Stadtteilarbeit

Begonnen von Kuddel, 15:38:31 So. 17.Dezember 2017

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Kuddel

Eine besonders volle Woche bei der Stadtteilgewerkschaft: Viel Raum für Politisierung und Mystik

https://solidarisch-in-groepelingen.de/eine-besonders-volle-woche-bei-der-stadtteilgewerkschaft-viel-raum-fuer-politisierung-und-mystik/

Ich bin ein wenig neidisch, wie es sich in Gröpelingen entwickelt. Die Stadtteilinitiative ist ein Raum nicht nur für Beratung, sondern für Austausch und Gemeinschaft geworden. Er ist angenommen, Menschen vieler Nationalitäten fühlen sich dort wohl.

In der Überschrift wurde auch von einem Raum für"Mystik" berichtet, doch was damit gemeint ist, habe ich in dem folgenden Text nicht gefunden.

Fritz Linow

Zitat8.3.24
Stadtteilgewerkschaft in Bremen: Das System auf links

Über die Basisarbeit der Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Gröpelingen
(...)
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180587.bremen-groepelingen-stadtteilgewerkschaft-in-bremen-das-system-auf-links.html

Frauenpower

Bin gerade über dieses Buch gestolpert:
"Das Werk" zur Stadtteilarbeit aus dem Peter-Grohmann-Verlag

Kuddel

Komischer, unpassender Link.

Frauenpower

Habe den Link gelöscht.

Kuddel

Ich wollte nicht die Buchempfehlung kritisieren. Der Link führte zu keinem Buch. Das war das Problem.

Kuddel

Die "Angry Workers" (UK) riefen auf: "Get rooted!"

Der Ini Solidarisch in Gröpelingen scheint genau das gelungen zu sein. Sie hat Fuß gefaßt in der Bevölkerung des Stadtteils.

70 Leute auf der Vollversammlung der Stadtteilgewerkschaft:

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Hier wird den Leuten nicht erzählt, was sie tun sollen, die Leute aus dem Stadtteil (oft migrantisch) überlegen es sich selbst und bereiten Aktionen gemeinsam vor.

Fritz Linow

Zitat von: Kuddel am 20:25:25 So. 12.Mai 2019(...)
Im Rahmen von Gaarden hoch 10 wurde zum 11.5. zur Kulturrotation aufgerufen, einem alternativen Stadtteilfest, wo an jeder Ecke ein wenig Spektakel und Livemusik geboten wird für lau. (...)

Also die diesjährige Kulturrotation wird ja von German Naval Yards unterstützt:


https://www.kieler-ostufer.de/fileadmin/02_Ostufer_entdecken/02.4_Veranstaltungen/02.4.2_KulturRotation/240416_K143_Programm_Seite1_Seite2.pdf

Immerhin nicht von Vonovia. Möööhp...

Onkel Tom

Na, ob das nicht ein Werbeakt ist, die Yuppies ins Viertel locken soll ?.

Schon etwas dubios, was sich wohl die angegebenen Förderbeteiligten
davon erhoffen.. Erinnert mich a  bissel an Steg in Hamburg, die auch
Events mit förderte, jedoch nur um mit Gentrifizierung z.B. in St-Georg
besser vorwärts zu kommen. Nachtigall, ich hör dir trapsen..

Kleiner Tipp an die Ureinwohner_innen in Kiel Gaarden  ;)


https://www.youtube.com/watch?v=Cq1N1d1cVoA
Lass Dich nicht verhartzen !

Kuddel

Ich war gestern zu einer Diskussionveranstaltung zu Gaarden10/Kulturrotation im Subrosa (linke Szenekneipe in Kiel-Gaarden).

Ich bin zu spät eingetroffen und mußte vor Ende wieder los. Ich habe eine Menge verpaßt und nur einen Ausschnitt mitbekommen.

Zur Vorgeschichte:
Es war schon einige Jahre her, da haben wir von einer Mieterinitiatve aus ein Flugblatt mir der Überschrift "Eine Kulturrotation die niemand braucht" (oder ähnlich) verteilt. Es war ein guter Aufhänger für Diskussionen. Es funktionierte mit angereisten Mittelschichtsmenschen, Ur-Gaardenern im Rentenalter, Sozialdemkraten, unpolitischen Normalos, Geflüchteten mit stark gebrochenem Deutsch, mit allen konnte man diskutieren. Es machte Spaß.

Nur mit den Künstlern und "Kulturschaffenden" nicht. Sie fühlten sich angegriffen und drehten am Rad. Sie haßten uns und die Kritik an den städtischen Gentrifizierungskonzepten mehr als Vonovia.

