Leiharbeit in der Pflege

Begonnen von Kater, 14:32:59 Sa. 18.April 2009

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Kater

ZitatLeiharbeit in der Pflege

Rund 800.000 Leiharbeiter/innen gibt es mittlerweile in Deutschland, ihre Zahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Sie alle leisten die gleiche Arbeit wie ihre festangestellten Kolleg/innen, bekommen dafür aber deutlich weniger Lohn. Für viele Beschäftigte der Automobilbranche oder bei der Müllentsorgung ist das schon lange Realität. Doch immer häufiger werden jetzt auch Pflegekräfte in Altenheimen und Krankenhäusern nur noch leihweise eingesetzt - nicht selten mit gravierenden Auswirkungen auf die Qualität der Pflege.

Pflege an der Schmerzgrenze

Zeitarbeit in der Pflege, das bedeutet, einen ohnehin schon anstrengenden Beruf unter verschärften Bedingungen zu leisten. Pflegehelferin Philomena Zöllner weiß das aus eigener Erfahrung. Sie war Leasing-Kraft, wurde von Zeitarbeitsfirmen an Altenheime verliehen. Kirchliche, städtische, private Einrichtungen, überall hat sie mal gearbeitet: ,,Im Extremfall waren es fünf Häuser in einem Monat. Das war meine Schmerzgrenze."

Wie von den meisten Leiharbeiter/innen wurde auch von Philomena Zöllner oft Pflege auf Knopfdruck erwartet: ,,Man wird eingewiesen, teilweise mit einem Laufzettel, auf dem steht zum Beispiel: Zimmernummer, Name des Bewohners, und ob der in einen Rollstuhl transferiert werden muss. Das heißt aber nicht, dass man dem persönlich jemals vorgestellt wurde. Im schlimmsten Fall wird einfach nur gesagt: Mach' die und die Zimmer und man bekommt eigentlich keine Information."

Ganz allein mit bis zu 50 Pflegebedürftigen, von denen sie noch keinen kannte. Solche Situationen hat Philomena Zöllner oft genug erleben müssen. Selbst als sie gleich am ersten Tag in einem Haus in Nachtschicht musste. Es war das erste Mal in ihrem Leben: ,,Mir wurde gesagt, da ist der Raum für die saubere Wäsche, da der Raum für die Schmutzwäsche. Und ich war der Meinung, es würde vielleicht jemand am Abend mich noch zwei Stunden begleiten. Tatsächlich stand ich aber alleine da."

Die Qualität der Pflege leidet

Ständig neu, ständig unter Druck, nie eingebunden in ein festes Team und keine Möglichkeiten, sich einzubringen: So sieht er aus, der Alltag von Leiharbeiter/innen. Hochwertige Pflege ist unter solchen Bedingungen kaum noch zu leisten. ,,Man lernt mit der Belastung umzugehen", sagt Philomena Zöllner. ,,Aber es können auch Fehler passieren. Dass man zum Beispiel denkt, ein Mensch kann noch stehen und man möchte ihn aus dem Bett rausholen und man stellt dann fest, man hat sich geirrt und der Bewohner kann gar nicht stehen. Und das ist sehr gefährlich."

Für Gerda Biemann sind solche Zustände unvorstellbar. Im Essener Altenheim Marienhaus leitet die Altenpflegerin einen Wohnbereich. Zeitarbeitskräfte werden hier nicht beschäftigt, für Biemann auch aus gutem Grund: ,,Ich finde es ist gefährlich, weil von unserem Anspruch her muss ich jemand erst einmal kennen, bevor ich ihn pflege. Die Bewohner haben ja auch alle verschiedene Bedürfnisse, haben alle verschiedene Krankheitsbilder, reagieren verschieden. Da kann ich nicht ohne Kenntnis und Wissen einfach anfangen zu pflegen. Da muss ich Informationen haben, und die kann ich nicht einfach mal eben auf dem Flur geben."

Doch genau das erleben Leasing-Kräfte ständig. ,,In einigen Heimen war ich mit Leiharbeitern von bis zu drei verschiedenen Agenturen beschäftigt", erzählt Philomena Zöllner. ,,Plus Aushilfen, die nur auf 400-Euro-Basis angestellt waren. Da kann man sich vorstellen, was das für eine Fluktuation ist. Das hat man in keinem Geschäft, in dem man einkaufen geht." Pfleger/innen, die selbst erst wenige Tage an einem Haus arbeiten, müssen oft schon wieder die nächsten anleiten. ,,Hilfe von hilflosen Helfern", nennt Philomena Zöllner das. ,,Natürlich ist das auch für die Heimbewohner nicht lustig. Viele sagen: Ach, schon wieder jemand Neues! Und wenn die gute Pflegekräfte haben, möchten die auch, dass die bleiben. Die wollen diesen ständigen Wechsel nicht."

