Irakische Armee: Deserteure und «Schattenkämpfer»

Begonnen von Kater, 23:58:09 Mo. 14.April 2008

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Kater

ZitatDeserteure und «Schattenkämpfer»
von Peter Blunschi

Die irakische Regierung hat rund 1300 Soldaten und Polizisten entlassen. Sie waren desertiert oder hatten sich geweigert, gegen schiitische Milizen vorzugehen. Der Vorfall wirft ein Schlaglicht auf die Unfähigkeit der Regierung, das eigene Land zu kontrollieren.

Im letzten Jahr zeigte sich US-Präsident George W. Bush noch optimistisch: Bis November 2008 soll die Kontrolle über alle 18 Provinzen des Landes an die Iraker übergeben werden, kündigte er an. Davon ist keine Rede mehr. Das irakische Verteidigungsministerium gehe davon aus, dass man frühestens Ende 2012 in der Lage sein werde, das Land vollständig zu kontrollieren, berichtete letzte Woche die «Neue Zürcher Zeitung».

Wie weit die Regierung von diesem Ziel entfernt ist, zeigte das Debakel von Basra. Ministerpräsident Nuri al-Maliki hatte die Sicherheitskräfte im vergangenen Monat angewiesen, gegen die zahlreichen bewaffneten Gruppen in der Stadt vorzugehen, allen voran gegen die Mahdi-Miliz des radikalen schiitischen Predigers Muktada al Sadr. Der Widerstand war jedoch unerwartet heftig. Darauf meuterten kurzerhand rund 1000 schiitische Angehörige der Sicherheitskräfte, darunter auch ein komplettes Infanterie-Bataillon. In der Stadt Kut weigerten sich rund 400 Polizisten, gegen die Milizen vorzugehen.

Eine Milliarde Dollar pro Jahr

Die Regierung hat darauf mit dem Rauswurf von rund 1300 Soldaten und Polizisten reagiert. Sie gesteht damit indirekt ein, dass die irakischen Sicherheitskräfte weit davon entfernt sind, als unparteiische Instanzen zu agieren. Im Mai 2003 hatte Paul Bremer als Chef der amerikanischen Besatzungsbehörde die Armee des Saddam-Regimes aufgelöst. Seither bemühen sich die USA um den Aufbau neuer Streitkräfte und lassen sich dies einiges kosten; die Rede ist von einer Milliarde Dollar pro Jahr.

Bislang aber gab es mehr Rückschläge als Fortschritte. Das Problem beginnt schon mit der Ausgangslage, in einem zersplitterten Land mit schwacher Zentralregierung eine starke Armee aufzubauen. So schwören die Soldaten gemäss «NZZ» zwar den Eid auf den irakischen Staat. Doch die Mehrheit ist nicht bereit, ausserhalb ihrer Herkunftsregion Dienst zu tun, was sie anfällig auf Einschüchterungen und Drohungen ihrer Gegner macht. Zudem bestehen ganze Verbände aus ehemaligen Milizen, deren Loyalität zweifelhaft ist. Das Debakel von Basra ist Ausdruck dieser Misere.

Zu wenige Kommandanten

Verschärft wird dieses Problem durch die Tatsache, dass die neue Armee vor allem auf der unteren und mittleren Führungsebene über zu wenig gut qualifizierte Kommandanten verfügt. Die Hoffnung, dass sich diese Lücke mit ehemaligen Offizieren aus der Saddam-Zeit schliessen lässt, hat sich gemäss «NZZ» nicht erfüllt. Nur 1600 Offiziere hätten sich gemeldet, und sie eignen sich nur bedingt für die neue Armee, da ihre Ausbildung nach sowjetischem Modell erfolgte. Selbst die genaue Truppenstärke ist unbekannt: Zahlreiche «Schattenkämpfer» stehen auf den Lohnlisten, die nie zum Dienst erscheinen.

So sind es weiterhin die Truppen der westlichen Koalition, die für Sicherheit sorgen müssen. In Basra patroullieren wieder britische Soldaten, und in der Bagdader Schiitenhochburg Sadr City kämpfen US-Einheiten gegen die Mahdi-Miliz. Die letzte Woche war die blutigste für die US-Armee seit Jahresbeginn, mindestens 17 Soldaten kamen bei den Kämpfen ums Leben. Der kommandierende General David Petraeus bat letzte Woche bei seinem Besuch in Washington um mehr Zeit und empfahl einen Stopp des Truppenrückzugs, was von Präsident Bush sofort aufgenommen wurde.

Keine schweren Waffen

Vor Ort geben sich die Amerikaner derweil optimistisch, dass sie mit dem Aufbau der irakischen Armee auf dem richtigen Weg sind. Sie hätten mittlerweile «die richtige Mischung aus Ausbildung, Beratung und Beobachtung gefunden», sagte Obert Al Dochnal, der verantwortliche Koordinator, der «NZZ». Echtes Vertrauen besteht allerdings noch lange nicht. So wollen die USA angesichts der unvorhersehbaren Zukunft des Landes die irakische Armee nach wie vor nicht mit schweren Waffen und Raketen ausrüsten.

http://www.20min.ch/news/ausland/story/14820931

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