Geschichtsträchtig: Wilder Streik bei Gorillas

Begonnen von Kuddel, 18:53:10 Mo. 14.Juni 2021

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Kuddel

Es waren wohl nur 70 Beschäftigte, die spontan ihre Arbeit bei dem Lieferdienst Gorillas niederlegten.
Das kommt jedoch in Deutschland nicht so oft vor. Zuletzt waren es die Erntearbeiter in Bornheim.

Man möchte meinen, es sei ein popeliger Streik.
Aber warum berichtet inzwischen die gesamte Mainstreampresse darüber? Warum ist der Wilde Streik ein Thema bei den Wirtschaftmedien? Ja selbst internationale Medien. Warum reagiert ein CEO eines Unternehmens, das mit einer Milliarde Dollar bewertet wurde?

Streiks der Metaller unter der IGM Fahne wird nicht diese Beachtung zuteil, auch wenn zehntausende daran teilnehmen.

Die Streiks der Metaller laufen nach Schema F ab. Vielleicht eine Demo. Trillerpfeifen. Ein paar Reden von Funktionären. Dann wieder brav zurück an die Arbeit. Das ist alles so vorhersehbar. Das tut niemandem weh und ist alles vom Management mit eingeplant.

Aber nun plötzlich Unruhe in der Gig-Economy? Die Gig-Worker galten doch als völlig vereinzelt und unorganisierbar. Die Beschäftigten, die ihre Arbeitsauftäge per App erhalten, sahen sich doch nicht als Belegschaft. Und speziel die Radkuriere waren doch geblendet vom hippen Image der "Rider". Was ist passiert?

Dieser verschissene moderne Wirtschaftssektor hat den Bogen überspannt. Die Hipster mit ihren milliardenschweren Start-ups dachten, man könnte immer mehr aus den unorganisierten Taglöhnern herauspressen. Aber irgendwann ist schluß. Die Ausgebeuteten können und wollen nicht mehr. Es rumohrt weltweit in der App-basierten Branche.

Es ist dort nicht alles spontan, was sich da jetzt bewegt. Einige waren schon lange im Vorfeld aktiv, versuchten sich in einer zermürbenden Wühlarbeit betrieblicher Organisierung. Sie hat viele Formen. Es gehören oft Diskussionsgruppen in sozialen Medien dazu. Bei den Gorillas gab es Leute, die sich bei der NGG oder der FAU gewerkschaftlich organisiert hatten, aber es wurde auch die gewerkschaftunabhängige Betriebsgruppe Gorilla Workers Collektve gegründet.

Es gibt eine spürbaren Klimawandel. Bisher waren Leute aus der linken Subkultur für alle möglichen Themen zu haben und sie kämpfen gegen Rassismus, die Räumung besetzter Häuser, Umweltzerstörung und Nazis, doch Arbeitsbeingungen werden als individuelles Problem und nicht als politischen Thema gesehen. Das scheint sich gerade zu ändern. Und es ist erstaunlich wie offen man für Organisationsformen ist. Einige rufen auf zum Eintriff in die NGG oder die FAU, andere ziehe die lockere Organiserung die die Direkte Aktion vor.  Man probiert sich da aus, ist erstaulich offen den verschiedenen Möglichkeiten gegenüber und schaut, welcher Weg in der Sache weiterhelfen mag.

Es entwickelt sich gerade rasant. Unterstüzer von außen, die die Blockdae des Labers verstärken. Solidarität von Fahrern anderer Essenslieferdienste. die Onlineberichte, Fotos und Filmchen gingen Viral. Der Freitag staunte:
ZitatDas neue Gesicht der Arbeiter*innenklasse zeigte sich in den letzten Tagen beim Streik des Lebensmittellieferanten ,,Gorillas". Es ist jung, spricht Englisch und Spanisch
https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/alle-rider-stehen-still

Das ist wenig überraschend. Die Riders sind oftamls migrantisch aus aller Herren Länder. Sie verständigen sich untereinander auf Englisch. Ihre sozialen Netzwerke haben meist auch englsich als Sprache. Da geht der Gedanke bereits einen Schritt weiter. Sie sind oftmals offen für Kollegne in anderen Ländern. Die grenzübergreifende Vernetzung ist da schon Realität.

