Sucht und Abhängigkeit

Begonnen von Ziggy, 20:11:33 Di. 30.März 2010

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Carpe Noctem

Hi Zoe!

Vielen Dank für dein Vertrauen :) Du erwähnst eine "Zauberpille" namens Faustan mit dem Wirkstoff Diazepam (ein Benzodiazepin):

Zitat von: Zoe am 17:28:13 Fr. 09.April 2010
Bei mir gibt es seit Jahren immer die gleiche Wahl: entweder löte ich mir abends die Birne zu oder ich lasse es und nehme statt der Flasche Wein (mehr geht gottseidank nicht rein um die nötige "Bettschwere" zu erreichen) eine kleine Zauberpille namens "Faustan" .

Benzodiazepine (kurz "Benzos" genannt) machen abhängig. Die Entgiftung bzw. das Ausschleichen von Medikamenten kann - je nach Dosis und Präparat - bis zu 9 Monate dauern. Die körperlichen Entzugssymptome sind um vieles schlimmer als bei Alkohol, eher vergleichbar mit Heroinentzug. Weil dies nicht selten lebensbedrohlich sein kann, schleicht man Benzos und Schmerzmittel lieber langsam aus, etwa wie Methadon.

Zusammen mit Alkohol führt Diazepam zum Kontroll-, Realitäts- und Gedächtnisverlust. Ich habe auf 2 Valium 5 + 2 Flaschen Prosecco damals sowohl die Grafitti an der Wand belabert ("Keiner versteht mich, *bräh* alles Kagge") als auch eine gute Bekannte erst abgeknutscht (sozusagen "mit alles") und dann ihr eine runtergehauen. Was ich sonst noch gemacht habe, unterliegt der hauseigenen Zensur, bzw. ist dem gnädigen Vergessen anheimgefallen ;D Nur soviel: Ich musste am nächsten Tag (nicht am Morgen, da ging noch gar nichts!) zur Telefonzelle krauchen und meine beste Freundin anrufen, um zu fragen was ich gemacht hatte. Sie: "Willste das wirklich wissen? Ich an deiner Stelle würde lieber gar nicht fragen..." - Ich: "Los spucks aus, notfalls mach ich um den Laden einen Bogen bis Gras drüber gewachsen ist." - Sie berichtete mir minutiös, woraufhin ich mir schwor, den Laden bis in alle Ewigkeit nur noch weiträumig zu umfahren. Die Woche drauf erschein ich zur nächsten Party, entschuldigte mich lapidar und beliess es fortan beim Bier.

Letztlich ist die Bekämpfung von Suchtdruck ausgerechnet mit Benzos sowas wie den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Mein Freund will auch immer mal wieder Tavor oder Dia, bekommt aber nix und muss sich anhören, das sei Suchtverlagerung. Ich sag dann immer, sei froh dass du von dem Zeug nicht auch noch abhängig bist. Dann hätteste richtig "Spass".

Zitat von: Ziggy@CN
Das ist eine brutale Familiengeschichte mit Helden-Opa. Da hat's mir den Magen umgedreht, als ich das las.

Jo, davon kann einem übel werden. Die Verleugnung ist das Schlimmste. Mein Vater z.B. sieht das distanzierter und sagt, mein Opa und dessen ganze Sippe sei ein Dummbrotverein. Ich denke, aus der rostigen Historie des Hauses geht hervor, weshalb ich das Hinterfragen von Regeln und (Familien-)Normen für kerngesund halte. Sich unreflektiert fügen macht krank.

Grüsse - CN
Art. 1 GG: "Die Menschenwürde steht unter Finanzierungsvorbehalt"

Lefat

Jo da melde Ich mich auch mal wieder !

so worum geht es , da Ich wohl den Stein des Annstosses gegeben habe zu diesem Thread ! möchte Ich jetzt hier mal den Stand der Dinge durchfunken <<<<<<1

Bin in meiner neuen Wohnung eingezogen !
bin wieder voll am saufen ! ( heisst bei mir 12-15 halbe Litter Bier)
Habe extremste Entzugserscheinungen , wenn Ich morgens so um 6 wach werde (körperlich sind es Schweißanfälle und und schwere Unterleibskolicken!)
Psychisch geht es von ernst gemeinten suizid bis bis nochmal suizid !(hat mit der Geschichte zu tun , die mich hierhinn gebracht hat )


Mir geht es echt wahnsinnig dreckig !
Ich habe seit einer Woche nix mehr gegessen (kann einfach nicht mehr !)
Heute das erste mal ein paar Nudeln ! , weil Ich leben will !!

@CN
in den LWL kliniken habe Ich dafür gesorgt , das Regeln (in Bezug auf Paare ) geändert wurden !!  glaube mir , Ich sehe es heute als Fehler an !

@alle
Ist nicht immer Sonne im Leben !
und mal ne Woche ,oder Zwei , macht noch keinen trocken !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
da gehört mehr zu , ohne jetzt entmutigen zu wollen !,
aber den Fehler mit "ach schau , ich kann ja ohne " haben schon viele gemacht , und schwer bereut !!!
Erkenntniss ist alles , und dann ist noch nicht geholfen !
Es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Jahr der Arbeitslosigkeit einen ehemaligen Leistungsträger zu einem bildungsfernen Asozialen verkommen läßt..so zumindest die landläufige Meinung.

Carpe Noctem

Zitat von: Tafel am 23:36:37 Fr. 09.April 2010
bin wieder voll am saufen ! ( heisst bei mir 12-15 halbe Litter Bier)

Prost!

ZitatHabe extremste Entzugserscheinungen , wenn Ich morgens so um 6 wach werde (körperlich sind es Schweißanfälle und und schwere Unterleibskolicken!)

Klingt, als ob eine klinische Entgiftung mit Dystra / Carba (je nachdem was die anbieten) ganz hilfreich wäre. Auf eigene Faust absetzen ist ja wohl durch...