Ich wollte unbedingt eine Veranstaltung, auf der man über die Bedeutung der Kunst in der Gesellschaft diskutieren kann. Ich wollte auch einen kleinen Vortrag dafür vorbereiten. Es kam aber Corona dazwischen.

Jetzt wurde eine solche Veranstaltung organisiert. Ich war dabei (ohne Vortrag) und ging schwer frustriert.

Ich hatte in einem Wortbeitrag gesagt, daß es die Debatte unter Künstlern, welche Rolle sie in der Gesellschaft und den Machtverhältnissen, heutzutage kaum noch existiert. Es ist schon jahrzehnte her, daß diese eigene Rolle in Bezug auf die Welt ein wichtiges Thema war. Ich sehe jetzt Künstler als totale Individualisten, die nur Kunst machen und präsentieren wollen. Sie mögen sich für "links" halten, aber sie fragen  sich nicht, in welchen Zusammenhängen etwas passiert und ob man sich vor Karren spannen läßt. Es gibt nicht nur "Machen" und "Zeigen", es gibt auch Verweigerung.

Ich halte Kunst und Kultur für wichtig, sie spielt eine wichtige Rolle.

Doch die Rolle, die sie als Künster einnehmen, hinterfragen sie wenig.

(to be continued)

dagobert

Gefunden weiter vorn in #66:
Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann; wie man den Frieden führt, das weiß kein Mensch.
Karl May

Kuddel

Teil 2

Die Rolle von Kunst und Kultur in der Gesellschaft

Die Nazis wußten, daß die Kultur eine tragende Rolle in der Gesellschaft spielt. Sie kann auch subversiv sein. Für die erfanden sie den Begriff "Entartete Kunst". Einer solchen Kultur wurde der Boden entzogen und entsprechende Künstler wurden verfolgt.

Egal wo heute Rechte regieren, zu ihren ersten Amtshandlungen gehören Angriffe auf Justiz und den Kulturbetrieb, die sie unter ihre Kontrolle bringen wollen. Es werden die Führungen der Filmförderungen ausgetauscht und Intendanten der großen Bühnen und Konzerthäuser abgesetzt. Rechten Künstlern hilft man bei ihrer Karriere.

Gentrifizierung & Künstler


Es wurde x-Mal untersucht und es ist immer das Selbe: Weltweit sind bei der Gentrifizierung (der Verdrängung der verarmten Teile der Bevölkerung, um Besserbetuchten Platz zu machen) Künstler involviert. Die Kulturschaffenden sind IMMER Teil der Strategien der Spekulanten. Die Künstler wollen natürlich nicht, daß Leute von Verdrängung und Zwangsräumungen betroffen sind, doch sie wollen auch nicht sehen, was das alles mit ihnen zu tun hat. Sie wollen doch nur etwas schönes für die Menschen erschaffen, Kunst oder Musik machen, was soll denn daran so schlimm sein? Sie kapieren es nicht, weil sie es nicht kapieren wollen. Kunst und Kultur ist nie unpolitisch und sie spielt stets eine Rolle in den Machtverhhältnissen. Wenn die Gentrifizierung abgeschlossen ist, kriegen die Künstler einen Tritt in den Arsch. Sie werden nicht mehr gebraucht. Sie werden die Mieten in einem gentrifizierten Stadtteil nicht mehr zahlen können.

Kulturschaffende und ihre ökonomische Situation

Es gibt Leute im Kulturbetrieb, die reich geworden sind. Dazu gehören Pop- und Filmstars oder die Malerfürsten. Die Masse der Kulturschaffenden arbeitet unter eher prekären Bedingungen. Dazu gehören selbst "etablierte" Künstler, wie Orchestermusiker oder bekannte Schriftsteller. Das Gros der Künstler vegetiert irgendwie ganz unten, lebt zu Teilen oder vollständig von Bürgergeld.

Sie sind empfänglich für jedes Angebot, das sie kriegen, egal von wem. Der Mohrrübe an der Angel folgen sie überall hin. Jeder, der bei der Kulturrotation performt, bekommt 50€. So billig verkaufen Künstler ihren Arsch.

Die ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse gab es schon immer. Damals waren es die Kirche und der Adel, die sich mit Kunst schmückten und dafür zahlten. Mit dem Aufstieg des Kapitalismus kam das Großbürgertum dazu. Heute ist es für die Neureichen ein Statussybol sich mit Kunst zu umgeben, gern auch mit subversiver.

