Adieu

Begonnen von krapotke, 23:49:54 Mi. 01.Mai 2024

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krapotke

Seit fast genau einem Jahr bin ich nun hier im Forum angemeldet. Für mich selbst war es eine große Sache, die einen Umbruch in meinem Leben wiederspiegelte. Ich hatte den  Staatsdienst frustriert und unzufrieden verlassen, hielt mich für staatskritisch, irgendwie links und war überzeugt davon, nun zu wissen wo ich mich neu verorten könne. Ich besuchte Veranstaltungen und Vorträge. Ich lernte gesellschaftliche Realitäten kennen, von denen ich in meiner vorherigen Blase nichts mitbekommen hatte. Ich hörte Ideen, die mir zunächst einleuchteten. Zumindest so lange, bis irgendein Mensch Kritik an eben jener Idee äußerte. Nun schien mir wiederrum diese Kritik einzuleuchten. Einen eigenen und argumentierbaren Standpunkt schaffte ich nicht zu entwickeln. Mir fehlt Bildung und der akademische Hintergrund um auf Augenhöhe mitreden zu können.
Ich lief auf Demos mit, weil mich das Thema irgendwie emotional ansprach, blieb aber nach Alter, Duktus und Verhalten  ein Fremdkörper.
Ich versuchte mich hier im Forum zu beteiligen. Globale Reden zu schwingen, das gelang mir. Haltung zu konkreten Themen zu zeigen, aus denen dann auch Konsequenzen erwachsen, ist mir nicht gelungen. Die Kämpfe und Probleme waren nicht meine, ich fand keine Verbindung.
Mich treiben zwar Zukunftsängste und die Suche nach Gruppenzugehörigkeit um, ich bin aber letztlich weder ein Ausgebeuteter noch ein Linker. Ich gestehe es mir selbst nur ungern ein, aber mir stecken die Jahre als Befehlsempfänger und Duckmäuser in den Knochen. Tief im Inneren bin ich reaktionär und kleinbürgerlich geprägt. Würde man mich mit der Pistole auf der Brust dazu zwingen, zum Ukraine- oder Gazakrieg eine klare Linie ohne WischiWaschi-Ausflüchte zu formulieren, sie wäre  warscheinlich der NATO und Israel zuzurechnen.
Ich bin am ehesten das, was in linken Kreisen Reformer geschimpft wird. Ich suhle mich in einem Gefühl pseudokritischer Grundhaltung, solange ich die Gewissheit habe, dass aus der Kritik keine wirklichen Konsequenzen folgen werden. Mein Schnupperkurs in die linke Szene hat sich für mich als Sackgasse entpuppt. Ich verabschiede mich daher hier.
Ich möchte mich bei euch für die freundliche Aufnahme bedanken und wünsche allen hier nur das Beste.

krapotke
 
,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

counselor

Schade, dass Du gehst. Ich habe Deine Beiträge gerne gelesen. Ich wünsche Dir alles Gute!
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Ach krapotke, das waren sehr bewegende Worte, die mich treffen. Deine Beiträge waren für mich Highlight im Forum, denn du warst in deinen Posts stets überlegt, hast Dinge abgewogen und nie Phrasen gedroschen.

Deine "pseudokritische Grundhaltung" wird mir fehlen.

Ich werde versuchen, meine Gedanken dazu etwas ausführlicher zu formulieren, wenn ich mehr Muße habe. 

Onkel Tom

Jo, ich habe deine Beiträge auch gerne gelesen.. Ich finde, sie bewegten sich
in einem "neutralen und objektiven Rahmen"..
Schaade, das du gehst und ich wünsche dir weiterhin alles Gute  ;)
Lass Dich nicht verhartzen !

Tiefrot

Du wirst fehlen, Mensch...  :(
Hab dich auch sehr gern gelesen.
Na dann hau rein !
Denke dran: Arbeiten gehen ist ein Deal !
Seht in den Lohnspiegel, und geht nicht drunter !

