Zusatz-Verdienst - Was Ärzte so nebenbei erhalten

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 13:04:41 Fr. 11.November 2005

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Wilddieb Stuelpner

ARD/BR, Sendung "Plusminus": Zusatz-Verdienst - Was Ärzte so nebenbei erhalten

BR, Dienstag, 8. November 2005

In Frankfurt am Main sind wir mit einem Arzt verabredet, der auspacken will, was im deutschen Gesundheitssystem schief läuft. Dr. Winfried Beck ist Orthopäde. Vor kurzem hat er seine Praxis aufgegeben und arbeitet seither als Gerichtsgutachter. Jetzt kann er offen darüber sprechen, wie sich manche seiner Kollegen neben den Behandlungshonoraren ein zusätzliches Einkommen verschaffen. Auch er war dieser Versuchung ausgesetzt:

"Ich fand einen Brief in meiner Post von einer Pharmafirma. Da stand drin, wenn ich fünf Mal Spritzen ins Kniegelenk mache mit einem dubiosen Medikament und einen kleinen Vortrag besuche, bekomme ich 700 Euro. Das Medikament hielt und halte ich für vom Nachweis her nicht wirksam und eine Knieinjektion ist ja immer ein Risiko. Es kann vereitern und Folgen entstehen. Deswegen wollte ich das auf keinen Fall machen und den Betrag hielt ich für völlig unangemessen und deswegen meinte ich, ich sollte doch etwas dagegen unternehmen." Frage: "Und was haben Sie dann unternommen?" "Ich habe die ärztliche Öffentlichkeit - also Ärztezeitung usw. mit einem Leserbrief informiert. Ich habe die Ethikkommission meiner zuständigen Landesärztekammer Hessen davon informiert und habe bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Strafantrag wegen Verdachts auf Korruption gestellt."

Kaum zu glauben, aber wahr: die Staatsanwaltschaft hat seinen Strafantrag zurückgewiesen und nicht gegen den Pharmakonzern ermittelt. In der Begründung heißt es wörtlich: "Voraussetzung für eine Straftat ist, dass die Zuwendung einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes angeboten wird. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, da Sie als selbständiger Arzt angesprochen worden sind. Durch § 299 Strafgesetzbuch ist die Zahlung eines Bestechungsgeldes an den Firmeninhaber nicht strafbar."

Im Klartext: niedergelassene Ärzte sind nach der deutschen Rechtslage nicht bestechlich. Sie dürfen sich von den Pharmafirmen dafür bezahlen lassen, dass sie ihren Patienten ein bestimmtes Medikament verschreiben. Offiziell erhalten sie das Geld dafür, dass sie in einer so genannten Anwendungsbeobachtung die Wirkung der Pillen und den Verlauf der Krankheit dokumentieren. 100 bis 200 Euro pro Patient sind dafür üblich. Manche Ärzte verdienen auf diese Weise mehrere tausend Euro im Monat zusätzlich. Das Wohl der Patienten ist dabei offenbar Nebensache.

Prof. Peter Schönhöfer aus Bremen ist klinischer Pharmakologe und ein massiver Kritiker dieses Systems. Er spricht offen aus, was der Großteil der Branche am liebsten verschweigen würde: "Anwendungsbeobachtungen haben keinen wissenschaftlichen Wert. Sie werden von den Firmen veranlasst, damit die Ärzte lernen, das Mittel richtig zu schreiben und damit Verordnungen für das Mittel zu tun. Sie sind also ein Marketinginstrument und geben den Ärzten Geld dafür, dass sie Verordnungen tätigen." Der Hintergrund: Jahr für Jahr bringt die Pharmaindustrie etliche Arzneimittel auf den Markt, die auf einem bereits bekannten Wirkstoff basieren aber als vermeintliche Innovationen teuer verkauft werden. Mit Honoraren für so genannte Anwendungsbeobachtungen sollen die Ärzte dazu gebracht werden, diese Medikamente zu verschreiben. Das ist nichts anderes als der Versuch, die Therapiekosten zu erhöhen - in der Regel ohne die Qualität der Versorgung zu verbessern. Sprich: die Krankenkassen müssen mehr bezahlen, aber die Patienten haben davon keinen zusätzlichen Nutzen. Auch für die Kassenärztliche Vereinigung ein untragbarer Zustand.