Zeitarbeit in der Pflege boomt

Frustriertes Personal, resignierte Bewohner/innen. Und trotzdem werden immer mehr Leihkräfte in der Pflege eingesetzt. Schließlich sind sie hochflexibel, rund um die Uhr verfügbar und auch schnell wieder loszuwerden. So können Heime und Spitäler besonders rasch und einfach auf Änderungen im Personalbedarf reagieren. Ausreichend Stammpersonal, das in Zeiten schwacher Belegungszahlen nicht immer voll ausgelastet ist, können sich scheinbar nur noch wenige Einrichtungen leisten. Stattdessen greifen sie bei Spitzenbetrieb lieber auf Leiharbeitskräfte zurück. Das ist unterm Strich billiger, die Nachfrage ist entsprechend groß.

In manchen Jobbörsen wird schon der größte Teil freier Pflegestellen von Zeitarbeitsfirmen angeboten. Und dabei handelt es sich längst nicht mehr nur um private Agenturen. Denn immer mehr Altenheime und Krankenhäuser entdecken eine ganz neue Möglichkeit: Sie gründen ganz einfach ihre eigene Verleihfirma. Statt neues Personal fest anzustellen, wird es von der eigenen Tochtergesellschaft entliehen.

Leiharbeit über hauseigene GmbHs

Auch das hat Philomena Zöllner erlebt. Sie war glücklich, als ihr vor einem Jahr ein Altenheim der Diakonie endlich eine Festanstellung anbot. Das Haus gehört zu einer deutschlandweiten Kette von Pflegeeinrichtungen. Doch als sie den Arbeitsvertrag unterschrieb, wurde klar: Sie war wieder nur Leasing-Kraft. Per Unterschrift musste sich die Pflegehelferin verpflichten, ,,nach Anweisung des Verleihers an verschiedenen Orten als Zeitarbeitnehmerin tätig zu werden." Aber der Verleiher war diesmal eben keine private Agentur, sondern ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der Pflegekette.

Diese spezielle Form des Outsourcings in betriebsinterne ,,Service GmbHs" ist bei Küchenhilfen, Wäscher/innen oder Reinigungspersonal schon seit Jahren üblich. Doch immer häufiger bekommen jetzt auch Pflegekräfte statt Festanstellungen nur noch hauseigene Zeitarbeitsverträge. In einigen Unternehmen der Diakonie, Caritas oder Arbeiterwohlfahrt ist das schon genauso der Fall wie bei manchen privaten Trägern.

Den Arbeitgebern geht es dabei kaum mehr um die vielbeschworene Flexibilität. Tatsächlich haben die meisten gar nicht vor, die eigenen Zeitarbeiter/innen auch an anderen Orten einzusetzen. Interne Leiharbeitsverträge werden vor allem deshalb abgeschlossen, weil sich so die Personalkosten ganz massiv reduzieren lassen. Denn für Zeitarbeitsfirmen gelten in der Regel wesentlich schlechtere Tarife.

Der gleiche Job für weniger Geld

,,Die Vergütungen nach dem Leiharbeitsvertrag sind bis zu 40 Prozent niedriger, als die Vergütungen bei der Stammfirma", erklärt Dieter Seifert von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. ,,Die Leute haben zum Teil längere Arbeitszeiten, sie sind nicht drin in den Zusatzversorgungssystemen, in der betrieblichen Altersvorsorge. Das heißt, die Träger der Pflege sparen über den Einsatz von eigenen Leiharbeitsfirmen richtig viel Geld." Auch bei Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld müssen Zeitarbeiter/innen ganz erhebliche Abstriche in Kauf nehmen. Für Dieter Seifert steht fest: ,,Leiharbeit ist ein ausgesprochenes Lohdumping-Modell. Das wird von den Arbeitgebern ganz brutal missbraucht, um Beschäftigte mit gleicher Tätigkeit zu deutlich schlechteren Konditionen zu beschäftigten."

Philomena Zöllner etwa verdiente gut 200 Euro weniger als ihre direkt am Haus angestellten Kolleg/innen. Viel Geld, denn für ihre 30 Wochenstunden in Schicht bekam sie am Monatsende gerade mal 1.018 Euro brutto. ,,Ich hab mich am Anfang sehr geschämt, dafür, dass ich einfach mit dem Geld nicht klar kam, das ich verdient habe", erzählt die Pflegehelferin. ,,Aber irgendwann habe ich dann angefangen, meine Kollegen zu fragen. Und es gab eigentlich keinen bei Zeitarbeitsfirmen Beschäftigten, der ohne staatlich Unterstützung überleben konnte." Für Philomena Zöllner ist das nicht nur frustrierend, es macht sie ehrlich wütend: ,,Wie kann das sein, dass ich bei so einer Arbeit noch auf Sozialleistungen angewiesen bin? Das ist doch eine Frechheit."