ZitatPsychisch geht es von ernst gemeinten suizid bis bis nochmal suizid !(hat mit der Geschichte zu tun , die mich hierhinn gebracht hat )

Suizidgedanken, Suizidabsichten, oder Suizidversuche? Wie weit biste in Wahrheit?

ZitatMir geht es echt wahnsinnig dreckig !

Das liegt an der Sucht!

ZitatIch habe seit einer Woche nix mehr gegessen (kann einfach nicht mehr !)

Wieviel Winterspeck haste noch in Reserve?

ZitatHeute das erste mal ein paar Nudeln ! , weil Ich leben will !!

Leben? Leben! Ok, bis morgen Kollege, dein Lebenszeichen wird erwartet! Haben die auf der Engiftungsstation Internet? ;)

Zitat@CN
in den LWL kliniken habe Ich dafür gesorgt , das Regeln (in Bezug auf Paare ) geändert wurden !!  glaube mir , Ich sehe es heute als Fehler an !

Warum als Fehler? Dazu möchte ich gerne mehr wissen!

Hau mal rein Tafel, Tiefpunkte sollen manchmal arg helfen :)

Grüsse - CN
Art. 1 GG: "Die Menschenwürde steht unter Finanzierungsvorbehalt"

Lefat

ZitatWas ich sonst noch gemacht habe, unterliegt der hauseigenen Zensur, bzw. ist dem gnädigen Vergessen anheimgefallen

Jo Carpe

Ich selbst habe Mir geschworen , das Ich mich bei einem schweren Rückfall mit 2 Pullen Wodka selbst umlege !!! Ich habe es auch versucht , nach der ersten Flasche und vorher 13 Bier , bin ich morgens um 8 topfit wach geworden (totale Erinnerungslücke , aber meine Nachbarn erzählen da schon was !!) (von "du wolltest sterben " "wir wollten den Notarzt rufen" "Du Psycho wolltest mir in die Fresse Hauen, wenn ich nicht mit dir trinke " "Junge suche dir Hilfe ") das weiss Ich alles gar nicht mehr !!!
war vor 2 Tagen , und ich denke heute psychisch besser dar zu stehen !
Ich wollte sterben , warum auch nicht , wenn du alles was du liebst verloren hast ?
aber Ich komme ,Ich komme langsam wieder hoch , auch wenn es scheissenschwer ist !!! Ich komme wieder ,und lass mir das was Mir wieder fahren ist kein 2. mal antun !!!
Es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Jahr der Arbeitslosigkeit einen ehemaligen Leistungsträger zu einem bildungsfernen Asozialen verkommen läßt..so zumindest die landläufige Meinung.

Lefat

Es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Jahr der Arbeitslosigkeit einen ehemaligen Leistungsträger zu einem bildungsfernen Asozialen verkommen läßt..so zumindest die landläufige Meinung.

Lefat

ZitatHau mal rein Tafel, Tiefpunkte sollen manchmal arg helfen

Innerhalb von noch nicht mal eineindhalb Jahren drei mal von kommplett 0 was aufzubauen , wenn alles fertig ist kannst ja gehen , mit perfiden Mitteln wirst du gegangen !!  drei mal !!!  Wo bitte mein Freund kann dass helfen ??
jetzt bin Ich beim 4. Neuanfang , und das einzigste was mir Kraft gibt ist purer Hass , aber jetzt mach ich es für Mich !
Aber im Ernst , Wut kann ein guter Antrieb sein , aber Hass ??
Ey wenn Ich aleine schon erzähle was am Amt los war (wegen "wir haben die Wohnung ja gar nicht genehmigt !"  "schau ins Grundgesetzt , dann wissen Sie wer das genehmigt !" ) nur nen Beispiel !
aber sonne Pisse macht mich in der jetzigen Lage kapputt !!

Ich habe es aber trotzdem ganz gut erwischt hier !
das ist mikey


MC´M kannten mich nie

mein Nachbar von unten , der mir hier die Wohnung besorgt ha , der besorgt im übrigen Alles , kenne ihn seit 16 jahren , alles !!
Es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Jahr der Arbeitslosigkeit einen ehemaligen Leistungsträger zu einem bildungsfernen Asozialen verkommen läßt..so zumindest die landläufige Meinung.

Hedgegina

Hallo,
hey Zoe,
danke für dein offenes Post. Ich hoffe, dass du den Absprung schaffst von Benzos/Alkohol. Wenn einem jemand zuhört, so wie hier in diesem Thread, hilft das ja auch oft schon ein bisschen, und man nimmt vielleicht noch Ideen mit, was man ändern kann. Meine Begegnung mit Diazepam war vor 10 Jahren im Zuge von Panikattacken, die aus heiterem Himmel bei mir auftauchten. Mein Hausarzt hat mir damals für die regelmäßige Einnahme Baldrianpillen verschrieben, und für einen akuten Panikattacken-Anfall Diazepam. Nur auf dem Rezept wurde das Baldrian leider vergessen, und da ich Dödel mit dem Namen Diazepam rein überhaupt nichts anfangen konnte, dachte ich, ich soll das jetzt regelmäßig einnehmen (war glaub ich in Tropfenform). Hab zum Glück nach ein paar Tagen selbst gemerkt, dass das/mit mir irgendwas nicht stimmen kann und der Irrtum klärte sich auf....
....CN hat ja immer gut Ahnung, was sich hinter diesen Medikamentennamen so verbirgt, seh mal zu, dass du den Absprung schaffst.

hey cn:
ZitatIch denke, aus der rostigen Historie des Hauses geht hervor, weshalb ich das Hinterfragen von Regeln und (Familien-)Normen für kerngesund halte. Sich unreflektiert fügen macht krank.

