Kein Entschädigungsanspruch für ALG II-Bezieher bei überlangem SG-Verfahren

Begonnen von Ferenz, 10:35:50 Fr. 09.Dezember 2016

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Ferenz

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 15. Senat, Urteil vom 22.09.2016, L 15 SF 21/15 EK AS

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE160019794&st=null&showdoccase=1

https://dejure.org/dienste/rechtsprechung?gericht=LSG%20Niedersachsen-Bremen


Ein übles Urteil, das mit seiner Rechtsauffassung zum bestehenden Gesetzestext der §§ 11 Abs.1 und 11a Abs. 3 SGB II (Einkommensanrechnung/Ausnahmen) faktisch die Individualrechte von SGB II-Beziehern gemäß den Anforderungen von  Art. 13 EMRK (Rechtsschutz) und Art. 6 Abs. 1 EMRK (Entschädigungsanspruch) mit dem Hinweis aushebelt, daß sinngemäß - nicht wörtlich - durch den Gläubigerwechsel infolge des Anspruchsübergangs an Stelle der ALG II - Empfänger die zuständigen Leistungsträger die Entschädigung bei den jeweiligen Gebietskörperschaften (Bundesländer) geltend machen könnten...


Zitat1. Eine Geldentschädigung gem. § 198 Abs. 1 GVG wegen der überlangen Dauer eines gerichtlichen Verfahrens stellt Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II dar. Der Entschädigungsanspruch eines Beziehers von ALG II geht daher bei Gleichzeitigkeit der Zeiträume der entschädigungspflichtigen Überlänge und der Leistungserbringung nach dem SGB II gem. § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II in Höhe der gewährten Leistungen auf den Leistungsträger über.

2. Der Zeitpunkt der nach § 198 Abs. 3 GVG erforderlichen Verzögerungsrüge ist auf die Gleichzeitigkeit der Zeiträume der entschädigungspflichtigen Überlänge und der Leistungserbringung nach dem SGB II ohne Einfluss.

3. Der Anspruchsübergang führt zum Wegfall der Aktivlegitimation des Leistungsberechtigten für eine Entschädigungsklage.

Zitat20
Die Beantwortung der Frage, ob Entschädigungsansprüche nach § 198 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 1 u. 3 GVG unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II auf den SGB II - Träger übergehen können, hängt mithin davon ab, ob es sich bei den Zahlungen, welche die jeweils verantwortlichen Gebietskörperschaften als pauschalierte Entschädigung immaterieller Nachteile leisten, um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II handelt. Nur dann kann nämlich die zusätzliche Voraussetzung nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II für einen Anspruchsübergang erfüllt sein, dass unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II bei rechtzeitiger Leistung des Anderen nicht erbracht worden wären.

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Auch diese Frage ist im Ergebnis in Anwendung des Gesetzes und der bereits hierzu ergangenen Rechtsprechung zu bejahen. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert - abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge und mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen - als Einkommen zu berücksichtigen. Bereits durch den Gesetzeswortlaut wird hiernach klargestellt, dass Einnahmen in Geld oder Geldeswert lediglich dann kein zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II darstellen, wenn sie in § 11a SGB II, in dem seit der Novellierung der Einkommensberechnung durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 die im SGB II geregelten, gesetzlichen Ausnahmen von der Einkommensberücksichtigung zusammengeführt worden sind, ,,genannt", also zum Gegenstand einer als abschließend aufzufassenden Aufzählung gemacht worden sind. Allerdings besteht daneben die überkommene Ermächtigung in § 13 Abs. 1 SGB II fort, weitere Ausnahmen von der Einkommensberücksichtigung durch Verordnung - wie mit § 1 Abs. 1 ALGII-V 2008 geschehen - zu begründen. Auch diese untergesetzlichen Ausnahmen folgen aber dem mit § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II vorgegebenen Enumerationsprinzip....       