Wie bekommt man Milllionen von Deutschen zum Protest auf die Straße ?
Verbietet die BILD und schaltet die asozialen Medien ab !

krapotke

Nun weiß ich nicht recht wie ich anfangen soll, aber nach zwei kommentarlosen Beiträgen bin ich wohl eine Erklärung schuldig.

Im Eingangspost habe ich versucht mich ehrlich zu machen, habe ein Resümee und Konsequenzen gezogen. Die Empfindungen waren auch durchaus real, werden es vmtl. auch bleiben.

Während ich mich nun vier Monate in mein Schneckenhaus zurückgezogen habe, blieb mir viel Zeit zum Nachdenken.

Mein Entschluss Tabula rasa zu machen, war voreilig. Statt Widersprüche auszuhalten und negative Gefühle zuzulassen, habe ich mit Rückzug reagiert. Richtiger wäre es gewesen zu akzeptieren, dass meine Umgebung eben so ist, wie sie ist und ich so bin, wie ich bin. Alleine war ich zwar vor Insuffiziensgefühlen in Gruppen und widerstreiten Ansichten geschützt. Gerade aber die Vorwahlzeit in Thüringen und Sachsen hat mir vor Augen geführt, dass ich mich ohne jeglichen Bezug zu linken Gruppen und Aktionen sehr verloren und hilflos fühle. Ich habe zwar immer noch keine Haltung zum Gazakrieg, ich weiß immer noch nicht, ob ich Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten oder ablehnen soll, die Ruhelosigkeit und der Wunsch nach Veränderung der Vefhältnisse ist trotzdem geblieben. Bessere Anknüpfungspunkte als antikapitalistische Theorien habe ich zur Krisenbewältigung für mich nicht gefunden. Das ist zwar weiterhin sehr rudimentäres Rüstzeug, aber im stillen Kämmerlein und von alleine wird es nicht besser werden.

Ich würde daher hier gerne weiter mitlesen und mich hin und wieder am Austausch beteiligen, wenn von Seiten der Forumsgemeinschaft die Tür noch offen steht.
,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

Wanderratte

Ich lese Deine Beiträge sehr gerne. Von daher freue ich mich, wenn Du weiterhin hier im Forum schreiben möchtest. Du machst auf mich einen sehr nachdenklichen und reflektierten Eindruck. Das finde ich gut.

Zweifel und gewisse Unsicherheiten sind doch okay und zeigen sehr deutlich, dass Du die Dinge hinterfragst und selbstständig denkst.     

Von meiner Seite aus steht die Tür sehr weit offen. Willkommen zurück!  :)

dagobert

Zitat von: krapotke am 21:55:43 Mi. 04.September 2024Ich würde daher hier gerne weiter mitlesen und mich hin und wieder am Austausch beteiligen, wenn von Seiten der Forumsgemeinschaft die Tür noch offen steht.
Dann tu das, ich wüsste nicht was dagegen spräche.
Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann; wie man den Frieden führt, das weiß kein Mensch.
Karl May

MKnecht

,,Mir fehlt Bildung und der akademische Hintergrund um auf Augenhöhe mitreden zu können."

Klatsch ein!fehlt mir auch :D

Im Prinzip lebt jeder in seiner Bubble (wie ich das Wort hasse) aber es passt ganz gut...

Als Frau hast 80 Jahre als Mann bleiben dir 75 um was ,,zu bewegen" aber jeder weiss eigentlich das man ein Lemming dieser Welt ist die von reichen Menschen durchgetaktet ist. Selbst als ,,linker,alternativer Störer" bist du längst ein Teil davon.

Die einzige Hoffnung die ich habe (also meine persönliche geschaffene Scheinwelt), dass man mit vielen Leuten eventuell noch etwas drehen kann hinsichtlich besserer Bezahlung und damit auch irgendwo Lebensumstände.Ist natürlich Utopie.

Du hälst dich an Regeln: wie bei rot darfst du nicht gehen obwohl kein Auto kommt also wartest du. Du stehst still und verschwendest deine Lebenszeit an einem Licht was die Farbe rot hat. Bei grün ,,juhu" es leuchtet ich darf gehen.Bei gelb nimm dich in acht...da fängt das perverse doch schon an...ist nur ein Beispiel wie gut dressiert wir wurden von Leuten die den ganzen Tag nur drüber nachdenken die Leute im Zaum zu halten.