Find ich klasse, wie du das machst. ich finde, wenn man gerade im Kindesalter Mist erlebt, gibt es die Richtungen: a. Ich gebe diesen Mist weiter, und werde genauso beschissen wie viele andere, oder b. ich werde trotz/gerade wegen dem Negativ-Erlebten ein geiler Mensch. Du scheinst dich für Weg b. - der mehr Kraft kostet - entschieden zu haben. Und gerade der eigenen Familie kann man nicht entrinnen, die sind und bleiben irgendwie mit einem verwandt....da kann man machen was man will. Da kommen bestimmte Verhaltensmuster immer wieder auf den Tisch..und täglich grüßt das Murmeltier...

Den Anti-Alk-Stammtisch am Donnerstag in der Bambule haben wir übrigens ganz gut umgesetzt. Ich hab mich an Apfelschorle gehalten, und habe dann, als ich wusste, ich würde bald gehen, ein Staropramen-Bier getrunken. Was rein wusel-dusel technisch ziemlich reingehauen hat. Dann aber weder in der Bambule noch zu Hause weitergetrunken. Vorerst scheine ich übern Berg. Gibt es sowas wie psychische Abhängigkeit? Dass man immer trinkt, wenn eine bestimmte Situation/eine bestimmte Uhrzeit/eine bestimmte räumliche Umgebung vorliegt? Vielleicht ist das bei mir sowas. Denn das ist ja das, was ich zur Zeit ändere: Nicht mehr allein zu Hause trinken, wenn unterwegs und am Feiern, keinen Vollrausch mehr (wenn überhaupt, dann spät zu Alkohol wechseln). Bei mir klappt das im Moment. Ich werd weiter berichten.

Und heute gehts mit der Tanztruppe unterwegs, da hab ich andere Sorgen :)

Gutes Wochenende euch allen, und vor allem gute 24 Stunden.

Carpe Noctem

Zitat von: Tafel am 01:14:58 Sa. 10.April 2010
aber jetzt mach ich es für Mich !

Dazu würde jeder trockene Alki sagen: "Das ist der richtige Weg!"

Erinner dich kurz an Ziggys Worte (sinngemäss zitiert):
Die Frau die dich trockenlegt, kann dich auch wieder nass machen. Variable Faktoren zum trocken sein bringen keine Stabilität, du brauchst eine Konstante, und das bist DU.

ZitatEy wenn Ich aleine schon erzähle was am Amt los war (wegen "wir haben die Wohnung ja gar nicht genehmigt !"  "schau ins Grundgesetzt , dann wissen Sie wer das genehmigt !" ) nur nen Beispiel !

Kann da nicht mal wer mitgehen? Man macht dann auf existenzielle Notlage, Extremsituation, Anspruchsdurchsetzung mit 4 Mann. So eine Sache ist es wert, dem FM u.U. den Sessel wackeln zu lassen. Wenn du niemanden an deinem Wohnort hast der sowas kann, gebe ich dir per PM eine Telefonnummer.

Zitat von: HedgeginaFind ich klasse, wie du das machst. ich finde, wenn man gerade im Kindesalter Mist erlebt, gibt es die Richtungen: a. Ich gebe diesen Mist weiter, und werde genauso beschissen wie viele andere, oder b. ich werde trotz/gerade wegen dem Negativ-Erlebten ein geiler Mensch. Du scheinst dich für Weg b. - der mehr Kraft kostet - entschieden zu haben. Und gerade der eigenen Familie kann man nicht entrinnen, die sind und bleiben irgendwie mit einem verwandt....da kann man machen was man will. Da kommen bestimmte Verhaltensmuster immer wieder auf den Tisch..und täglich grüßt das Murmeltier...

Nun denn, ich war schon in der Klapse, will aber nicht wieder da rein. Ein Kinderwunsch kam nie auf. Was aber die grösste Lachnummer an der Geschichte ist, dass ausgerechnet meine Mutter, Abkömmling aus dieser Vereinigung der F-Nummern, meine Beziehung mit einem süchtigen Psychotiker für pathologisch hält. Der fällt doch in dem Laden gar nicht auf ;D

ZitatGibt es sowas wie psychische Abhängigkeit?

Aber sicher! Was glaubst du denn, welche Mechanismen dafür sorgen, dass man nach dem körperlichen Entzug wieder rückfällig werden kann? Die psychische Abhängigkeit ist auch der Grund, weswegen Ziggy sagt, man müsse sich als Mensch verändern um clean / trocken zu leben. Und jetzt viel Spass beim Tanzen, Zuckerschnegge :)

Grüsse - CN
Art. 1 GG: "Die Menschenwürde steht unter Finanzierungsvorbehalt"

Zoe

@Aloysius

finde ich mutig von dir, gleich zwei Probleme anzugehen und ich drücke natürlich die Daumen, dass du durchhältst. Wie bekommst du die Schlaflosigkeit in den Griff?

@CN

danke für die ausführliche Beschreibung dieser Zauberpillen. Ich wußte zwar das die Benzos abhängig machen aber man redet sich ja bekanntlich die Dinge schön. Und eine am Abend.... naja

Um deine bucklige Verwandschaft biste aber auch nicht zu beneiden aber wie du das händelst finde ich absolut cool ;D

@Hedgepina

tanz dir den Kopf frei und du merkst, dass du lebst. Ich habe ja früher viel gezeichnet und gemalt und die Ideen waren immer da. Heute laufe ich um die leere Leinwand und mir kommt nur Scheiße in den Sinn.

Aber eine gute Nachricht habe ich heute auch: Ich war vorhin einkaufen und auf meinem Zettel war der Wein gestrichen. Ich habe also für das WE keinen Stoff. Mal sehen ob die Pillen auch in der Schachtel bleiben.
Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein

Ziggy

@CN
ZitatWas aber die grösste Lachnummer an der Geschichte ist, dass ausgerechnet meine Mutter, Abkömmling aus dieser Vereinigung der F-Nummern, meine Beziehung mit einem süchtigen Psychotiker für pathologisch hält. Der fällt doch in dem Laden gar nicht auf
Ich find dich so klasse!