ZitatAuf allen Versammlungen wurde in englischer Sprache kommuniziert. Viele der Rider sprechen auch Spanisch. Denn die meist jungen Kurierfahrer*innen kommen aus den verschiedensten Ländern. Solidaritätsadressen für den Arbeitskampf in Berlin trafen mitterweile nicht nur von Kolleg*innen aus Köln sondern auch aus Madrid und Bologna ein. Wenn wieder mal über das Ende der Arbeiter*innenklasse schwadroniert wird, dann schaut Euch die kurzfristig einberufenen Assambleas vor den Gorilla-Lagern an. Dort stehen junge Frauen und Männer, die Englisch, Spanisch und viele andere Sprachen sprechen, die mit Kolleg*innen in aller Welt vernetzt sind. Das ist der Vorschein einer neuen Arbeiter*innenklasse, von der wir hoffentlich noch viel hören und sehen werden.
s.o.

Diese Netzwerke nehmen bereits Form an. Überall auf der Welt istr der Eindruck ähnlich. Man hat schlechte Erfahrungen mit den traditionellen Gewerkschaften gemacht. Man hat teilweise neue Organisationen geschaffen. Einige kämpfen um ihre gewerkschaftliche Anerkennung. Es gibt Bewegung in dem Bereich in Europa, in Osteuropa, in den USA, in Südostasien und anderswo.

Im Zusammenhang mit der Soliarbeit für den in China inhaftieren Kurierfahrer Mengzhu lernen sich die Netzwerke über die Kontinente näher kennen.

Eine wahrlich spannende Entwicklung.

counselor

Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

ZitatArbeitsbedingungen in der schönen neuen Welt
Der Streik als Stock in den Speichen

Arbeitskämpfe lassen nicht nur den Lack vom Startup Gorillas abplatzen

Der wilde Streik beim Onlinelieferdienst Gorillas, der am 10. Juni 2021 in Berlin losbrach, führte nicht nur Blockade mehrerer Lager und zur zeitweiligen Unterbrechung der Auslieferung in Berlin.


Der einhergehende Shitstorm dürfte den Hype um das deutsche Start-up beendet und dessen weitere Expansion nachhaltig blockiert haben. Möglicherweise erleben wir sogar mehr: das Platzen einer Spekulationsblase. Der Arbeitskampf macht außerdem klar: Auch in deutschen Großstädten formiert sich eine internationale, digital vernetzte Hobo-Bohème, deren explosive Mischung von deutschen Kapitalisten bislang unterschätzt wurde.

Die sogenannten Riders, also die Fahrerinnen und Fahrer, sind in Deutschland bereits erfolgreich gewesen: Das Modell der völligen Scheinselbstständigkeit ist für Fahrradkuriere nach massiven Protesten seit 2018 de facto vom Tisch. Damals holte sich Deliveroo als aggressivster Lieferdienst (nach dem Modell von Uber und Amazon) eine blutige Nase und verließ Deutschland fluchtartig. Lieferando, Gorillas und Co. werben inzwischen mit regulären Verträgen. Der Deliveroo-Börsengang in London geriet im März 2021 zum Misserfolg -- auch weil die Rider die mediale Aufmerksamkeit nutzten, um gegen miese Arbeitsbedingungen in England zu protestieren.

Auslöser für den wilden Streik in Berlin war die unangekündigte und willkürliche Kündigung des Kollegen Santiago aufgrund einer Lappalie, die höchstens eine Abmahnung rechtfertigen dürfte: er hatte sich verspätet. Da Santiago zu den leistungsstärksten Fahrern gehörte, können wir davon ausgehen, dass es sich tatsächlich um eine Vergeltungsmaßnahme des Managements gehandelt hat, das seine Macht demonstrieren und einen (vermeintlichen) Rädelsführer abschießen wollte. Bereits im Februar 2021 hatten Fahrerinnen und Fahrer mit einem spontanen Streik die Schließung eines Lagers in Berlin erzwungen. Während eines Schneesturms sollten sie ohne Winterkleidung weiter ausliefern. Ein Lagerleiter soll gesagt haben: »Wenn ihr nicht fahren könnt, dann lauft!« Im Mai 2021 leiteten sie die Gründung eines Betriebsrats ein, die vom Management mit schmutzigen Methoden verzögert wurde. Jetzt heißt es: Weg mit Befristung und willkürlichen Kündigungen!