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In all diesen Fällen hat das BSG allein darauf abgestellt, ob der jeweilige Einkommenszufluss nach einem der enumerativ verstandenen Privilegierungstatbestände von der Einkommensberücksichtigung ausgenommen gewesen ist. Soweit es mit dem zuletzt genannten Urteil vom 22. August 2012 die Entschädigung eines schwerbehinderten Menschen wegen Diskriminierung im Bewerbungsverfahren als von der Einkommensanrechnung ausgenommen beurteilt hat, beruht auch diese Entscheidung nicht etwa auf einer erweiternden Auslegung der unterdessen in § 11a SGB II zusammengefassten Ausnahmeregelungen oder einer Analogie, sondern auf dem - auch für den Senat überzeugenden - Argument, dass es sich bei dieser Form der Entschädigung um die Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruchs im Sinne von § 847 BGB a.F. handelt und deshalb § 11a Abs. 2 SGB II einschlägig ist...

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Bei dem vorliegend streitbefangenen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 GVG handelt es sich demgegenüber auch insoweit, als er der Entschädigung des durch eine überlange Verfahrensdauer verursachten immateriellen Schadens gilt, nicht um einen seiner Art nach von § 253 Abs. 2 BGB bzw. § 847 Abs. 1 BGB a.F. erfassten Anspruch; der Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer liegt weder eine Verletzung der nunmehr in § 253 Abs. 2 BGB abschließend aufgeführten Rechtsgüter Körper, Gesundheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung noch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde (vgl. insoweit zum Verhältnis von § 253 Abs. 2 BGB zu § 847 Abs. 1 BGB a.F. Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 253 Rn. 27)...

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Eine der weiteren in § 11a SGB II und § 1 Abs. 1 ALGII-V aufgeführten Ausnahmen von der Einkommensberücksichtigung liegt offenkundig nicht vor. Insbesondere handelt es sich bei der Entschädigung von immateriellen Nachteilen gem. § 198 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 1 u.3 GVG nicht um eine zweckgebundene Leistung im Sinne von § 11a Abs. 3 SGB II. Zweckbindung in diesem Sinne setzt bei Leistungen, die von öffentlichen Stellen aufgrund einer gesetzlichen Grundlage gewährt werden, die Existenz eines dabei vorausgesetzten, wenn auch nicht notwendigerweise ausdrücklich geregelten oder den Empfänger bindenden Verwendungszwecks voraus (BSG, Urteile vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS 16/06 R -, juris, Rn. 18 ff, vom 30. September 2008 - B 4 AS 19/07 R -, juris, Rn. 16 ff und vom 28. Oktober 2014 - B 14 AS 36/13 R -, juris, Rn. 34). Der Anspruch auf Geldentschädigung nach § 198 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1, 3 und 4 GVG dient demgegenüber allein der Kompensation der durch die eingetretene Überlänge eines Gerichtsverfahrens verursachten immateriellen Nachteile, deren Schwere - unter Berücksichtigung der vom Gericht zu verantwortenden Verursachungsanteile - nach § 198 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 4 GVG zugleich den Billigkeitsmaßstab für ihre Höhe bildet (BSG, Urteile vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 9/13 R -, juris, Rn. 27, 29, 37 und vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R, Rn. 22 ff und 35 ff). Die Erwartung einer bestimmten künftigen Verwendung ist mit dem Anspruch auf Entschädigung nicht verknüpft. Soweit er dem Ausgleich eines immateriellen Nachteils dient, scheidet insbesondere eine auf die Wiederherstellung eines nachteilsfreien Zustandes gerichtete Zweckbindung aus tatsächlichen Gründen von vornherein aus...

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Der Senat sieht im Übrigen Veranlassung zu der Bemerkung, dass er es durchaus für sachgerecht hält, den Anspruch auf Geldentschädigung nach § 198 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 und 3 GVG von der Anrechnung als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II auszunehmen. Neben dem Interesse betroffener ALG II - Bezieher, über die für eine Verletzung ihres Anspruchs auf Justizgewährleistung zuzusprechende Entschädigung tatsächlich verfügen zu können, spricht hierfür auch die europarechtliche Notwendigkeit, für die Effizienz der vom EGMR in seinem Urteil vom 8. Juni 2006 (Nr. 75529/01) eingeforderten nationalen Maßnahmen zur Sicherstellung einer angemessen Verfahrensdauer, die mit der durch § 198 Abs. 1 GVG eingeführten Entschädigungspflicht bei Überlänge ohnedies nur indirekt gefördert werden kann (vgl. dazu die Gesetzesbegründung, BT-Drs 17/3802, S. 1 unter A zur präventiven Wirkung der Entschädigung), auch bei den zahlreichen Gerichtsverfahren Sorge zu tragen, die der Durchsetzung von Leistungsansprüchen nach dem SGB II gelten und prinzipiell nur von Anspruchstellern geführt werden können, die im Fall der Überlänge von dem Anspruchsübergang nach § 33 Abs. 1 SGB II betroffen sind. Auch wenn es durch die Anwendung von § 33 Abs. 1 SGB II lediglich zu einem Gläubigerwechsel kommt und ein bestehender Entschädigungsanspruch als solcher unberührt bleibt, erscheint doch offen, ob die durch den Anspruchsübergang begünstigten Leistungsträger den Entschädigungsanspruch in ähnlichem Umfang geltend machen, wie die von der Überlänge eines Gerichtsverfahrens betroffenen Leistungsempfänger es tun würden. Um den Anspruch auf Entschädigung immaterieller Nachteile einer überlangen Dauer von Gerichtsverfahren von der Einkommensanrechnung auszunehmen, bedarf es indessen eines konstitutiven Tätigwerdens des Gesetz- oder Verordnungsgebers...