(Fortsetzung folgt)

Kuddel

Kunst und Kultur, Aufstand und Rebellion

Nur mal ein kurzer Rückblick:

Wichtige Bewegungen und Kämpfe haben eigene kulturelle Ausdrücke gefunden. Meist Lieder, auch kunstvoll gestaltete Banner. Die Arbeiterbewegung hat mehr als nur Kampflieder hervorgebracht. Die Swing-Jugend war eine Jugendprotestkultur gegen die Nazis.

Die Rebellion der 68er hat die Musik, die Mode, Literatur, eigentlich alle Kunstformen revolutioniert.

Die Jugendrevolte und Hausbesetzerbewegung stellte wieder die Vorstellungen von Kultur auf den Kopf, mit Punk, New Wave, ihren Outfits und dem Umkrempeln von Literatur und Malerei.

Die radikalsten kulturellen Umbrüchen gab es im Vor- und Ummfeld der Russischen Revolution. Da wollte man all die herkömmlichen Vorstellungen von Kunst und alle Kunstformen zerstören und etwas neues kreieren. Wow, das war echt radikal und inspirierend.

Diesen Geist findet man heute nicht.

Können Kulturschaffende kämpferisch auf ihrem Gebiet sein?

Einerseits kann man Kämpfe in Agitprop-Tradition unterstützen, mit Musikern und Theatergruppen am Streikposten, bei der Demo oder an der Barrikade dabei sein.

Man kann es aber auch mit Boykott und dem Entzug von Künstlerischen Auftritten versuchen.

Ich habe folgende Geschichte über das Ende des Bauhauses gehört. Als die Nazis an die Macht kamen, war es dem Bauhaus klar, daß ihrem Projekt an den Kragen gehen wird. Es mag mit der Schlichtheit in (nicht nur) der Architektur für die Nazis attraktiv gewesen sein, doch im Bauhaus waren zu viele jüdische und kommunistische Menschen aktiv. Die Bauhäusler hatten bereits ihre Koffer gepackt, da ist einer der Führenden Köpfe zur Kulturabteilung der NSDAP gegangen, um über die Zukunft des Baushaus Projekts zu diskutieren. Es gelang die NSDAP davon zu überzeugen, daß mit dem Bauhaus die deutsche Kultur weltweit bewundert werden würde, die klaren Linien und die schlichte Schönheit seien einfach ohne Vergleich. Und ja, die Nazis wollten es. Der Laden war bereits dicht und noch in der selben Nacht floh der Bauhausprofessor aus Deutschland.

Das beeindruckt mich. Ihr wollt es haben? Nö, kriegt ihr aber nicht! Das halte ich für einen unglaublichen Triumpf.

Und mal ganz was anderes: Schonmal was von den Art Strikes gehört?

ZitatJahre ohne Kunst (1977-80)

1974 rief Gustav Metzger die Künstler dazu auf, ihre Arbeit für mindestens drei Jahre niederzulegen.

Der Aufruf kritisiert Lehrsätze wie "die Auseinandersetzung der Künstler mit dem politischen Kampf" und "die Nutzung der Kunst für den sozialen Wandel" sowie "die Kunst im Dienste der Revolution" als reaktionär. Stattdessen heißt es, dass "Künstler die vorherrschenden Methoden der Produktion, des Vertriebs und des Konsums von Kunst angegriffen haben" und dass "die Verweigerung der Arbeit die wichtigste Waffe der Arbeiter im Kampf gegen das System ist".


The Art Strike (1990-93)

Der Kunststreik war eine 1986 von Stewart Home ins Leben gerufene Kampagne, die alle Künstler aufforderte, ihre künstlerische Arbeit zwischen dem 1. Januar 1990 und dem 1. Januar 1993 einzustellen. Home, der zu dieser Zeit ein neoistischer Künstler war, verwendete dieselbe Sprache wie Metzgers Aufruf von 1974, nur dass er die Daten 1977-80 durch 1990-93 ersetzte.

Im Vorfeld des Streiks bildeten sich verschiedene Gruppen, um die Aktion zu propagieren und zu koordinieren, wie das Art Strike Action Committee in Kalifornien und das Art Strike Action Committee im Vereinigten Königreich.
https://en.wikipedia.org/wiki/Art_Strike#Further_reading

Übrigens, Stewart Homes hat eine Lesung in Kiel (Gaarden?) gehalten.

(Geht weiter...)

