Die EU beerdigt das Bankgeheimnis

Begonnen von Siebdruck, 08:19:17 Di. 25.März 2014

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Siebdruck

http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschafts-und-finanzportal/der-lange-weg-zum-aia-1.18269678

ZitatDie Verabschiedung der erweiterten Zinsbesteuerung ist für die EU ein wichtiger Zwischenschritt zur flächendeckenden Einführung des AIA. Richtschnur ist der OECD-Standard; mitmachen soll auch die Schweiz.

Nach dem politischen Durchbruch am EU-Gipfel von Ende letzter Woche haben die EU-Staaten am Montag die revidierte Richtlinie (Gesetz) über die grenzüberschreitende Besteuerung der Zinserträge natürlicher Personen einstimmig formell verabschiedet . Eine inhaltliche Diskussion war nicht mehr nötig, weshalb diese Formalität von den zufällig tagenden Agrarministern vollzogen wurde. Der EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta sprach vor den Medien von einem «bedeutenden Schritt» im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Erstens würden Schlupflöcher für Steuerhinterzieher geschlossen, zweitens sei der Schritt von politischer Symbolik: Dass dieses Dossier nach jahrelanger Blockade deblockiert worden sei, sei ein Beweis für die breite Akzeptanz, dass «die Tage des Bankgeheimnisses vorbei» seien.
Gestritten wird seit 1989

In der Tat hat die EU damit einen wichtigen Teil eines eigentlichen Paradigmawechsels vollzogen. Dass ihre Bürger die Besteuerung ihrer Vermögenserträge durch Anlagen im Ausland umgehen könnten, treibt die EU schon lange um. Einen ersten Abhilfe-Vorschlag der EU-Kommission gab es bereits 1989, doch erst Mitte 2005 wurde die derzeit geltende Zinsbesteuerung in Kraft gesetzt (vgl. Zeittafel). Möglich wurde dies erst, nachdem die EU fünf Drittstaaten, darunter die Schweiz, zum Mitziehen hatte gewinnen können. Die bilateralen Zinsbesteuerungsabkommen mit diesen Nachbarn sollen Umgehungsmöglichkeiten kappen. Verbunden mit der Debatte war ein zäher Glaubenskrieg zwischen den beiden Modellen Quellensteuer und automatischer Informationsaustausch (AIA, vgl. Kasten). Schon am EU-Gipfel vom Juni 2000 rückten die Mitgliedstaaten von der zuvor angepeilten Koexistenz der beiden Modelle zugunsten des AIA als Endziel ab. Doch die Schweiz beharrte auf der Quellensteuer und Belgien, Luxemburg und Österreich erkämpften sich das Recht, diese wenigstens übergangsweise anzuwenden (Belgien hat 2010 freiwillig gewechselt).
Neu auch Trusts im Visier

Doch das Dispositiv von 2005 war ein Kompromiss voller Schlupflöcher. Schon 2008 hat die EU-Kommission deshalb eine Revision der Richtlinie vorgeschlagen . Diese ist nun beschlossen, und sie gilt ab 2017. Sie setzt im Wesentlichen an zwei Stellen an: Erstens werden künftig auch Zinserträge erfasst, die bis jetzt der Besteuerung durch die Zwischenschaltung juristischer Personen und Arrangements wie Stiftungen und Trusts entgehen. Liegen solche Strukturen in Nicht-EU-Staaten, die sie gar nicht besteuern, soll künftig die Zahlstelle in der EU ihre Informationen über den tatsächlichen Eigentümer (den sie aufgrund der Geldwäsche-Vorschriften kennen müsste) nutzen. Liegen die Stiftungen oder Trusts innerhalb der EU, wird dasselbe Problem unter anderem durch eine klarere Definition jener Strukturen (einschliesslich Trusts usw.) angegangen, die die Richtlinie anzuwenden haben.

Zweitens kann die Besteuerung bis jetzt durch Produkte umgangen werden, die zinstragenden Anlagen ähnlich sind, aber rechtlich nicht als solche gelten. Dieses Problem wird durch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie angegangen. Neu einbezogen werden zum Beispiel bestimmte Lebensversicherungsverträge, ausgeweitet wird der Einbezug von Anlagefonds.
Flächendeckender AIA

Die Novelle war in der Sache kaum bestritten. Dennoch haben Luxemburg und Österreich ihre Verabschiedung jahrelang blockiert, weil sie befürchten mussten, mit der Revision auch zum AIA übergehen und damit das Bankgeheimnis für Ausländer aufheben zu müssen. Inzwischen allerdings ist dieser Paradigmawechsel de facto beschlossene Sache. Stark beschleunigt hat dies die Foreign Account Tax Compliance Act der USA, die AIA-ähnliche Abkommen erfordert und die Washington wenig zimperlich durchsetzt. Dies gab den AIA-Bemühungen der EU massiven Auftrieb und trug dazu bei, dass die G-20-Staaten und die OECD den AIA zum globalen Standard machen. Dem wollen oder können sich Luxemburg und Österreich nicht mehr widersetzen.

Sie pochen allerdings darauf, es dürfe nicht zwei Standards für den AIA geben, den globalen und einen in der EU. Darüber ist man sich in der EU indessen einig. Deshalb soll das EU-interne Recht an den globalen Standard angepasst werden, sobald dieser vorliegt. Dies gilt nicht nur für die Zinsbesteuerung, sondern auch für einen zweiten Vorschlag der EU-Kommission vom letzten Sommer: Mit einer Revision der Richtlinie über die Verwaltungszusammenarbeit in Steuersachen soll der AIA auf weitere Bereiche ausgedehnt werden, die die Zinsbesteuerung nicht erfasst, darunter Dividenden und Veräusserungsgewinne, die an natürliche Personen in einem anderen EU-Staat gezahlt werden. Zusammen mit der «neuen» Zinsbesteuerung soll diese Neuerung einen flächendeckenden AIA installieren. Die EU will die Novelle bis Ende Jahr verabschieden und das gesamte Paket möglichst zeitgleich in Kraft setzen, was 2017 oder etwas später der Fall sein dürfte.

Die EU drängt nun darauf, dass auch die fünf Drittstaaten diesen gesamten Wechsel mitmachen. Sie sollen also nicht nur Hand bieten zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Zinsbesteuerung, sondern auch zum Übergang zum AIA und zum Einbezug der übrigen Erträge wie der Dividenden. Semeta sagte am Montag, die Drittstaaten hätten nun akzeptiert, dass der AIA den Kern ihrer Steuer-Beziehungen mit der EU bilden müsse. Aus seinem Umfeld verlautete, das Verhandlungsmandat der Kommission, auf dessen Basis diese seit kurzem mit den Drittstaaten verhandelt, decke all dies ab, weil es die Berücksichtigung internationaler Entwicklungen fordere. Abkommen mit ihnen seien sinnvoll, auch wenn sie den globalen Standard übernähmen: Man brauche einen gemeinsamen Rahmen statt 28 bilaterale Verträge zur Umsetzung. 
Sagt der Foerster zu einem Jungen, der Pilze sammelt:
"Die sind doch alle giftig!"
"Macht nichts", meint das Kind, "die verkaufe ich an der Autobahn."

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