicht jeder Trauerzustand ist eine Depression! Enttäuschung, Trauer und
auch Niedergeschlagenheit gehören zum menschlichen Leben. Was hilft, ist ein gutes
Gespräch oder einfach mal das Sich-Auskotzen oder das Sich-Ausweinen, sei es in der Familie,
bei FreundInnen oder auch am Arbeitsplatz im Kreis vertrauter KollegInnen. Das Problem
ist nur: Wenn wir immer mehr vereinzeln, atomisieren, dann gibt es diesen vertrauten Kreis –
diese soziale Unterstützung – immer weniger. Arbeits- und gesundheitssoziologische Theorien
sehen einen inneren Zusammenhang zwischen der globalisierten, flexiblen, agilen und atomisierten
Arbeitswelt einerseits und der Erschöpfungsdepression anderseits. Studien zeigen,
dass gerade der überangepasste Mensch, der sich selbst besonders hohe Ziele setzt, auch besonders
gefährdet ist.1 Aus anonymen Befragungen wissen wir, dass sich viele mit Medikamenten,
mit Psycho-Stimulanzien, Stimmungs-Aufhellern und kurzfristig leistungssteigernden
Substanzen »über Wasser« zu halten versuchen. Letzten Endes zögern derartige
Strategien den Zusammenbruch nur hinaus, der dann umso heftiger ausfallen kann.

Depressionserkrankungen
erhöhen die vorzeitige Sterblichkeit, d.h. sie erhöhen das Suizid-Risiko.
Arbeitsflexibilisierung, Arbeitsverdichtung, extremer Zeitdruck, Entgrenzung, »Arbeiten ohne
Ende«, »nicht mehr durchatmen zu können«, »nicht mehr abschalten zu können« – all das
sind schon Belastungen genug, die unsere Ressourcen aufbrauchen und das Fass zum Überlaufen
bringen. Mangelnde soziale Unterstützung durch Vorgesetzte und KollegInnen, mangelnde
Alltagssolidarität, mangelnde Anerkennung, mangelnde Wertschätzung, oder im Gegenteil:
Konkurrenz und das »Gegeneinander-Arbeiten«, Unsicherheiten, Angst und Ausgrenzung
tun ein Übriges, den arbeitenden Menschen niederzudrücken. Ein kaum zu unterschätzendes
Problem stellen die Diskrepanzen dar, die sich zwischen der eigenen Berufsauffassung,
der eigenen berufsethischen Haltung, und den vom Arbeitgeber oder »dem Markt«
gesetzten Rahmenbedingungen auftun. Wenn einer Altenpflegerin die für ihre emotionale
Arbeit notwendige Zeit fehlt und sie nur die mechanischen Abläufe bewerkstelligen kann,
entwickeln sich innerlich hoch belastende emotionale Dissonanzen. All das ist durch große
epidemiologische Studien vielfach bestätigt. Die Folgen: nicht nur Depressionen, sondern
auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes 2, muskuläre Verspannungen und Wirbelsäulenschäden
sind als arbeitsbedingte Erkrankungen gut dokumentiert. Körperliche (somatische)
und seelische (psychische) Erkrankungen überlappen sich oft, und so suchen sich manche
inneren Beanspruchungen, die nicht mehr bewältigt werden können, einen von Fall zu Fall
unterschiedlichen Weg. Als Frühsymptome sollten wir z.B. anhaltende Müdigkeit, Brustschmerzen
und/oder Luftnot ernst nehmen.

