Kitastrophe

Begonnen von counselor, 18:10:47 Di. 02.Januar 2024

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counselor

ZitatANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT KLAFFEN OFT WEIT AUSEINANDER - Kitastrophe!

Wenn es um einen Platz in einer Kita, einem Hort oder einer Ganztagsschule geht, ist längst nicht jedes Kind willkommen. Kitastrophe" – diesen Begriff prägten betroffene Eltern und Großeltern in ihren Protesten. In der MLPD organisierte Mütter, Väter, Erzieherinnen und Erzieher ... beteiligen sich aktiv an den Protesten und Kämpfen der Kita-, Kindergarten- und Hortbeschäftigten für mehr Lohn, höhere Betreuungsquoten und bessere Arbeitsbedingungen.

Quelle: https://www.rf-news.de/2024/kw01/anspruch-und-wirklichkeit-klaffen-oft-weit-auseinander
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

counselor

ZitatEIN PLATZ AUF ZEHN BEWERBER - Kitakollaps, Lehrermangel und schöne Versprechungen

"Die Suche nach einem Kitaplatz gleicht dem Spiel ,,Reise nach Jerusalem" ohne Spaßfaktor mit nur einem Stuhl auf zehn Eltern", so eine Mutter. 91 Prozent der Kitas haben Wartelisten, davon 28 Prozent mit mehr als 40 Kindern.

Quelle: https://www.rf-news.de/2024/kw26/kitakollaps-lehrermangel-und-schoene-versprechungen
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Eine alte Freundin von mir arbeitet als Erzieherin in ner Kita.
Wenn wir uns treffen, geht es auch immer um die Arbeit. Sie ist völlig unpolitisch, doch sie fängt an, ihre Kolleginnen zu Widerstand zu bewegen. Sie hat es ständig mit unerträglichen Situationen zu tun. Die Kitaleitung versucht nur, den Laden irgendwie am Laufen zu halten ohne Rücksicht auf die Kinder und das Personal. Zu Coronazeiten hieß es auch nur "Augen zu und durch!", man hat auf alles geschissen. Man hätte den Laden wegen Gefährdung der Kinder und des Personals dicht machen müssen. Die Eltern waren selbst auf dem Horror und kamen mit ihrer Arbeit, den Lockdowns und ihren Kindern nicht klar und verschoben ihr Problem in die Kita, "sollen die sich doch kümmern!".

Auch jetzt ist der Krankenstand beim Personal irre hoch. Einerseits machen Streß und mieses Arbeitsklima eh krank, andererseit ist der Gelbe Schein die einzige Möglichkeit, ein wenig durchzuatmen.

Sie sagte auch, die Löhne seien wegen der Streiks angehoben worden. In der Kita versuchen nun mehrere die Situation zu nutzen, um nun ihre Stunden zu reduzieren. Man hört es an allen Ecken, viele halten es einfach nicht mehr aus, so viel zu arbeiten.

Kuddel


Kuddel

Die Bekannte von mir, die in Berlin an einer Kita arbeitet (siehe #2) hat mich wieder angerufen und ist völlig durch den Wind.

Die Arbeit ist die Hölle. In den Familien herrscht Stunk und die Kinder sind derart unentspannt, daß sie ihren Aggro an den Erzieher:innen auslassen. Es fehlt an Personal und die Leitungen versuchen sich mit Praktikant:innen auszuhelfen. Die Erzieher sind so gestreßt, daß sie ihre schlechte Laune an den Kolleg:innen auslassen. Die einzige Möglichkeit mal Luft zu holen ist die Krankschreibung. Es fehlt wohl stets ein Drittel der Belegschaft wegen krank. Es sind die Leute tatsächlich psychisch und gesundheitlich am Abkacken.

Sie hat sich nach anderen Jobs umgesehen. Sie könnte in diversen Kitas sofort anfangen, doch dort sind die Zustände ähnlich. Sie überlegt es in einer anderen Branche zu versuchen. Ihre neueste Idee ist, es auf Lehramt zu versuchen. Es würde doppelt so viel Kohle bringen, da würde ein halbe Stelle ihr mehr Zeit bei dem gleichen Einkommen bieten. Dafür müßte sie aber noch studieren. Die Studienzeit muß sie aber auch irgendwie finanzieren. "Nachtschichten schieben" meinte sie.

Das scheint aber auch nicht halbwegs erträglich zu sein, zumal sie auch nicht mehr so jung ist... 

Das sind unhaltbare Zustände.

Wanderratte

Die Zustände dort sind echt schlimm.

