Architektur

Begonnen von Kuddel, 22:09:47 Di. 16.Juli 2019

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Kuddel

Seit Ewigkeiten wollte ich mal einen Thread zum Thema starten.
Ich halte es für keine Spinnerei.

Architektur ist Ausdruck gemauerter oder in Beton gegossener Machtverhältnisse.

Die Einstürzenden Neubauten arbeiteten an "Strategien gegen Architektur".

Mit folgendem Artikel hat mir jemand einen Haufen Arbeit abgenommen:
Zitat Mussolini lässt grüßen
Ästhetik. Rechtskonservative Architekten prägen Städte mit ihren steingewordenen Ideen. Ihre liebste Lüge: Schönheit sei unpolitisch

Felix Schilk


Walter-Benjamin-Platz in Berlin: Wer diese Ästhetik noch nicht bedenklich findet, sollte die Widmung im Granit lesen

Walter Benjamin, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm, ist im Berliner Stadtteil Charlottenburg aufgewachsen. Ihm zu Ehren wurde im Jahr 2000 ein neu gestalteter Platz in der Nähe des Kurfürstendamms benannt. Längs der Anlage erheben sich die Leibniz-Kolonnaden und eine mit Sandstein verkleidete Lochfassade, die um die Jahrtausendwende nach Entwürfen des Architekten Hans Kollhoff gebaut wurden. Die Gestaltung ist aktuell Gegenstand eines medialen Skandals, den der Architekturtheoretiker Stephan Trüby gemeinsam mit Redakteuren der ,,Zeitschrift für Architektur und Urbanismus" ARCH+ angestoßen hat.

Antisemitischer Code

Kollhoffs Bebauung sei ,,eine Architektur, die nicht nur stilistisch, sondern auch programmatisch eine Verneigung vor dem italienischen Faschismus darstellte", schreibt Verena Hartbaum dort. Der Vorwurf ist nicht neu. Aufgrund ähnlicher Kritik hatte sich bereits der Baubeginn um fast ein Jahrzehnt verzögert. Und er hat durchaus seine Berechtigung: Die Kolonnaden zitieren die Via Roma in Turin, die Mussolinis Chefarchitekt Marcello Piacentini 1936 errichten ließ. Der neue Skandal liegt aber tiefer, eingeritzt in die Granitplatten des Platzes. Dort hat Kollhoff ein namenloses, unscheinbares Zitat eingefügt: ,,Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert."

Das Zitat stammt aus dem Cantos, dem Hauptwerk des US-amerikanischen Dichters Ezra Pound, der 1924 nach Italien ging und zu einem begeisterten Anhänger Mussolinis wurde. Heute dient der Faschist als Namenspatron der rechten Hausbesetzerszene des Casa Pound in Rom, das rechtsextremen Bewegungen in ganz Europa als Vorbild für erfolgreiche Stadtteilarbeit gilt. ,,Usura" – der italienische Begriff für Wucher – ist ein kaum codierter Antisemitismus, zu dessen emsigen Lautsprechern Pound gehörte. Ist Kollhoff deshalb ein Antisemit? Diese Frage wird seit Erscheinen des Heftes aufgeregt diskutiert und mitunter schroff zurückgewiesen. Sie verfehlt allerdings die komplexe Kritik, die die Autoren unter dem Titel ,,rechte Räume" entfalten. Das Problem mit Kollhoff und anderen konservativen Architekten ist, dass ihr Verständnis von guter Architektur allein ästhetische Kriterien gelten lässt und dabei vermeintlich unpolitisch bleibt, als ob die Auffassung von Schönheit keinen gesellschaftlichen Prägungen unterliege.

Im Sinne dieser ,,unpolitischen" Ästhetik, die nur die Erscheinungsformen angreift, kritisiert Kollhoff die ,,Dekadenz" der westlichen Gesellschaft. So will er das Pound-Zitat verstanden wissen, als Verweis ,,auf die im Konsumkapitalismus prekäre Situation des Architekten und die vage Möglichkeit, Architektur überhaupt noch schaffen zu können". Jedoch unterscheiden sich seine Leibniz-Kolonnaden von der zeitgenössischen Investorenarchitektur nur durch höherwertigere Baumaterialien und eine elitäre Anliegerstruktur. In den ansässigen Gourmetrestaurants und Kanzleien wird Rendite durch distinktiven Konsum generiert, dafür müssen die Fassaden stimmen.