Noch im März hatte sich die Wirtschaftspresse vor Freude beinahe eingenässt, weil Gorillas in einer Finanzierungsrunde weitere 244 Millionen Euro von Risikoinvestoren einsammeln konnte. Dazu gehörte neben den üblichen aggressiven US-Finanzinvestoren auch die chinesische Tech-Holding Tencent.

Sollten die Risikokapitalgeber, die inzwischen die Mehrheit an Gorillas halten, weiter am Gründer und CEO Kağan Sümer festhalten, dürften sich die Gorillas endgültig im Nebel verirren. Sümer, der 2019 aus Istanbul kam, ließ in einer Zoomkonferenz am zweiten Tag es Streiks folgendes vernehmen: »Ich habe zu Public Affairs und PR-Agenturen gesprochen. Ich würde lieber sterben, um die Werte zu verteidigen, als zu deeskalieren.« Da sind jemandem wohl die Sicherungen durchgebrannt. Offenbar wehrt sich Sümer, so lese ich das Zitat, aktiv gegen professionelle Hilfe. Er nimmt die Sache persönlich. Auch seine Idee, eine Fahrradtour durch Deutschland zu organisieren, um alle Auslieferungslager zu beglücken, dürfte in die Kategorie »Das kann ja heiter werden!« fallen.

In einer nächsten Finanzierungsrunde wollten die Gorrillas, so war im Mai zu lesen, weitere 500 Millionen Euro einsammeln und eine Bewertung von 6 Milliarden Euro erreichen. Heute Berlin, morgen London, Paris, dann New York! Das wirkt größenwahnsinnig und dürfte mit einem beratungsresistenten CEO auf Kollisionskurs schwierig werden. Und dabei ist die wichtigste Frage nicht beantwortet: Wer braucht überhaupt einen Lieferdienst, der in zehn Minuten aus der Nachbarschaft in die Nachbarschaft liefert? Warum nicht einen kleinen Spaziergang zum Laden um die Ecke unternehmen? Das regt Kreislauf und Appetit an. Und vielleicht klingle ich derweil bei Oma Schmitz, ob ich was mitbringen soll. Die ist nicht mehr so gut zu Fuß und einsam, seit ihr Mann gestorben ist... Also: In welcher Welt wollen wir leben?
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153326.arbeitsbedingungen-in-der-schoenen-neuen-welt-der-streik-als-stock-in-den-speichen.html


Kuddel

Treffend formuliert:

ZitatIn deutschen Großstädten formiert sich eine internationale, digital vernetzte Hobo-Bohème, deren explosive Mischung von deutschen Kapitalisten bislang unterschätzt wurde.
aus einem Tweet von Arbeitsunrecht

counselor

Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

counselor

Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Troll

ZitatQuick-Commerce – die Rückkehr der Dienstbotengesellschaft

Sie schießen wie Pilze aus dem Boden der Besserverdiener-Viertel in deutschen Großstädten – Bringdienste mit Namen wie Gorillas oder Flink, die mit dem Versprechen antreten, über eine App zusammengeklickte Supermarkt-Artikel in weniger als 10 Minuten bis zur Haustür zu liefern. Die Mehrkosten für die Kunden sind überschaubar, die Geschäftsmodelle alles andere als nachhaltig. Dass die Verluste nicht noch größer ausfallen, liegt nur daran, dass man seinen Kampf um den Markt auf dem Rücken schlecht bezahlter, weitestgehend rechtloser Mitarbeiter austrägt, die durch die Corona-Maßnahmen ihre vorherigen Jobs verloren haben. In einer halbwegs fairen und gleichen Gesellschaft hätten solche Geschäftsmodelle keine Chance. Ihr Siegeszug in Deutschland zeigt, wie ungerecht und ungleich unsere Gesellschaft geworden ist. Von Jens Berger.
...


https://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/210623_Quick_Commerce_die_Rueckkehr_der_Dienstbotengesellschaft_NDS.mp3
Quelle: NDS
Politik ist der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.
Dieter Hildebrandt
Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein.
Jiddu Krishnamurti

Kuddel

Das Interesse und die Solidarität aus anderen Branchen sind beachtlich.


https://youtu.be/rbydd-a9etA

Ich habe den Einddruck, daß die paar Rider dabei sind, Geschichte zu schreiben. Sie sind ein Vorbild. Es wird immer herumdiskutiert, ob man überhaupt wild streiken darf. Sie haben's einfach gemacht. Das wird wahrgenommen. Das verändert die Koordinaten in der deutschen Arbeitswelt.

