ZDF: In den Fängen der Fürsorge - Das Schicksal von Heimkindern der 60er Jahre

Begonnen von Kater, 22:42:24 Mi. 04.Juni 2008

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Kater

ZDF: Mittwoch, 04.06.2008, 00:30 - 01:15 Uhr

ZitatIn den Fängen der Fürsorge - Das Schicksal von Heimkindern der 60er Jahre
von Angelica Fell

"Sei lieb, sonst kommst du ins Heim", necken Eltern ihre Kinder bisweilen, wenn die mal wieder nicht brav gewesen sind. Nur eine Redewendung, sicherlich, doch klingt sie dennoch zynisch, vor dem Hintergrund, den Angelica Fell und Sibylle Bassler bei ihren Recherchen offenbarten.

Im September 2007 trafen wir Otto Behnck zum ersten Mal. Was uns der 58-Jährige über den Alltag als Zögling im Landesfürsorgeheim Glückstadt/Schleswig-Holstein erzählte, klang für uns ungeheuerlich: Tagelange Isolationshaft in einer Arrestzelle, täglich acht Stunden Akkordarbeit ohne Lohn, Prügel, Essensentzug, sexuelle Gewalt, schwerste Demütigungen. Und wir begannen mit der Recherche.

Starkes Echo auf ersten Berich
Erstmals berichteten wir im Oktober 2007 in "Mona Lisa" über Otto Behnck und das Landesfürsorgeheim Glückstadt. Anschließend erreichte uns eine wahre Flut von Briefen und Emails. Die meisten kamen von ehemaligen Heimkindern, die von traumatischen Erfahrungen in staatlichen oder kirchlichen Heimen in den 60er Jahren erzählten. Und auch davon, wie wichtig es heute für sie sei, darüber reden zu können.
 
Denn aus Scham ein Heimkind gewesen zu sein, haben rund eine Million ehemalige Zöglinge ihr Leben lang geschwiegen, selbst ihren Ehepartnern und engsten Freunden nichts von ihrer schlimmen Kindheit und Jugend erzählt. Ein nahezu unbekanntes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, von dem auch wir bei Mona Lisa zuvor kaum etwas gewusst hatten.

Die "schwarze Pädagogik"
Wir nahmen Kontakt zu den ehemaligen Heimkindern auf, die uns geschrieben hatten und viele lange Gespräche folgten. Gespräche, die uns sehr bewegten, insbesondere da viele dieser Menschen noch heute schwer leiden, an dem "Posttraumatischen Belastungssyndrom", wie es in der Fachsprache heißt. Und daraus entwickelte sich der Gedanke, uns dieser fast verschollenen Zeitspanne zu widmen, Opfer, Täter und Zeitzeugen der sogenannten "schwarzen Pädagogik" aufzusuchen und zu Wort kommen zu lassen.

ZitatInfobox
Goldmann Verlag Buchtipp
Buchtipp: "Schläge im Namen des Herrn" von Peter Wensierski Goldmann Verlag ISBN-13: 978-3442129744 Preis: 8,95 Euro

Es waren sehr eindrucksvolle Begegnungen auf unserer Drehreise quer durch Deutschland. Die von uns porträtierten ehemaligen Heimkinder suchten zusammen mit uns noch einmal ihre damaligen Heime auf, ließen uns an ihren Gefühlen teilhaben. Viele brachen bei der Konfrontation mit ihrer Vergangenheit in Tränen aus. Nach den Dreharbeiten hätten sie sich befreiter gefühlt, sagen sie. Es sei für sie so wichtig, daß die Wahrheit nun endlich ans Licht komme.

http://dokumentation.zdf.de/ZDFde/inhalt/19/0,1872,1021587_idDispatch:7690655,00.html?dr=1

1984

Diese Dokumentation habe ich noch nicht gesehen. Aber einmal eine generelle Anmerkung zu Sozialer Arbeit:

Die rechtschaffene, den Bedürfdigen helfende Institution, als die sich sich einige wenige Jahre präsentiert hat, war sie nur für einen kleinen Augenblick ihrer Berufsgeschichte.