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Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben. Insbesondere liegt nicht der Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung vor. Soweit der Kläger in dem vorausgegangenen PKH - Verfahren geltend gemacht hat, es fehle bisher an höchstrichterlicher Rechtsprechung zu der spezifischen Fragestellung, ob Entschädigungsansprüche nach § 198 Abs. 1 GVG Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II darstellen, trifft diese Feststellung als solche zu, begründet jedoch nicht bereits die Zulassungsbedürftigkeit, weil sich die wesentlichen entscheidungserheblichen Rechtsfragen zur Überzeugung des Senats anhand des Gesetzes und der bereits zum Einkommensbegriff des § 11 Abs. 1 SGB II ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lassen (vgl. auch BSG, Urteil vom 23. November 2006, Az. B 11b AS 17/06 B, Rn 9 f m.w.N.).
FAZIT:

Der 15. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen exkulpiert sich für seine legalistische Entscheidung beim Gesetzgeber und stellt ihm anheim, er möge doch die aktuell geltende enumerative - nach Meinung des hiesigen LSG abschließende - Ausnahmenregelung zugunsten der ALG 2- Bezieher entsprechend ergänzen, dann gäbe es klägerfreundlichere Urteile...


Hoffentlich legt der Klägeranwalt Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein, nötig wär's.

siehe auch: > http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/kein-entschaedigungsanspruch-fuer-hartz-iv-bezieher.php

dagobert

Zitat von: Ferenz am 10:35:50 Fr. 09.Dezember 2016
Zitat23
In all diesen Fällen hat das BSG allein darauf abgestellt, ob der jeweilige Einkommenszufluss nach einem der enumerativ verstandenen Privilegierungstatbestände von der Einkommensberücksichtigung ausgenommen gewesen ist. Soweit es mit dem zuletzt genannten Urteil vom 22. August 2012 die Entschädigung eines schwerbehinderten Menschen wegen Diskriminierung im Bewerbungsverfahren als von der Einkommensanrechnung ausgenommen beurteilt hat, beruht auch diese Entscheidung nicht etwa auf einer erweiternden Auslegung der unterdessen in § 11a SGB II zusammengefassten Ausnahmeregelungen oder einer Analogie, sondern auf dem - auch für den Senat überzeugenden - Argument, dass es sich bei dieser Form der Entschädigung um die Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruchs im Sinne von § 847 BGB a.F. handelt und deshalb § 11a Abs. 2 SGB II einschlägig ist...

24
Bei dem vorliegend streitbefangenen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 GVG handelt es sich demgegenüber auch insoweit, als er der Entschädigung des durch eine überlange Verfahrensdauer verursachten immateriellen Schadens gilt, nicht um einen seiner Art nach von § 253 Abs. 2 BGB bzw. § 847 Abs. 1 BGB a.F. erfassten Anspruch; der Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer liegt weder eine Verletzung der nunmehr in § 253 Abs. 2 BGB abschließend aufgeführten Rechtsgüter Körper, Gesundheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung noch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde (vgl. insoweit zum Verhältnis von § 253 Abs. 2 BGB zu § 847 Abs. 1 BGB a.F. Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 253 Rn. 27)...
Viele SG-Klagen richten sich gegen Sanktionen, Leistungsversagungen oder -kürzungen. Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass die Entschädigung sehr wohl Schmerzensgeldcharakter hat.