Aus der "Antwort #5" (oben): "Ihr habt einen ernomen Mut bewiesen von dem sich so gut wie alle eine Scheibe abschneiden können. (...) Vielen Dank, daß ihr uns das Streiken schonmal vorgemacht habt, und daß es auch mit einem Wilden Streik geht."

ZitatRiders in 'nem Sturm
Ein wilder Streik beim Lieferdienst Gorillas demaskiert die hohle Start-up-Rhetorik


(...) Die Wette der Streikenden lautet Solidarität und Zusammenhalt. Auch ihr Einsatz ist hoch: Schon jetzt haftet ihrem Kampf etwas Vorbildhaftes für die gesamte Branche an. Für jene wachsende Armee an bunten Ridern, die auf den Straßen der Hauptstadt Essenboxen ausfahren, kühles Bier oder Zahnpasta wie die Gorillas: Hier werden die Weichen für ihre Zukunft gestellt.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/riders-in-2019nem-sturm

Nikita

Zitat von: Troll am 16:47:39 Mi. 23.Juni 2021
ZitatQuick-Commerce – die Rückkehr der Dienstbotengesellschaft
...

https://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/210623_Quick_Commerce_die_Rueckkehr_der_Dienstbotengesellschaft_NDS.mp3
Quelle: NDS


Der Beitrag ist großartig und scharfsinnig analysiert.


"...
Die ,,Rider", also die Fahrradkuriere, von Gorillas verdienen nur knapp über dem Mindestlohn und sind aufgrund der überambitionierten Lieferzeit und Arbeitsbedingungen wie aus dem Frühkapitalismus nicht gerade ein begehrter Traumjob. In einem funktionierenden Arbeitsmarkt gäbe es gar nicht genügend Interessenten, die sich auf diesen Knochenjob zu diesen Konditionen einlassen würden.
Die Corona-Maßnahmen haben jedoch gerade in den Großstädten vor allem in den prekären Jobs gewütet, aus denen Lieferdienste wie Gorillas im letzten Jahr ihr Personal rekrutierten – Aushilfsjobber aus der Gastronomie, oft Migranten, die kaum Deutsch sprechen; nicht umsonst ist Englisch die Betriebssprache bei Gorillas.
Auch zahlreiche Studenten sind unter den Mitarbeitern, also größtenteils jüngere Menschen, für die während der Maßnahmen-Krise kein soziales Netz gespannt wurde und die aufgrund ihrer prekären Arbeitsverhältnisse auch nicht von Kurzarbeit oder sonstigen staatlichen Hilfen profitieren konnten. Die Maßnahmen und die Weigerung der Politik, Opfern der Maßnahmen zu helfen, die in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, haben das Geschäftsmodell des Quick-Commerce, so bezeichnen sich diese Dienste, eröffnet.