Kuddel

Soll ich es erzählen?
Ein wirklich böses Erlebnis.
Es muß irgendwann in den 90ern gewesen sein. Es wurde im Medusahof ein Kunstraum eingeweiht. Es gab Knete von der Stadt Kiel dafür. Es war ordentlich was los zur Eröffnung. Auch Bruno Levtzow, das sozialdemokratische Urgestein mit dem Ruf, Gaardener Bürgermeister zu sein, schwirrte da rum. Im Keller wurden Super 8 Loops projiziert.

Es redeten verschiedene Leute. Der Beitrag eines Künstlers ist mir in Erinnerung geblieben. Er bedankte sich brav für die Förderung des Projekts. Und dann meinte er, so ein Art Space "könnte auch nette Leute auf das Ostufer locken". Im Ernst, das hat er gesagt! Er hält die Bevölkerung des proletarischen Stadtteils scheinbar nicht für "nett". Und er war damit nicht allein. Ich hatte eine Zeit in einer Firma mit studentischen Kollegen zusammengearbeitet. Die erzählten die wildesten Schauergeschichten über Gaarden, als sei es die Bronx. Damals trauten sich einige Studenten echt nicht aufs Ostufer.

Die Distanz dieses Künstlers zu alten Werftarbeitern, Arbeitsmigranten und armen Leuten, war wirklich bitter.

Kuddel

Jetzt mal wieder zurück ins Subrosa.

Auf dem Podium: Soziale Beratung (Stadtteilladen), Subrosa und Revolutionäre Ungeduld. (https://www.ungeduld.net/nfru)

In der Raummitte saß eine Trulla vom Quartierbüro (oder so ähnlich) mit einer 20 Std. Stelle. Sie war der pure Horror. Sie ist eine unbezahlbare Propagandistin der Stadt, sie glaubt an das, was sie da macht völlig inbrünstig. Sie will doch nur helfen. "Es geht um den sozialen Zusammenhalt". Es geht um die soziale Befriedung, verdammtnochmal! Sie hat den ganzen Saal um den Finger gewickelt. "Man kann ganz toll mit ihr zusammenarbeiten!" Es war so erbärmlich.

Sie hat die Leute überzeugt, daß die Kulturrotation rein gar nichts mit Gaarden hoch 10 zu tun hat. Die steht nur zufällig mit auf der Gaarden10 Webseite, sonst nichts.

Ich hatte da noch gesagt, daß ich schon der Meinung bin, daß auch arme Leute das Recht auf Kultur und Zerstreuung haben.

Aber das findet nicht im luftleeren Raum statt. Ich hasse die Spekulantenschweine, wie Vonovia und LEG und ich hasse die Stadt Kiel, weil sie den Spekulanten einen roten Teppich auslegt und ihnen das nötige Umfeld schafft. Deshalb würde ich nicht mit der Stadt zusammenarbeiten. Sie steht auf der anderen Seite der Barrikade.

Und in der huntertausendsten Wiederholung: Gentrifizierung findet IMMER unter Mitwirkung von Künsltern statt!!!

Quartierbüro: Kulturrotation gab es schon lange und wurde unabhängig von der Kulturszene organisiert. Unser neuer OB fand das gut, hat sich nur rangehängt und will das unter dem Label Kulturrotation unterstützen mit den etwas bürokratischen Möglichkeiten der Stadt. Von den 10.000 kriegt jeder Künstler für den Tag 50€. Die Stadt mischt sich inhaltlich nicht mit ein. Es ist weiterhin ein reines Künstlerding.

Das Ding war gelaufen. Die Künstlerszene hatte, was sie wollte. Eine Absolution für die Beteiligung an der Kulturrotation. Sie gerieten richtig in Rage. Sie wünschten sich jeden Tag Konzerte und Parties auf der Straße.

Die leben in ihrer eigenen Welt. Sie haben keine Ahnung, was die Gaardener wollen. Die Verarmung ist überall krass sichtbar, die Armen werden nach und nach verdrängt, die Bullen fallen in paramilitärischer Aufmachung im Viertel ein, um gegen Armutskriminalität vorzugehen. Meint ihr, die Leute haben Bock, euch tanzen zu sehen?

Das ist der Thread "Stadtteilarbeit".
Ich habe versucht zu kritisieren, daß diese Kleinkunstszene sich weigert, ihr Tun kritisch zu hinterfragen und unfähig zu politischen Gedanken ist.

Anders in Bremen Gröpelingen. Ihre Diskussionen haben dazu geführt, daß sie ihre Unabhängigkeit wahren, indem sie die Kooperation mit Institutionen und das Annehmen von Kohle verweigern. Das haben sie auch öffentlich erklärt und das ist wichtig.