Hier auszubrechen und den Revoluzzer mimen wird nicht gelingen. HartzHetzer hat das mal geschrieben :,,du hast einfach nicht die Werkzeuge dafür".(ausm Gedächnis)

Nichts desto trotz, ist das hier ein schöner Ort um auch nochmal andere Sichtweisen kennenzulernen und sich auszutauschen in einer Welt die alles andere als ,,gerecht" ist.


Onkel Tom

Zitat von: krapotke am 21:55:43 Mi. 04.September 2024..
Ich würde daher hier gerne weiter mitlesen und mich hin und wieder am Austausch beteiligen, wenn von Seiten der Forumsgemeinschaft die Tür noch offen steht.

Mook dat, willkommen zurück  ;)
Lass Dich nicht verhartzen !

Hartzhetzer

ZitatStatt Widersprüche auszuhalten und negative Gefühle zuzulassen, habe ich mit Rückzug reagiert.
Das ist auch so ein bürgerlicher Mythos das Rückzug schwach und schlecht sei.
Für die eigene psychische Gesundheit ist es immer gut sich Auszeiten zu nehmen und eine Gang zurück zu schalten, eine Schande ist das auf keinen Fall. Das politisieren hier soll doch auch irgendwie positiv für einen selber sein und ein Stück weit Kraft für den Alltag geben und keine Pflichtveranstaltung bei der man sich unwohl fühlt.

ZitatIch habe zwar immer noch keine Haltung zum Gazakrieg, ich weiß immer noch nicht, ob ich Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten oder ablehnen soll, die Ruhelosigkeit und der Wunsch nach Veränderung der Vefhältnisse ist trotzdem geblieben.
Keine Haltung zu haben ist immer noch besser als den Mainstream vorbehaltlos zu folgen. Man muss auch nicht zu allen eine Haltung und Meinung haben. Ich arbeite ehrenamtlich viel in einem Repair Cafe aber mit Autos kenne ich mich nicht aus. Würde mich jetzt jemand fragen wie er seinen Motor am Auto reparieren kann würde ich demjenigen ganz klar sagen das ich ihn keinen guten Rat geben kann, außer jemanden anderen zu fragen.
Ich persönlich bin bei den Ereignissen wie Gaza und Ukraine Krieg auf niemandes Seite da letztendlich für die Interessen von Menschen gekämpft wird die einen eigenen und starken Staat wollen. Denn jeder Staat erzeugt unterm Strich das wovor er behauptet sein Staatsvolk schützen zu wollen, andere Staaten die ihr Staatsvolk vor anderen Staaten Schützen wollen.

ZitatBessere Anknüpfungspunkte als antikapitalistische Theorien habe ich zur Krisenbewältigung für mich nicht gefunden.
Es gibt keinen anderen Anknüpfungspunkte, da alle anderen Theorien die sich mit der Lösung aktueller Probleme im Rahmen des aktuellen Systems beschäftigen eine Quadratur des Kreises sind.
Wenn bei deinem Fahrrad die Kettenblätter runter sind und darum deine Kette verschließen ist müsstest du logischerweise die Kettenblätter und die Kette tauschen um den Fehler zu reparieren. Käme jetzt jemand an und sagt: "Putze und Öle deine Kette neu!" wäre dir klar das es nicht viel Sinn macht da es den Fehler nicht behebt.
Aber bezogen auf diese Gesellschaft ist genau das der Fall, es werden nicht die Ursachen der Probleme beseitigt sondern es wird immer nur an deren Auswirkungen rumgedoktert.

Aber sei es drum willkommen zurück, ich habe nie ein Problem mit dir gehabt...
Die Nazis vollzogen auf ihre Weise, was die Sozialdemokratie sich immer erträumt hatte: eine »ordentliche Revolution«, in der alles ganz anders wird, damit alles so bleiben kann, wie es ist.

Zitat Schwarzbuch Kapitalismus Seite 278

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