Strafverschärfung Widerstand Polizei

Begonnen von MizuNoOto, 12:30:57 Sa. 05.Juni 2010

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MizuNoOto

Scheint bei der disskutierten Strafverschärfung bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht um einen Schutz der Polizisten vor rechtswidriger Gewalt zu gehen.

Zitat
Somit stellt sich die Frage, wieso ausgerechnet die einfache Widerstandshandlung auf einmal härter und vor allem mit einer Mindest-, möglichst sogar mit einer Mindestfreiheitsstrafe bedroht werden soll. Mir fällt dazu eigentlich nur ein, dass die Anzeige wegen "Widerstand" sehr häufig in Fällen kommt, in denen es Anhaltspunkte für nicht ganz astreines Verhalten einzelner Beamter gibt. Aus naheliegenden Gründen ist die Anzeige nach § 113 Strafgesetzbuch ein probates Mittel für die Vorwärtsverteidigung der Ordnungshüter. Aber auch wenn mutmaßliche Opfer von Pflichtverletzungen selbst Anzeige erstatten, kann mit dem Widerstandsargument trefflich Gegendruck erzeugt werden.

Die offiziellen Begründungen sind logisch nicht nachvollziehbar. Deshalb darf man wohl spekulieren, ob die Forderung nach härteren Strafen für einfache Widerstandshandlungen nicht in Wirklichkeit auf einen Respekts- und Maulkorbparagrafen abzielt. Auch wenn es natürlich keiner der Verantwortlichen zugibt – ganz so unplausibel wie die sonstigen Argumente ist dieses Anliegen sicher nicht.

lawblog

Wobei die Fallzahlen gar nicht so stark gestiegen sind, wie behauptet.

ZitatIn allen dazu erschienenen Artikeln wird unkritisch weiterverbreitet, Gewalttaten gegen Polizisten hätten zwischen 2005 und 2009 um 60,1 Prozent zugenommen. Diese Zahl stammt ursprünglich aus einer Studie des kriminologischen Foschungsinstitut Niedersachen (KFN), die im Auftrag von Landesinnenminister Uwe Schünemann (CDU) durchgeführt wurde...

Da braucht man sich nicht zu wundern, wie es laut KFN überhaupt zur Durchführung der Studie kam:

Zitat1. Ausgangslage für die Planung des Projekts.

   Aus mehreren Bundesländern berichten Vertreter von Polizeigewerkschaften davon, dass die Gewalt gegen Polizeibeamte in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe und eine wachsende Zahl von Beamten im Dienst erheblich verletzt worden sei. (...) Für die These der Polizeigewerkschaften sprechen allerdings Berichte aus der Praxis, wie sie beispielsweise die Welt am Sonntag vom 22. März 2009 wiedergegeben hat.

Ein Artikel der "Welt" ist einer der Gründe für das KFN, eine Studie über Polizeigewalt zu erstellen, über die die "Welt" (und andere) rechtzeitig vor der Innenministerkonferenz dann wieder undifferenziert berichten kann. So schließt sich der Kreis.
bildblog

Nikita

http://www.lawblog.de/index.php/archives/2010/06/04/die-legende-von-der-schutzlosen-polizei/

Die Legende von der schutzlosen Polizei

Angeblich steigt die Gewalt gegen Polizisten. Kein Wunder, dass erst Lobbyisten und nun auch die Innenminister härtere Strafen fordern. Seltsamerweise wird hierbei größter Wert darauf gelegt, das Sonderrecht in Form des § 113 Strafgesetzbuch zu verschärfen. Der exklusive Paragraf heißt "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte". Er greift schon dann ein, wenn jemand sich gegen Polizisten wehrt. Ob ein Beamter dabei verletzt wird, spielt keine Rolle.

Nun steht es außer Frage, dass unangenehme Situationen zum Berufsbild eines Polizisten gehören. Der Job hat halt nun mal ein anderes Anforderungsprofil als Industriekaufmann. Wenn Polizeibeamten für ihr Gehalt schon geringfügig mehr Dickfelligkeit abverlangt wird, darf man davon ausgehen, dass Widerstandshandlungen ohne Verletzung des Beamten mit dem bisherigen Strafrahmen gut abgedeckt sind. Schon für den Widerstand als solchen drohen immerhin bis zu zwei Jahre Gefängnis. Dafür muss, das sei betont, der Beschuldigte keinem Polizisten auch nur ein Haar gekrümmt haben.

