"»Ich würde jetzt hier nicht den ganzen Background aufklären wollen«, antwortet der Vorsitzende Richter."
Zehn Unterstützer und Mitglieder des Neonazi-Netzwerks »Blood & Honour« bekommen im Gegenzug zu Geständnissen mildere Strafen. An umfangreichen Aussagen hat offenbar niemand Interesse.
Es klingt wie ein Witz. Doch Stanley R. scheint seinen Fußballvergleich ernst zu meinen. Mit den Neonazi-Organisationen »Combat 18« und »Blood & Honour« sei es wie mit den Fußballvereinen Bayern München und 1860 München, lässt der Rechtsextremist seinen Verteidiger vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts München I sagen. Beide spielen Fußball, verfolgten aber entgegengesetzte Interessen. Auch »Combat 18« und »Blood & Honour« hätten in »unmittelbarer Konkurrenz« zueinander gestanden. Stanley R. war Anführer von »Combat 18«. Im Jahr 2020 verbot das Bundesinnenministerium die rechtsextreme Organisation. Gegen »Blood & Honour Deutschland« war das Verbot bereits 20 Jahre zuvor ergangen.
Laut Anklage hat Stanley R. die angebliche Konkurrenz dennoch unterstützt, als »Blood & Honour« schon verboten war. Zusammen mit dem mutmaßlichen »Blood & Honour«-Deutschland-Chef, Sven B., und zwei weiteren Mitangeklagten soll er ab Herbst 2017 an der Produktion von 800 CDs mit volksverhetzenden Liedern mitgewirkt haben. Er soll zudem weitere Langspielplatten mit rassistischen, antisemitischen und gewaltverherrlichenden Liedern besessen haben, um mit ihnen Geld zu machen und rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten.
Stanley R. ist 46 Jahre alt, Vater zweier Kinder, geschieden und gelernter Koch. Derzeit arbeitet er als Lieferfahrer. Vor Gericht räumt er die angeklagten Tatvorwürfe im Wesentlichen ein. Es ist Teil eines Deals: Geständnis gegen Strafmilderung.
Eines der Lieder heißt »Holocaust« und hetzt gegen Juden
Seinen Anwalt lässt er vortragen, er sei ein vorsichtiger Mann. »Ich wollte mich nie strafbar machen.« Die 800 CDs habe er zunächst selbst produzieren wollen. Die Lieder habe er auf einem Datenträger bekommen. Von wem, sagt er nicht. Eines der Lieder heißt »Holocaust«, darin wird der systematische Massenmord an Jüdinnen und Juden in der NS-Zeit geleugnet und gegen jüdische Menschen gehetzt. Doch so konkret wird Stanley R. nicht. Als er sich die Lieder vollständig angehört habe, habe er sie für »teilweise inhaltlich bedenklich« befunden, sagt er nur.
Ein Freund habe die Sache dann übernommen. Der Freund habe ihm gesagt, dass er die CDs angeblich nicht illegal in Deutschland, sondern im Ausland verbreiten wollte. »Das war mir egal«, sagt Stanley R. Er habe damit nichts mehr zu tun gehabt.
Dass der Freund »Blood & Honour«-Mitglied war, habe er gewusst. Dass der Erlös »Blood & Honour« zugutekommen sollte, damit habe er gerechnet. Stanley R. sagt, er habe lediglich seine 800 Euro, die er bereits investiert hatte, wiederhaben wollen. Alles andere habe ihn nicht interessiert.
Der Vorsitzende Richter wiederholt sinngemäß den Beginn seiner Einlassung: »Ich habe alles gemacht, um nicht straffällig zu werden.« Wie passt das zu seinem beachtlichen Vorstrafenregister? Stanley R. hat elf Vorstrafen, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr. »Ja, deswegen«, beeilt sich sein Verteidiger zu sagen: »Weil er so beeindruckt war, durch die Strafen, die er schon hatte.«
»Ich würde jetzt hier nicht den ganzen Background aufklären wollen«
Eine weitere wird demnächst hinzukommen. Das Gericht hat Stanley R. für sein Geständnis eine Freiheitsstrafe von acht bis zehn Monaten in Aussicht gestellt, ausgesetzt für drei Jahre auf Bewährung. Hinzu kommen eine Geldauflage und zwei Gefährderansprachen.
Eine Bewährungsstrafe erwartet auch den mutmaßlichen Deutschland-Chef von »Blood & Honour«, Sven B. Er und zwei Mitangeklagte haben ihr Geständnis für den nächsten Tag angekündigt. Auch sie haben sich auf einen Deal, eine sogenannte Verständigung, eingelassen.
»Wie umfangreich soll denn die geständige Einlassung sein?«, erkundigt sich der Verteidiger von Sven B. Offenbar nicht allzu ausführlich. »Ich würde jetzt hier nicht den ganzen Background aufklären wollen«, antwortet der Vorsitzende Richter.
Von detaillierten Einlassungen kann in der Tat nicht die Rede sein. Sieben Angeklagte erledigen ihren Teil des Deals gleich an diesem Dienstag. Einer nach dem anderen räumt sein Engagement für »Blood & Honour« ein – als Anwärter, als Mitglied oder auch als sogenannte Sektionsleiter in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen. In knappen Worten bestätigen ihre Anwälte die Anklagevorwürfe gegen ihre Mandanten. Laut Anklage sollen sich einige von ihnen am Verkauf von CDs mit volksverhetzenden Liedern und von Devotionalien mit illegalen Nazi-Symbolen beteiligt haben.
Fabian F., 35 Jahre alt, war spätestens Anfang 2017 Mitglied der »Blood & Honour«-Sektion Baden-Württemberg. Er nahm an Pflichttreffen und Ausflügen teil und wurde 2018 Kassenwart. Dass »Blood & Honour« verboten war, habe er gewusst. »Aber er weiß nicht, warum«, sagt sein Anwalt. »Wir haben doch nichts Böses gemacht«, so die Ansicht seines Mandanten.
3000 Euro an die Münchner Tafel
Ein Angeklagter kann gleich zur Mittagspause nach Hause gehen. Die Kammer hat das Verfahren gegen Stefan R. am Dienstag nach Paragraf 153a Absatz 2 Strafprozessordnung vorläufig eingestellt. 3000 Euro muss der 42-jährige Elektriker aus Bad Reichenhall in sechs Monatsraten à 500 Euro an die Münchner Tafel zahlen.
Über seinen Verteidiger hat Stefan R. zuvor in wenigen Sätzen eingeräumt, von Herbst 2017 bis Sommer 2018 sogenannter Anwärter in der »Blood & Honour«-Sektion Bayern gewesen zu sein. Er zahlte den Mitgliedsbeitrag von monatlich 30 Euro und nahm an mindestens fünf Treffen des verbotenen Neonazi-Netzwerks teil. Spätestens im Juli 2017 sei er ausgetreten – »aufgrund fehlender Kompatibilität«, wie es sein Anwalt formuliert.
Die Richter und Richterin haben keine Fragen, der Oberstaatsanwalt schon. »Es war Ihnen klar, dass es sich um die verbotene Vereinigung ›Blood & Honour‹ handelte?« Stefan R. nickt.
Laut Staatsanwaltschaft hatte R. bereits kurz vor Prozessbeginn umfassend bei der Polizei ausgesagt. Mit seinem Geständnis vor Gericht ist der Deal nun perfekt. Stefan R. kann gehen. Die neun Mitangeklagten müssen noch ein paar Verhandlungstage länger ausharren.