Prototyp: Totale Überwachung in Italien

Begonnen von Nikita, 22:44:05 Fr. 15.Juni 2012

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Nikita

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Zitat15. Juni 2012, 09:00 Uhr
PC-Programm Serpico
Supercomputer jagt Italiens Steuersünder

Von Hans-Jürgen Schlamp, Rom

Italien sitzt auf einem riesigen Schuldenberg, und jeder Fünfte hinterzieht Steuern. Die Regierung setzt nun auf das Überwachungsprogramm Serpico, das jedes Bankkonto filzt und jede Ausgabe registriert. Die Finanzkontrolle ist total, der Protest erstaunlich leise.

Rom - Auch weltberühmte Namen schützen in Italien nicht mehr. Als Alessandro Twombly vier Millionen Euro von einem italienischen Konto seines verstorbenen Vaters, des Malerstars Cy Twombly, in die USA überweisen wollte, schlug ein römischer Computer Alarm und setzte Steuerfahnder in Bewegung. Bei dem Geld, so der Verdacht der Maschine, könne es sich um unversteuerte Einnahmen aus dem Verkauf von Twomblys Kunst in seiner Wahlheimat Italien handeln.

Auf dergleichen Ungemach müssen sich jetzt viele einstellen, die im Land, wo die Zitronen blühen, ihre Steuern zahlen - oder eben nicht. Serpico überwacht sie alle.

Serpico ist ein Akronym, steht für "Servizi per i contribuenti", heißt übersetzt "Dienstleistungen für die Steuerzahler" und erinnert wohl nicht zufällig an den unbestechlichen New Yorker Polizisten Frank Serpico, der im Film von Al Pacino verewigt wurde. Der italienische Serpico besteht aus etwa 2000 Servern, die im Untergeschoss eines römischen Bürohauses Tag für Tag, 24 Stunden lang, pro Sekunde etwa 22.000 Informationen einsammeln, verarbeiten und ihrem gigantischen Halbleitergedächtnis mit einem Fassungsvermögen von einer Million Milliarden Bytes zuführen. Begonnen haben die Computer damit schon in den vergangenen Jahren. Aber richtig in Fahrt kommen sie erst jetzt. Denn mit dem Gesetz "Rettet Italien" hat die römische Regierung unter Ministerpräsident Mario Monti alles abgeräumt, was Serpico die Arbeit erschweren könnte - sogar das Bankgeheimnis.

Nun kann Italiens "Big Brother" alles haben: Er kann in jedes Bankkonto, in die Unterlagen des Katasteramts, der Kraftfahrzeugverwaltung, der Renten- und Autoversicherungen einsehen. Mitgliedschaften im Golf Club oder Urlaubsbuchungen interessieren ihn ebenso wie der Reitunterricht fürs Töchterchen. Alles, was Geld fließen lässt, wird registriert. Und damit die Italiener nicht mehr heimlich, also mit Bargeld zahlen, dürfen pro Kauf oder Vertrag nur noch maximal 1000 Euro in bar ausgegeben werden. Alles was teurer ist - auch als Summe einzelner Raten - muss per Überweisung, Scheck oder Kreditkarte abgewickelt werden. Ob Auto oder Fernseher, jeder Kauf wird gemeldet. Und die Steuernummer steht immer dabei.

Automatisch, ohne einen Verdacht oder speziellen Auftrag, durchsucht der Riesen-Rechner diese Datenfülle nach Widersprüchen. Auf der einen Seite steht der Besitz - Häuser, Autos, Boote, Sparbücher etwa - und die Ausgaben. Ob für Telefon, Strom und Wasser, für Kurse und Käufe, für Versicherungen oder Medikamente in der Apotheke, alles wird erfasst. Auf der anderen Seite stehen die Steuererklärungen der vergangenen fünf Jahre. Passt das eine nicht gut zum andern, scheinen die versteuerten Einkünfte mit der Lebenshaltung des Bürgers nicht vereinbar zu sein, dann gibt Serpico automatisch einen Auftrag an die zuständigen Finanzämter. Die schauen dann vor Ort ganz genau hin.

