3sat: Schwester Tod - Mord auf der Intensivstation

Begonnen von Kater, 11:52:11 Di. 08.Januar 2008

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Kater

Phoenix: Sendetermin Di, 08.01.08, 22.15 Uhr

ZitatSchwester Tod - Mord auf der Intensivstation

Wegen fünffachen Mordes an Patienten der Charité hat das Landgericht Berlin die Krankenschwester Irene B. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die heute 55Jährige auf der kardiologischen Intensivstation von 2005 bis 2006 fünf schwer kranke Menschen mit zu hoch dosierten Medikamenten getötet hat. In diesem Film spricht Irene B. zum ersten Mal über ihre Motive. Die Reportage wurde mit dem Film- und Fernsehpreis des Hartmannbundes 2007 ausgezeichnet.

Frauengefängnis Berlin Pankow. In einer Sechs-Quadratmeter-Zelle sitzt Irene B. und liest ein Buch. An der Wand mit Buntstift ausgemalte Fotokopien - Bilder von Che Guevara und Martin Luther.

Vier Tötungen hat Irene B. gestanden in einer kurzen schriftlichen Erklärung, verlesen von ihrem Anwalt vor Gericht. Ansonsten schweigt sie - auch im Prozess. Was bringt eine Pflegerin, die - wie sie sagt - ein Leben lang Menschen habe helfen wollen, die sich zudem tief religiös gibt, dazu, wehrlose Patienten zu töten?

Die Reportage begleitet während des Prozesses, der Ende Juni 2007 stattfand, die Angeklagte, ihre Kollegen und Vorgesetzten, Zeugen im Gerichtssaal, Angehörige der Opfer und Kriminalbeamte. Die Täterin hat zwar vier Morde gestanden, doch ihre Beweggründe und die Umstände einer heimlichen Duldung durch Kollegen sind im noch immer im Dunkeln.

Dokumentation von Norbert Siegmund (2007)

http://www.phoenix.de/schwester_tod_mord_auf_der_intensivstation/2008/01/08/0/162588.1.htm

Kater

3sat, Mittwoch, 24. September 2008, 20.15 Uhr

ZitatSchwester Tod - Tatort Intensivstation  
 
35 Jahren lang war Irene B. Krankenschwester. Es sei ihr Traumberuf, sagt sie, ausgebildet, um Leben zu retten. Seit 2006 sitzt sie in Haft, weil sie fünf Menschen ermordet und es bei weiteren versucht hat. In ihrer sechs Quadratmeter großen Zelle im Frauengefängnis Berlin Pankowsitzt hängen mit Buntstift ausgemalte Fotokopien von Che Guevara und Martin Luther. Mit ihren kurzen Haaren und der unauffälligen Kleidung wirkt sie streng und kontrolliert. Sieht so jemand aus, der fünf Menschen getötet hat? Irene B. gestand Morde und wurde zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.  
 
Schlamperei in der Klinik: Morde kommen erst spät ans Licht  
 
Mit einem blutdrucksenkenden Mittel, das sie in 1000 facher Überdosis spritzte, ermordete Irene B. schwerstkranke Patienten. Wahrscheinlich starben die Pflegebedürftigen in Sekunden, ohne Schmerzen, wie ein Mediziner später aussagt. Eines ihrer Opfer war Gerhard A., der unter Alzheimer litt und in einem Pflegeheim lebte. Im Juli 2006 wurde er mit einem Herzinfarkt in die Charité eingeliefert. Am 16. August war sein Gesundheitszustand so schlecht, dass die Ärzte beschlossen, ihn nicht mehr künstlich zu beatmen und ihm keine Medikamente zu geben.

Ein Pfleger wurde Zeuge, wie die Krankenschwester Irene B. eine Ampulle aufbrach und Gerhard A. - gegen die Anweisung des Arztes - ein Medikament spritzt. Kurz darauf verstarb der Patient. Der Pfleger sicherte zwar das Beweisstück, die Ampulle, berichtete seinen Vorgesetzten aber nichts. Erst als zwei Monate später wieder ein Patient während Irene B.s Dienst verstirbt, gelangt der Verdacht zum verantwortlichen Oberarzt, der wiederum eine Woche braucht, um die Klinikleitung zu informieren. Erst jetzt ergeht eine Anzeige.
 
Warum tötet man todkranke Menschen?  
 