Finanziert wird die atemberaubende Expansion dieser Unternehmen vornehmlich durch Risikokapital; und hier ist der Begriff ,,Risiko" durchaus ernstzunehmen. Nachhaltig ist dieses Geschäftsmodell nämlich nicht. Wenn ein Rider einen Stundenlohn von 10,80 Euro bekommt, muss er sechs Kunden pro Stunde beliefern, um nur seinen Lohn über die Liefergebühren von 1,80 Euro pro Bestellung zu erwirtschaften. Schon das ist nicht möglich. Hinzu kommen indirekte Kosten (z.B. die Sozialabgaben) der Beschäftigten, die Kosten für die Logistik – die lokalen Auslieferungslager sind geschäftsmodell-bedingt natürlich auch in den ,,besseren" und somit teuren Stadtteilen untergebracht, in denen die Kundschaft lebt. Und so macht Gorillas – internen Dokumenten zufolge, die das Managermagazin ausgewertet hat – mit jeder Bestellung 1,50 Euro Verlust. Das erinnert an eine klassische Blase, die jedoch in der risikokapitalgetriebenen Internet-Ökonomie schon fast normal ist. Man sammelt einen dreistelligen Millionenbetrag von Investoren ein und expandiert trotz roter Zahlen in einem atemberaubenden Tempo mit dem Ziel, das Unternehmen später für einen Milliardenbetrag an einen multinationalen Konzern zu verkaufen oder selbst an die Börse zu gehen und weitere Milliarden Investorengelder einzusammeln. Real wird zwar Geld verbrannt, was aber nicht interessiert, solange der Unternehmenswert losgelöst von der Realität bewertet wird. Irgendwann platzt die Blase zwar, aber wenn dies innerhalb der Gewinn- und Verlustrechnung eines hochprofitablen Multis wie Amazon oder Google passiert, deren Rücklagen schier unermesslich sind, ist dies nur noch eine Randnotiz.

Die eigentlichen Verlierer sind neben den ausgebeuteten Niedriglöhnern die meist als Familien- oder Kleinbetrieb geführten Konkurrenten aus der Realwirtschaft.
...""





Fritz Linow

Heute geht es in die nächste Runde im Streit mit dem Ausbeuter von Gorillas ("Rider by Heart"):






Kuddel


Fritz Linow

Zitat30.6.21
Radkuriere streiken in Berlin für wetterfeste Arbeitskleidung

Weil ihre Kleidung durchnässt war, legten Gorillas-Fahrer in Pankow die Arbeit nieder. Beschäftigte in Kreuzberg schlossen sich dem Streik an.

Beschäftigte des umstrittenen Lieferdienstes Gorillas streikten am Mittwoch in zwei Berliner Lagerhäusern des Unternehmens. Sie forderten wetterfeste Regenkleidung für die Fahrradkuriere, die sich selbst Rider nennen. Das Beschäftigtenkollektiv ,,Gorillas Riders Collective" (GWC) rief erneut zu Protesten auf, unterstützt von einigen Gruppen aus der linken Szene. Die Geschäftsführung von Gorillas widerspricht den Vorwürfen.
(...)
https://www.tagesspiegel.de/berlin/gorillas-im-regen-radkuriere-streiken-in-berlin-fuer-wetterfeste-arbeitskleidung/27380342.html

Kuddel

Hammer.
Der Wilde Streik war nicht nur ein kurzer, spontaner Wutausbruch, die Riders nutzen ihn als normale Kampfform.

Chapeau!

Kuddel


Nikita

arbeitsunrecht FM Nr. 26 - Interview zu den Streiks beim Lieferdienst Gorillas
Ab Minute 11:22


https://www.youtube.com/C34W0cR7uL0?t=682

Kuddel

Mir sagte mal jemand, wenn Arbeiter selbstorganisiert streiken, zieht das Politiker und Organisationen an, wie Scheiße die Fliegen.

Ein Wilder Streik mischt die Karten neu.
Da wollen alle mitmischen.
Politiker, Journalisten, Politologen, Soziologen.
Der Arbeiter, das fremde Wesen.

ZitatArbeitssoziologin über Gorillas-Streiks
,,Solidarität ist etwas Gelebtes"

Beim Lieferdienst Gorillas treten Beschäftigte in wilde Streiks. Ein Gespräch über die Chancen und Risiken des Arbeitskampfes in der Gig-Economy.


https://taz.de/Arbeitssoziologin-ueber-Gorillas-Streiks/!5780452/


Kuddel

Ich sagte ja, die paar Radkuriere schreiben mit ihrem Kampf Geschichte:

Zitat Streiks bei Lieferdienst Gorillas: Arbeitsminister Heil schaltet sich ein

Der Arbeitskampf beim Berliner Lieferdienst beschäftigt die Bundesregierung. Der Bundesarbeitsminister sucht das Gespräch mit Ridern und Geschäftsführung.
https://www.heise.de/news/Streiks-bei-Gorillas-Arbeitsminister-Heil-schaltet-sich-ein-6139787.html

Anderswo werden hunterte, manchmal Tausende entlassen. Das geht Dank DGB recht geräuschlos über die Bühne. Hier waren es nur einige Dutzend Kurierfahrer, die keinen Bock hatten, sich an die deutschen Regeln des Arbeitskampfes zu halten. Die Medien sind in Aufruhr. Der Bundesatrbeitsminister schaltet sich ein.