Wenn die auf der Straße sind, weiß jeder, daß es keine Hampelmänner der Stadt sind. Sie kämpfen gegen das Jobcenter, gegen die Wohnungsbaugesellschaften, gegen Abschiebungen und gegen rassistische Bullen. Das hat ihnen einen enormen Respekt unter den einfachen Menschen gebracht. Sie haben eine Gesangsgruppe gebildet und texten neue Kampflieder. Das ist Kultur, die aus den Kämpfen und aus dem Stadtteil kommt.

Fritz Linow

Nochmal zu dieser Kulturrotation in Kiel-Gaarden:

Da finden halt jede Menge Konzerte und Aufführungen statt und man kann da schon rumlaufen. Notfalls trifft man halt alte Bekannte oder sieht Hackfressen, die man nicht sehen wollte.
Bisweilen gibt es zumindest interessante Konzerte gerade von irgendwelchen Sozialträgern, die die migrantische Struktur des Stadtteils berücksichtigen. Selbst an den Hotspots, an denen kulturbegeisterte Hirnfickdödels "Unser Dorf soll schöner werden" spielen, lässt es sich aushalten. Bisweilen kann man den Kram tatsächlich ertragen.

Am nächsten Tag ist alles beim Alten und die Probleme sind wieder da. Erschreckend ist die Oberflächlichkeit der linksalternativen Blase, die in welcher Form auch immer Projekte und Ideen entwickelt, um Kunst, Kultur und vor allem Stadtteilentwicklung voranzubringen, da eben diese Bubble der Meinung ist, damit eine "solidarische Resilienz" (in etwa Eigensprech der Propagandaabteilung der Stadt Kiel) zu schaffen. Im dümmsten Fall dient diese herbeigesehnte "solidarische Resilienz" der sozialen Befriedung, denn im Zweifel werden erstmal die Kartoffelottos gewinnen.

Für viele, die in Gaarden wohnen, scheint diese Kulturrotation wie ein Fremdkörper zu wirken, sonst wäre mehr los gewesen. Was zählt sind die Bilder eines bunten Stadtteils, in dem sich alle liebhaben und jeder soooo viel machen kann, und sei es verzweifelt an den Zitzen der Stadt zu hängen.

In Bezug auf eine eigenständige Stadtteilarbeit scheint diese linksalternative Macherszene komplett für'n Arsch zu sein. Und nu?

Kuddel

In Berlin Neuköln hat man sich gegen das Kuscheln mit dem Quartiersmanagement entschieden.

Ein etwas älterer Text:

ZitatHeute will sich das Quartiersmanagement Schillerpromenade mit einer Ausstellung feiern und "erfolgreiche" Arbeit dokumentieren. Ja, leider war sie erfolgreich im Sinne der Aufwertung des Kiezes für die Mittelschicht und die Vertreibung unerwünschter Armer.
(...)
Schon 2010 wurde in der Stadtteilzeitung ,,RandNotizen" geschrieben:
,,Das Quartiersmanagement (QM) Schillerpromenade wird nicht gebraucht. Es gehört abgeschafft und zwar eher heute als morgen. Es ist nicht Teil der Lösung der Probleme hier im Kiez oder der ganzen Stadt, sondern Teil des Problems. Das Problem ist der neoliberale Staat, die politische Entwicklung der letzten 20 Jahre mit dem Abbau des Sozialstaats und der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und die verschärfte Degradierung von Menschen zu bloßen Objekten der Vermarktung und In-Wertsetzung. Allein das Wort Management in dem Begriff Quartiersmanagement zeigt schon, wohin die Reise geht. Soziale Probleme sollen nicht gelöst, sondern die Menschen, um die es geht, sollen irgendwie bearbeitet, befriedet und ruhig gestellt werden."
https://nk44.nostate.net/2019/08/22/20-jahre-qm-schillerpromenade-sind-kein-grund-zum-feiern/

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Kuddel

Ich mag Solidarisch in Gröpelingen. In dieser Initiative gibt es "Szenelinke", Migranten, die sich in ihren Heimatländern politisiert haben und geschult sind und diverse Betroffene von Schikanen vom Jobcenter oder der Ausländerbehörde oder von Lohnraub und ähnlichem ohne sich je politisch engagiert zu haben. Sie versuchen auf Augenhöhe ihre Fähigkeiten und ihre Wut zusammenzubringen, um gemeinsam dem Druck von Ausbeutung, Erniedrigung und Rassismus die Stirn zu bieten.

