Arbeit und linke Politik

Begonnen von admin, 12:33:57 Di. 09.Oktober 2018

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dagobert

Zitat von: Hartzhetzer am 05:18:08 Do. 11.Mai 2023Ist es für einen Unternehmer in Deutschland nicht viel bequemer einen Betriebsrat zuzulassen und sich indirekt in diesen einzukaufen als dagegen anzukämpfen?
Ein Grund dürfte sein, dass bei existierendem Betriebsrat immer die "Gefahr" besteht, dass mal jemand dort rein gewählt wird, der sich nicht kaufen lässt. Je nach Unzufriedensheitsgrad in der Belegschaft auch mehrere. Und über diverse Klagerechte kann ein Betriebsrat auch etwas mehr als ein zahnloser Tiger sein.
Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann; wie man den Frieden führt, das weiß kein Mensch.
Karl May

Kuddel

Der Arbeitsplatz mag der Ort sein, an dem man mehr politisch bewegen kann als sonstwo.

Es ist aber nicht leicht, an einem Arbeitsplatz psychisch unbeschadet zu bestehen. Früher gab es weitaus mehr Nischen in Betrieben, an denen man überleben konnte, nachdem man z.B. durch einen Betriebsunfall nicht mehr voll belastbar ist. Überhaupt gab es Arbeitsplätze für Menschen, die einfach nicht mithalten konnten. Diese Arbeitspätze wurden wegrationalisiert. Die Betroffenen sind nun auf staatliche Unterstützung angewiesen und haben ihr soziales Umfeld verloren, oftmals auch ihr Selbstwertgefühl.

Arbeitsplätze sind immer weniger ein sozialer Ort, die Sicherheit dort bleiben zu können ist meist futsch. Beschäftigte werden ausgetauscht ja nach Auftragslage. Viele schleppen sich mit Depressionen oder Angst zur Arbeit. Das ist keine gute Grundlage, um zu kämpfen.

Linke leiden genauso unter diesen Bedingungen. Oftmals ist ein Posten als Vertrauensmann oder Betriebsrat ein Ausweg. In größeren Betrieben ist das mit Freistellung verbunden. Leute, die das mal erlebt haben, wollen oft nicht mehr zurück in die Produktion. Sie verkaufen ihre Großmutköter (oder ihre Kollegen), um so einen gewerkschaftlichen Posten behalten zu können. Es gibt auch andere, aber es ist nicht leicht, in einem System wie einem Betrieb aufrecht zu bleiben.

Es gibt auch betriebliche Aktivitäten jenseits dieser Strukturen. Betriebsgruppen undcover ohne Posten und Privilegien.

Von solchen Erfahrungen würde ich hier gern lesen...

Wanderratte

Erfahrungen habe ich leider keine. Doch ich habe mir einige Gedanken zu dem Thema gemacht. Ich finde, es ist ein sehr wichtiges Thema.

Sollte es tatsächlich so sein, dass eine Veränderung der Verhältnisse nur über die Betriebe möglich ist, dann sollte man genau dort beginnen. Egal wie scheiße arbeiten an sich ist.

Ich hatte ja schon so einige Jobs während meiner Zeit an der Uni. Einen sogar 14 Jahre lang (Teilzeit)! Echte Betriebsarbeit existierte nicht. Es gab die DGB-Gewerkschaft und einen Betriebsrat, der der Gewerkschaft nahe stand. Beide konnte man größtenteils vergessen.

Es kam mir immer so vor, dass die Herde der Gewerkschaft hinterherrennt. Erreicht hat man nicht viel. So, wie es mit DGB Gewerkschaften halt meist der Fall ist.

Auf die Idee, selbst etwas zu machen, kam ich damals leider nicht. Auf den Gedanken, es anders/besser zu machen, erst recht nicht. Echte unabhängige Betriebsarbeit kannte ich nicht.

Es gab sehr viel Unzufriedenheit im Betrieb. Es wurde viel geschimpft. Geändert hat das logischerweise nichts an der Situation.

Mittlerweile frage ich mich, was hätte ich getan, mit dem Wissen von jetzt. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, eine Betriebsgruppe zu gründen? Ich weiß es nicht. Ich hätte es aber zumindest versucht.