Für Gesundheitsschutz kämpfen
Was kann getan werden? Entscheidend ist das Zusammenspiel zwischen Primär-, Sekundärund
Tertiärprävention. Primärprävention heißt, die gesundheitsschädlichen Faktoren
möglichst auszuschalten oder auf ein möglichst geringes Maß zu reduzieren. Die Faktoren
müssen möglichst genau benannt und beschrieben werden. Das geht nur, wenn die MitarbeiterInnen
gefragt werden, sei es in moderierten Arbeitsplatzbegehungen, in moderierten
Gesundheitszirkeln oder Projektworkshops. Es müssen Lösungsvorschläge gesammelt, priorisiert
und in entsprechende Handlungspläne gegossen werden. Doch ebenso wichtig ist die
Sekundärprävention, d.h. die Früherkennung von gesundheitlich gravierenden Belastungen,
von ersten Symptomen einer Überforderung oder einer beginnenden Erkrankung. Hier können
Betriebs- und Personalräte, aber auch Sicherheitsbeauftragte oder Schwerbehinderten-
VertreterInnen wichtige Dienste leisten. Sie sollen nicht »Therapeuten spielen«, doch sie können
eine Lotsenfunktion wahrnehmen. Sie sind vor Ort und können problematische Situationen
zeigen – Häufung von Missverständnissen, von gesundheitlichen Klagen, von Rückzug
oder Ausgrenzung – sowie Vorgesetzte und/oder weitere professionelle AkteurInnen unter
Wahrung aller datenschutzrechtlichen Gesichtspunkte auf die Situation aufmerksam machen.
Und schließlich ist die Tertiärprävention wichtig, d.h. die Wiedereingliederung von KollegInnen,
die eine Erkrankung durchgemacht und/oder noch mit gesundheitlichen Einschränkungen
zu kämpfen haben und noch weiterer Unterstützung z.B. durch Rehabilitationsmaßnahmen
und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bedürfen. Tertiärprävention
kann immer auch Anlass sein, sich über die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse Gedanken
zu machen. Mit anderen Worten: Tertiär- und Sekundärprävention wirken auf die
Primärprävention zurück. In einer Handlungsempfehlung des Projekts Rehadat zur Wiedereingliederung
psychisch Erkrankter heißt es: »Vermeiden von Tätigkeiten mit häufig
wechselnden Aufgaben, Inhalten oder Personen, (...) komplexe Aufgaben/›Multitasking‹
gegebenenfalls vereinfachen (einzelne Aufgaben abgeben, zum Beispiel Telefonieren
abgeben), (...) Tätigkeiten anbieten, die ohne Zeitdruck nach eigenem Arbeits- und Pausenrhythmus
durchführbar sind.«2. Die gesundheitsbezogene Arbeitswissenschaft ist sich einig,
dass dies genau die Punkte sind, die in einer gesundheitsförderlichen Organisation nicht nur
den »Kranken«, sondern allen Beschäftigten zugutekommen sollten. Auch jeder Einzelne
kann etwas tun. Dazu gehört: keine übersteigerten Forderungen, weder an sich selbst noch an
andere! Die besten Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nutzen nichts, wenn
wir nicht unsere innere Haltung ändern. Wir müssen uns darüber klar werden, was im Leben
wirklich wichtig ist: Erfolg um jeden Preis oder menschliches Maß? Politische Aufklärungsarbeit
im Betrieb muss heute viel tiefer ansetzen als früher: Wir müssen unseren KollegInnen
den Wert der Alltagssolidarität aufzeigen, wir müssen sie ermutigen, in ihrer eigenen betrieblichen
Lebenswelt nicht allein, sondern gemeinschaftlich Probleme anzugehen. Wir
müssen Wege finden, aus der Vereinzelung herauszukommen und wieder einen Kreis vertrauter
KollegInnen aufzubauen. Zugegeben: Es ist das Elementare, was schwer zu machen ist.
Diese elementare Sache zu umgehen, sei es über Gesundheits- und Psychoberater, Resilienz-
Coacher oder sonstige Ausgeburten der Management-Technik, führt zu nichts – außer zu noch
mehr Anpassung an die krankmachenden Verhältnisse.