@Tafel
Als ich während und direkt nach meinem letzten Rückfall ins AA-Meeting kam und schweißnass und zitternd rauskotzte, wie's mir grade so geht, da sagte einer der Anwesenden, der mich schon recht gut kannte: "Ziggy, ich danke dir für deinen Rückfall. Ich war im Zweifel, aber DU hast mir jetzt die Augen geöffnet, was passiert, wenn ich zweifle. Du hast mich vor einem Rückfall bewahrt. Dafür danke ich dir."

@Tafel, Ich danke DIR, daß du hier bist und von dir erzählst. Denn du hilfst mir, heute trocken zu bleiben. Du beseitigst meine Zweifel.

@Hedgegina
Ich erlebe beinahe täglich Situationen, die mir zeigen, wie die Krankheit in mir lauert und auf ihre Chance wartet. Mit zunehmenden Jahren wird es schwächer, aber es ist da. Natürlich entwickelt man eine gewisse Routine mit den Jahren (wird "staubtrocken" sozusagen), aber ein Moment der Unachtsamkeit, ein Moment der Schwäche, des Nachgebens ... Ob man 1 Tag oder ein Jahr oder 20 Jahre trocken ist, das nächste Glas ist immer nur eine Armlänge entfernt. Und je länger man trocken ist, desto schlimmer wirkt sich ein Rückfall aus. Mir selbst blieb diese bittere Erfahrung erspart, aber ich kenne/kannte Leute, die wirklich lange trocken gewesen sind, bevor es sie "erwischte". Einer war dabei, ein sehr guter Freund, der hatte viele Jahre auf dem Buckel, arbeitete sogar als Therapeut, wusste über Medikamente wahrscheinlich soviel wie @CN, ein absoluter Vollprofi, der wurde rückfällig und "behandelte" sich selbst mit Distraneurin, er starb an Alkohol- und Medikamentensucht. Ich traf seine Frau auf der Straße, die erzählte mir von seinem Ende, ins Meeting hat er's in der Endphase nicht mehr geschafft. Mit ihm starb auch ein Teil in mir. Er war mein AA-Sponsor gewesen, als ich selbst ein Frischling war.

Die Krankheit schläft nur. Ein Schluck, und sie ist wieder hellwach.

@Zoe
Wenn du gewohnt bist, "Absacker" zu nehmen, wirst du einen Weile Probleme haben, wenn du sie nicht mehr nimmst, das ist völlig klar. Aber du wirst noch größere Probleme bekommen, wenn du sie weiter nimmst.

Als mich Phasen der Schlaflosigkeit heimsuchten, drehte ich irgendwann mal den Spieß um und sagte zu mir selber: "Na, wollen wir mal sehen, wie lange wir das durchhalten!" und drehte richtig auf, ich WOLLTE nicht schlafen, entwickelte stattdessen verstärkt Aktivität. Ich lief nachts durch die Straßen, völlig sinnlos, stundenlang, bis zur Erschöpfung. Natürlich ist das krank. Irgendwann klappte ich dann auch zusammen und schlief wie ein Stein. Und hatte NICHT GETRUNKEN! Und das war für mich die Hauptsache. Im Meeting hat mal einer gesagt: "Schlaflosigkeit ist halb so wild, pennen kannst noch genug, wennde tot bist!" Versteh das bitte nicht als "Verniedlichung" deines Problems, aber vielleicht hilft es, wenn du deine Einstellung dazu etwas änderst. Der Punkt ist einfach: Jetzt brauchst du vielleicht was, um ins Bett zu kommen, dann brauchst du was, um aus dem Bett zu kommen, dann brauchst du was, um auf die Straße zu gehen, zum Einkaufen, aufs Amt ... es ist progressiv, irgendwann geht halt dann gar nichts mehr ohne. Wenn du die Krücken wegwirfst, wirst du lernen, ohne Krücken zu laufen. Gezwungenermaßen. Aber ist es nicht immer so, daß wir uns nur durch Zwänge wirklich weiterentwickeln? Kennst du einen Menschen, der durch Lobhudelei einen Evolutionssprung machte? Ich nicht. Wenn zu mir einer gesagt hätte "Ohne Saufen ist viel schöner!", hätte das gar nichts bewirkt. Da musste schon viel mehr passieren.
Um seine Liebe zu beweisen, erklomm er die höchsten Berge, durchschwamm die tiefsten Meere und zog durch die weitesten Wüsten. Doch sie verließ ihn – weil er nie zu Hause war.

Carpe Noctem

Zitat von: Zoe am 17:45:09 Sa. 10.April 2010
Heute laufe ich um die leere Leinwand und mir kommt nur Scheiße in den Sinn.

Dann mal doch in drei Teufels Namen die Scheisse! Auf dem Blatt, aus dem Kopf. Ich mag gar nicht sagen, was ich früher so alles gemalt und geschrieben habe --- O_Oh... ^^

ZitatIch habe also für das WE keinen Stoff. Mal sehen ob die Pillen auch in der Schachtel bleiben.

Viel Erfolg! Ich drücke Daumen :)

Grüsse - CN
Art. 1 GG: "Die Menschenwürde steht unter Finanzierungsvorbehalt"

Zoe

@Ziggy

du hast völlig recht, die Krücken müssen weg sonst kommt der Rollstuhl und dann die Kiste. Das schlimme ist, es fängt so harmlos an und endet im Fiasko. Ich habe früher ein "normales" Trinkverhalten gehabt. Also mal abends ein Glas Wein oder Bier aber nur am WE oder wenn ich unterwegs war. Die letzten 2 Jahre, jeden Tag, mit steigenden Konsum.