Was bringt eine Pflegerin, die - wie sie sagt - ein Leben lang Menschen habe helfen wollen, die sich zudem tief religiös gibt, dazu, wehrlose Patienten zu töten? Wenn Irene B. über die Morde redet, dann sachlich und "nüchtern": Sie hätte starkes Mitleid empfunden mit den "todkranken" Patienten und sie wollte sie von ihren Leiden erlösen. Sie habe das Töten auch mit ihrem christlichen Glauben vereinen können. Fragt man Irene B., ob das Fünfte Gebot nicht unmissverständlich sei - "Du sollst nicht töten", antwortet sie ausweichend: Vieles sei keine Sünde. Man müsse humaner miteinander umgehen. Sie habe lediglich die Lebenszeit von Schwerstkranken verkürzt. Wann ein Patient tot- oder schwerstkrank ist - und wann nicht - erläutert sie nicht. Solche Einteilungen sind sogar für Ärzte oft unmöglich.  
 
Mord als Selbsterlösung vom Leiden der Anderen?  
 
Mord aus Gnade? Die Wahrnehmung bei Irene B. ist verschoben: Der Psychiater Karl Beine hat weltweit 40 Tötungsserien in Krankenhäusern untersucht. Sein Befund: Die Tötung der Kranken ist für die Täter eine Art Selbsterlösung. Vor allem Menschen, die sich seit der Kindheit einen Beruf als "Helfer" ausgesucht hätten, kommen schwer mit dem Kankenhaus- oder Pflegeheimalltag klar. Hier siechen Patienten vor sich hin, der Kostendruck erlaubt den Pflegekräften grade das Nötigste für sie zu tun. Die Krankenschwestern und Pfleger sind schnell überlastet und überfordert von den pflegebedürftigen Patienten. Obendrein wird ihr aufopferungsvolles Tun weder materiell noch immateriell ausreichend honoriert. All das kumuliert bei den Tätern zu einer Entladung, eine Art Selbstbefreiung von dem Leiden der Anderen. Auch der Direktor der Charité kennt diese These und bekräftigt sie insoweit, dass er von einem "Phänomen der Industrialisierung des Krankenhauses" spricht. Für den Psychologen Beine steht fest, es ist nicht das Mitleid, das Pflegekräfte Menschen töten lässt, die nicht danach gefragt haben - es ist eher Selbstmitleid.  
 
Fast immer gibt es Mitwisser im Kollegenkreis  
 
Das Interesse am Prozess gegen Irene B. war sehr groß. Mehrere Stunden vor Verhandlungsbeginn standen Zuschauer und Journalisten Schlange um teilzunehmen. Die Boulevardpresse dämonisierte die Krankenschwester als "Todesengel" oder "Schwester Tod". Das eigentlich schockierende an dem Fall wird nur am Rande thematisiert: Die Anzeichen, dass Irene B. Patienten ermordet, lagen schon lange auf der Hand. Das sei nicht ungewöhnlich, stellt Psychiatrieprofessor Beine in seinem Buch "Sehen, Hören, Schweigen - Krankentötungen und aktive Sterbehilfe" fest. Fast in allen von ihm untersuchten Serien hatten die Täter Mitwisser im Kollegenkreis. Auch der Richter, der Irene B. zu lebenslanger Haft verurteilte, nannte es "erbärmlich", dass die Administration der Klinik nicht einschritt, als Irene B. Patienten misshandelte. Vielleicht liegt es am Vertrauen, dass den Arbeitnehmern im Gesundheitssystem ihren Kollegen entgegenbringen. Der Gedanke, jemand könnte bewusst vorsätzlich schädigen, ist in Kliniken geradezu undenkbar.  
 
Eine unaufgeregte Rekonstruktion der Ereignisse  
 
Sehen Sie am Mittwoch, 24. September 2008, 20.15 Uhr einen Film von Norbert Siegmund, in dem sich Irene B. noch während des Prozesses gegen sie im Fernsehen äußert. Die Reportage begleitet während des Prozesses die Angeklagte, ihre Kollegen und Vorgesetzen, Zeugen im Gerichtssaal, Angehörige der Opfer und Kriminalbeamte. Autor Norbert Siegmund befragt und begleitet während des Prozesses die Angeklagte sowie die Angehörigen ihrer Opfer. Der Film rekonstruiert die Vorfälle von 2005/2006 auf der Intensivstation der Charité und zeigt Parallelen zu anderen Patientenmordserien in Deutschland auf. Die Reportage gewährt Einblicke in den hoch technisierten Medizinbetrieb mit seinen ökonomischen Zwängen.

Der Autor wurde für diese Reportage mit dem den Film- und Fernsehpreis 2007 des Hartmannbundes ausgezeichnet. In der Laudatio hieß es: "Obwohl der Titel fast reißerisch klingt – 'Schwester Tod' –, werden die beteiligten Personen und Institutionen nicht vorgeführt. Die Vielschichtigkeit der Reportage regt den Zuschauer vielmehr zum Nachdenken an."
 
Literatur:  
 
Karl-H. Beine (1998 ): Sehen, Hören, Schweigen - Krankentötungen und aktive Sterbehilfe.
Lambertus-Verlag, Freiburg, 348 Seiten. ISBN 3-7841-1049-5  

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