Die Verletzlichkeit des Körpers

In meinem Buch »Die Arbeit des Körpers« (Mandelbaum-Verlag, Wien 2018) habe ich
gezeigt, dass aller Digitalisierung zum Trotz schwere körperliche Arbeit in globaler Perspektive
immer noch dominant ist. (s. Rezension in express, 11/2018) Zugleich haben wir es, nicht
zuletzt aufgrund des neoliberalen Trommelfeuers, mit einem eklatanten Reputationsverlust
körperlicher Arbeit zu tun. Sie gilt längst nicht mehr als »proletarischer Adel«, der sie mal
war. Zugleich differenziert sich die Arbeitswelt. Wir sehen eine deutliche Polarisierung in
niedrig bewertete Dienstleistungsarbeit – Logistik, Gastro, Pflege, Reinigung und den zunehmenden
Sektoren prekrisierter Arbeit in anderen Branchen – und höher bewertete Arbeit in
Stammbelegschaften, Entwicklungs- und Marketingbereichen. Belegschaften und Teilbelegschaften
werden gegeneinander ausgespielt. Die Konkurrenz untereinander vergiftet Herzen
und Hirne. Neben den kleinen Lösungen brauchen wir auch größere Visionen. Und wir
brauchen Brücken zwischen dem kleinen Alltag und einer Gemeinschaftlichkeit, einer
bewussten Sozialität, die zum politischen Faktor werden kann und muss. Entscheidend wird
sein, wo immer es möglich und notwendig ist, unmenschlichen Arbeitsverhältnissen gemeinsamen
Widerstand entgegenzusetzen. Es wird in aller Regel nichts nutzen, Arbeitgeber
per Mitbestimmung überzeugen zu wollen, den Zeit- und Leistungsdruck zu senken und
insgesamt für mehr gesundheitsförderliche Arbeitsverhältnisse zu sorgen. Auch WissenschaftlerInnen
und BeraterInnen werden die Arbeit nicht gesünder machen. Das können nur die
Beschäftigten selbst erreichen, indem sie für Entlastung, für mehr Personal, für mehr Pausen,
für weniger Arbeitsvorgaben, für bessere Arbeitsschutzmaßnahmen und gegen alle sinnlosen
und willkürlichen Anordnungen kämpfen, sei es mit kleinen oder größeren Verweigerungsaktionen
oder Streiks, sei es mit Dienst nach Vorschrift, Überstundenboykott, verlängerten Betriebsversammlungen, sei es mit politischen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen. Wir
müssen uns Nischen – in der Arbeitswissenschaft war von »verborgene(n) Situationen« die
Rede – im Betrieb zurückerobern, d.h. Orte des angstfreien Miteinanders, Orte, die dem Leistungsdruck
und dem unternehmerischen Zugriff entzogen sind. Oskar Negt, der in seinem
Buch »Arbeit und menschliche Würde« (Steidl-Verlag 2001) einen ganz anderen, nicht
entfremdeten Arbeitsbegriff entwickelt, hat schon vor 50 Jahren darauf hingewiesen, dass
unsere Demokratie systematisch unvollständig ist, weil sie am Werkstor, am Betriebseingang
– und mittlerweile kann man sagen: durch die innere Zensur und die Einverleibung
der unternehmerischen Ziele schon im Kopf vieler Beschäftigter – endet. Demokratie wäre
erst dann ihren Namen wert, wenn alle Arbeitenden in abgestuften Verfahren – lokal, regional,
national und global – darüber beratschlagten und befänden, was Menschen brauchen und
die Produktions- und Dienstleistungsprozesse danach ausrichteten. Diesen gesellschaftlichen
Wandel anzustoßen und in Gang zu bringen, bedarf es freilich einer grundsätzlichen »Entgiftung
« unseres körperlich-leiblich-seelischen Seins, einer Wiederbesinnung, eines
Gewahrwerdens unserer Verletzlichkeit. Genau diesen Punkt betont die US-amerikanische
Sozialphilosophin Judith Butler3, wenn sie sagt: Wir müssen unsere leibliche Existenz
annehmen, mit all ihren Schwächen, Verletzlichkeiten und tatsächlichen Verletzungen.
Menschen sind qua Existenz verwundbar, und wir können uns vor Gefährdungen, Zurichtungen
und Drangsalierungen nur schützen, wenn wir zunächst einmal unsere grundsätzliche Verletzlichkeit
anerkennen. Dann können sich unsere Angst und unsere Wut zu einer kollektiven
Kraft verwandeln; dann braucht sich die Wut kein Ersatzobjekt zu suchen. Es geht um eine
Bewegung, die sich der Würde der leibseelischen Existenz, des Menschen als Gemeinschaftswesen
und als Teil der Natur, erinnert. Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz kann in
diesem Sinne systemsprengend sein, und als solchen sollten wir ihn aufgreifen.

