Erstmals flimmert der Kriegshorror in US-Wohnstuben

Begonnen von Kater, 00:21:12 Sa. 27.Mai 2006

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Kater

ZitatDokumentarfilm

Erstmals flimmert der Kriegshorror in US-Wohnstuben

Blutig, betäubend, brutal: Wie der Irak-Krieg für US-Militärärzte aussieht, haben Dokumentarfilmer den Amerikanern zur besten Sendezeit im Fernsehen serviert.

VON DIETMAR OSTERMANN

In der ersten Szene trägt eine Krankenschwester im blauen OP-Hemd einen unter der Schulter abgetrennten Arm durchs Bild und wirft ihn in eine Mülltüte. "Wir geben unser Bestes, um sicherzustellen, dass unsere Jungs überleben", erklärt aus dem Off eine Stimme. In der nächsten Szene machen Nothelfer im Straßenstaub Wiederbelebungsversuche an verwundeten Soldaten. Flackernde Schwarz-Weiß-Bilder zeigen die hektische Evakuierung im Hubschrauber. Kurz darauf ziehen Ärzte eine braune Decke über einen Kopf: "Lassen wir diesen Gentleman und versuchen, seine Kumpels zu retten."

Die Dokumentarfilmer Jon Alpert und Matt O'Neill haben im 86. Combat Support Hospital der US-Armee den Alltag der US-Militärärzte protokolliert. Mit dem einstündigen Film "Bagdad ER" flimmerte der ferne Krieg am Sonntag zur besten Sendezeit in Millionen amerikanische Wohnstuben: Krieg als buchstäblich endloses Blutvergießen, als unaufhörliche Schrapnellsuche in aufgeplatzten Leibern, als Todeskampf unterm Chirurgenmesser - näher ist das US-Volk dem Fronthorror in drei Kriegsjahren nie gekommen.

Bislang waren in den USA auch die Kriegsleiden der eigenen Soldaten von einer diffusen Nebelwand umgeben. Selten wurden die Schicksale greifbar; meist verschwanden sie als Zahl in der Statistik. Über die gut 2400 US-Gefallenen in Irak führen die Medien noch Buch. Die inzwischen fast 18 000 Verwundeten werden kaum je erwähnt. Auch eine allzu plastische Darstellung des Horrors an der Front ersparen Zeitungen und TV-Sender ihrem Publikum meist. Das Pentagon wiederum hat kein Interesse an schockierenden Bildern. Selbst Fotos der in die Heimat geflogenen Zinksärge wurden lange unterdrückt. Erst wenn die Gefallenen wieder zusammengeflickt und in Ausgehuniform hergerichtet waren, durften ihre Familien sie sehen.

Mit "Bagdad ER" hat das Pentagon nun eine radikale Kehrtwende vollzogen; warum, darüber wird in Washington viel spekuliert. Im Frühjahr 2005 erlaubte die US-Armee den renommierten Filmemachern Alpert und O'Neill, die Arbeit der Militärärzte in Bagdads "grüner Zone" zu begleiten. Daraus wurde ein Film, der nichts beschönigt. Die Kamera ist dabei, wenn blutverschmierte Soldaten stöhnend in den OP geschoben werden, der unkommentierte Ton protokolliert, wie Ärzte sagen, "Wir verlieren dieses Bein", wie Krankenschwestern rufen, "Bring mir das Amputationsbesteck", wie der Militärpfarrer am Sterbebett betet, "Himmlischer Vater, möge sein Leben und Tod den Frieden beschleunigen, damit dieser sinnlose Krieg hier endet".

Der Film sei ein Tribut an Heroismus und Aufopferung der Soldaten und Militärmediziner, heißt es im Vorspann. Doch es gibt hier keine strahlenden Helden, niemanden, der einen Grund für all das Elend benennt, und ein Sieg ist manchmal schon, wenn Schwerstverwundete nur ihre Gliedmaßen verlieren, nicht ihr Leben. "Ich muss glauben, dass wir es besser haben werden", sagt ein Arzt, "ich muss das glauben, sonst wäre dieser Krieg kompletter Wahnsinn."

http://www.fr-aktuell.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=888837

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