Jetzt trinke ich nicht mehr sondern ich schütte. Es ist wie ein Endspurt. Die Flasche wird nicht vor zehn Uhr abends geöffnet und ist aber spätestens elf Uhr alle. Das ist wie eine Sturzbetankung, obwohl mir das Zeug nicht schmeckt. Und wenn ich den Mist nicht mehr schlucken kann dann kommt die Pille dran.

ZitatJetzt brauchst du vielleicht was, um ins Bett zu kommen, dann brauchst du was, um aus dem Bett zu kommen, dann brauchst du was, um auf die Straße zu gehen, zum Einkaufen, aufs Amt ..

Ja, genau das ängstigt mich und ich habe auch keine Lust wie ein Zombie durch die Gegend zu laufen. Am schlimmsten sind die Panikattacken.

@CN

ZitatDann mal doch in drei Teufels Namen die Scheisse! Auf dem Blatt, aus dem Kopf. Ich mag gar nicht sagen, was ich früher so alles gemalt und geschrieben habe --- O_Oh... ^^

ich habe mir gestern den ganzen Kram (Skizzen und Bilder) mal wieder reingezogen und mir fest vorgenommen wieder etwas zu machen.
wie sieht es bei dir aus?

Übrigens bin ich gestern clean geblieben. Ich habe mir fast 2 Liter Wasser eingeflöst, Bilder angesehen und um 2:30 Uhr die Kiste angemacht und irgendwelchen langweiligen Blödsinn angeschaut. Gegen 3:40 Uhr besuchte ich dann mein Bett. Ich lag zwar wach aber das war egal. Irgendwann bin ich dann weggedöst und heute gegen 11:00 mit klaren Kopf erwacht.

Es war ein gutes Gefühl und ich hatte sogar Lust ein paar Dinge zu erledigen, die ich sonst vor mir herschiebe.

Heute abend gibt es O-Saft und ein Buch zum Lesen.

LG Zoe
Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein

Hedgegina

ZitatHeute abend gibt es O-Saft und ein Buch zum Lesen.

Halt durch! Das hört sich doch schon gut an, dass du gestern abend clean geblieben bist! Ich finde, nach den ersten paar Tagen ohne Dröhnung merkt man, was fürne super Sache das ist..

Halt Durch!  :)

Carpe Noctem

Zitat von: Zoe am 14:15:56 So. 11.April 2010
ich habe mir gestern den ganzen Kram (Skizzen und Bilder) mal wieder reingezogen und mir fest vorgenommen wieder etwas zu machen.
wie sieht es bei dir aus?

Da war lange Zeit Sendepause. Nach 15 Jahren Schreibabstinenz kam dann Ende 2008 ein Gedicht zustande, das ebensoviel verbirgt wie offenbart. Es stellt die damalige Situation genau dar. Das hängt jetzt über meinem Schreibtisch.

Früher waren da solche Sachen wie z.B. dieser Abzug auf die Scheinwelt des bedröhnten Ausgehens:

Surreales Nachtlokal

Die alternde Diva auf der Suche nach Halt in einem verwitterten Nachtlokal. Die surrealen Filme, die zwischen den Leuten ablaufen. Der flüssige Regisseur aus dem gesprungenen Shaker. Bunt und schnell wie die Weiblichkeit in ihrer potentiellen Farbe der Saison. Der Gigolo in der verzerrten Ecke hinten in Rot mit dem fein verdrahteten Gesicht aus gezwirbeltem Schnauz lässt lässig raffiniert verzahnte Wortgebilde fallen und die zellulitische Hure in Laufmaschenschwarz mit dem flüssigen Hirn liest die Fragmente auf. Das Kriechen in den Strukturen des Alphabetsalates. Die Suche nach Sinn in den Hohlwegen der Phrasen mittels lackierten Nägeln, illuminiert durch Glanz von Stroboskop und Chemie. Die Konturen des Puzzles verformen alles zu amorphen Monstrositäten aus Cellophan. Das graue Gehirnkaugummi zieht zähe Fäden. Spiralen übersteigen wuchernd das Blau der trüben Wolken, wickeln die Szene Kreise ziehend in Chaos. Ein hunterttausendster Traum aus flüssigem Gold zerspringt unter klirrendem Eis. Das Erwachen ist verschoben auf ein Nichts aus ernüchterndem Morgendunst. Der Anzug neben der Corsage hüstelt gekünstelt. Der Maßstab reckt sich dem Weltenei entgegen und der Kreis schliesst sich. Als die Turmuhr fünf mal schlägt, droht der Antagonist der Illusionen die Szene mit Alpdruck zu übermannen. Schleichend fängt er Element um Element ein. Es gibt kein Entrinnen und der Spiegel zerbricht geräuschlos.


Grüsse - CN
Art. 1 GG: "Die Menschenwürde steht unter Finanzierungsvorbehalt"

Hedgegina

Das ist mein surreales Nachtlokal (von vor 13 Jahren :)


Zoe

@Hedgegina

ZitatHalt Durch!  Smiley

Ich versuche es!

Gestern nichts angerührt. Heute ist der Tag verschissen. Bin unruhig und mies drauf.

@CN

dein Text ist so schön melancholisch und passt heute zu meiner Stimmung.

Ich werde weiter berichten. Muss jetzt erstmal pausieren

LG Zoe
Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein

Ziggy

... drei ... vier ... ein Lied ...