Es zeigt, wieviel Panik sie haben, daß Arbeitskämpfe außer Kontrolle geraten könnten.

Auch in China hat Xi Jinping die Probleme der Kurierfahrer zur "Chefsache" erklärt. Man möchte den Pöbel unter Kontrolle halten...

Kuddel

Und jetzt wieder die FAZ:

Zitat(...) Treten Probleme auf, ist das Unternehmen für seine Arbeiter offenbar nur per Email erreichbar. Merkwürdig, schließlich seien die Fahrer – ,,Rider" genannt – doch Teil einer ,,Crew, die sich gegenseitig hilft und stärkt". So jedenfalls verspricht es das Unternehmen auf seiner Website. Was nach der hohlen Start-up-Rhetorik des Silicon Valley klingt, trifft zumindest teilweise zu. Allerdings ganz anders, als von Gorillas gedacht: Die ,,Rider" verabreden sich per Twitter zum Arbeitskampf.

Wo es nur maximal 280 Zeichen braucht, um auf Empörungswellen mitzureiten, lässt sich nun auch der Kampf zwischen Kapital und Arbeit fortführen. Zu den Vorzügen dieser Entwicklung gehört, eine Art Basisgewerkschaft online gründen zu können. Die ,,Gorillas Workers Collective" organisiert Blockaden und Arbeitsverweigerung in Echtzeit. Bei den Aktionen handelt es sich rein rechtlich um ,,wilde Streiks", die ohne Vorankündigung oder zentrale Koordination großer Gewerkschaften stattfinden. Legal ist das nicht. Doch bürokratische Streikhürden zu überwinden, dürfte für die überwiegend migrantischen Arbeitskräfte schwer möglich sein.

Viele von ihnen sprechen kaum Deutsch. Dass sie jetzt Begriffe wie ,,Betriebsrat" oder ,,Kündigungsschutz" in ihren Wortschatz aufnehmen, dürfte die Vorstandsetage von Gorillas nervös machen. Das Unternehmen lenkte kürzlich ein und kündigt einen Maßnahmenplan an, der Kontrollen der Ausrüstung und ein größeres Support-Team verspricht. Nicht nur Konkurrenten wie Lieferando und Co. werden gespannt verfolgen, wie sich der Schlagabtausch bei Gorillas fortsetzt. Er ist bereits zum Präzedenzfall einer Streik-Kultur geworden, für die es lediglich ein Smartphone und einen Twitteraccount braucht – und natürlich Verbündete. Gorillas liefert in zehn Minuten? Der Schlachtruf der Aufständischen unterbietet das noch: ,,Wir organisieren uns in unter zehn Minuten".
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/mitarbeiter-des-lieferdienstes-gorillas-streiken-17443212.html

Kuddel

Der Bundesarbeitsminister will nun persönlich mit den Streikenden reden.

Aus einem aktuellen Gorillas Tweet:
ZitatGorillas workers are invited tmr to participate in a discussion with @hubertus_heil
at 14.15 at Lausitzer Platz, after which he will meet with @gorillasapp
mgmt. The governing coalition is responsible for the company-friendly labour laws in DE. We won't cuddle up to him.

[Gorillas-Beschäftigte sind morgen eingeladen, an einer Diskussion mit Hubertus Heil teilzunehmen, um 14.15 Uhr am Lausitzer Platz und anschließendem Treffen mit Gorillasapp Management. Die Regierungskoalition ist verantwortlich für die unternehmensfreundlichen Arbeitsgesetze in DE. Wir werden nicht mit ihm kuscheln.]

Kuddel

Eine kleine Auseiandersetzung mit großen Auswirkungen:

Der Wilde Streik bei Gorillas verändert bundesweit die Debatte und die Haltung zu Arbeitskämpfen...

