Unter der BRD-Besatzung

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 22:34:44 Sa. 01.Oktober 2005

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Wilddieb Stuelpner

junge welt: Unter der Besatzung

01.10.2005 Arnold Schölzel

Der Einheitsfimmel ist eine westdeutsche Angelegenheit. Wer sich im Osten gegen ihn wehrt, landet unter Umständen vor Gericht und hinter Gittern

Vierzig Jahre lang konnte sich die DDR selbst ernähren, schulterte die größten Reparationen der Geschichte, half Algerien tatkräftig beim Sieg über Frankreich und Vietnam beim Sieg über die USA. Ihre Bewohner sind angeblich seit 1990 zu nichts mehr in der Lage – weder wirtschaftlich noch kulturell, erst recht nicht politisch. Der Vorsitzende des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden, Professor Siegfried Prokop, faßte am Donnerstag auf einer Tagung des Gremiums in Berlin das Resultat von eineinhalb Jahrzehnten »deutscher Einheit« so zusammen.

Die offizielle Bundesrepublik zieht daraus jetzt die Konsequenz. Bundespräsident Horst Köhler riet, den Verfassungsgrundsatz gleichwertiger Lebensverhältnisse im Hinblick auf Ostdeutschland aufzugeben. Edmund Stoibers Wahlstotterei über minderbemittelte Frustrierte und Jörg Schönbohms Senilitäten über von der SED Proletarisierte waren humoristischer Überbau zur materiellen Praxis.

Vereinigungskrieg

Die zählte das Kuratorium in einer Erklärung knapp auf: Enteignungen, Deindustrialisierung, Abwicklung von Wissenschaft, Bildung und Kultur, höhere Arbeitslosenzahlen einschließlich Jugend- und Frauenarbeitslosigkeit, Nichtanpassung des Rentenwerts, Strafrenten, Berufsverbote, politische Strafverfolgung – selbstverständliche Konsequenzen, wenn der »zurückgebliebene Teil der ehemaligen deutschen Nation« (Peter Hacks) im anderen ein Besatzungsregime errichtet. Folgerichtig erscheint auch, daß die Einwohner darauf mit Flucht reagieren. Von der inneren abgesehen auch mit realer: 2,2 Millionen vorwiegend junger Ostdeutscher, meldet selbst die offizielle Statistik, sind aus ihrer Heimat verschwunden.

Die sogenannte Einheit war tatsächlich ein gnadenloser Vereinigungskrieg mit einer unbekannten Zahl von Toten, Millionen Arbeitslosen und Hunderttausenden faktischen Berufsverboten. Ein Konzept aus Rachsucht und Profitgier bestimmte die Kohlsche Anschlußpolitik und ihre Schrödersche Fortsetzung. Der Feldzug ist noch nicht beendet, das verhindert schon die »Stasi«-Industrie, der Profitverbund aus Birthler-Behörde, von ihr abhängigen Historikern und angeschlossenen Medien. Zwar wurde das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, nach einem Wort des letzten Innenministers der DDR, Peter-Michael Diestel, von der bundesdeutschen Justiz rehabilitiert, das üppige Geschäft des »DDR-Widerstands« blüht jedoch weiter. Zwar sind die mehr als 100000 Ermittlungsverfahren gegen DDR-Bürger beendet, ihre Folgen tragen die Betroffenen durch Berufsverbot und z.T. gewaltige Gerichtskosten aber bis ans Lebensende. Ein Staat, der nicht einen der Henker in den Roben des Volksgerichtshofes bestrafte, kann niemanden laufen lassen, der sich für die DDR engagierte. Sie war das völlig andere für die Bundesrepublik, ergo böse. Mehr als eine fundamentalistische Weltbetrachtung nach dem Schwarz-Weiß-Muster, das George W. Bush für seine Kriege benötigt, hält der durchschnittliche BRD-Sozialisierte nach 56 Jahren Antikommunismus nicht aus.

Häuserkampf

Die DDR war das Land der geistigen Differenzierung, wie man ihrer Kultur- und Wissenschaftsgeschichte unschwer entnehmen kann. Die Besitzverhältnisse waren relativ einfach, und man konnte sich anderem widmen als dem Kampf um einen Grundbucheintrag. Im gewöhnlichen Kapitalismus beansprucht der im Einzelfall alles. Ein Musterfall für den anhaltenden Häuserkampf, der seit 1990 mit bislang etwa 400000 Restitutionsansprüchen gegen DDR-Bürger ausgefochten wird, spielte in den letzten Tagen wieder eine Rolle, auch im Kuratorium Ostdeutscher Verbände. Der Rechtsstreit widerspiegelt den Inhalt des DDR-Anschlusses in kurzer Form: Der Historiker und Ökonom Hermann von Berg sieht sich seit 15 Jahren mit Ansprüchen auf das von ihm bewohnte Haus in einem Ort am Rande Berlins konfrontiert, ohne daß eine Aussicht auf Klärung besteht. Allein die Dauer des Verfahrens spricht jeder Verkündung von Rechtsstaatlichkeit und fairem Verfahren Hohn. Obwohl ein Gericht dem Westberliner pensionierten Staatsschutzbeamten den Erbschein entzog, auf den er seinen Anspruch stützte, und der Verdacht der Urkundenunterdrückung und -verfälschung in den damit befaßten Behörden nicht entkräftet wurde, soll von Berg das Haus räumen. Redlicher Erwerb der Immobilie nach den Gesetzen der DDR spielt dabei ebensowenig eine Rolle wie die Berücksichtigung von Übergangsregelungen. Es gilt offensichtlich ein Satz aus dem Vermögensgesetz, der inzwischen aus den einschlägigen Texten verschwunden ist, in dieser Zeitung aber am 9. März 2001 schon einmal zitiert wurde: »Jeder Bearbeiter eines Vorgangs soll sich stets der Tatsache bewußt sein, daß das Verfahren nach dem Vermögensgesetz nicht den Zweck hat, die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der früheren Enteignungen oder Inverwaltungsmaßnahmen zu beurteilen. Vielmehr geht es darum die früheren Rechtspositionen der Betroffenen zügig wiederherzustellen.« (Vermögensgesetz, Beck-Texte, München 1993, Seite 262). Das heißt im Klartext: DDR-Bürger haben im Vermögenskonflikt mit Westdeutschen keine Rechtspositionen, die zu berücksichtigen wären.

Was zu beweisen war. Und wer sich wehrt, wird bestraft: Professor von Berg erhielt am Freitag eine Ladung zum Haftantritt. Glorioser 3. Oktober.

Carsten König

Zitat...Vierzig Jahre lang konnte sich die DDR selbst ernähren...

Ach, die DDR hing doch sowas am Tropfhahn der Bundesrepublik. So arm, dass sich selbst der Strauss erbarmte und mit dem Schalk einen Milliardenkredit vereinbarte...

Resumee: Ein sozialistisches System innerhalb eines Staates aufzubauen ist fahrlässig naiv oder bewußt dumm. In den Höhlen der Neandertaler passen auch keine Laptops.
Ein permanentes Problem vieler Linker: Sie übernehmen unkritisch historische Kategorien und verbiegen die bis zum Gehtnichtmehr. Dabei ist es so einfach: Überwindet die historischen Kategorien, dann gibts auch keine Antinomien mehr.

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