Da malen Menschen erstmalig in ihrem Leben Transparente oder reden über ein Megaphon, obwohl sie nur gebrochen Deutsch sprechen. Diese Leute, die noch nie Berührung mit "Politik" hatten, bestimmen den Weg der Initiative und der Proteste mit. Ich finde das großartig.

Dazu gehören viel Kleinarbeit und auch Rückschläge. Man braucht ein dickes Fell und viel Geduld.

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Nikita

Bei uns ist dauerhaft eine von mehreren Stadtteil-Initiativen ins Rollen gekommen. Wir sind dort unpolitisch und wollen einfach den Stadtteil begrünen und verschönern. Die Stadt und der Stadtbezirk unterstützen uns sehr gut, obwohl es eine Haushaltssperre gibt. Wir haben schnell Fortschritte erzielt, weil wir viel selbst machen. Ich habe noch niemanden in der Initiative erlebt, mit dem ich nicht umgehen möchte, obwohl wir bunt gemischt sind. Viele sind älter als ich. Wir haben uns fast automatisch mit anderen Initiativen verknüpft und tauschen uns aus. Man hilft sich, lässt sich aber nicht reinreden.

Jemand hat einfach mal über nebenan.de gefragt, wer Lust hat mitzumachen und aufgepasst, dass die Initiative nicht einschläft. Auf einen Schlag kenne ich jetzt viele Nachbarn (im weiteren Sinne) hier im Viertel. Ich habe in kurzer Zeit viel über das Viertel gelernt und niedrigschwellig Zugang zu Menschen und Einrichtungen. Es hat mich aus der Anonymität herausgerissen - in positiver Weise.

Das darf als Plädoyer für: einfach-mal-machen gesehen werden.

Nebenstory:
Beim letzten Treffen saß jemand neben mir, nannte mir seinen Vornamen und war sehr aktiv in der Gruppe. Er ist nett, aber irgendwie anders.
Am nächsten Tag erfuhr ich, dass es der Stadtbezirksabgeordnete der CDU ist. Hätte ich es vorher gewusst, wäre ich wohl gegangen oder hätte mich weggesetzt. Schön, dass es nicht so war. Jetzt duzen wir uns und ich habe mir nicht die Chance genommen, ins Gespräch zu kommen.
Die CDU hier in der Stadt ist ansonsten die Pest in Person.

Fritz Linow

ZitatJemand hat einfach mal über nebenan.de gefragt, wer Lust hat mitzumachen und aufgepasst, dass die Initiative nicht einschläft.

Dieses nebenan.de mag ja ganz nett sein, aber eine Stadtteilarbeit von unten ist das mit Sicherheit nicht, geschweige denn eine Art Stadtteilgewerkschaft. Dahinter steckt Good Hood GmbH, und das ist laut Bundesanzeiger ein Unternehmen von Burda.

Kann man ja nutzen, um sich kennenzulernen und zu vernetzen, aber mehr auch nicht.


Kuddel

Angesichts der Auseinandersetzungen in Duisburg-Marxloh sind mir ein paar grundsätliche Gedanken zur Stadtteilarbeit gekommen.

Gegen den Versuch einer massenhaften Zwangsräumung kam es zu Massenprotesten der migrantischen Mieter.

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Soweit ich es aus der Ferne beurteilen kann, handelt es sich um Selbstverteidigung der Betroffenen, die sich selbst organisiert haben. Es hat wenig mit den zur Zeit politisch angesagten Stadtteilinitiativen zu tun, die von linken Deutschen gegründet worden sind.

Mir scheint es etwas zu sein, was deutsche Linke herzlich wenig auf dem Zettel haben: Die Kräfte und Talente der Migranten.

In Stockholm Husby gibt es eine beeindruckende Stadtteilini, die von Migranten gegründet worden ist. Ich habe den Gründer, einen irakischen Kurden, kennengelernt. Er hat von typischen Erlebnissen Flüchtender auf ihrer Fluchtroute erzählt, die die Menschen prägen und ihnen das Vertrauen in Menschen rauben. Das müsse man verstehen, wenn man sich ihnen nähern will. Der Aufbau von Vertrauen funktioniert eher zu Leuten, die selbst Fluchterfahrungen haben. Diese Stadtteilgruppe geht gemeinsam gegen Ausbeuter vor, die ihre Beschäftigten um ihren Lohn betrogen haben.

Eine wichtige Bewegung hierzulande ist das Entstehen der Migrantifa. Sehr gute Sache, finde ich.