Zitat von: Ferenz am 10:35:50 Fr. 09.Dezember 2016Hoffentlich legt der Klägeranwalt Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein, nötig wär's.
Weiß irgend jemand, ob da in dieser Richtung was läuft?



Mal am Rande, Ferenz ...
Zitat von: Ferenz am 10:35:50 Fr. 09.Dezember 2016Der 15. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen exkulpiert sich für seine legalistische Entscheidung beim Gesetzgeber und stellt ihm anheim, er möge doch die aktuell geltende enumerative - nach Meinung des hiesigen LSG abschließende - Ausnahmenregelung zugunsten der ALG 2- Bezieher entsprechend ergänzen, dann gäbe es klägerfreundlichere Urteile...
... ohne mein Fremdwörterbuch wäre ich bei diesem Satz aufgeschmissen gewesen.  ;)
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

Ferenz

ZitatViele SG-Klagen richten sich gegen Sanktionen, Leistungsversagungen oder -kürzungen. Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass die Entschädigung sehr wohl Schmerzensgeldcharakter hat.
@Dagobert

Ich hatte am 16. September 2015 in Sachen Eukalyptus / Kaspar Hauser / Horst Murken in 2 anderen Foren aus Anlaß des Teilerfolgs von Kläger 1 mit dem LSG - BRB - Urteil L 37 SF 29/14 EK AS vom 25.08.2015 rechtskräftig  -  https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=180107 -  im Rahmen einer Diskussion über mögliche Anrechnungen des zugesprochenen Entschädigungsbetrags von H.M. geschrieben:

ZitatWeder Schmerzensgeld noch Schadensersatz sondern bloßer Nachteilsausgleich als Kompensation > siehe Burhoff-Online:

ZITAT: http://www.burhoff.de/insert/?/veroeff/aufsatz/StRR_2012_4.htm

"Vorgesehen ist eine ,,angemessene" Entschädigung (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG).

In diesem Entschädigungsverfahren kann für die sog. immateriellen Nachteile – zum Beispiel für seelische und körperliche Belastungen durch das zu lange Verfahren – als Regelbetrag 1.200 € für jedes Jahr verlangt werden, soweit eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 GVG).

Neben dem Ausgleich für die immateriellen Nachteile ist zusätzlich eine angemessene Entschädigung für materielle Nachteile vorgesehen, etwa wenn die unangemessene Verfahrensdauer zur Insolvenz eines Unternehmens führt."

Der Entschädigungsanspruch hängt nicht von einem Verschulden ab.

HINWEIS:

§ 11a > Nicht zu berücksichtigendes Einkommen

(1) Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind
...

(2) Entschädigungen, die wegen eines Schadens, der kein Vermögensschaden ist, nach § 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geleistet werden, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

(3) Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen.

https://dejure.org/gesetze/SGB_II/11a.html

1. Zum einen wären die Voraussetzungen für den vom Kläger in Anspruch zu nehmenden Privilegierungstatbestand des § 11a Abs. 2 SGB II erfüllt, weil nach § 11a Abs. 2 SGB II Entschädigungen, die wegen eines Schadens, der kein Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs. 2 BGB geleistet werden, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind.

Die Freistellung der genannten Zahlungen beruht auf der Erwägung, daß sie für einen Zweck gewährt werden, der nicht Inhalt der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist, so dass eine Berücksichtigung dieser Zahlungen als Einkommen als Härte empfunden würde (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2007 - B 11b AS 15/06 R; BT-Drucks. 7/308, S. 17).

Dies gilt u. a. für Ansprüche auf Schmerzensgeld, da dieses seiner gesetzlichen Funktion nach nicht der Deckung des Lebensunterhalts, sondern ausschließlich der Abdeckung eines immateriellen Schadens dient.

2. Zum anderen dürfte nach meiner Ansicht der in Geld vom Beklagten Land Berlin zu leistende Nachteilsausgleich nicht als Einkommen anrechenbar sein, weil diese Zahlung hier in diesem Einzelfall ebenfalls nicht dem Zweck einer Leistung nach dem SGB II dient!