Vielleicht etwas komplett anderes machen! Wäre eine Umschulung eine mögliche Option? Kann finanziert werden, beispielsweise bei gesundheitlichen Problemen, die man bei den fürchterlichen Zuständen in dieser Kita zwangsläufig irgendwann bekommen kann.

So wie ich mehrfach gehört habe, soll der Lehrerberuf wohl auch sehr stressig und belastend sein.

ManOfConstantSorrow

Zitat von: Wanderratte am 02:58:50 So. 06.Oktober 2024Die Zustände dort sind echt schlimm.

Aber letztendlich reicht eine individuelle Lösung (Umschulung) nicht aus. Es müssen die Zustände für das gesamte Kitapersonal, für die Kinder und für die Eltern endlich grundlegend verbessert werden.
Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Wanderratte

Das ist richtig. Doch leider ist hier eine kollektive Problemlösung auf die Schnelle nicht machbar, denke ich. Die Probleme sind einfach zu vielschichtig.

Hier muss wohl erstmal eine individuelle Problemlösung her. Irgendwann kann man die Zustände nicht länger ertragen.

Ich habe auch schon einen Job nach vielen Jahren hingeschmissen, weil es psychisch einfach nicht mehr ging. Jahrelang hatte ich gekämpft und auf Missstände aufmerksam gemacht. Geändert hatte sich nichts.

Selbstverständlich muss die Situation auch insgesamt verbessert werden. Bei diesen multikausal bedingten Problemen hilft auf Dauer wohl nur, die einzig hierfür verantwortliche Ursache zu eliminieren, was letztendlich bedeutet, dass der Kapitalismus weg muss.

counselor

ZitatDas ist leider nicht immer so einfach.

Da hast Du Recht. Die Gewerkschaften sind nur bedingt brauchbar. Gesellschaftsveränderungen kann man mit ihnen nicht erkämpfen. Dazu braucht es von Gewerkschaften unabhängige Organisationsformen.

Der Aufbau einer unabhängigen Bewegung ist nicht so einfach. Wir versuchen das seit 20 Jahren mit der Nürnberger Montagsdemo. Wir werden totgeschwiegen von den Medien und es ist schwer, Menschen zum Mitmachen zu bewegen.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

ManOfConstantSorrow

Arbeitsscheu und chronisch schlecht gelaunt!

Kuddel

Back to topic.

Wieder ein Bericht von der Kitastrophe (von einer Freundin in Berlin).
Die Normalität hat nichts mit dem zu tun, was eine Kita leisten sollte. Es ist ein pures Notprogramm, in dem die Kinder, die sich in die Hose gemacht haben, sauber gemacht werden, und man versucht zu verhindern, daß die Kinder aufeinander losgehen. Eine Beschäftigung mit den Kindern und eine Förderung ist nicht möglich. Die Gruppen sind viel zu groß. Selbst die Kitaleitung arbeitet mit, damit der Betrieb nicht zusammenbricht. Die Beschäftigten können nicht mehr und man findet kein zusätzliches Personal. Es herrscht eine Krankenrate von 50%!

Die Freundin in Berlin ist alleinerziehende Mutter. Mit dem Geld kommt sie nur mit Ach und Krach zurecht. Nach Arbeit, Hausarbeit und Beschäftigung mit ihren Kindern fällt sie ins Bett. Eigenen Interessen nachzugehen? Da ist nicht dran zu denken.

Sie überlegt jetzt umzuschulen. Sie erwartet davon zumindest mehr Kohle, aber nicht weniger Streß.

Sie ist kein Einzelfall. Es wird zur Normalität, daß man die Wahl hat, zwischen Armut oder einer Arbeit, die einem alle Kraft raubt. (Sie hat einen Arbeitsweg von jeweils einer Stunde hin und zurück.)

Es ist ein massives gesellschaftliches Problem wenn in einer reichen Gesellschaft ein Großteil der Menschen irgendwie überlebt, aber ein entspanntes Leben mit den schönen Dingen des Lebens kaum mehr möglich ist.

Es gibt eine Menge Dinge, die einfach getan werden müssen. Deshalb komme ich nicht klar damit, daß einige meinen, sie hätten Arbeit einfach nicht nötig. Ich finde, daß die gesellschaftlich notwendigen Dinge auf möglichst alle Schultern verteilt werden sollte.

Es wird aber so viel gemacht und produziert, was absolut nicht notwendig wäre. Das muß alles weg. Die Forderung, die Arbeitswelt zu demokratisieren, macht absolut Sinn. Die Krankenhausbewegung hat ein paar vernünftige Ansätze aufgezeigt. Die Forderungen gingen weniger um Kohle, denn um "Entlastung". Mehr Personal auf Station!