Auf die Schnelle, quasi beim Warmlaufen, hat Serpico gleich mal 518 Besitzer von Privatflugzeugen und 42.000 Eigner von Booten mit mehr als zehn Meter Länge herausgefiltert, die jeweils weniger als 20.000 Euro Einkommen versteuert haben. Die müssen jetzt genau erklären, wie sie ihre Luft- und Wassermobile bezahlt haben. Gelingt das nicht überzeugend, drohen drastische Strafen.

"Sowjet-Republik Italien"

Italien sei damit "auf dem Weg zur Sowjet-Republik", schimpfen Kritiker wie der Komiker und Gründer einer politisch sehr erfolgreichen Bürger-Protestbewegung Beppe Grillo. Die Datensammelei sei doch Blödsinn, wer hundert Millionen Euro schwarz ins Ausland schaffen wolle, mache das gewiss nicht übers eigene Konto. Andere sagen, der Kampf gegen Korruption und Mafia sei viel wichtiger als der gegen Bürger, die ein wenig bei der Steuer schummeln. Aber die Mehrheit der Italiener hat die Öffnung ihrer Konten und Brieftaschen achselzuckend hingenommen: Die Zahlen des Finanzministers sind einfach zu erschreckend.

120 bis 150 Milliarden Euro entgehen den öffentlichen Kassen alljährlich, so schätzt man, weil jeder fünfte Italiener nicht steuerehrlich ist. Das ist mehr als ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen des Landes. Es würde reichen, die Zinsen für die gewaltigen Staatsschulden zu begleichen, die in diesem Jahr die Zwei-Billionen-Grenze erreichen sollen - und derzeit große Verunsicherung an den Finanzmärkten auslöst. Ob bei der Reparatur des Autos oder der Zähne, beim Kauf von Wein oder von Mauersteinen, regelmäßig wird der Kunde gefragt: "Zahlen Sie lieber 500 Euro mit, oder 400 ohne Rechnung?" Und warum sollte der Kunde auf einer Rechnung bestehen, die ihm in aller Regel nichts bringt, weil er sie, zum Beispiel, nicht von seiner Steuerlast absetzen kann. Weil dem Staat diese Einnahmen fehlen, langt er bei denen immer heftiger zu, die sich nicht wehren können - Arbeiter, Angestellte, denen die Steuer gleich von Lohn und Gehalt abgezogen wird. Der Steuersatz für sie gehört zu den höchsten in Europa, er liegt deutlich über dem deutschen Niveau.

Je drückender aber die Abgabenlast wird, desto größer ist die Verlockung zum Betrug. Und in dieser Disziplin waren viele Italiener bislang meisterhaft. Manche Bauunternehmer, Heizungsbauer, Gastwirte gaben sogar ordentliche Quittungen aus, buchten die Summen in die Kasse - und löschten am Abend heimlich alle Spuren der Tageseinnahmen oder ließen nur einen ganz geringen Teil davon in den Unterlagen. Nun haben sie Probleme, das schwarz kassierte Geld auszugeben, ohne dass Serpico etwas davon mitbekommt.

Der Schrecken der Reichen und Superreichen

Flankierend schickt die Regierung staatliche Steuereintreiber zu überraschenden Razzien dorthin, wo sich Reiche und Superreiche gerne tummeln und ihren Besitz zur Schau stellen, etwa in den mondänen Ski-Ort Cortina d'Ampezzo, vor die Nobeldiscotheken Mailands oder in schnieke Yachthäfen. Dort werden dann die Luxusschiffchen, Porsche und Ferrari, nebst Fahrer und Halter, vermerkt und die Daten an Serpico weitergeleitet. Insgesamt haben die Finanzbehörden in diesem Jahr schon mehr als 7500 Steuer-Totalverweigerer enttarnt. Gemeinsam haben die Einkommen von mehr als 20 Milliarden Euro an der Steuer vorbeikassiert. Im Durchschnitt macht das etwa 2,8 Millionen Euro pro Steuersünder. Einige von denen haben gute Chancen, sich demnächst im Gefängnis persönlich kennenzulernen.

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