In jedem Gesellschaftssystem ist Architektur ein Machtfaktor, der die Nutzung des öffentlichen Raumes vorgibt. Städtebauliche Auseinandersetzungen sind deshalb auch ein Seismograf von gesellschaftlichen Strukturveränderungen und sozialen Kräfteverhältnissen. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang am Wechselspiel von geschichtspolitischen Interessen und der privatwirtschaftlichen Aneignung des öffentlichen Raumes, das sich in Dresden, Potsdam und Frankfurt am Main beobachten lässt. Trüby hält die populären ,,Altstadtrekonstruktionen" in diesen Städten für ein ,,Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten". Tatsächlich sind diese maßgeblich durch bürgerliche Eliten vorangetriebenen Projekte auch ein Einfallstor für rechtspopulistische Metapolitiker, wie der Junge-Freiheit-Autor Claus Wolfschlag unumwunden ausspricht: ,,Wer von Volk oder Heimat reden will, kann von der Architektur (in und mit welcher das Volk ja schließlich lebt) wohl nicht schweigen." Wolfschlag formulierte als Fraktionsmitarbeiter der Freien Wähler BFF (Bürgerbündnis für Frankfurt) im September 2005 einen Antrag, der zum Bau der Neuen Frankfurter Altstadt führte. Hinter seiner Forderung nach einer ,,Heilung der Wunden" des Zweiten Weltkrieges steht ein geschichtspolitisches Programm. In der österreichischen Zeitschrift Neue Ordnung spekuliert er wenig später über ein Ende des ,,Schuldkultes" und die ,,Wiedergewinnung architektonischer Identität".

Das sind keine neuen Ideen. Bereits vor 25 Jahren problematisierte ARCH+ im Themenheft Von Berlin nach Neuteutonia die revisionistischen Architekturdebatten, die im Zuge der Verlegung der bundesdeutschen Hauptstadt ausgetragen wurden. Damals erfolgte in den Planungsentwürfen für ein neues Zentrum und den Potsdamer Platz eine Rehabilitierung von schwerer, tektonischer und verdichteter Architektur, die sich an Leitbildern der ,,kritischen Rekonstruktion" und historisierenden Gestaltungselementen wie Fluchtlinien, Traufkanten und der Parzelle als grundlegendem Strukturelement orientierte. Die neue Formensprache mit einer Referenz an den preußischen Stil war ein klarer Bruch mit der modernen Architektursemantik der alten Bundesrepublik, die durch den Rückgriff auf Glas und Beton sowohl ihre Westbindung als auch die Transparenz und Offenheit ihrer öffentlichen Gebäude und Institutionen unterstreichen wollte. Kollhoff, der in seinen damaligen Vorlesungen an der ETH Zürich den Baustoff Glas als ,,klapprig" bezeichnete und – wie Pound – Bauten aus ,,solidem" Stein forderte, begeisterte sich stattdessen für die Monumentalität der stalinistischen Architektur, wie sie die Berliner Karl-Marx Allee dominiert. Sie sei ,,Ausdruck eines kollektiven Interesses, das uns heute doch so offensichtlich abgeht".

Ein ganz ähnlicher Machtanspruch wurde zur gleichen Zeit von revisionistischen Historikern wie Rainer Zitelmann und Karlheinz Weißmann im Sammelband Die selbstbewusste Nation erhoben. Geschichte sollte als Baukasten dienen, aus dem man sich zur nationalen Selbstvergewisserung selektiv bedient. Im beginnenden Umbau Berlins der 1990er Jahre ging es darum, die Macht der neuen Sieger der Geschichte über Grundeigentum und Gesellschaftsentwürfe sichtbar zu machen. ,,Offen gelassen wird da nichts. Da wird entschieden. Da wird erfüllt", kritisierten Nikolaus Kuhnert und Angelika Schnell in ARCH+ damals den Gestus der neuen Berliner Architektur.

