Vor 40 Jahren: Rote Knastwoche in Oberfranken

Begonnen von Kater, 12:52:43 Do. 16.Juli 2009

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Kater

ZitatVor 40 Jahren rief die APO zur Roten Knastwoche nach Oberfranken

Ebrach/Bamberg (ddp). Es war eine der letzten großen Aktionen der Außerparlamentarischen Opposition (APO). Vor 40 Jahren, im Juli 1969, fand in der oberfränkischen Gemeinde Ebrach die sogenannte Rote Knastwoche statt. Auf Flugblättern hatte die Münchner Rechtshilfe der APO zu einer Protestwoche vor dem Ebracher Jugendgefängnis aufgerufen. «Es sollte eigentlich eine Demonstration gegen die Inhaftierung von Reinhard Wetter sein», erinnert sich der damals 29-jährige Fotograf Werner Kohn.

Der 69-Jährige sitzt in der Küche seiner Bamberger Wohnung. Vor ihm auf dem Tisch liegen geöffnete Pappschachteln mit Hunderten von Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen protestierende Studenten und junge Leute zu sehen sind. Hinter ihm an der Mauer erstreckt sich eine bunte Wandmalerei, die ein fränkisches Dorfidyll mit Kirchturm, Bierkrug und Brotzeit-Platte zeigt. So idyllisch wie auf dem Gemälde ging es 1969 in der verschlafenen Steigerwald-Gemeinde Ebrach und der benachbarten Bischofsstadt Bamberg nicht zu.

Täglich fuhr Kohn mit seinem Auto nach Ebrach, um die Ereignisse fotografisch zu dokumentieren. Die APO wollte sieben Tage lang für den Münchner Studenten Wetter demonstrieren. Wegen Schwarzfahrens in der Münchner Straßenbahn, einem angeblichen Steinwurf gegen das griechische Konsulatsgebäude sowie zwei Protestaktionen war der 22-Jährige zu acht Monaten Gefängnis verurteilt worden, die er in Ebrach absaß.

Auf einem Flugblatt hieß es damals: «Die radikale Mehrheit aus Westberlin und dem übrigen Bundesgebiet trifft sich in Ebrach.» Unter dem Slogan «Justizopfer aller Länder vereinigt euch! Mit dem Joint in der Hand, Revolution auf dem Land!» wurde den Protestlern der Knastwoche eine Wiese zum Campen samt «Riesenzelt» versprochen. Von den Beat-Bands Ammon Düll und Tangerine Dream wurden Auftritte angekündigt. «Ich habe keine einzige Band gesehen», erinnert sich Kohn und lacht.

Die anarchistische Berliner Zeitschrift «Agit 883» warf den Veranstaltern «Betrug» vor. Denn, so beschwerte sich das Magazin über das als perfekt organisiert angekündigte Knastcamp: «Genossen waren frustriert und Leute, die man oft Genossen nennt, kifften und sonnten sich, ohne an politische Konzeption zu denken.»

Als viel größeres Problem für die rund 200 Teilnehmer des Knastcamps stellte sich eine rasch erlassene Kreisverordnung des damaligen Bamberger Landrats Otto Neukum heraus. Der hatte nicht nur angekündigt, «jeder Terror wird gebrochen», sondern auch verfügt, dass «wildes Zelten» außerhalb von Camping-Plätzen verboten sei. Zwangsweise mussten sie ins unterfränkische Füttersee nahe Geiselwind ausweichen.

Auf einem von Kohns Fotos ist Fritz Teufel bei einer Lagebesprechung in Füttersee zu sehen. Neben ihm steht die spätere RAF-Terroristin Irmgard Möller, sitzend dabei Ina Siepmann, die Mitglied der terroristischen Stadtguerillagruppe «Bewegung 2. Juni» war und vermutlich 1982 im Libanon starb. Ganz links steht Thomas Weisbecker, ebenfalls späteres Mitglied der «Bewegung 2. Juni», der 1972 bei einem Festnahmeversuch von Polizisten erschossen wurde. Mit nacktem Oberkörper ist Georg von Rauch zu sehen, der 1971 bei einem Schusswechsel mit Zivilfahndern getötet wurde. «Mir hat Dieter Kunzelmann später gesagt, dass das Knastcamp, der Zeitpunkt war, an dem eine Radikalisierung eintrat», erzählt Kohn.

Den Bamberger Kunzelmann, Mitbegründer der Berliner Kommune I, hatte Kohn in München kennengelernt. Kunzelmann war es auch, der am zweiten Tag des Knastcamps, am 16. Juli, mit einer Gruppe von rund 40 Leuten in das Bamberger Landratsamt eindrang. Dort wollte die Gruppe mit dem Landrat über das Zeltverbot diskutieren. Da sich der Pförtner laut Zeitungsberichten auf der Toilette befand, gelang es der Gruppe, ins Büro Neukums zu gelangen, der jedoch außer Haus war.

Aus Protest warfen die Teilnehmer einen Packen mit Akten aus dem Fenster. Die CSU sprach von einem «Sturm aufs Landratsamt». Nach ihrer Festnahme zündeten die Demonstranten laut Staatsanwaltschaft im Gefängnis Bettwäsche an und verstopften Klos in den Zellen.

Das CSU-Parteiorgan «Bayernkurier» berichtete, dass die Zellenwände mit Exkrementen beschmiert worden seien und sprach von «entmenschten Vandalenhorden». Der damalige Bundesfinanzminister Franz-Josef Strauß (CSU) erklärte, dass sich die APO-Protestler wie Tiere benähmen, «auf die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist», was ihm später einen Rüffel vom Richterbund einbrachte.

«In Bamberg war der Teufel los», lautet der Titel eines Buches über die damaligen Ereignisse, zu dem Kohn viele Bilder beigesteuert hat. Ein Erfolg war die Knastwoche aber nicht. «Das Ziel wurde nicht erreicht», sagt Kohn. So reisten die APO-Teilnehmer nach fünf Tagen entnervt ab.

http://de.news.yahoo.com/17/20090716/tsc-vor-40-jahren-rief-die-apo-zur-roten-fc81333.html

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