Einzelhandel setzt voll auf Mini-Jobber

Begonnen von Kuddel, 12:07:08 Mi. 18.Mai 2011

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Kuddel

Nur noch 43 Prozent aller Arbeitskräfte im deutschen Einzelhandel haben eine volle Stelle. In Köln kommen auf 32.400 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte 13.000 Mini-Jobber. Bald könnte gestreikt werden.

Köln - Maria Meurer (Name geändert) war 62 Jahre alt, als ihr Arbeitgeber sie bat, vorzeitig in Rente zu gehen. ,,Ich bin darauf hingewiesen worden, dass ich zu alt und zu teuer bin", sagt die Verkäuferin aus Köln. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen, auch nicht den Einzelhandelsbetrieb, in dem sie arbeitet. Sie hat Angst. Seit sie das vorzeitige Ausscheiden vor zwei Jahren abgelehnt hat, werde sie gemobbt. Unter anderem habe man ihr Fehler unterstellt, die sie nicht gemacht hatte. ,,Die wollen mich loswerden. Ich bin eine der wenigen verbliebenen Vollzeitkräfte." Das Mobbing blieb nicht ohne Folgen. Acht Monate war sie inzwischen wegen psychischer Probleme krankgeschrieben. ,,Der Druck war einfach nicht auszuhalten."

Eine Vollzeitbeschäftigung wie Maria Meurer haben im deutschen Einzelhandel nur noch 43 Prozent aller Arbeitskräfte. In Köln kommen auf 32.400 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Einzelhandel 13.000 Mini-Jobber. ,,Gerade im Discounterbereich gibt es kaum noch Vollzeitjobs", beklagt Christa Nottebaum, Geschäftsführerin von Verdi in Köln. ,,Sie werden ersetzt durch Minijobs, Leiharbeit und befristete Teilzeitverträge."

Gleicher Lohn ist nicht die Regel

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – die Regel ist das nicht. ,,Bei uns gibt es Arbeitnehmer, die auf den Zuschlag im Spätdienst angewiesen sind", berichtet etwa Conny Jallat, Mitarbeiterin einer Supermarktkette in Gremberg. ,,Aber diese Schichten bekommen nur noch Leiharbeiter, die keine Zuschläge bekommen." Auch dort kämen für Festangestellte, die gehen, nur noch Leiharbeiter nach.

,,Die Konkurrenz zwischen den Unternehmen wird auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen", sagt Christa Nottebaum. Gerechtfertigt sei dies nicht. Auch im Kölner Einzelhandel habe sich die Produktivität erhöht. Der Leistungsdruck sei gestiegen. ,,Höhere Lebenshaltungs- und Energiekosten machen eine Anpassung des Tarifvertrags nötig." In Süddeutschland wird nach Angaben von Verdi bereits gestreikt. In Köln steht die Urabstimmung kurz bevor. ,,Dann geht es auch bei uns los", sagt Birgit Döring vom Fachbereich Handel bei Verdi in Köln.

Wenn es losgeht, wird auch Birgit Sölzer dabei sein. Sie arbeitet als Teilzeitkraft in einem Möbelhaus. ,,Unfreiwillig", wie sie betont. Im Einzelhandel könne man nur mit einer vollen Stelle überleben. Vollzeitbeschäftigt seien in ihrem Betrieb nur noch Führungskräfte. Um finanziell über die Runden zu kommen, hat Sölzer einen Zweitjob in einem Immobilienbüro und ist damit noch ,,in einer komfortablen Situation". Viele ihrer Kollegen seien aufgrund der flexiblen Arbeitszeiten gar nicht in der Lage, einen Zweitjob anzunehmen. Einige Leute bekämen sogar nur Verträge über 40 Stunden pro Monat. ,,Unsere Arbeitgeber behaupten, diese Menschen wollten so arbeiten, weil das nicht tarifkonform ist, aber das stimmt nicht", sagt Sölzer.

Maria Meurer will trotz des Drucks, mit dem sie ihr Arbeitgeber zum vorzeitigen Ausstieg bewegen will, die zwei Jahre bis zum regulären Renteneintritt durchhalten. ,,Früher zu gehen, kann ich mir einfach nicht leisten."

http://www.ksta.de/html/artikel/1305651201079.shtml

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