,,Geschichte ist mir scheißegal"

Nicht immer braucht es aber ein offen nationalistisches Programm. Auch sich betont bürgerlich gebende Initiativen, die die Rekonstruktionsprojekte vielerorts begleiten, agieren strukturell populistisch. Unter dem Deckmantel des Bürgerengagements hat etwa die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V. (GHND) als Lobbyverband mit besten Beziehungen zur privaten Bauwirtschaft großen Einfluss auf die Entscheidungen der Stadtbaupolitik und die Architekturkritik in den lokalen Medien erlangt. Auf dem Höhepunkt eines Symposiums trat der rechtskonservative Architekt Léon Krier ans Mikrofon und äußerte schließlich einen Satz, der das Anliegen der Stadtrekonstruktion zur Kenntlichkeit entstellte: ,,Geschichte ist mir scheißegal. Hauptsache es ist schön." Kriers Ausgangspunkt ist ein angeborenes ästhetisches Gefühl, das vorgesellschaftlich gedacht wird. So, als gäbe es über alle Zeiträume der Menschheitsgeschichte hinweg die gleichen objektiven Kriterien für Schönheit, wie er in der Zeitschrift CATO, die dem Umfeld der Jungen Freiheit entstammt, immer wieder betont: ,,Die Konjunktur des Modernismus ist eine Konjunktur der Lüge und der Heuchelei, die aber vor der ästhetischen Urteilskraft des Individuums haltmacht ... In den wunderbaren Rekonstruktionen von Frankfurt, Dresden, Berlin und Potsdam manifestiert sich endlich wieder das spontane und von keiner Heuchelei verstellte ästhetische Urteil."

Heute betreiben rechte Akteure unter dem Deckmantel unpolitischer Architektur eine entschlossene Metapolitik des Raumes. Gegen solche Vorstöße schrieb Walter Benjamin 1935 seinen Aufsatz über Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, dessen Schlusssatz man Kollhoff ins Stammbuch schreiben könnte: ,,So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst."

ZitatFelix Schilk promoviert an der TU Dresden zum ,,Identitätsdiskurs der neuen Rechten"
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/mussolini-laesst-gruessen

Kuddel

Endlich mal ein aktueller Beitrag zu diesem wichtigen Thema:

ZitatDer Geist der Stadtschloss-Mäzene
Spenden für das Humboldt-Forum in Berlin kommen auch aus dem rechten Milieu. In welchem Ausmaß, liegt im Dunkeln
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160926.humboldt-forum-der-geist-der-stadtschloss-maezene.html

Kuddel

ZitatDas Wertvollste von alldem: diese jahrhundertelange Erfahrung stellt einen Index der Möglichkeiten dar. Diese Orte waren nicht nur Baupläne oder Papier-Utopien; es gab sie wirklich. Menschen lebten und leben noch in ihnen, ihr Leben wurde dadurch verändert. Wenn wir den Gedanken an die Architektur auf ein vages »nach der Revolution« verschieben, ignorieren wir die Tatsache, dass sozialistische Architekten oft einen Blick darauf geworfen haben, wie eine andere Gesellschaft aussehen könnte.
https://jacobin.de/artikel/sozialismus-stadt-architektur-stadtplanung-wien-arts-and-crafts/

Interessante Gedanken zum Zusammenhang von Architektur, Philosophie und Politik.