Unter den Tisch gekehrt, wenn nicht sogar bewusst verschwiegen wird eine Tatsache: Widerstandshandlungen, bei denen Polizisten verletzt werden, sind keineswegs nur mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bedroht.

Vielmehr greifen zum Schutz der Beamten mit Ausnahme von RoboCop die normalen Körperverletzungsdelikte, wie sie für jedermann gelten. Schon für die einfache Körperverletzung, das kann eine Ohrfeige sein, können bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden. Handeln mehrere Täter gemeinsam oder ist ein gefährliches Werkzeug (bei Tritten reicht ein Turnschuh) im Spiel, gilt bereits heute eine Mindeststrafe von sechs Monaten. Die Maximalstrafe beträgt zehn Jahre Gefängnis. Bei schweren Taten, zum Beispiel wenn es zu bleibenden Schäden kommt, gelten Mindeststrafen von drei Jahren.

Die Strafen für Körperverletzungsdelikte sind vor Jahren in diversen Gesetzesnovellen verschärft worden. Aber nicht nur die Strafen gingen nach oben, es wurde auch die versuchte Körperverletzung unter Strafe gestellt.

Natürlich kann man der Meinung sein, das Strafmaß für das Grunddelikt, normalerweise die kurze Klopperei aus nichtigem Anlass, sei viel zu niedrig. Angesichts der geltenden Höchststrafe von fünf Jahren wird dieser Einwand aber eigentlich nur noch von Leuten erhoben, die der "Rübe für alles ab"-Fraktion angehören.

Polizisten sind also eigentlich gegen Gewalt geschützt, gut sogar. Die rechtliche Situation ist ganz anders, als sie im propagandistischen Sperrfeuer der Polizeigewerkschaften und der Innenminister dargestellt wird.

Somit stellt sich die Frage, wieso ausgerechnet die einfache Widerstandshandlung auf einmal härter und vor allem mit einer Mindest-, möglichst sogar mit einer Mindestfreiheitsstrafe bedroht werden soll. Mir fällt dazu eigentlich nur ein, dass die Anzeige wegen "Widerstand" sehr häufig in Fällen kommt, in denen es Anhaltspunkte für nicht ganz astreines Verhalten einzelner Beamter gibt. Aus naheliegenden Gründen ist die Anzeige nach § 113 Strafgesetzbuch ein probates Mittel für die Vorwärtsverteidigung der Ordnungshüter. Aber auch wenn mutmaßliche Opfer von Pflichtverletzungen selbst Anzeige erstatten, kann mit dem Widerstandsargument trefflich Gegendruck erzeugt werden.

Die offiziellen Begründungen sind logisch nicht nachvollziehbar. Deshalb darf man wohl spekulieren, ob die Forderung nach härteren Strafen für einfache Widerstandshandlungen nicht in Wirklichkeit auf einen Respekts- und Maulkorbparagrafen abzielt. Auch wenn es natürlich keiner der Verantwortlichen zugibt – ganz so unplausibel wie die sonstigen Argumente ist dieses Anliegen sicher nicht.

Telepolis zum gleichen Thema:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32758/1.html

Nikita

Polizeiliche Taschenspielertricks

Peter Mühlbauer 04.06.2010
Ein Ausbau des Widerstandsparagrafen dürfte Angriffen auf Polizisten weit weniger gut abhelfen als eine Erhöhung des Mindeststrafmaßes für Körperverletzungen, wird aber von Funktionären und Politikern trotzdem als einzige Lösung propagiert
Angeblich stieg die Zahl der schweren Angriffe auf Polizisten in den letzten Jahren erheblich. Das besagt eine Studie des vom ehemaligen niedersächsischen Innenminister [local] Christian Pfeiffer geleiteten [extern] Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Vor allem Fußballfans, prügelnde Ehemänner und Jugendliche in Vierteln wie Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh sollen danach die körperliche Unversehrtheit der Beamten gefährden.