Dazu Dr. Axel Munte von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns: "Ich habe ja das Vergnügen gehabt, mir diese Liste auszudrucken. Das sind fast 600 gemeldete Anwendungsbeobachtungen für das Jahr 2005 - bisher. Ich würde sagen, 80% dieser Anwendungsbeobachtungen sind absoluter Schrott. Ich darf keine Medikamente nennen, aber schauen Sie sich die Liste an, es ist eine Katastrophe. Ich fordere von der Politik, dass diese Art der so genannten Praxisforschung verboten wird."

Doch während dies in vielen anderen Ländern längst verboten ist, hält sich die deutsche Regierung weiterhin zurück. Auf unsere Anfrage erhielten wir vom Bundesgesundheitsministerium folgende Antwort: "Die Mehrkosten, die durch eine Anwendungsbeobachtung entstehen, hat der Auftraggeber zu zahlen. In Betracht kommen lediglich Dokumentationskosten, die in geringem Umfang je Patient anfallen. Auch der neuere VFA-Kodex legt fest, dass die Vergütung so zu bemessen ist, dass dadurch kein Anreiz für die Verordnung eines Arzneimittels entsteht."

Dass auf diese Weise viel zu teure Medikamente in den Markt gedrückt werden, scheint die Gesundheitsministerin nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Möglicherweise ist ihr bislang auch entgangen, dass laut Expertenschätzungen durch die Anwendungsbeobachtungen mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr verschleudert werden. Geld, das dem ohnehin maroden deutschen Gesundheitssystem fehlt. Doch solange Ärzte wie Dr. Winfried Beck die Ausnahme bleiben und nicht endlich eine gesetzliche Regelung dem lukrativen Nebenverdienst der Mediziner Einhalt gebietet, steht eines fest: die Rechnung für die teuren Scheininnovationen begleichen die Krankenkassen und damit letztlich der Beitragszahler.

Bericht: Lisa Wurscher, Johannes Thürmer
Stand: Anfang November 2005

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Abwendungsbeobachtungen führten auch SS-Ärzte aus, wenn sie Zwillingsforschung, Ausbreitungsthempo von Infektionskrasnkheiten, wenn sie Druckkammerversuche an KZ-Häftlingen betrieben. War ja alles zur Forschung fürs deutsche Volk und zur Verringerung der Kriegsverletzungen am deutschen Kameraden. Auch Pharmakonzerne wie die IG Farben verdienten kräftig am Medikament Zyklon B.

Die gleichen SS-Ärzte aus den KZs und in Behinderten- und Pflegeheimen machten nach ihren Euthanasieaktionen ungestraft in der BRD dicke Karrieren. Und die deutsche Pharmaindustrie scheffelte und scheffelte Profite bis zum jüngsten Tag.

Spätlese

Trotzdem sollte man dazu auch mal die andere Seite betrachten: Immer mehr vor allem Allgemeinmediziner, Frauen- und Hautärzte besonders in schwächer besiedelten Gegenden müssen Insolvenz anmelden (schauen Sie mal in den immer wieder aktualisierten https://www.insolvenzbekanntmachungen.de nach - Eingabe z. B.: > Dr. med. < oder > Zahnarzt < usw. ) , da nach Abzug aller Fixkosten resultierend aus dem Praxisbetrieb für den Arzt ein "Reinverdienst" von 600-700 Euro netto übrig bleiben. (Da sind wir irgendwie wieder beim "Einheitslohn Deutschland".)
Ebenso schliessen sich verstärkt mehrere Ärzte in Gemeinschaftspraxen in der nächstgrößeren Stadt zusammen, eben um die Kosten zu senken und ... um ... Personal zu sparen. Patienten aus ländlichen Gegenden "dürfen" bei Bedarf dann halt auf eigene Kosten in die nächstgrößere Stadt fahren, diverse Krankenkassen haben bei Beschwerden bereits darauf hingewiesen, dass eine Stunde Busfahrt bzw. Anreise (pro einfacher Strecke) für den Patienten durchaus zumutbar sind ...

Unbestritten sind sicherlich auf der anderen Seite diverse Zuwendungen von "Gönnern", auch Pharmaindustrie genannt, von denen aber längst nicht jeder Arzt profitiert.
Alle von mir getätigten Aussagen/Antworten/Kommentare entsprechen lediglich meiner persönlichen Meinung und stellen keinerlei Rechtsberatung dar.

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