Ferragus

wenn man über die Architektur heute spricht, muss man doch festhalten, dass sich das Klassenverhältnis der BRD auch in der Architektur zeigt: es gibt die extravagante Fassaden-Architektur einerseits - Pracht und Monumentalbauten wie Opern, Konzerthäuser, Museen und Bahnhöfe, Landtage und Universitäten - und andererseits die alltägliche, kulturlose Architektur für die Masse. Wobei ich gewisse  Altbauten  davon ausnehmen würde. jedenfalls zeigt sich doch, dass nicht das ganze Können und Potential der Architektur und Baukunst (darf man davon noch sprechen im Land der Gotik?), eine den Reichtum der natürlichen Rohstoffe voll ausschöpfende Art zu Bauen für die Mehrheit in diesem Lande Hausenden existiert. Oft ist diese Architektur, in der wir herumkriechen, ohne uns und das heißt auch in bestimmter Hinsicht gegen uns gemacht und gebaut wurden.
Lewis Mumford vergleicht die modernen Wolkenkratzer dem Aktenschrank - wer will darin leben?

Kuddel

Ach, da hat tatsächlich jemand auf so ein Spartenthema reagiert.
Ich halte es für recht zentral, nur in der Wahrnehmung ziemlich unterbelichtet.
Ich werde auf deine Zeilen demnächst eingehen.

Aktuell will ich nur folgende Meldung hier einstellen:

ZitatKommunistische Studierende am Bauhaus gaben eine Zeitschrift heraus - sie zeigte die politischen Widersprüche der berühmten Gestaltungsschule
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161325.bauhaus-kunst-und-kampf.html

Ferragus

Den Namen eines in Vergessenheit geratenen scharfsichtigen Analytikers, Hans G. Helms, muss man hier einmal nennen.

Hier eine Besprechung von  einem seiner Bücher: Die Stadt als Gabentisch.

https://taz.de/Berliner-Monopoly-ohne-Spielregeln-Regionales-Horrorszenario/!1663537/

Kuddel

Zitat von: Ferragus am 13:03:13 Mi. 09.Februar 2022
Lewis Mumford vergleicht die modernen Wolkenkratzer dem Aktenschrank - wer will darin leben?

Es spricht schon Bände, wie lieblos Wohnblocks heute aus dem Boden gestampft werden. Selbst zu Kaiserszeiten gab man sich bei Mietskasernen in Arbeitervierteln ein wenig Mühe und hat zumindest zur Straße ein paar Verzierungen an die Fassade angebracht.

Bei Gewerbegebäuden ist es noch schlimmer. Damals gab man sich zumindest am Verwaltungsgebäude und Tor Mühe und wollte repräsentieren. Heutige Logistizentren sind Klötze, die einzige Zier ist das Frimenlogo.

In den 70er, 80er Jahren wurde moderne Architektur in der Linken diskutiert. Die Neubaublocks in Plattenbauweise nannte man Wohnklos oder Legebatterien, man verglich sie mit dem Knast von Stuttgart Stammheim oder den hypermodernen Knastneubauten in Italien. Diese Architektur galt als Instrument der Herrschaft und der Kontrolle der Unterschichten. Der Ruf dieser Stadtteile war auch bereits dadurch ruiniert, weil sie von dem korrupten Bau- und Wohnungsunternehmen des DGB, der Neuen Heimat errichtet worden waren.

Viele Jahre später stellte ich fest, daß man es aus anderem Blickwinkel anders beurteilte. Eine Frau aus Südafrika und eine aus Kolumbien zeigten sich verwundert, daß deutsche Linke diesen Neubauten so ablehnend gegenüber standen. Sie erzählten, in ihren Heimatländern wäre es erstrebenswert, aus den schimmeligen alten Gebäuden herauszukommen und diese modernen Plattenbauten galten als Fortschrit mit einem Luxus wie Balkon, Badezimmer, Heißwasser und Zentralheizung.

In Dänemark ist es so: Schmucklose moderne Wohnblöcke sollen von der rechten dänischen Regierung entmietet und abgerissen werden, weil sie zu wenig Miete (durch günstiges genossenschaftliches Wohnen) einbringen, während Mieter und Linke sich für ihren Erhalt einsetzen.

dagobert

Zitat von: Kuddel am 09:29:39 Sa. 19.Februar 2022Die Neubaublocks in Plattenbauweise nannte man Wohnklos oder Legebatterien, man verglich sie mit dem Knast von Stuttgart Stammheim oder den hypermodernen Knastneubauten in Italien. Diese Architektur galt als Instrument der Herrschaft und der Kontrolle der Unterschichten. Der Ruf dieser Stadtteile war auch bereits dadurch ruiniert, weil sie von dem korrupten Bau- und Wohnungsunternehmen des DGB, der Neuen Heimat errichtet worden waren.

