Lafontaine und Bisky: Die neue Linke kommt

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 16:28:26 Di. 06.Juni 2006

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Wilddieb Stuelpner

Tagesspiegel, vom 3. Juni 2006

Lafontaine und Bisky: Die neue Linke kommt

Berlin - Die Linkspartei/PDS und die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) halten trotz interner Querelen am Zusammenschluss bis Mitte 2007 fest. ,,Die neue Linke wird kommen", sagte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine, am Freitag bei der Vorlage eines Manifests zur Gründung der neuen Partei.

Der Antritt der Berliner WASG gegen die Linkspartei bei der Abgeordnetenhauswahl im September werde die Fusion nicht verhindern, beteuerte auch WASG-Vorstand Klaus Ernst. Der Landeswahlausschuss in Berlin hatte am Donnerstag entschieden, dass die WASG am 17. September eigenständig antreten darf. Das widerspricht den Vereinbarungen von Linkspartei/PDS und WASG, die bis zur Gründung der neuen Linken bei keiner Wahl konkurrieren wollten.In dem Manifest, das maßgeblich von Lafontaine geschrieben wurde, bekennen sich die Autoren zum demokratischen Sozialismus – als Alternative zum ,,Raubtierkapitalismus". Sie lehnen Deregulierung und Flexibilisierung am Arbeitsmarkt ebenso ab wie die weitere Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen. Der Zeitpunkt sei gekommen, ,,die versprengten Kräfte der Linken zu sammeln", heißt es. Künftige Regierungsbeteiligungen werden nicht ausgeschlossen, ,,wenn sie die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern und alternative Entwicklungspfade öffnen".

Der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky, sieht für die Bundestagswahlen 2009 Reserven beim Wählerpotenzial. ,,Zweistellig können wir auf jeden Fall werden", sagte Bisky. Bisher habe die Frage zu sehr im Vordergrund gestanden, ob die Linke in der Lage sei, einig zu handeln. Bei der Bundestagswahl im September 2005 hatte die PDS, auf deren Listen WASG-Mitglieder angetreten waren, bundesweit 7,4 Prozent der Stimmen erhalten. Cordula Eubel

Wilddieb Stuelpner

Frankfurter Rundschau, vom 3. Juni 2006

Die Linke sagt "barbarischem" Kapitalismus den Kampf an - Gründungsmanifest von Linkspartei und WASG skizziert Weg zum demokratischen Sozialismus / Lafontaine designierter Co-Parteichef

Linkspartei und WASG haben das "Gründungsmanifest" einer gemeinsamen linken Partei vorgelegt. Es handelt sich nach den Worten des Hauptautoren Oskar Lafontaine um eine "Kampfansage an die barbarische Weltwirtschaftsordnung". Einen Tag nach dem endgültigen Scheitern eines linken Schulterschlusses in Berlin skizzierten die Spitzen von Linkspartei und WASG demonstrativ ihre künftige gemeinsame Politik. Das Manifest dient als Grundlage für eine neue Partei mit dem voraussichtlichen Namen "Die Linke", die im Sommer 2007 gegründet werden soll. Linkspartei-Chef Lothar Bisky und Lafontaine werden sie vermutlich gemeinsam führen.

Die neue Partei, betonte Lafontaine am Freitag, fühle sich einer Maxime Rosa Luxemburgs verpflichtet: "Keinen Sozialismus ohne Demokratie und keine Demokratie ohne Sozialismus." Das Scheitern der bisherigen Versuche, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, entbinde die Linke nicht von der Verantwortung, "einen neuen Anlauf zu machen, um die Barbarei der kapitalistischen Gesellschaft zu überwinden". Diese habe in weiten Teilen der Welt zu "bitterer Armut und Terrorismus" geführt

Gerechtere Steuern verlangt

Die Linke, heißt es in dem zehnseitigen Manifest, werde für mehr soziale Gerechtigkeit streiten. Auf dem Weg dorthin sollen "Schlüsselbereiche der Wirtschaft und der Daseinsvorsorge" in öffentliches Eigentum überführt werden. Durch "gerechtere Steuern" sollen Reiche "angemessen" an den Staatsaufgaben beteiligt werden. So würde nach Lafontaines Rechnung schon eine fünfprozentige Besteuerung des Vermögens der reichsten Deutschen dafür sorgen, dass jährlich 100 Milliarden Euro mehr in öffentliche Kassen flössen. Um die Macht von Großkonzernen zu begrenzen, will die Linke das Kartellrecht verschärfen. Zur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme soll eine Bürgerversicherung eingeführt werden. Ausdrücklich verhindern will die neue Partei jede Form der Privatisierung, etwa in den Bereichen Bildung und Gesundheit, Energieversorgung, Nahverkehr und Wohnungswesen. Die "neoliberalen" Hartz-Gesetze, die zu unzumutbaren Einschnitten bei sozial Schwächeren geführt hätten, lehnt die neue Linke ebenfalls ab. Dies bedeute aber nicht automatisch, dass die rot-roten Regierungskoalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern beendet werden müssten, betonten Lafontaine und Bisky. Die Linke sei auch künftig bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen - aber nur, wenn sie ihren Grundsätzen treu bleiben könne. Der Fall Berlin, wo die Linkspartei als Partner der SPD diverse Privatisierungen und die Einführung von mehr als 30 000 Ein-Euro-Jobs mittrug, hatte maßgeblich zur Spaltung der dortigen Linken geführt.