ZitatWilder Streik bei Gorillas
Falsche Glaubenssätze
Zu Arbeitsniederlegungen muss eine Gewerkschaft aufrufen, und die Forderungen müssen in Tarifverträge passen: Das stimmt nicht
https://www.jungewelt.de/artikel/404811.wilder-streik-bei-gorillas-falsche-glaubenss%C3%A4tze.html?sstr=hopmann

Fritz Linow

Das blöde Arschgesicht will doch bloß selber seine Würstchen und Knödel schnell und unkompliziert geliefert bekommen:


Kuddel

Auch der SPIEGEL ist besorgt:

ZitatFremdeln mit klassischen Gewerkschaften

Getragen wird der Protest von einem losen Zusammenschluss von Beschäftigten, dem Gorillas Workers Collective (GWC), das vielleicht nur aus ein paar Dutzend Aktivisten besteht. Es ist unklar, für wie viele der Gorillas-Beschäftigten GWC spricht. Klar ist nur: GWC verschafft sich gerade lautstark Gehör, vor allem über die sozialen Medien und den Messengerdienst Telegram.

Auch das ist Teil der kulturellen Drift. Das GWC ist weit entfernt von den klassischen deutschen Gewerkschaften. Es ist eine Bewegung, von der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion unterstützt, einer kleinen, linken, anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft. Bislang sind die Arbeitsniederlegungen des GWC nach deutschem Recht »wilde Streiks«, die zu Abmahnungen oder Kündigungen führen könnten – was bislang aber wohl noch nicht geschehen ist.

Im klassischen Gewerkschaftslager ist die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di für den Lieferdienst zuständig. Ver.di hat den Beschäftigten Hilfe und Unterstützung angeboten, auch bei einer Betriebsratsgründung. Es gab erste Kontakte, doch zwischen den Welten fremdelt es. Das GWC steht den klassischen Gewerkschaften skeptisch gegenüber. Es glaubt, sie wollten das Risiko von Streiks nicht mittragen.

Die Belegschaft selbst ist wohl auch nicht die klassische Klientel einer klassischen Gewerkschaft. Eine erkleckliche Zahl von ihnen, wie viele lässt sich nicht klar beziffern, kommt aus lateinamerikanischen Ländern wie Argentinien oder Chile. Sie kommen mit sogenannten Working-Holiday-Visa – einer zeitlich befristeten Arbeitserlaubnis für junge Menschen. Sie dürfen nur längstens sechs Monate bei einem Arbeitgeber arbeiten. Ein Gutteil von ihnen sucht eigentlich andere Jobs, etwa als IT-Spezialisten. Doch fällt nach sechs Monaten der befristete Job bei Gorillas weg und haben sie in der Zwischenzeit keinen neuen gefunden, endet auch ihre Aufenthaltsgenehmigung.

Schwer zu sagen, wo in dieser ganzen Gemengelage die Grenze zwischen gerecht und ungerecht verläuft. Es wirkt eher so, als versuche hier so gut wie jeder, einen noch recht unstrukturierten Raum zum eigenen Vorteil zu nutzen.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hubertus-heil-besucht-gorillas-im-dschungel-der-widersprueche-a-00f98090-3528-44e6-95eb-616d2aab9ef6

Kuddel

Oho, die Zeit spricht von einer "neuen Arbeiterklasse"!
ZitatHubertus Heil sprach heute mit Fahrern des Zehn-Minuten-Lieferdienstes. Höchste Zeit, sich einer Branche anzunehmen, die die neue Arbeiterklasse hervorbringt.

Und der sozialdemokratische Arbeitsminister weiß auch, wie man diese Unruhe beenden kann: Man sollte sich "mit den etablierten Gewerkschaften zusammenzutun".
ZitatOb jede einzelne der Forderungen der Fahrer gerechtfertigt ist und ob der Arbeitsminister daran etwas ändern kann, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass Hubertus Heil jetzt einer Arbeiterschaft zuhört, die zu Tausenden unter teils prekären Bedingungen arbeitet. Bei seinem Termin forderte Heil erneut, Befristungen ohne Grund zu beenden, und riet den Fahrerinnen und Fahrern, sich für ihre Proteste mit den etablierten Gewerkschaften zusammenzutun. 
https://www.zeit.de/arbeit/2021-07/arbeitsbedinungen-lieferdienst-gorillas-hubertus-heil-austausch-gorillas-fahrer


Fritz Linow

Schön viel Geld wird insgesamt verbraten. Kağan Sümer hat wohl so viel verbraten, dass er sich zu einem passablen Psychopathen gemausert hat:

Zitat23.8.21
US delivery giant DoorDash has abandoned talks with Gorillas after the grocery startup went behind its back in an unsuccessful bid for a larger investment.
(...)
Gorillas has become infamous for its volatile environment, having been rocked three weeks ago by allegations about its "erratic" boss Kağan Sümer.