Viele Jahre später stellte ich fest, daß man es aus anderem Blickwinkel anders beurteilte. Eine Frau aus Südafrika und eine aus Kolumbien zeigten sich verwundert, daß deutsche Linke diesen Neubauten so ablehnend gegenüber ständen. Sie erzählten, in ihren Heimatländern wäre es erstrebenswert, aus den schimmeligen alten Gebäuden herauszukommen und diese modernen Plattenbauten galten als Fortschrit mit einem Luxus wie Balkon, Badezimmer, Heißwasser und Zentralheizung.
Ja, das kommt immer auf den Blickwinkel an.
In der DDR wurden diese Plattenbauten auch oft als "Wohnregale" u.a. bezeichnet, die einzige Verzierung war etwas Farbe an den Balkonbrüstungen; neben den Hausnummern war das oft auch die einzige Möglichkeit die Blocks voneinander zu unterscheiden. Andererseits waren diese Wohnungen aber auch hochbegehrt, eben weil sie einen Wohnstandard boten, den viele Leute in ihren Altbauten vorher nicht hatten, keine Kohle mehr schleppen zu müssen war z.B. ein echtes Argument. Und das zu den in der DDR üblichen günstigen Mieten.
Meine Eltern haben sich damals auch gefreut wie Bolle, als wir eine Neubauwohnung zugewiesen bekommen haben und endlich aus der Dachwohnung mit dem Plumpsklo übern Hof raus konnten.
"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

counselor

Als ich vor ein paar Jahren aus meiner Altbauwohnung ausgezogen bin, war ich auch froh, weil die Heizung im Winter oft tagelang nicht ging und es im Sommer unter dem Dach nachts unerträglich heiß war. Meine jetzige Wohnung ist da wesentlich komfortabeler.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Auch ein paar interessante Gedanken zur Archtektur. Ökologische Gedanken, die Nutzung von Materialen, die Wiedernutzung von Materialien, die Umnutzung bestehender Gebäude.

ZitatBürobauten zu Wohnungen, Parkdecks zu Gewächshäusern
Verbaute Rohstoffe ließen sich gesellschaftlich sinnvoll nutzen. Voraussetzung sind eine aktive Bodenpolitik und planerische Vorgaben


...Die gängigste Antwort auf die in der Tat gewaltigen Herausforderungen erscheint demgegenüber schlicht. »Bauen, Bauen, Bauen« soll die Wohnungskrise und den Mietanstieg wenn nicht beenden, dann zumindest eindämmen. Kann das überhaupt gelingen, welche Risiken und Nebenwirkungen entstehen? Neben der sozialen und wirtschaftlichen Dimension dieser Frage spielen räumliche und ökologische Aspekte eine zentrale Rolle...

Ein weiteres gewichtiges und immer mehr an Bedeutung gewinnendes Argument gegen bloßes »Bauen, Bauen, Bauen« ist die ökologische Frage. Der Gebäudesektor insgesamt ist für bis zu 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich...

Es ist also ebenso naheliegend wie ressourcenschonend, bestehende Gebäude, egal welcher aktuellen oder früheren Funktion, für den zukünftigen Bedarf zu ertüchtigen und weiter zu nutzen. Es fällt nicht schwer, sich barrierefreie Wohnungen in ehemaligen Hotels und Geschäftshäusern vorzustellen, Bibliotheken in Kongresszentren, Hochschulen in Flughafenterminals, Bildungs- oder Freizeiteinrichtungen in Einkaufszentren oder Gewächshäuser in früheren Parkhäusern. Schwierig ist es jedoch, dies mit den Eigentumsverhältnissen und Eigentümerinteressen in Einklang zu bringen. Der Schlüssel dafür ist kommunale Planung im Dialog mit Eigentümern und Gesellschaft. Hinzutreten müssen eine aktive Bodenpolitik, gezielte Förderinstrumente und andere Anreize.