Soziale Arbeit hatte immer ein Doppeltes Mandat: Hilfe und Kontrolle/Diziplinierung. Dabei stand historisch gesehen immer die Disziplinierung im Vordergrund. Erst im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen nach 1968 fand eine stärkere Betonung der Hilfe statt. Ihr Disziplinierungselement hat sie trotzdem nie verloren (besonders in staatlichen und kirchlichen Einrichtungen).

Seit gut 10 Jahren hat nun wieder ein Paradigmenwechsel in der Sozialen Arbeit stattgefunden. Im Mantel von neoliberalen Steuerungsmodellen wird unter Bezeichnung wie Effizenz wieder deutlich mehr und härter diszipliniert. Die schwarze Pädagogik feiert fröhliche Urstände.

So ist es auch kein Wunder, dass die Wiedereinführung von geschlossenen Heimen (die Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger abgeschafft wurden), nicht nur ganz offen wieder diskutiert wird. Tatsächlich gibt es die geschlossene Heimerziehung wieder (wenn auch noch in kleinem Maßstab). Dazu kommen Erziehungscamps. In Hessen schon Realität. In anderen Bundesländern wahrscheinlich auch bald:

http://www.tagesschau.de/inland/jugendgewalt18.html

BakuRock

ZitatOriginal von 1984
Diese Dokumentation habe ich noch nicht gesehen. Aber einmal eine generelle Anmerkung zu Sozialer Arbeit:

Die rechtschaffene, den Bedürfdigen helfende Institution, als die sich sich einige wenige Jahre präsentiert hat, war sie nur für einen kleinen Augenblick ihrer Berufsgeschichte.

Soziale Arbeit hatte immer ein Doppeltes Mandat: Hilfe und Kontrolle/Diziplinierung. Dabei stand historisch gesehen immer die Disziplinierung im Vordergrund. Erst im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen nach 1968 fand eine stärkere Betonung der Hilfe statt. Ihr Disziplinierungselement hat sie trotzdem nie verloren (besonders in staatlichen und kirchlichen Einrichtungen).

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Will da nicht allzuweit vertiefen, dazu fehlt mir das fachliche Wissen. Aber, da ich auch Anfang der sechziger in einem Kinderheim in Erfurt (an der IGA-InternationaleGartenAusstellung) gelebt habe, muss ich hier einwerfen, dass es mir (zumindestens meinen Erinnerungen nach) dort gut ging: Ich bekam reichlich Essen, konnte im Freien (meistens auf dem Spielplatz der IGA) trefflichst spielen und toben, hatte ein eigenes Bett in einem 10/20iger? Saal und die Nachtwache kam mit einem Toepfchen vorbei - damit ich pinkeln konnte.

Ab und an hat mir auch mal jemensch wohlwollend ueber die Haarbuerste gestreichelt und mich beim Namen genannt. Fuer "Rotlichtbestrahlung" war ich wohl noch zu klein. Das kam zig Jahre spaeter bei der NVA. Da kam aber auch niemensch mehr des naechtens mit einem Toepfchen.......

Wenn ich nun das obige lese, dann habe ich das Gefuehl, dass es da verdammte Unterschiede zwischen Ost und West gegeben haben muss.

Oder es sollte vielleicht klar gestellt werden, dass die Querfahrt durch Deutschland dann doch mehr eine Querfahrt durch Westdeutschland war. Jedenfalls dann, wenn diese Dokumentation in der JetztZeit entstanden ist.

Aber vielleicht ist es auch eine Sache der Betrachtung: Vielleicht gibt es ja Unterschiede zwischen offenen und geschlossenen Heimen. Diese Differenzierung habe ich erst dem obigen Beitrag entnommen. Bisher hatte ich da keinen Einblick.