Die Pflege wird weiter abgewertet

Was hier auf dem Rücken der Angestellten ausgetragen wird, spiegelt den allgemeinen Kostendruck im Gesundheitswesen wieder. Der Wettbewerb nimmt ständig zu, die Anforderungen an die Pflege steigen und mehr Personal wird dringend benötigt. Doch ausreichende Finanzmittel stehen praktisch nirgends zur Verfügung. Irgendwie verständlich, dass immer mehr Einrichtungen versuchen, ihre personellen Probleme über den Trick mit der eigenen Zeitarbeitsfirma in den Griff zu bekommen. Das findet auch Hubertus Volmer, Pflegedienstleiter am Essener Marienhaus. Doch gleichzeitig schränkt er ein: ,,Es ist natürlich schade, weil so die Altenpflege, beziehungsweise die Pflege überhaupt, auf Dauer immer weiter abgewertet wird."

Die Gründung hauseigener Zeitarbeitsfirmen hält Volmer für den falschen Ansatz: ,,Ich gebe der Altenpflege nur einen guten Rat: Dass sie auf Dauer gesehen versuchen soll, tariflich zu bezahlen und die Mitarbeiter wertzuschätzen dahingehend, dass sie ihre Leistungen auch vernünftig bezahlt bekommen. Denn das ist kein Zuckerschlecken hier, sondern das ist Schwerstarbeit." Durch Leiharbeit die Lohnkosten zu drücken, könne sich langfristig unmöglich auszahlen, meint Volmer: ,,Damit schießt man sich ins eigene Knie. Die Demotivation der Mitarbeiter ist einfach unheimlich groß dabei."

Pflegekräfte gehen verloren

Demotiviert ist auch Philomena Zöllner. Momentan ist sie in der Babypause. Danach wieder in die Pflege einzusteigen, kann sie sich nur noch schwer vorstellen. Ganz sicher aber nicht als Leiharbeiterin: ,,Die Pflege an sich ist ja schon belastend, und für einen Zeitarbeiter auf Dauer unmöglich. Selbst die festen Kräfte sind schon so überlastet, dass sie oft nach fünf Jahren ausgebrannt sind. Und als Zeitarbeiter schafft man die fünf Jahre nicht mehr." Finanziell könnte sie sich eine Rückkehr auch gar nicht mehr leisten. ,,Letztendlich", sagt Philomena Zöllner, ,,zahlt man drauf."

Buchtipps
Brigitte Heinisch:
Satt und sauber? Eine Altenpflegerin kämpft gegen den Pflegenotstand
Rowohlt Tb. 2008, ISBN-10: 3499623382, ISBN-13: 978-3499623387

Die Berlinerin Brigitte Heinisch hat jahrelang selbst als Altenpflegerin gearbeitet, die verheerenden Auswirkungen des Personalmangels auf die Qualität der Pflege hautnah erlebt. Irgendwann konnte sie die schockierenden Missstände nicht mehr mit ansehen, hat sich gewehrt und ihren Job verloren. Brigitte Heinisch liefert in diesem Buch persönliche Einblicke in den Horror des Pflegealltags, schildert ihren Kampf gegen das marode System und thematisiert gleichzeitig die drastischen gesellschaftlichen Auswirkungen des aktuellen Pflegenotstands.

Gerhard Schröder:
Fleißig, billig, schutzlos: Leiharbeiter in Deutschland
Fackeltraeger-Verlag 2009, ISBN-10: 3771643945, ISBN-13: 978-3771643942

Wirtschaftsjournalist Gerhard Schröder dokumentiert in seinem Buch, wie Leiharbeitskräfte über alle Branchen hinweg vor allem eins leisten: Die gleiche Arbeit zu wesentlich schlechteren Konditionen. Neben einer Analyse der Ursachen des Zeitarbeitsbooms versucht Schröder auch, mögliche politische Perspektiven aufzuzeigen.

Markus Breitscheidel:
Arm durch Arbeit. Ein Undercover-Bericht.
Econ 2008, ISBN-10: 3430300274, ISBN-13: 978-3430300278

http://www.wdr.de/tv/frautv/sendungsbeitraege/2009/0409/thema_01.jsp

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