One employee at its headquarters said the chief executive would often "send videos of himself swearing and screaming to a WhatsApp group we had".

Another claimed there was "a lot of shouting" and that "people are afraid to show up to meetings" with Sümer.
https://www.grocerygazette.co.uk/2021/08/23/doordash-400m-gorillas/

Fritz Linow

Ganz interessanter Artikel mit Hintergründen usw. aus DGB-Sicht:
https://publik.verdi.de/ausgabe-202106/wir-organisieren-uns-in-10-minuten/
(15.9.21)

Am Ende wird dann nochmal  deutlich, warum der Streik bei Gorillas nicht geschichtsträchtig sein soll, ein schöner Zirkelschluss sozusagen:

ZitatOrhan Akman bremst tatsächlich etwas bei der Euphorie über die Selbstorganisation. "In anderen Ländern gibt es andere Traditionen der Arbeiterbewegung. Aber das hat oft mit unserer Realität in Deutschland, mit unserer Kultur, mit unserer Geschichte der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung wenig gemeinsam." Am Ende zähle eine rechtssichere Regelung, die die Arbeitsbedingungen verbessert. Ein Tarifvertrag. Um den zu erkämpfen, müssten sich die Beschäftigten in einer Tarifgewerkschaft zusammenschließen. "Deswegen ist die beste Selbstorganisation der Beschäftigten in Unternehmen wie Gorillas & Co. die Tarifgewerkschaft ver.di", sagt Akman.

Diese Tradition der Arbeiterbewegung hat man sich hart erarbeitet.

Kuddel

ZitatArbeitskampf
Pranke von Gorillas
Lieferdienst teilt aus: Streikbrecher eingesetzt, Arbeitsdruck erhöht. Beschäftigte behandelt wie »neue Gastarbeiter«


(...) Doch statt auf den fünf Punkte umfassenden Forderungskatalog der Streikenden einzugehen, setzt Gorillas auf Eskalation. Am Freitag schickte das Unternehmen Manager aus der Firmenzentrale als Streikbrecher in den Bergmannkiez. Am Samstag erhöhte es nochmals den Druck und entließ einen der besten Fahrer des Lagers fristlos. »Das ist eine Drohung an alle indischen Rider«, erzählte ein Kollege des entlassenen Danny gegenüber jW. Im Gegensatz zu Danny ist er noch in der Probezeit und möchte daher seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. »Bei den letzten Streiks waren wir Inder nicht dabei«, erzählte er. »Wir werden das nicht hinnehmen und fordern jetzt auch seine Wiedereinstellung. Und werden so lange streiken, bis alle unsere Forderungen erfüllt sind!«
https://www.jungewelt.de/artikel/411648.arbeitskampf-pranke-von-gorillas.html

Kuddel

ZitatArbeitskampf
Von Streikbrechern und einer Mülltonne
Protest der Gorillas-Beschäftigten: Gegen fristlose Kündigungen, für das Recht auf wilde, politische Streiks


(...) Während die Beschäftigten mit ihren Streiks grundlegende Rechte einfordern, zieht sich Gorillas auf das postfaschistische Streikrecht der BRD zurück. Politische und »wilde« Streiks werden seit den frühen Jahren der Bundesrepublik sanktioniert. (...)

Duygu Kaya, eine der gekündigten Fahrerinnen, ist fest entschlossen, gegen diese Auslegungen des Streikrechts zu kämpfen. Vor drei Jahren ist sie aus der Türkei nach Deutschland gekommen. »Wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, das Streikrecht zu demokratisieren, ziehe ich auch bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte«, sagt sie im Gespräch mit jW. (...)
https://www.jungewelt.de/artikel/412020.arbeitskampf-von-streikbrechern-und-einer-m%C3%BClltonne.html

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