Eine genauere Differenzierung waere aber in jedem Fall notwendig und den nachfolgenden Generationen geschuldet!!! (drei Ausrufezeichen).
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Ziggy

Meine Mutter war alleinerziehend, ich war das, was man wohl "schwer erziehbar" nennt. Die Schule machte Meldung ans Jugendamt und kurz darauf wurde meine Mutter vor die "Wahl" gestellt, mich in ein Heim zu geben oder das Sorgerecht entzogen zu bekommen.

Eines schönen Tages wurde ich ohne jede Vorwarnung direkt aus der Schule geholt, von 2 Kripobeamten, die steckten mich ins Auto und brachten mich weg. Mein Flehen, mich wenigstens von meiner Mutter verabschieden zu dürfen, ignorierten sie. So landete ich im Alter von 9 Jahren 1966 für 3 Jahre in einem katholischen Erziehungsheim in Marktl/Inn.

In dem von Nonnen geführten Heim waren brutale Schläge an der Tagesordnung, wir Kinder mussten nach der Schule sofort raus aufs Feld und schuften, besonders zur Zeit der Ernten (Kartoffel, Rüben etc.)

Täglicher Gottesdienst war Pflicht, ebenso ständige Beichten und das Singen im Kirchenchor sowie die Mitwirkung inTheaterstücken, zu denen das Dorfvolk und Kirchenobere geladen wurden. Die Proben dafür fanden an ausgedehnten Samstagnachmittagen statt, wenn draußen die Sonne schien und normale Kinder Fußball spielten oder im Schwimmbad waren. Ab und zu kam ein Pater und erzählte Geschichten vom leibhaftigen Teufel und Exorzismus. Ich litt unter Alpträumen und habe heute noch Angst alleine in dunklen Räumen. Um 18 Uhr war Bettruhe, dicke Vorhänge an den Fenstern hielten die Sonne draußen.

In den Ferien suchte meine Mutter mit mir einen Arzt auf, der mir Hämatome attestierte, die zweifellos von den Schlägen herrührten. Dem Jugendamt war's egal.

Ich hatte später große Probleme mit meiner Sexualität, weil das für mich etwas "Schmutziges" war und Teufelswerk. Meine Pubertät war für mich die Hölle, mit dem weiblichen Geschlecht kam ich überhaupt nicht klar, erst viel später, als ich meine Verklemmtheit mit Hilfe meines enormen Alkoholkonsums "besiegte", den Teufel mit dem Beelzebub austeiben nennt man das wohl ... dafür wurde ich dann schwerer Alkoholiker.

Diese drei Jahre in den Sechzigern beeinträchtigen mein Leben bis heute. Ich habe mich davon niemals völlig erholt. Aber ich hatte noch Glück. Andere Kinder verbrachten ihre gesamte Kindheit dort und wurden irgendwann schwer traumatisiert in die Welt da draußen entlassen, wo sie sich niemals zurechtfanden und tragische Schicksale erlitten, Außenseiter der Gesellschaft, geendet in Selbstmord, Drogensucht, Psychiatrie.

Das allerschlimmste aber war, daß ich während und nach meiner Heimzeit meine Mutter abgrundtief hasste, weil ich die Zusammenhänge nicht verstand und dachte, sie hätte mich weggegeben, weil sie mich nicht mehr haben wollte. Erst kurz vor ihrem Tod schafften wir es, uns auszusprechen und dieses Mißverständnis auszuräumen.

Die Allianz von Kirche und Jugendamt hat viele Leben zerstört. Ich empfinde Priestern und Nonnen, besonders aber hohen kirchlichen Würdenträgern gegenüber, abgrundtiefe Verachtung. Das sind einfach nur stinkende Scheißhaufen.
Um seine Liebe zu beweisen, erklomm er die höchsten Berge, durchschwamm die tiefsten Meere und zog durch die weitesten Wüsten. Doch sie verließ ihn – weil er nie zu Hause war.

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