Vielleicht sollte man klein anfangen. Sich irgendwo treffen, sich darüber austauschen, welche Probleme man hat und dann gemeinsam überlegen, was man dagegen tun könnte.

Ich war immer froh, dass mir das Arbeiten weitestgehend erspart blieb. Jetzt erst denke ich, dass es auch eine Chance hätte sein können.

Das alles sind für mich komplett neue Aspekte. Für mich war arbeiten immer nur scheiße. So wenig wie irgendwie möglich! Wenn der Job länger ging, hieß es halt, das Beste daraus machen. Blödsinn machen mit Kollegen war schon irgendwie cool. Das möchte ich nicht missen. Ich denke noch immer sehr gerne daran zurück. Doch daran, dass man auch politisch was hätte tun können, hatte ich nie gedacht. Das Wissen von jetzt hatte ich damals leider noch nicht.

Erfahrungen mit unabhängigen Betriebsgruppen oder anderen Aktivitäten interessieren mich auch sehr. Interessant wäre auch die Frage, wie fängt man an. Okay, ich selbst arbeite zur Zeit nicht, treffe aber ab und an noch frühere Kollegen (zufällig). Vielleicht lässt sich ja doch noch irgendwas tun. Ich könnte zumindest von außen unterstützen.

Zitat von: Kuddel am 14:27:33 Mo. 02.Dezember 2024Es gab mal Linksradikale, die haben mit mehreren Leuten auf einer AKW Baustelle angeheuert. Sie wollten die Kollegen auf der Baustelle aufwiegeln, um den Bau des AKW von innen her anzugreifen. Dieser Versuch ist gescheitert. Sie haben aber darüber berichtet, was sie vorhatten, wie sie vorgegangen sind, und wie die anderen Arbeiter reagiert haben. Ich fand das sehr interessant und wünsche mir mehr solcher Erfahrungsberichte, auch wenn sie nicht erfolgreich waren.
Ich finde solche Erfahrungsberichte auch sehr interessant. Haben sie im Internet darüber berichtet? Wenn ja, bin ich sehr an dem Link interessiert.

Zitat von: Kuddel am 14:27:33 Mo. 02.Dezember 2024Ich kann hier schlau herumquatschen, aber meine Versuche eine radikale Betriebsarbeit zu machen, sind zu 90% gescheitert. Es gab aber auch ein paar tolle Erlebnisse.
Ein paar tolle Erlebnisse, das war es doch wert, finde ich.

Ich denke, dass es nicht einfach ist. Ein Bewusstsein für Mißstände zu schaffen reicht halt leider nicht aus. Die Menschen denken oftmals, dass man sowieso nichts ändern kann und/oder sie haben Angst, ihren Job zu verlieren. Das ist zumindest meine Erfahrung.

10% sind aber immer noch besser als 0%. Wenn sehr viele Menschen was machen, dann erreicht man insgesamt auch dann noch sehr viel, wenn man nur zu 10% erfolgreich ist. Es ist halt leider oftmals sehr schwierig mit den Menschen.

Kuddel

Daß vieles so anders ist, als wir es uns wünschen, ist schon klar.
Die Frage bleibt, wie man es ändert. Dazu muß man seiner Phantasie freien Lauf lassen und neues ausprobieren.

Wie gesagt, die Gewerkschaften sind hierzulande solala, teilweise hilfreich, teilweise ein Hemmschuh. Die gewerkschaftliche Organisierung ist in Deutschland recht niedrig. Das heißt nicht, daß man nichts machen kann.

Eine engagierte Krankenschwester berichtete auf einer Veranstaltung davon, daß sie Verdi nutzt für die Kämpfe im Krankenhaus. Aber manchmal will Verdi nicht mitziehen, manchmal ist auch die Gewerkschaft zu schwach. Sie berichtete davon, daß sie als Krankenhausbewegung deshalb zur Streikunterstützung Leute jenseits der Gewerkschaftsszene moblisiert haben, die Nachbarschaft, den Stadtteil mitsamt Sportvereinen und Kneipen. Das hat erstaunlich gut funktioniert. Dazu muß man sich aber auch intensiv um solche Kontakte ekümmern.

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