Solidarisch in Gröpelingen ist eine der bekanntesten Stadtteilinis in Deutschland. Sie hat auch begonnen als Initiative einiger linker Deutscher. Sie haben hinbekommen, schon früh linke Migranten in ihren Organisationskern aufzunehmen. Inzwischen ist es ihnen gelungen, Vertrauen und eine Basis in der stark migrantischen Bevölkerung aufzubauen. Bei ihren Treffen und Aktionen ist die Zusammensetzung bunt, mehrheitlich migrantisch.

Das klappt an anderen Orten nicht. Da sollte man sich Gedanken drüber machen.

Wanderratte

Zitat von: Kuddel am 16:44:00 Mi. 11.September 2024Solidarisch in Gröpelingen ist eine der bekanntesten Stadtteilinis in Deutschland. Sie hat auch begonnen als Initiative einiger linker Deutscher. Sie haben hinbekommen, schon früh linke Migranten in ihren Organisationskern aufzunehmen. Inzwischen ist es ihnen gelungen, Vertrauen und eine Basis in der stark migrantischen Bevölkerung aufzubauen. Bei ihren Treffen und Aktionen ist die Zusammensetzung bunt, mehrheitlich migrantisch.

Das klappt an anderen Orten nicht. Da sollte man sich Gedanken drüber machen.
Dass es an anderen Orten nicht klappt, muss meiner Meinung nach nicht daran liegen, dass irgendwas nicht berücksichtigt bzw. vernachlässigt wurde.

Klar, man kann sehr viel tun, damit sich Migranten für Stadtteilinitiativen interessieren. Für sinnvoll halte ich beispielsweise Flugblätter in mehreren Sprachen, "Dolmetscher" bei Beratungsgesprächen und Veranstaltungen, Deutschunterricht oder Nachhilfe für Schüler. Sinnvoll ist auch, Migranten persönlich einzuladen oder einfach zu fragen, was sie sich bezüglich der Stadtteilinitiative wünschen. Bestenfalls macht das jemand mit derselben Landessprache.

Doch möglicherweise wird das alles schon gemacht und es klappt trotzdem nicht.

Denn trotz aller Anstrengungen und trotz großem Engagement kann es sein, dass beispielsweise nur sehr wenige Migranten an der Stadtteilinitiative interessiert sind. Ich denke nicht, dass man den Erfolg einer Initiative planen kann. Menschen sind verschieden und es muss alles zusammenpassen.

Manche Menschen wollen vielleicht lieber unter sich sein oder haben andere Interessen. Möglicherweise ist es mit homogenen Migrantengruppen einfacher, etwas aufzubauen. Dann hängt es selbstverständlich auch noch von der politischen Einstellung der einzelnen Menschen im Stadtteil ab. Oder wie viel Zeit jemand hat!

Was ich damit sagen möchte: Es hängt immer von den jeweiligen Umständen ab, ob eine Stadtteilinitiative für Migranten attraktiv ist oder nicht. Es sind immer mehrere Aspekte, die darüber entscheiden, wie erfolgreich eine Initiative ist. Es geht also nicht allein darum, alles möglichst perfekt zu machen. Man kann sich zwar anschauen, was beispielsweise die Stadtteilinitiative "Solidarisch in Gröpelingen" macht. Man kann sich dort auch Anregungen holen. Man kann sogar alles eins-zu-eins übernehmen. Das heißt dann aber noch lange nicht, dass es woanders genauso gut funktioniert wie in Gröpelingen.

Wenn man an zwei Orten genau dasselbe anbietet, funktioniert es an dem einen Ort, am anderen Ort aber womöglich nicht.

Kuddel

Hier mal ein paar Gedanken und praktische Erfahrungen aus der Schweiz:

ZitatZürich Solidarisch: Von der Rechtsberatung zum Klassenkampf?

Die Stimmung im Kafi Klick in Zürich Wiedikon ist ausgelassen. Zu Shakira-Covers und Reggaeton-Rhytmen wird getanzt und mit Prosecco angestossen. Am «Erfolgsfest» von Zürich Solidarisch gibt es zum Feiern allen Grund: Mehr als 200'000 Fr. hat die Gruppe in den letzten vier Jahren zurückerstritten: Nicht bezahlte Löhne, unrechtmässige Lohnabzüge, überhöhte Nebenkosten, Entschädigungen für missbräuchliche Kündigungen. Dabei begegnete sie zwielichtigen Reinigungsunternehmern, gewalttätigen Restaurantbetreiberinnen, genervten SVP-Friedensrichtern und dem schmierigen CEO von Batmaid.