Post scriptum: Verpanzerungen aufbrechen

Die deutsche Sprache unterscheidet zwischen Leib und Körper. Körper: Das sind die materiell-
stofflichen und funktionellen Gesichtspunkte, das, was funktionieren muss, und das, was
zum Schluss der Pathologe auf seinem Tisch hat. Leib: das ist die Gesamtheit alles Körperlichen,
Seelischen und Geistigen, das ist das Lebendige, mit all seinen Strebungen, Empfindungen
und Äußerungen. Leib ist unsere innere Natur, vor allem aber das, was zwischen
den Menschen das Leben und Miteinander-Leben ausmacht. Wir haben einen Körper, aber:
»Wir sind Leib«. Oder: Wir leben als Leib-Körper, weil wir miteinander »Mitmensch« sind
und zugleich aber auch funktionieren müssen. Die Arbeit ist sozusagen das Hauptstück des
Funktionieren-Müssens. Der Kapitalismus hat in unseren Köpfen das Maschinenmodell des
Körpers erzeugt und gefördert. Doch unsere Leiblichkeit leidet darunter. Um uns vor Verletzungen
zu schützen, werden wir hart, entwickeln eine Elefantenhaut, ja mehr noch: wir
bauen einen Panzer um uns herum und geraten – manchmal fast unmerklich – in einen
Kriegszustand: jeder gegen jeden. Doch Verpanzerungen schützen nicht wirklich, ganz im
Gegenteil: Sie sperren leibliche Energien ein, gerade auch Zuneigungen und Sehnsüchte nach
liebevollen Begegnungen und Berührungen, und verwandeln diese Energien in Aggressionen,
die sich auch gegen uns selbst richten. Die Bändigung unserer inneren Natur, das ewige Sich-
Zusammenreißen, die Erduldungen und Demütigungen, die wir vor allem im Arbeitsleben
erfahren, verwandeln positive Lebensenergien in destruktive, zerstörerische und
selbstzerstörerische Energien. Die Militarisierung der eigenen Subjektivität hat sich in der
Menschheitsgeschichte als spezifische Eigenschaft des »Männlich-Seins« eingeschrieben.
Männlichkeit hat immer wieder eine »Stahlgestalt« angenommen, die sich vor allem in der
harten Arbeitsorientierung verkörpert. Männer sind davon besonders betroffen, doch leider
hält der Neoliberalismus auch für Frauen einen Steigbügel bereit, der in die Etagen der harten,
gnadenlosen Konkurrenzwirtschaft führt. Ich beziehe mich hier auf die Studien von Klaus
Theweleit , der gezeigt hat, dass dieses verpanzerte und aggressive Hart-Sein sich in Krisenzeiten
zu faschistischen Energien ausweiten kann. Der arbeitende Körper – auch der Büromensch
braucht einen Körper – und die damit verbundenen Erduldungen, Zurichtungen,
Kränkungen, Verletzungen, die verbogene oder gar zerbrochene Seele und der verbogene oder
gar zerbrochene Rücken, drücken Menschen in einen Sumpf, der zum Nährboden für
Rücksichtslosigkeit, Hass, Brutalität und Vernichtungsphantasien wird. Nicht zufällig
entwickeln sich solche Tendenzen aus der »arbeitenden Mitte« unserer Gesellschaft heraus.
Der drangsalierte arbeitende Leibkörper – und im Umkehrschluss: die Ignorierung unserer
leiblichen Gesundheit – ist nicht die einzige, doch aber eine wesentliche Ursache der zunehmenden
Orientierung nach rechts. Gesundheitsschutz ist also viel mehr als das Umsetzen gesetzlicher
Normen und Regeln, ist auch etwas anderes als »gute Arbeit«, die sich in den neoliberalen
Fallstricken verfängt. Gesundheitsschutz ist eine Kernfrage unserer leibgebundenen
Existenz, eine Orientierung, die von den arbeitenden Menschen selbst gespürt, erfasst, aufgenommen
und in ihrer betrieblichen Lebenswelt gegen die herrschenden Produktivitäts- und Rentabilitätszumutungen durchgesetzt werden muss. Gelebter Gesundheitsschutz heißt auch:
die eigenen körperlichen Verpanzerungen aufbrechen und wieder Schritte der Alltagssolidarität,
Mitmenschlichkeit und gegenseitigen Hilfe gehen lernen.
Anmerkungen:
1 Thomas Fuchs u.a. (2018): »Das überforderte Subjekt«, Frankfurt a.M.
2 Rehadat (2017): »In Schwermut steckt Mut«, Köln, S. 38
3 So z.B. in ihrem Buch »Kritik der ethischen Gewalt«, Suhrkamp 2007
4 Klaus Theweleit (1978): »Männerphantasien«, Roter Stern, Frankfurt a.M.

Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: BGS am 11:20:40 Mo. 26.April 2021
Sehr guter Artikel, besten Dank fuers Einstellen.

MfG

BGS
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Nikita am 11:32:28 Mo. 26.April 2021
Hier gibts den Artikel aus der Express als Pdf:
http://www.wolfganghien.online.de/download/Hien-GA-express.pdf (http://www.wolfganghien.online.de/download/Hien-GA-express.pdf)


Anmerkungen zur schönen neuen Arbeitswelt – Von Wolfgang Hien*
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 19:47:59 Di. 30.November 2021
https://youtu.be/rXHVDAaW-vk
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 09:53:47 Fr. 24.Dezember 2021
(https://abload.de/img/p0j2l.jpg) (https://abload.de/image.php?img=p0j2l.jpg)
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 17:20:59 Mo. 21.März 2022
ZitatSie kündigen in Massen

Arbeitslosigkeit als Verheißung: Ausgerechnet in den USA geben immer mehr Menschen ihre Jobs auf, es sind so viele Stellen frei wie nie zuvor. Was ist da los?


(...) Welcher Berufstätige hat nicht schon einmal davon geträumt, mit einem "Ich kündige!" seinen Job einfach hinzuschmeißen? Immer mehr Amerikaner träumen nicht nur davon, sondern verlassen tatsächlich den regulären Arbeitsmarkt. Seit dem Frühjahr 2021 haben mehr als 33 Millionen freiwillig ihre Kündigung eingereicht, ein Phänomen, das hier als "Great Resignation" bekannt wurde. (...)

"Hard working" zu sein, war ein großes Lob und etwas, dass Amerikaner anspornte. Doch jetzt erfreuen sich Internetforen wie der Subreddit "Antiwork" wachsender Beliebtheit. Das Motto des Forums lautet: "Arbeitslosigkeit für alle, nicht nur für die Reichen". Im Oktober waren dort 180.000 Nutzer gemeldet, heute sind es über 1,8 Millionen. (...)
https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-03/anti-work-kuendigungen-usa-arbeitsmarkt-doreen-ford
Titel: Re: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Onkel Tom am 17:16:53 Di. 22.März 2022
Interresant, wie sich der Spieß des Turbokapitalismus und Gewinnmaximierung um 180 grad drehen kann.

"Hard Workers", die zur Einsicht gekommen sind, das Arbeit nicht alles im Leben bedeutet, sondern mehr darauf
zu achten in für ihre Lebenshaltung auskömmliche Bereiche zu kommen. ?

Jo, da muss das Zocken um "Nachfrage regelt den Preis" mit klar kommen, in dem Löhne steigen, das wieder
Lebensplanung möglich macht. Das der "Bonze" damit den Bogen der Ausbeutbarkeit überspannt hat, erscheint
mir plausibel.

Wenn dem so ist, kann ich ja hoffen, das dies nach hier überschwappt, zumal durch das H4-Regime der Bogen
auch überspannt ist.

Die Frage "Lohnt sich das, fürn Appel und Ei sich so krumm machen zu müssen ?" könnte ja wieder populär werden.
Titel: Aw: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 20:03:16 Di. 11.Oktober 2022
https://twitter.com/BBacterioO/status/1579830542471942144
Titel: Aw: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 13:25:33 Mi. 08.November 2023
Der Kapitalismus basiert auf der Aubeutung menschlicher Arbeitskraft.
Da die Menschen mit ihrem Leben besseres anzufangen wissen, als für den Profit irgendwelcher Leute zu schuften, ersann man alle möglichen Zwangsmaßnahmen. Im Frühkapitalismus bediente man sich bei der Sklaverei, beim Militär und dem Knastsystem. Selbst Peitschen, Ketten und Schußwaffen wurden eingesetzt, um das Ausbeutungssystem am Laufen zu halten.