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Mit Verweis auf diese Entwicklung beschlossen die Innenminister von Bund und Ländern letzte Woche in Hamburg eine Strafverschärfung - aber nicht für Körperverletzungsdelikte, wie man meinen könnte, sondern für "Widerstandshandlungen", die zukünftig nicht mehr mit zwei, sondern mit drei Jahren Gefängnis bedrohen sein sollen.

Der "Widerstand gegen Vollzugsbeamte" ist in [extern] § 113 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Früher hieß er "Widerstand gegen die Staatsgewalt". Rechtsstaatlich gesehen ist die Vorschrift nicht unproblematisch: Denn wo eine Körperverletzung gut beweisbar ist, weil sie Spuren hinterlässt, da ist kein Widerstandsparagraf notwendig, um die Tat zu bestrafen. Wenn es aber keine solchen Spuren gibt, dann stellt sich die Frage, ob eine Verschärfung ausgerechnet dieser Vorschrift geeignet ist, die oben geschilderten schweren Angriffe einzudämmen.
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Körperverletzungen sind nach [extern] § 223 StGBmit fünf Jahren Höchststrafe bedroht, gefährliche Körperverletzungen nach [extern] § 224 StGB sogar mit zehn. Dass Gewalttäter häufig auch dann mit keinen oder sehr geringen Strafen davonkommen, wenn sie gefasst werden, liegt zum einen am Strafmündigkeitsalter (beziehungsweise am Jugendstrafrecht) und zum anderen daran, dass es bei einfachen Körperverletzungen keine Mindeststrafe gibt und sie bei gefährlichen nur bei sechs Monaten liegt - einem Strafmaß, das fast immer zur Bewährung ausgesetzt wird.

Härtere Mindeststrafen für Körperverletzungsdelikte würden das beklagte Problem direkt angehen und potenziell auch anderen Menschen nützen - denn Polizisten sind (wie nicht nur die Schlagzeilen der letzten Jahre belegen) beileibe nicht die Einzigen, die unter Gewalttätern zu leiden haben. Wären höhere Mindeststrafen für Körperverletzungsdelikte also nicht das weitaus geeignetere und gleichzeitig angemessenere Mittel, um gegen die vom KFN festgestellte Entwicklung einzuschreiten? [extern] Joachim Lenders, der Hamburger Landesvorsitzende der [extern] Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG), der sich mit Forderungen nach einem Ausbau des Widerstandsparagrafen in anderen Medien besonders hervorgetan hatte, ließ diese Frage seltsamerweise unbeantwortet. Auch, nachdem sie ihm auf Verlangen schriftlich gestellt wurde und er mehrere Tage Zeit zum Überlegen hatte.

Politiker argumentierten im Vorfeld des Innenministerbeschlusses ebenfalls so, als gäbe es Tatbestände wie Körperverletzung nicht und als sei der Widerstandsparagraf die einzige Vorschrift, die Angriffe auf Polizisten mit Strafe bedroht: Wolfgang Bosbach beispielsweise behauptete im [extern] Kölner Stadt-Anzeiger unter Auslassung der einschlägigen Verbotstatbestände, dass eine Attacke auf einen Beamten mit demselben Strafrahmen bewehrt sei wie "unerlaubtes Wild-Angeln". Dass Bosbach diese mindestens irreführende Information in Unkenntnis der Rechtslage gab, ist eher unwahrscheinlich: Immerhin arbeitet der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses nebenberuflich als Rechtsanwalt.

Ob sich Fußball-"Ultras", "Antifa"-Vigilanten und andere Problemgruppen von einer nun drei statt vorher zwei Jahre betragenden Höchststrafe für Widerstandshandlungen abschrecken lassen, ist fraglich. Eindruck machen dürfte die Änderung des Paragrafen dagegen auf eine ganz andere Personengruppe: Auf solche Menschen, die Opfer von Polizeigewalt wurden und auf die mittels übereinstimmender Falschaussagen von Polizeibeamten und der Drohung mit einer Widerstandsanzeige Druck ausgeübt werden kann. Dass solche von Polizisten ausgeübte Gewalt durchaus vorkommt, bewiesen in der jüngsten Vergangenheit mehrere[extern] Fälle, in denen die Wahrheit teilweise per [extern] Videobeweis ans Licht kam.
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Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32758/1.html

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