An diesem sonnigen Herbstnachmittag haben viele Besucher:innen des Erfolgsfests eine Geschichte zu erzählen – die meisten auf Spanisch: Von übergriffigen Vorgesetzten, fristlosen Kündigungen, schimmligen Wohnungen zu überrissenen Mieten und immer wieder von nicht bezahlten Löhnen. Aber auch davon, wie sie sich mit Kolleg:innen zusammentaten, wie sie zum Treffpunkt von Zürich Solidarisch kamen und Gleichgesinnte fanden. (...)



Zürich Solidarisch wurde 2020 mit einem dezidiert antikapitalistischen Anspruch gegründet. Es entstand aus den linksradikalen und basisgewerkschaftlichen Zusammenhängen, die zu Beginn der Pandemie bereits das Corona-Solifon initiiert hatten. Sie konnten dabei auch auf jahrelangen Erfahrungen des SolNet (solidarisches Netzwerk, welches ebenfalls im Kafi Klick stattfand) aufbauen. Neben den zweiwöchentlichen Beratungs-Treffpunkten organisiert die Gruppe Veranstaltungen zur Wissensweitergabe und Kundgebungen, um auf Arbeitskämpfe aufmerksam zu machen. Zu den Treffpunkten kommen Arbeiter:innen, um Unterstützung bei Konflikten an ihrem Arbeitsplatz oder mit ihrem Vermieter zu suchen.

Vor dem Kafi Klick

Seit Ende 2020 betreibt ein offener Zusammenschluss von Menschen in Zürich eine Mischung aus Worker Center und solidarischem Netzwerk (SolNet). Dieses Projekt nennt sich Zürich Solidarisch und ist aus dem Corona-Solifon entstanden, über das dieser Band ebenfalls einen Text enthält. Die Gruppe von Aktivist:innen und Organizer:innen rund um Zürich Solidarisch führt in den Räumlichkeiten des Kafi Klick – einer Anlaufstelle für Armutsbetroffene1 – zweiwöchentlich Beratungen in Miet- und Arbeitsrechtsfragen durch, organisiert Vernetzungsanlässe und Workshops und begleitet Menschen in Kämpfen gegen ihre Chefs und Vermieter:innen.


Und Drinnen. Bei einem Austausch mit cheduzen aus Deutschland.

Widersprüche in der Klasse anerkennen, aushalten und zur eigenen Weiterentwicklung nutzen

Was wir bislang nicht wirklich schaffen, ist, dass Leute, die wir über einen Erstkontakt beim Treffpunkt in einer Beratung kennenlernen und die vielleicht auch zu Veranstaltungen kommen oder beim ersten Mai mit uns zusammen in der Demo laufen, in die Kerngruppe von Aktiven integrieren können. Das mag einerseits daran liegen, dass dies die Teilnahme an Sitzungen und doch einiges an Organisatorischem beinhaltet andererseits daran, dass die zeitlichen Ressourcen knapp sind oder auch daran, dass wir noch keine klare Sprache gefunden haben um den Leuten zu vermitteln, dass wir uns dies wünschen würden. Dazu kommen Hindernisse wie die Sprache – unsere Sitzungen und auch die Dokumentation sind bislang ausschliesslich auf Deutsch, ein Grossteil der Leute, die zum Treffpunkt kommen sprechen aber andere Sprachen – und vielleicht doch auch eine Art Szenehabitus der für Leute ausschliessend wirken kann, gerade bei Sitzungen. Was wir aber sehr gut abdecken können ist die Mehrsprachigkeit beim Treffpunkt und die Übersetzung bei Veranstaltungen, um zumindest dort Hindernisse abzubauen.

In unserer Basisarbeit – sei das im Format des Treffpunkts und den Beratungen oder bei gemeinsamen Veranstaltungen und Workshops – wird deshalb jedoch manchmal auch etwas schmerzlich klar, wie schwierig es sein kann, sich immer wieder mit Widersprüchen in der eigenen Klasse auseinanderzusetzen und diese aushalten zu lernen. Wir treffen uns in unserer täglichen Arbeit immer wieder in Situationen an, in denen Machtverhältnisse innerhalb der Klasse auf verschiedene Arten zum Ausdruck kommen. Zu Unterschieden in materiellen Bedingungen und dem Zugang zu Ressourcen kommen ideologische und politische Differenzen, diskriminierende Vorurteile gegeneinander, Gewalterfahrungen und Unterdrückung aufgrund von persönlichen Merkmalen ausgehend von anderen Teilen der Klasse.
...

https://communaut.org/de/zuerich-solidarisch-von-der-rechtsberatung-zum-klassenkampf

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