Mit einer Strategie des Re-Use sind nicht nur Gebäude und Infrastrukturen gemeint, sondern auch bereits versiegelte Flächen. Für eine flächensparende und klimaschonende neue bauliche Nutzung – für die es auch zukünftig immer wieder Bedarf geben wird – werden daher zunehmend interessant: heute für den Autoverkehr reservierte Flächen wie öffentliche und private Parkplätze, gering genutzte Gewerbeflächen wie Lagerplätze und großzügig dimensionierte Standorte, Grundstücke mit Aufstockungsmöglichkeiten sowie städtische Dachlandschaften im weitesten Sinne. »Bauen, Bauen, Bauen« mag einfacher sein, sinnvoller ist es keineswegs.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162767.bodenpolitik-buerobauten-zu-wohnungen-parkdecks-zu-gewaechshaeusern.html

Kuddel

Ich freue mich stets über interessante Diskussionen über Architektur.

Ein Beitrag von 2020:

ZitatBrutal sozial

Der imposante Baustil Brutalismus war schon immer umstritten, doch fünfzig Jahre später erinnern sich nur noch die wenigsten an die soziale Sprengkraft seiner Entwürfe. Stattdessen wird vielerorts über die benötigte Sprengkraft diskutiert, um die Gebäude zu pulverisieren.
https://jacobin.de/artikel/brutalismus-architektur-wohnungsbau-gentrifizierung/

Kuddel

Zitat Denkmal für einen Milliardär
Herr Kühne hat eine Idee


Wenn es nicht die Idee eines sehr, sehr reichen weißen, also in jeder Hinsicht überprivilegierten alten Mannes wäre: Die Diskussion könnte hier schon zu Ende sein. Schließlich gab es – aus Gründen! – bis jetzt gar keine öffentliche Debatte darüber, ob Hamburg ein neues Opernhaus braucht.

Dann aber hat Klaus-Michael Kühne kurz vor seinem 85. Geburtstag den Spiegel empfangen, für eine Homestory. Ebenda hat der Multimilliardär dann in patriarchaler Gutsherrenart seine Idee verlautbaren lassen: Hamburg braucht ein neues Opernhaus.
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Die örtliche Staatsoper nämlich missfällt dem Großinvestor, der schon seit Jahrzehnten als Steuerflüchtling in der Schweiz lebt, aber in Hamburg geboren wurde und sich irgendwie als Hamburger fühlt. Der Bau sei ,,asbestverseucht", die Akustik ,,mangelhaft", das Niveau ,,Durchschnitt".
https://taz.de/Denkmal-fuer-einen-Milliardaer/!5854887/

Kuddel

ZitatDisney-Traum oder Geisterstadt? Im türkischen Burj Al Babas stehen unzählige Kitsch-Schlösschen leer
Burj Al Babas an der Schwarzmeerküste war einst als luxuriöses Neubaugebiet gedacht, heute ist es eine unheimliche Geisterstadt, die nie fertiggestellt worden ist.


https://www.ad-magazin.de/galerie/disney-geisterstadt-burj-al-babas-investoren-alptraum-tuerkei-ruinenstadt?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Ähnliches gibt es in China auch.

1. Spekulantenscheiße und Investitionsruinen.
2. Die flächendeckende Zerstörung traditionellen Wohnens und dann Neubau in historisierendem Kitsch.

Das Bürgertum hat keinen Stil, keinen Geschmack.
Architektur ist meist ziemlich retro. Man läßt "gute, alte Zeiten" wieder auferstehen, in Deutschland und China sind es vorrevolutionare Zeiten, Kaiserszeiten. Humboldforum, Berliner Schloß. Ich könnte kotzen. Ansonsten bedient man sich international bei irgendwelchem Postkarten-, Zuckerbäcker- und Märchenkitsch. Disney 3-D.