Ich kann dieser Verteidigung "unserer Demokratie" nicht so viel abgewinnen. In der Arbeitswelt herrschen diktatorische Zustände.

counselor

ZitatDeshalb komme ich nicht klar damit, daß einige meinen, sie hätten Arbeit einfach nicht nötig.

Das ist vielleicht ein Ergebnis des Umstandes, dass Arbeit im Kapitalismus nicht wirklich befriedigend ist. Marx sprach von Entfremdung.

Dazu trägt bei, dass die Arbeiter nicht Eigentümer der Produktionsmittel sind und folglich nicht darüber bestimmen können, was wann wo zu welchen Bedingungen produziert wird und wie die Überschüsse auf die Gesellschaft verteilt werden.

Um das Problem der Entfremdung zu lösen, müssen die Arbeiter die Produktionsmittel unter ihre demokratische Kontrolle bringen. Dann kann zB demokratisch über die Länge des Arbeitstags entschieden werden.

Es ist unsere Aufgabe, dafür Bewusstsein zu schaffen.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Wanderratte

Zitat von: Kuddel am 13:04:11 Do. 02.Januar 2025Es gibt eine Menge Dinge, die einfach getan werden müssen. Deshalb komme ich nicht klar damit, daß einige meinen, sie hätten Arbeit einfach nicht nötig.

versus

Zitat von: Kuddel am 13:04:11 Do. 02.Januar 2025Es wird zur Normalität, daß man die Wahl hat, zwischen Armut oder einer Arbeit, die einem alle Kraft raubt.

Zitat von: Kuddel am 13:04:11 Do. 02.Januar 2025Es ist ein massives gesellschaftliches Problem wenn in einer reichen Gesellschaft ein Großteil der Menschen irgendwie überlebt, aber ein entspanntes Leben mit den schönen Dingen des Lebens kaum mehr möglich ist.

Zitat von: Kuddel am 13:04:11 Do. 02.Januar 2025In der Arbeitswelt herrschen diktatorische Zustände.
Das sind doch genau die Punkte, warum man vielleicht meint, Arbeit nicht nötig zu haben.

Es existiert halt nicht nur eine "Kitastrophe". Die Situation ist in sehr vielen Bereichen katastrophal.

Und auch diesen Aspekt sollte man dabei nicht vergessen:

Zitat von: counselor am 14:35:07 Do. 02.Januar 2025[...], dass Arbeit im Kapitalismus nicht wirklich befriedigend ist. Marx sprach von Entfremdung.
Und selbst wenn man es irgendwie schafft, sich mit all diesen Widrigkeiten irgendwie zu arrangieren, heißt das noch lange nicht, dass dann alles machbar ist.

Aktuell mache ich mir darüber Gedanken, vielleicht doch noch eine Berufsausbildung zu machen. Es könnte jedoch schon am Finanziellen scheitern, vor allem, wenn man so wie ich auch noch zu Hause Miete zahlen muss. Wenn man arbeitet benötigt man nunmal mehr Geld als wenn man arbeitslos ist. Wenn ich allein durch die Natur streife, geht das auch mit alten Jogginghosen und alten Schuhen. Doch damit kann man nicht zur Arbeit rennen.

Es geht halt nicht nur um die "Dinge, die einfach getan werden müssen".

Wenn es allein darum ginge und wenn dann noch die Arbeit anders organisiert wäre:

Zitat von: counselor am 14:35:07 Do. 02.Januar 2025Um das Problem der Entfremdung zu lösen, müssen die Arbeiter die Produktionsmittel unter ihre demokratische Kontrolle bringen. Dann kann zB demokratisch über die Länge des Arbeitstags entschieden werden.
Dann wäre doch alles nicht so schlimm.

Und in der Kita kommt noch erschwerend hinzu, dass auch die Kinder unter diesen Missständen sehr zu leiden haben. Kleine Kinder, die sich nicht wehren können. Das allein ist schon "Kitastrophe" genug und vielleicht sogar das Schlimmste an der Situation.

Ich finde, Deine Freundin hat recht, dass sie umschulen möchte. So ein Job ist zumindest auf Dauer sehr schwer auszuhalten.

admin

Es wurden einige Beiträge aus diesem Strang herausgetrennt, man findet sie nun unter Arbeit, Streß und Psyche
https://forum.chefduzen.de/index.php?topic=332385.msg397538#msg397538

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