Nun, ich zog los, eine schmutzige Straße entlang
Ich zog los, ganz alleine
Und die Sonne ging unter als ich den Hügel überquerte
Und die Stadt leuchtete auf, die Welt wurde still

Ich lerne fliegen, aber ich habe keine Flügel
Runter kommen ist am schwersten

Nun, die guten alten Tage mögen nicht wieder kommen
Und die Felsen mögen schmilzen und das Meer möge brennen

Ich lerne fliegen, aber ich habe keine Flügel
Runter kommen ist am schwersten

Nun, manche sagen das Leben wird dich nieder schlagen
Dein Herz brechen, deine Krone stehlen
Also zog ich los, nur Gott weiß wo hin
Ich denke ich werde es wissen wenn ich dort bin

Ich lerne fliegen, um die Wolken herum
Aber was hoch geht muss wieder runter kommen

Ich lerne fliegen, aber ich habe keine Flügel
Runter kommen ist am schwersten


Tom Petty & The Heartbreakers - Learning to Fly
Um seine Liebe zu beweisen, erklomm er die höchsten Berge, durchschwamm die tiefsten Meere und zog durch die weitesten Wüsten. Doch sie verließ ihn – weil er nie zu Hause war.

Alan Smithee

Vorsicht mit dem Fliegen:

Ikarus (bekannt auch unter seinem latinisierten Namen Icarus, griechisch Íkaros) war in der griechischen Mythologie der Sohn des Dädalus  (griechisch: Daidalos; lateinisch: Daedalus). Beide wurden als Strafe für den Ariadnefaden von König Minos im Labyrinth  des Minotauros auf Kreta gefangen gehalten. Da Minos die Seefahrt kontrollierte, erfand Daedalus Flügel für sich und seinen Sohn. Dazu befestigte er Federn mit Wachs an einem Gestänge. Vor dem Start schärfte er Ikarus ein, nicht zu hoch und nicht zu tief zu fliegen, da sonst die Feuchte des Meeres beziehungsweise die Hitze der Sonne zum Absturz führen würde. Zuerst ging alles gut, aber nachdem sie Samos und Delos zur Linken und Lebinthos zur Rechten passiert hatten, wurde Ikarus übermütig und stieg so hoch hinauf, dass die Sonne das Wachs seiner Flügel schmolz, die Federn sich lösten und er ins Meer stürzte. Der verzweifelte Daedalus, der sicher in Sizilien  ankam, benannte das Land Ikaria zur Erinnerung an sein Kind. Dort errichtete er einen Tempel für Apollon und hängte seine Flügel als Opfer für den Gott hinein. Der Ikarus-Mythos wird im Allgemeinen so gedeutet, dass der Absturz und Tod des Übermütigen die Strafe der Götter für seinen unverschämten Griff nach der Sonne ist. Nach Ovid (s. u.) ließen die Götter Ikarus aus Rache sterben, weil Dädalus seinen Neffen und Schüler Perdix aus Neid auf sein Können ermordet hatte.

Quelle: Wikipedia

- sind wir nicht alle ein wenig Ikarus???
...still dreaming of electric sheep...

Lefat

So wollte mich dann auch noch mal melden , nachdem die letzten Wochen doch sehr extrem waren !
habe jetzt eine neue Wohnung (fragt mich nicht wie ich das immer mache)
Strom bei Yxxxxxx angemeldet (fragen halt nicht nach schufa)
runter auf 4 halbe Bier am Tag (entzug ist schon was böses)
will Ich auf 0 fahren !
gehe wieder regelmässig zu meiner Nachsorge Tante (die hat mir viel von der Seele genommen)
ab und an esse ich sogar was (habe es echt gut erwischt mit den Leuten im Haus)
Es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Jahr der Arbeitslosigkeit einen ehemaligen Leistungsträger zu einem bildungsfernen Asozialen verkommen läßt..so zumindest die landläufige Meinung.

Ziggy

Welcome back! Schön von dir zu lesen.

Zitatrunter auf 4 halbe Bier am Tag (entzug ist schon was böses)
will Ich auf 0 fahren !
Das hab ich auch versucht, hat nur leider nie geklappt bei mir. Bei mir geht nur Alles oder Nichts. War beim Rauchen genauso. Für mich ist "kontrolliert" Trinken oder Rauchen noch quälender als schlagartig aufzuhören. Schlagartig aufhören bedeutet: Totalabsturz und mühsam berappeln. "Kontrolliert Trinken" bedeutet: In der Illusion leben, man kriegt das schon irgendwie hin, was weiter bedeutet: Täglich dahin siechen und kriechen, um am Ende sowieso zu loosen.

Das gilt aber nur für mich selber. Will dich nicht entmutigen. Andere haben das vielleicht anders erlebt und können darüber berichten. Ich wünsche dir jedenfalls, daß du's "hinkriegst".

Und: Ja, Entzug ist was Hundsgemeines. Aber wenn's einfach wäre, würden wir ja alle wieder anfangen, nicht wahr?
Um seine Liebe zu beweisen, erklomm er die höchsten Berge, durchschwamm die tiefsten Meere und zog durch die weitesten Wüsten. Doch sie verließ ihn – weil er nie zu Hause war.

Alex22

Tafel
Du bist ein Kämpfer. Ich glaube, was Du mit machst ist vielen nicht verständlich. Die Kraft, die Du brauchst kann auch durch uns kommen, die wir an Dich und Deinen Kampf denken und Dir auch so fern, doch nahe sein wollen.
Du schaffst es sicher!
Wenn Du kannst, dann geh viel Spazieren, nimm Johanniskraut und finde verständige, bzw interessante Leute.
Es gibt davon mehr als ich mir dachte.
;)

Lefat

Dank an euch , habe gute Leutz hier im Haus !
hilft !!
zum Thema was mit gemacht ,sage ich nur mal soviel :

Das schlimmste was dir in der Hölle noch passieren kann ist die Rache einer abgewiesenen Frau !

in meinem Fall sind es 2 Frauen , und die haben sich zusammen getan !
so ein Psycho ist echt schwer zu ertragen ,
Es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Jahr der Arbeitslosigkeit einen ehemaligen Leistungsträger zu einem bildungsfernen Asozialen verkommen läßt..so zumindest die landläufige Meinung.