Dann bedient man sich auch bei der Moderne. Gesichtslose postmoderne Würfelarchitektur. Glas und Beton. Mögen die Ideen von der Bauhausarchitektur kommen (die ein paar Sozialistische Ideen beinhalteten) und selbst bis zur russischen Revolution rurückreichen. Der dümmliche Neuaufguß hat alles nix mit der heutigen Gesellschaft zu tun. Ist phantasie- und gesichtsloser Mist.

Zuguterletzt gibt es noch den Hipsterstyle. Den Pöbel hat man aus den Innenstädten verdrängt. Altbauten werden teuer aufgemöbelt. Jetzt will man so leben, wie seinerzeit die Hausbesetzer und Revoluzzer. Leben in der Fabriketage, Party auf der Dachterrasse, gußeiserne Gewerberaumfenter, abgeklopfter Putz, damit mit Ziegel freiliegen, freistehende Badewanne, Möbel aus allen möglichen Epochen, geschmäcklerischer Flohmarktstyle.

Kuddel

ZitatHoftratsch des Tages: Humboldt-Forum

Der feudale Themenpark am Berliner Lustgarten sorgt erneut für Furore. Die Schlossattrappe des ehemaligen Hohenzollerndomizils, das sogenannte Humboldt-Forum, öffnete im Sommer des vergangenen Jahres seine gusseisernen Tore für echte Geschichtsrevisionisten. Für den 680 Millionen Euro teuren Bau wurde der Palast der Republik abgerissen.

Nun erschüttern gleich mehrere Probleme das Fake-Schloss: Zunächst einmal die fundamentalistische Inschrift auf der Kuppel, die von der Otto-Dynastie finanziert wurde: »Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind« steht unter dem goldenen Kreuz auf dem Kuppeldach. Ein Spruch, der Preußens Machtanspruch von Gottesgnaden postuliert. Nun ist selbst den Preußenenthusiasten aufgefallen, dass diese Ansage nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Als artsy Maßnahme soll die Inschrift zukünftig nachts von einem anderen Spruch überleuchtet werden. Famos.

Dann der Wirrwarr: »Es gibt bisweilen schon ein Zuständigkeitsgerangel: Wer spricht für was?«, sagte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, am Donnerstag der dpa. Zwei Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Land Berlin, die Humboldt-Universität und die Stiftung Humboldt-Forum versuchen sich an der gemeinsamen Kuration der Raubkunstausstellungen. Mit mäßigem Erfolg, es knirscht heftig im Gebälk der Schlossattrappe. Kulturstaatsministerin Claudia Roth zeigt sich »irritiert« und möchte die Zuständigkeit des Vereins verringern. Berlins Kultursenator Klaus Lederer möchte am liebsten ganz aus dem Preußenprojekt aussteigen. Frech.

Und dann auch noch diese Financiers: Der Förderverein Berliner Schloss steht schon länger in der Kritik, da fast ein Dutzend seiner privaten Spender aus dem extrem rechten Milieu stammen. Fatal.

Die Lösung der Probleme wäre so einfach: Schloss abreißen und Palast der Republik wieder aufbauen!
https://www.jungewelt.de/artikel/441782.html

Sehe ich auch so!

counselor

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Kuddel

Es wird die "Autofreie Stadt" diskutiert, zumindest für einzelne Bezirke, vielleicht nur Straßen...
Ein wichtiger Gedanke. Wir brauchen besseres, als den Individualverkehr. Die Autopest muß überwunden werden. Wenn ich mir die Vorschläge ansehe, wie man sich die begrünten, ruhigen Ecken vorstellt, krieg ich das Kotzen.





Hübsch gepflastert und Grünzeug. Dummdödel auf e-Rollern eiern da herum und hippe junge Familien schlürfen ihren Kaffe Latte.

Das ist doch der Horror. Die besser verdienende Mittelklasse erträumt sich ihr stinklangweiliges Bullabü. Für die Unterschichten ist da kein Platz.

Es bräuchte aber Räume, in denen die Gören armer Leute herumtoben können, ohne verjagt zu werden, wo Jugendliche mit ihren selbstgemixten Alcopos und Joints chillen können und wo arme Renter herumsitzen können, ohne daß irgenwelche Kellner sie nötigen, etwas zu verzehren.