Es wär doch ein Stück aus dem Tollhaus, wenn sich das Jobcenter Berlin-Neukölln hier beim geschädigten Hilfeempfänger nachträglich wieder bereichern würde...
http://hartz.info/index.php?topic=95041.msg988628#msg988628

Zitat
Ausgangspunkt des Nachteilsausgleichs ist die vom LSG festgestellte unangemessene Verfahrensdauer von 29 Monaten und dafür hat das LSG BLN-BRB dem Kläger eine finanzielle Entschädigung für immaterielle Schäden zugesprochen! Von Körperschäden kann doch keine Rede sein. Eukalyptus hat sich im Eingangspost mit seiner Wertung: "Schadensersatz/Schmerzensgeld" ungenau bzw. falsch ausgedrückt, das muß natürlich zu Irritationen führen. (Wenn der Nachweis eines Vermögensschadens gelingt, kann in Ausnahmefällen auch zusätzlich ein Anspruch auf Schadensersatz bestehen. Siehe Link zu Burhoff.)

Siehe hierzu eine Grundsatzentscheidung des BVerfG zur Anwendung von Ausnahmen bei der Einkommensanrechnung im SGB II  in seinem Beschluß vom 16. März 2011 - 1 BvR 591/08

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2011/03/rk20110316_1bvr059108.html

ZITAT:

"II.1. a, aa) Rn 34ff. Dass zweckbestimmte Einnahmen nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II nicht als Einkommen berücksichtigt und damit gegenüber sonstigen Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II privilegiert werden, ist durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt (dazu (1))...

Rn 35 (1) Zweckbestimmte Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II unterscheiden sich, soweit es um öffentlich-rechtliche Leistungen geht, die hier allein relevant sind, dadurch von anderen Einnahmen, dass der Gesetzgeber selbst angeordnet hat, dass die Leistung ganz oder teilweise einem anderen Zweck dienen soll als die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch und insbesondere nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts gedacht ist. Die gesetzgeberische Zweckbestimmung ist ein hinreichend gewichtiges Unterscheidungskriterium (vgl. auch BVerfGE 29, 71 <79>; 110, 412 <436>; 112, 164 <176> )...

Rn 36 (2) Es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls vereinbar, dass das Bundessozialgericht für das Vorliegen einer zweckbestimmten Einnahme verlangt, dass sich die Zweckbestimmung einer öffentlich-rechtlichen Leistung eindeutig aus dem Gesetz ergeben muss (vgl. insoweit auch BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 76/08 R -, juris, Rn. 16 m.w.N.). Dadurch trägt es dem Umstand Rechnung, dass nur der ausdrücklich erklärte oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermittelnde Wille des Gesetzgebers, dass eine öffentlich-rechtliche Leistung nicht zur Sicherung der Lebensunterhalts dienen soll, nicht aber sonstige, nicht normtextbezogene Gesichtspunkte es rechtfertigen, die zweckbestimmte Einnahme gegenüber sonstigem Einkommen im Rahmen des Sozialgesetzbuches Zweites Buch zu privilegieren...
"

Eine sehr gute Darstellung zum ÜGG findet sich bei Herbert Masslau:

http://www.herbertmasslau.de/entschaedigungsklagen.html
Daß nun ein reaktionärer Senat am Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen daran geht, in Verkennung des gesetzlichen Zweckes und der gewollten Rechtsfolgen des per Urteil zuerkannten Nachteilsausgleichs durch den Staat, dem Kläger schlichtweg die Klagebefugnis zu bestreiten, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Mit so einer richterlichen Textauslegungsrabulistik konnte man damals auch nicht rechnen!
   
Meiner Ansicht nach ignoriert der 15. LSG-Senat hier die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu §§ 11, 11a SGB II. Dies müßte hoffentlich auch dem Prozeßbevollmächtigten - der ja mit PKH-Bewilligung im o.g. Verfahren beigeordnet war - klar sein, so daß eine Beschwerde gegen das "greifbar rechtswidrige" Klageabweisungsurteil  aus Celle auf dem Fuße folgen sollte.

Einem Hartz IV- Kläger die Aktivlegitimation für die Inanspruchnahme von Rechtsschutz wegen eines erlittenen Nachteils infolge des evidenten staatlichen Versagens bei überlanger Dauer von Gerichtsverfahren zu versagen, haben bisher weder das von H.M. zu oft angerufene + belastete LSG Brandenburg/Berlin und auch andere Landessozialgerichte gewagt.     

   

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