Zoe

So ihr Lieben, da will ich auch mal einen aktuellen Lagebericht wiedergeben.
So weit ganz gut durchgehalten.

Am Mittwoch (14.04.) hat es mich dann zurückgeholt.

Ich mußte früh am Morgen schon an nichts anderes mehr denken, als mir einen kleinen Schluck zu gönnen.
Also habe ich mir (eine) Flasche Rotwein geholt und gewartet bis es endlich "Zeit" ist.

Als es abend wurde, schnell das Ding geöffnet und das erste Glas auf Ex.
Das zweite folgte kurz darauf. Das dritte habe ich bis zur Hälfte geschafft und mußte kotzen (sorry, wegen der drastischen Ausdrucksweise)

Den Rest der Flasche habe ich weggeschüttet und mir geschworen, dass dies der letzte Tropfen war.
Dannach habe ich mich ziemlich elend und beschissen gefühlt.

Seit dem habe ich nichts mehr angefaßt. Es spukt zwar ständig im Kopf aber ich will es nicht mehr.
Die Pillen sind bis heute im Schrank geblieben. Ich weiß nicht, ob ich mich besser fühle oder ob das noch ne Weile braucht. Zur Zeit schlafe ich miserabel bin übellaunig und unkonzentriert.

Danke fürs zuhören!
Werde weiter berichten.
LG Zoe

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein

Lefat

Zitat(sorry, wegen der drastischen Ausdrucksweise)

nein das ist genau richtig , kotzen kotzen kotzen , mit nichts anderem kann man das beschreiben !!!!!
Es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Jahr der Arbeitslosigkeit einen ehemaligen Leistungsträger zu einem bildungsfernen Asozialen verkommen läßt..so zumindest die landläufige Meinung.

Eivisskat

Glückwunsch @Zoe, weiter so!

So ein Tabletten-Entzug ohne ärztl. Hilfe und Ausschleichen ist sehr schwer und belastend.

Wundere dich also nicht über viele und langwierige Nebenwirkungen, körperlicher, geistiger und seelischer Art.

Es ist aber durchaus zu schaffen und gerade die Widerwärtigkeit und dieses Ekel-Igitt-Gefühl gegen Alkohol, Tabletten, Zigaretten...ist dabei sehr hilfreich und macht es leichter.

Alles Gute!

:)


Hedgegina

tafel und zoe: ich drück euch die daumen, dass ihr das alles schafft. auch psychokram und allsowas, den kann man nicht brauchen, und der kommt dann noch obendrauf dazu. seid tapfer und haltet durch.  :)

Jaybird

Ich lese hier sehr gerne mit, und habe grossen Respekt vor Eurer Offenheit und Eurem Willen.

Daher auch mein Beitrag, den ich aus Angehörigensicht schreibe. Eigentlich suche ich auch ein bisschen Rat.

Ich habe einen Bruder, der an paranoider Schizophrenie leidet. Dazu kommt sein Alkoholismus. Fiese Mischung. Er hat auch leider wenig Krankheitseinsicht, erfasst es nicht als Krankheit und insofern sieht er es phasenweise nicht ein, danach zu leben. Sprich er nimmt dann seine Medis nicht und dämpft den psychischen Druck dann durch Alkohol. Mein Eindruck ist, dass die Psychosen auf Alk dann so richtig in Fahrt kommen und im krassen Gegensatz zu sonst wird er dann sehr mitteilsam.

Nun muss man dazu sagen dass ich in unseren jungen Jahren, wo unsere sch* Familienverhältnisse uns ohnehin das Leben schwer machten, natürlich sehr überfordert war mit seiner negativen Entwicklung und Krankheit. Insofern hatten wir damals einige Konflikte und haben uns auseinandergelebt. Mittlerweile versuche ich in einem für mich machbaren Rahmen zu helfen und wir kommen leidlich miteinander zurecht. Ich habe ausserdem sehr grosses Mitgefühl für ihn entwickelt, da ich heute ja auch viel besser durchblicke was alles zu seinem Zustand beigetragen haben könnte. Leider kann ich dabei auch Themen wie Missbrauch nicht ausschliessen.
Wo ist jetzt der Zusammenhang mit Alkohol - nun, ich bin wie gesagt weicher geworden und habe mich mehr geöffnet, wo ich meine Familie früher aus Selbstschutz sehr auf Abstand halten musste. Und diese Offenheit benutzt mein Bruder manchmal, um richtig abzukotzen. Dies geschieht immer dann wenn er ordentlich einen im Kahn hat. Er ruft dann vorzugsweise spätabends an und erzählt endlose psychotische Monologe mit furchtbarem, aber auch bizarrem Inhalt. Ich werde davon so ratlos und erschrocken, auch mitleidig, dass ich nur noch heulen will weil er so kaputt ist. Da es mir so leid tut wie er als Kind in unserer Familie behandelt wurde, fällt es mir extrem schwer, solche Gespräche abzulehnen. Heute zum Beispiel bin ich nicht rangegangen weil ich weiss was es bedeutet wenn er zu später Stunde anruft. Und prompt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mir denke, diese Dinge haben ja auch alle einen gewissen Hintergrund und mit igrendwem MUSS er doch mal drüber reden. Dann wieder denke ich, was ein Quatsch, er ist gerade krank und es kann niemand leisten sich das reinzuziehen.
Ihr seht, ich schwanke extrem zwischen da-sein-wollen und Selbstschutz und finde manchmal keinen Mittelweg. Egal wie, ich sitze immer da und hab wieder die Trauer um ihn volle Breitseite. Ob ich ihn nun anhöre oder nicht abnehme.

