»Generation Alg II«

Begonnen von Kater, 18:22:32 Do. 03.November 2005

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Kater

Zitat» Generation Alg II «
von Nicole Kohnert, Berlin

Hochschulabsolvent Mirko Bastian ist frustriert. Der Politikwissenschaftler aus Freiburg ist seit mehreren Monaten auf Jobsuche, bislang jedoch erhielt er nur Absagen.

 Auf dem Weg zum unbezahlten Dauerpraktikum?Trotz sechs Praktika im Politik- und Medienbereich und eines Auslandsstudiums begann er ein unbezahltes Praktikum im Gesundheitsministerium. Um das finanzieren zu können, hoffte er auf eine Förderung der örtlichen Arbeitsagentur.

Bei manchen Agenturen können Hochschulabsolventen, die kein Arbeitslosengeld erhalten, einen finanziellen Zuschuss für ihr Praktikum beantragen. Wichtig ist dabei, dass die Ex-Studenten durch den Schnupperjob ihre Chance verbessern, eine Stelle zu finden. "Die haben mir auf dem Arbeitsamt in Freiburg gesagt, dass dafür kein Geld mehr da ist. Die einzige Möglichkeit, die ich jetzt noch hätte, wäre, Arbeitslosengeld II zu beantragen", sagt der 27-Jährige.

Förderung beschränkt oder eingestellt

Seit Ende vergangenen Jahres haben bundesweit viele Arbeitsagenturen die Förderung entweder ganz eingestellt oder das Programm auf eine geringe Zahl von Absolventen beschränkt. Einen Anspruch auf diese Leistung haben die Hochschulabgänger ohnehin nicht. Die Bewerber müssen demnach hoffen, dass das Budget ihrer Arbeitsagentur noch für einen Zuschuss ausreicht.

Die Arbeitsagentur Freiburg hat die Förderung auf 50 Absolventen reduziert - Mirko Bastian konnte nicht mehr bezuschusst werden. Zwangsläufig wächst damit die Zahl der Hochschulabsolventen, die sich das Praktikum durch Arbeitslosengeld II (Alg II) finanziert. "Es haben mehr Absolventen Alg II beantragt, als wir erwartet haben. Viele von ihnen haben eine Bedarfsgemeinschaft angemeldet und finanzieren sich so das unbezahlte Praktikum", sagt die Leiterin des Freiburger Hochschulteams, Theresia Denzer-Urschl. Dabei bekommen die Universitätsabgänger 345 Euro Alg II - die Nachfolgeleistung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - und noch Zuschüsse zur Miete.

Auch bei Arbeitsagenturen wie Berlin oder Bonn wird den Absolventen geraten, Alg II zu beantragen. Bis Ende 2004 haben sie die Praktika noch bezuschusst. Im laufenden Jahr können sie sich dieses Programm nicht mehr leisten. "Mir haben Kleinbetriebe sogar gedroht, weil wir die Förderung eingestellt haben", sagt Horst Kuntz vom Hochschulteam Berlin-Mitte. "Dabei sollte es eine Förderung für Absolventen sein und nicht für Betriebe, die damit unbezahlte Arbeitskräfte beschäftigen können."

600 Euro pro Monat

Die Arbeitsagentur Köln fördert Absolventen noch mit monatlich 600 Euro. Kosten für eine Krankenversicherung oder Miete sind nicht enthalten. "Von dem Zuschuss kann man natürlich auch keine Luftsprünge machen", sagt Dieter Bötcher vom Hochschulteam Köln.

Genaue Zahlen, wie viele Hochschulabsolventen mit dem Arbeitslosengeld das unbezahlte Praktikum finanzieren, kennt die Bundesagentur für Arbeit nicht. Rund 200.000 Absolventen stehen in jedem Jahr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Im September 2005 gab es bundesweit allein 71.000 Alg-II-Bezieher zwischen 25 und 50 Jahren mit Hochschulabschluss. Von diesen haben sich rund 11.000 unmittelbar nach Abschluss des Studiums arbeitslos gemeldet.

Christian Kühbauch, Bundesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbunds kritisiert den Rat der Arbeitsagentur: "Ordnungspolitisch ist das ein großer Fehler." Die Unternehmen könnten es sich gerade noch leisten, ein geringes Praktikantengehalt zu zahlen - das müsse nicht die Agentur zahlen. Viele Betriebe würden sich natürlich über diese Praxis freuen.

Gleichzeitig nimmt die Zahl der Absolventen zu, die unbezahlte Praktika machen, heißt das Zwischenergebnis der Studie "Generation Praktikum" des DGB. Betroffen seien vor allem Geisteswissenschaftler, so Kühbauch. Nur durch eigene Ersparnisse könnten sie diese Phase finanziell durchstehen. Auch Mirko Bastian lebt von "Omas Sparbuch". "Ich bin einfach zur falschen Zeit auf den Arbeitsmarkt."

http://www.ftd.de/pw/de/28627.html

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