Immer geht es um Eigentums- und Machtverhältnisse. Es geht um Klassenfragen. Früher war die Frage "wem gehört die Stadt?" eine oft gehörte Parole. Wenn wir uns diesen Fragen nicht widmen, wird es keine guten öffentliche Räume geben. 


counselor

Ich würde mir Sitzgelegenheiten wünschen, wo man ohne Zwang zum Konsum verweilen kann.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Architects for Future

Als Architects for Future stehen wir solidarisch zur Fridays for Future-Bewegung (...) Wir sind international, überparteilich, autonom und demokratisch organisiert. Wir richten uns sowohl an die Baubranche als auch an die gesamte Gesellschaft, um kooperativ auf allen Ebenen zukunftsfähige Lösungen zu erarbeiten und einen nachhaltigen Wandel in die Wege zu leiten.

https://www.architects4future.de/uber-uns

Kuddel

ZitatGroßspender des Berliner Schlosses
»Das sind ganz klar rechtsradikale Äußerungen«

Erhardt Bödecker äußerte sich antisemitisch und glaubte an Verschwörungen, so ein Gutachten über den Großspender des Berliner Schlosses.
https://www.spiegel.de/geschichte/grossspender-fuer-das-berliner-schloss-das-sind-ganz-klar-rechtsradikale-aeusserungen-a-25f5e5e5-87cf-48d9-8e04-d8930c03d8dc (Schranke)

Architektur ist in Stein gemeißelte, bzw. in Beton gegossene Ideologie.
Ich empfinde den Trend zur Architektur eines monarchistischen Disneylands als Bedrohung.

Kuddel

Claas Gefroi auf twitter:

ZitatDie "neue Rechte" hat schon länger Architektur und Städtebau als Betätigungsfelder für den beabsichtigten politischen und gesellschaftlichen Rollback entdeckt. Einer der wichtigsten Köpfe ist hierbei der rechtsextreme Publizist Claus Wolfschlag, der sich nicht nur auf das Schreiben für Verlage wie ,,Antaios", Zeitungen wie ,,Junge Freiheit" und Zeitschriften wie ,,Sezession" beschränkt, sondern als Initiator des mittlerweile realisierten Projekts ,,Neue Altstadt" in Frankfurt/Main auch ganz handfest dafür sorgte, dass sich gebaute ,,Rechte Räume" in Deutschland breitmachen. Nun hat er ein intellektuell überaus dürftiges Büchlein ,,Linke Räume" für Antaios geschrieben, dass vor allem dazu dient, vermeintlich linke oder sonst wie der Moderne und des Fortschritts verdächtige Architekturkritiker,-theoretiker und -historiker wie Stephan Trüby und Philipp Oswalt sowie progressive Architekturpublikationen wie die Zeitschrift arch+ zu markieren. Warum schreibe ich das? Weil Leute wie Wolfschlag erfolgreich daran arbeiten, das Feld der Kultur, das bislang relativ frei von ultrarechten und reaktionären Positionen war, immer stärker zu vereinnahmen und linke Antagonisten zu diffamieren. In der Architektur sind sie dabei schon recht weit gekommen. Das Beispiel ,,Neue Altstadt" in Frankfurt ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Rechtsextreme und konservative Bürgerliche verbünden, um einen architektonischen und zugleich kulturellen Backlash zu erzeugen. Und sie arbeiten ohne Unterlass weiter daran. Es gilt, wachsam zu bleiben und weitere solche Bündnisse und Schulterschlüsse von Konservativen und Rechtsextremen zu verhindern.

P.S.: Wer mehr über diese Entwicklung wissen will, besorge sich Stephan Trübys Buch "Rechte Räume" - eine lohnende Lektüre.


dagobert

"Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden."
Thomas Mann, 1936

Kuddel


Kuddel

Vergessene Utopien des Wohnens – Internationale Praxisbeispiele

http://www.inkw-berlin.de/vergessene-utopien.html

Interessant.

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