Diejenigen hier die von ihren Erfahrungen mit Realitätsverlust durch Alk/Drogen/Krankheit geschrieben haben - was denkt Ihr darüber. Hat es Euch geholfen dass sich jemand den kram reinzieht? Oder ist das ein so selbstbezogener Zustand dass es eigentlich schnurz ist ob da nun jemand zuhört oder nicht.

Die ganze Geschichte kann mich manchmal tagelang mit runterziehen.

Ziggy

Ich kann's nur aus meiner Sicht sagen:

Eine Zeitlang war für mich das Telefon das wichtigste. Ich hatte Leute, die ich Tag und Nacht anrufen konnte, jederzeit, ich konnte quatschen, soviel und solange ich wollte - solange ich nicht besoffen war! Hatte ich gesoffen und man merkte es, wurde sofort aufgelegt. Und ich denke, das war auch richtig so.

Natürlich hatte ich meine weinerlichen Phasen, wo ich nach Mitleid heischte, aber da wurde Kampflinie gefahren. Es hieß klipp und klar: "Wenn du ein Problem hast, Hilfe brauchst - ruf an! Wenn du nur Mitleid suchst, lass es!"

Als mein Schwiegervater am Alkohol starb - oder besser: verreckte -, fühlte ich mich unsagbar schuldig. Ich bildete mir ein, es wäre meine Aufgabe gewesen, ihn zu "retten". Aber die knallharte Wahrheit ist: Wenn ich meinen Alkoholismus nicht besiegen kann, kann ich seinen erst recht nicht besiegen. Und obwohl ich seit über 20 Jahren trocken und ein bißchen nüchtern bin, bin ich heute nicht so größenwahnsinnig, zu glauben, ich hätte gesiegt. Nein, es ist ein Waffenstillstand, mehr nicht ...

Ich kann einem Alkoholiker, der weitersaufen will, nicht helfen! Ich kann ihm zuhören, ja, solange, bis er mich auf sein nasses Niveau runterzieht. Am Ende sitzen wir beide da mit der Buddel in der Hand ...

Meine klare Ansage heute ist: "Wenn du ernsthaft aufhören willst und Hilfe suchst, bin ich da. Wenn du weitersaufen willst, tu es, und lass mich in Ruhe. Ich bin nicht für dein Leben verantwortlich." Ich habe gelernt, aufzulegen, wenn es bei mir an die Substanz geht. Bisher ist da niemand gestorben dran. Am Saufen schon.

Jeder Mensch - krank oder nicht - hat m.E. im Rahmen seiner Möglichkeiten Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich merke, daß jemand sich vor seiner Verantwortung drückt und auf mich abwälzen will, sind die Schotten erstmal dicht. Aber richtig.

Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst. Aber ich wüsste, was ich täte.

Ich denke, folgender entliehener Spruch bringt meine Haltung auf den Punkt: "Es ist keine Schande, krank zu sein. Aber es ist eine Schande, nichts dagegen zu tun!"
Um seine Liebe zu beweisen, erklomm er die höchsten Berge, durchschwamm die tiefsten Meere und zog durch die weitesten Wüsten. Doch sie verließ ihn – weil er nie zu Hause war.

Jaybird

Moin Ziggy,

der Knackpunkt ist der, dass mein Bruder tatsächlich teilweise keine Verantwortung übernehmen KANN. Dort wo ich ihm sagen kann "das ist Dein Bier, geh die Sache vernünftiger an" habe ich nicht so das Problem, mich abzugrenzen. Wenn aber eindeutig kranke Situationen mit Realitätsverlust eintreten ist es schwer auf seine Eigenverantwortung zu pochen. Ist für mich schwierig einzuschätzen, was seine Krankheit ist und was vielleicht auch schon (obendrein) deliriöse Suffzustände - oder beides?

Aber dennoch, Dein Beitrag hat mir ein bisschen beim abregen geholfen. Es bleibt als Masstab in diesen Situationen ja nur man selbst. Und ich habe gestern eben wieder festgestellt dass ich bei religiös-sexuellen-gewaltsamen Wahnvorstellungen nicht das verständnisvolle Gegenüber sein kann. Es übersteigt meine Kräfte und macht mich zu traurig.

Ich denke ich werde es in Zukunft so machen wie heute auch - ich gehe spät abends nicht ran, und rufe dafür morgens zurück. Den Anruf hatte er schon fast vergessen, meinte nur er habe wohl nicht schlafen können. Paar Takte Smalltalk, Verabredung zum Vorbeischauen am Mittwoch, alles wieder gut.

Der Rest, meine Empfindungen und Belastungen durch seine Lebenssituation und sein Leiden und wie ich mit ihm umgehe, das kann ich nur für mich selbst ausbaldowern.

Ziggy

Zitatder Knackpunkt ist der, dass mein Bruder tatsächlich teilweise keine Verantwortung übernehmen KANN

Das ist ja in Ordnung. Deswegen sagte ich ja im Rahmen seiner Möglichkeiten. Umgekehrt kannst du ihm helfen im Rahmen deiner Möglichkeiten.

Du kannst aber nicht sein Leben leben, das muß er selber. Und wenn er professionelle Hilfe braucht, dann braucht er die eben. Anrufe, Gespräche, Ausweinen, Zuschütten etc. verschaffen immer nur kurzfristig Erleichterung, lösen das Problem aber nicht.

Ich denke, dein Bruder hat großes Glück, daß es da einen Menshen gibt, der sich echt Gedanken um ihn macht. Vielleicht kannst du diesen Umstand aber auch für dich nutzen, um ihn ein bißchen in die "richtige" Richtung zu drehen. Eigentlich hasse ich sowas ja, weil es streng genommen Manipulation ist, aber manchmal heiligt der Zweck die Mittel. Schön ist es nicht, das steht fest.
Um seine Liebe zu beweisen, erklomm er die höchsten Berge, durchschwamm die tiefsten Meere und zog durch die weitesten Wüsten. Doch sie verließ ihn – weil er nie zu Hause war.

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