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, warnte davor, die Querelen innerhalb von WASG und Linkspartei überzubewerten. Der "ganz große Teil" beider Parteien wolle die Neugründung der Linken so, wie sie in dem Manifest skizziert werde. Bis Sommer 2007, so Gysi, sei "die einzige faire und demokratische Vereinigung in der deutschen Geschichte seit 1990" abgeschlossen. Alles bisherige seien nur "Ein- und Unterordnungen" gewesen.

Jörg Schindler

Wilddieb Stuelpner

Frankfurter Rundschau, vom 3. Juni 2006

Kommentar: Brüche

von Jörg Schindler

as Blöde an Theorie und Praxis ist, dass sie so oft unerquicklich auseinander klaffen. Zumal bei Parteien. Da schickt sich also nun die noch nicht vereinigte Linke an, jede Form der Privatisierung zu verteufeln. Und muss doch hinnehmen, dass Linke etwa in Dresden nichts dagegen haben, Hunderttausende Wohnungen an eine US-Firma zu verhökern. Da verdammen Lafontaine und Bisky in tadellosem Klassenkämpferisch alle Hartz-IV-Grausamkeiten, während die eigenen Genossen in Berlin für Zigtausende Ein-Euro-Jobs mitverantwortlich sind.

Ist das nun schon verlogen? Ist es nicht. Es ist eben Teil jenes Ringens um Kompromisse, bei dem man austestet, wie lange man sich verbiegen kann, ohne zu brechen. Den Linken kommt dabei zugute, dass ohnehin alle sie meiden. Sie können die reine linke Lehre also umso unverblümter propagieren.

Spannend wird es im Herbst, wenn es gilt, die Machtoptionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zu verlängern. Man darf sicher sein: Manches, was jetzt so warm geschrieben wurde, wird sich dann kälter lesen. Die Glaubwürdigkeit der Linken wird sich danach bemessen, wie viel Theorie sie in die Praxis hinüberretten. Den Lucy Redlers dieser Welt und allen anderen Aufmüpfigen der WASG wird es so oder so nicht gefallen. Das macht sie vielleicht zu aufrechteren Linken. Aber auch zu machtloseren.

Torsten

Die Linkspartei und WASG spielen heute die Rolle der Sozialdemokraten, die sich ja auch mal sozial und demokratisch gaben und es vor 100 Jahren sogar mal waren. Heute zeugt nur noch der Name davon. Sie dienen dazu, die Leute aufzufangen und zu entschärfen, die nach links bzw. sozialrevolutionär streben, weil sie langsam vom Kapitalismus wie von den pseudolinken Volksverdummern die Schnauze voll haben. Leider landen sie wieder bei pseudolinken Volksverdummern. Das ist keine leere Hetze, sondern meine begründete Erkenntnis:

http://www.weltformel.gmxhome.de/weltformel/texte/BISKY.HTML
http://ta.kpdb.de/arc/ta0605/ta0605_06.htm

Bei dem ganzen wir-vereinugen-uns-oder-nicht-oder-ganz-anders-Gezerre werden die Inhalte fast völlig vergessen. Kommen aber doch mal welche zur Sprache, ist das ein Wust von kapitalismusverbesserischen Wunschträumen, von Mindestlohn über Grundeinkommen bis zur Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Hartz-IV-Entschärfung oder -rücknahme und was da nicht alles geplappert wird. Das ignoriert nicht nur alle Erfahrungen früherer erfolgreicher Klassenkämpfe, erst mal Kräfte zu sammeln und zu organisieren und dann geballt für überschaubare und Viele betreffende Forderungen einzusetzen.

Diese Volksverdummer tun so, als sei der Kapitalismus auf parlamentarischem Wege dauerhaft verbesserbar. Das erinnert mich an Gysis Spruch, bevor damals die PDS in die Berliner Regierung einzog (sinngemäß): die bisherigen Regierungen hätten die Stadt ruiniert, da könne man nun auch mal die PDS 'ranlassen. Wie wir inzwischen wissen, war das unbeabsichtigt die Wahrheit: Sozialkahlschlag und finanzieller Ruin wurden von der PDS ebenso erfolgreich umgesetzt.

Lafontaine spielt derweil den linken Radikalinski, hat sogar das böse Wort Generalstreik in den Mund genommen. Nur: seit Jahren hat er immer heftig links geblinkt, aber abgebogen ist er nie. Er gehört zum Instrumentarium der Volksbesänftiger, vermittelt er doch den Eindruck, unter "denen da oben" seien doch ein paar ganz dufte Typen. Aber außer schwingender lauer Atemluft brachte er auch nichts zuwege.

Kurz und schlecht: die "neue" Linke ist so neu nicht, nur die Figuren sind mal Andere. Die einzige Hoffnung ist, daß die guten Leute an der Basis und in mittleren Ebenen stärker zusammenrücken und das Potential für eine kämpferische, revolutionäre Bewegung erhöhen, die den Kapitalismus nicht verbessern, sondern diesem Verbrechen ein Ende machen wollen.
Wer freiwillig kriecht, spürt nicht den Druck, der ihn zum Kriechen zwingt. Friede sei mit Euch.

Torsten

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