In der öffentlichen Debatte ist es gerade ein zentrales Thema: "Die Menschen in Arbeit bringen."

Die momentane Flüchtlingsdebatte dreht sich um Grunde auch nur um die Verwertbarkeit dieser Leute. Ich assoziere mit diesen Argumenten stets die Rampe in Ausschwitz, an der nach Arbeitsfähigkeit selektiert wurde.

Hier noch ein paar Texte zum Thema.

ZitatIm Januar 1948 reichten CSU-Abgeordnete des Bayerischen Landtags den Antrag ein, das ehemalige Konzentrationslager Dachau als Umerziehungslager für ,,asoziale Elemente" wiederzueröffnen. Der vorliegende Beitrag erörtert die ideologischen Kontinuitätslinien nationalsozialistischer Praxis gegen sogenannte Asoziale in der Nachkriegszeit, indem er die Landtagsdebatte zu diesem Beschluss untersucht und in den politischen Kontext einordnet. Vor allem im Kampf gegen Schwarzhandel in München griffen die CSU-Abgeordneten auf entmenschlichende Rhetorik zurück und argumentierten mit der bewährten Praxis der Arbeitslager. Die Position war in den unmittelbaren Nachkriegsjahren hegemonial: Nicht nur die SPD stimmte dem Antrag geschlossen zu – sekundiert wurde der Beschluss zudem vom Druck der Straße gegen vermeintlich Arbeitsscheue.
https://www.idz-jena.de/wsddet/wsd7-15

Verdi hat 2002 ein paar treffende Worte zu Schröders Sozialpolitik gefunden:
ZitatDie Sozialpolitik der neuen Mitte
oder: Vorwärts ins 19. Jahrhundert


Kanzler Schröder hat sich die Reduzierung der Erwerbslosigkeit auf die Fahnen geschrieben. Landauf landab ist inzwischen klar, daß das nicht gelingt. Im Gegenteil: Die Zahlen steigen weiter. Denn heute ist man schneller draußen als drin. Da er selbst seinen Thron daran geknüpft hat, werden andere Schuldige gesucht: Das sind die Erwerbslosen selbst, die für ihre Situation verantwortlich gemacht werden. Damit werden alle repressiven Zwangsmaßnahmen begründet, die die Erwerbslosen – und das zeigt sich immer deutlicher ab - in Not und Armut treiben. Jeder, der mit dem Arbeitsamt oder Sozialamt zu tun hatte, kann davon ein Lied singen. Der Sozialstaat wird seit 16 Jahren systematisch abgebaut und zerschlagen. Wer einmal von "amtswegen" ins Abseits getreten wurde, findet kaum noch heraus.
https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjU5aeojrWCAxXK-6QKHW78DRsQFnoECBMQAQ&url=https%3A%2F%2Fnrw.verdi.de%2Fthemen%2Ferwerbslose%2F%2B%2Bfile%2B%2B5a26d791f7be967380c38e18%2Fdownload%2FZur%25C3%25BCck%2520ins%252019.%2520Jahrhundert.pdf&usg=AOvVaw2XSy7v2npekcexmmUYa-o2&opi=89978449

Seit dem ist es nicht besser geworden.

Titel: Aw: Helden der Arbeit/Arbeit macht (hirn)frei?
Beitrag von: Kuddel am 09:54:54 Fr. 16.Februar 2024
Dem Kapitalismus geht es in seinem Kern um die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft.

Ständig wird Druck gemacht, die Arbeit zu verdichten, den Takt zu erhöhen, die Effektivität zu steigern. Gleichzeitig sollen die Kosten gedrückt werden. Kosten, das sind Löhne, aber auch Arbeitssicherheit.

In diesen Zielen unterscheiden sich SPD und CDU nicht großartig.

Die Faschos wollen auch nichts anderes, sie wollen das nur härter und radikaler durchsetzen.

ZitatNoch am Mittwoch hatte Poggenburg von nötigen ,,Arbeitslagern" gesprochen.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/er-war-selbst-der-afd-zu-rechts-andre-poggenburg-plant-remigrations-vortrag-in-berlin--gegenprotest-angekundigt-11218828.html?s=09