Daniela Klette von der RAF in Berlin verhaftet

Begonnen von Kuddel, 15:34:25 Di. 27.Februar 2024

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Kuddel

Meine Jugend durchzogen die Meldungen, die Fahndungsplakate und die Hetze zum Thema RAF. Der Deutsche Herbst, Hanns Martin Schleyer, Stammheim.

Ich war nie ein großer RAF-Fan. Aber immer, wenn es es der RAF an den Kragen ging, wenn bei der Fahnung Leute in putativer Notwehr erschossen wurden oder Gefaangene geselbstmordet wurden, war ich davon überzeugt, daß wir alle damit gemeint sind. Wir, die wir uns nicht wohl in den Herrschenden Verhältnissen fühlten, die vom Leben etwas anderes erwarteten, als nur zu arbeiten und zu konsumieren...

Die RAF galten als Staatsfeinde und wurden als solche bewundert. Das nimmt man ihr übel. Noch heute.

Es gibt Dinge, die nimmt der Staat nicht so persönlich.
Zitat915 Haftbefehle nicht vollstreckt
Neonazis dringend gesucht
https://taz.de/915-Haftbefehle-nicht-vollstreckt/!5900871/

Onkel Tom

Alle Achtung. So 30 Jahre in D unter zu tauchen, nicht so einfach und hat schon was.

Jo, da werden Erinnerungen wach, was ich als Kind so nebenbei aus der Glotze und Zeitungen so mit
bekommen habe. Das die RAF anbei auf Bonzen und Politiker aus waren und warum, habe ich erst in
meiner Jugend verstanden. Es wurden gegen Verhältnisse "gekämpft", mit denen wir heute so leben.

Zitat von: Kuddel am 15:34:25 Di. 27.Februar 2024Die RAF galten als Staatsfeinde und wurden als solche bewundert. Das nimmt man ihr übel. Noch heute.

Das würde heute bei einer Neugeburt "linker Zellen" wohl auch darauf hinauslaufen..
Mutti sagte damals dazu: "Alles linksextreme Terroristen und auf den rechten Auge ist
der Staat blind".. Mord ist meines Erachtens keine Rechtfertigung, Verhältnisse ändern
zu wollen.
Lass Dich nicht verhartzen !

Kuddel

Ich staune, was für eine Welle das macht.
Für den rachsüchtigen Staat ist der radikale und handfeste Widerspruch gegen die herrschenden Verhältnisse unvergessen.
Teile der Linken erinnern die Verfolgung der RAF als Repression gegen alle Linken.
Ein Nachbar von Daniela Klette: ,,Da habe ich jahrelang neben der Genossin gewohnt, das gibt's ja nicht", sagt er und verabschiedet sich mit der Parole ,,Rotfront".
Ich kenne unpolitische Leute, die sagen, "Es müßte wieder eine RAF geben", wenn sie einen Brass auf ihren Chef oder das Jobcenter haben.

Zum Fall Daniela Klette selbst:
  • Ob sie RAF Mitglied war, ist erst einmal Behauptung der Staatsanwaltschaft und unbewiesen
  • Ihr Auffliegen war möglicherweise nicht Ergebnis der Fahndungskampagne, unterstützt durch XY-ungelöst und weitere Drecksmedien, sondern wurde durch die Vorarbeit von WDR-Podcastspacken, die Bullenarbeit geleistet haben, ermöglicht
  • Wenn man der Berichterstattung glauben kann, hat sich Daniela Klette dumm verhalten und so ihr Auffliegen selbst ermöglichtli]

krapotke

Es wird sehr verkürzt auf die strafrechtliche und ermittlungstaktische Komponente der Geschehnisse bezogen berichtet. Damit habe ich ein Problem. Ebenso habe ich ein Problem damit, wenn bei einer Demo der Redner offen und unreflektiert Klette, Garweg und Staub "Freiheit und alles Gute" wünscht.
Nötig wäre eine offene gesellschaftliche Debatte, die die Verhältnisse beschreibt, die bei der Bildung der RAF, der RZ dem Zentralrat Tupamaros Westberlin, u.ä. geherrscht haben und zum Teil noch herrschen. Dazu gehören würde auch eine Offenheit der ehemaligen Angehörigen Strukturen, Motivation und Dynamik ihrer Gruppen zu beschreiben und zu reflektieren.
Dazu gehört auch, dass Angehörige von Opfern einen Anspruch auf Antworten haben.

So ließe sich vielleicht noch ein Nutzen aus diesem Irrweg des "bewaffneten Kampfes" ziehen, der außer Versehrten auf allen Seiten nichts hervorgebracht hat.

Jemand aus meinem Umfeld störte sich vor kurzem an der Bezeichnung Nazischwein für eine konkrete Person. Zuerst habe ich den Vorbehalt nicht recht verstanden. Dann musste ich an das Zitat von Ulrike Meinhof denken

Zitat...und wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.

Auf ihre Art waren die bewaffneten Kämpfer genauso in verhängnissvoller militaristischer Logik verfangen, wie ihre Gegner.

,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

counselor

Ich könnte mir sowieso bei den Nachrichten der bürgerlichen Medien einen Ast lachen (wenn es nicht so traurig wäre). Da werden einem Informationsbrocken ohne irgendeinen Kontext hingeworfen. Um etwas beurteilen zu können, brauchen wir aber einen historischen und allseitigen Kontext zu der Information. Ansonsten sind die Nachrichten wertlos.

Die RAF war der falsche Weg. Der richtige Weg geht über die Mobilisierung der Bevölkerung für revolutionäre Veränderungen.  Der Kampf beginnt damit, durch Diskussionen Klassenbewusstsein zu schaffen.

Die folgende Seite ist ganz interessant
https://www.rafinfo.de/
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Onkel Tom

Zitat von: counselor am 16:07:36 Do. 29.Februar 2024Die RAF war der falsche Weg. Der richtige Weg geht über die Mobilisierung der Bevölkerung für revolutionäre Veränderungen.

Da sollten wir nicht ganz so sicher sein, ob die RAF ein falscher Weg war.

Zu Anfang war es ja eine Gruppierung ausgebüchster Heimzöglinge, die im Heim
schon derbe Widersprüchlichkeiten erlebten, die aus der NS-Zeit noch weiter
vererbt wurden.. Die erste Generation, die sich nur auf Sachbeschädigung und
Sabotage beschränkten fand ich schon sinnvoll.

Viel zu trainieren hatten sie auch nicht, da in der Heimerziehung bis 1985 noch
NS-Erziehungsmethoden und Disziplin eingeprügelt wurden. Jo, fehlte nur noch die
Schulung mit scharfen Waffen etc..

Die RAF war meines Erachtens Alternativlos a la "Nicht lange reden sondern machen"
was dann auch die Eskallationsspirale nach oben schraubte.

Hmm, das Daniela via WDR-Podcast aufgeflogen ist, sollte man ihr nicht nachtragen,
da z.B. die genaue "Kundenortung" auch via DVB T2 möglich jedoch kaum bekannt ist.

Middem Smart TV kann man sich im schlechtesten Fall auch Spitzel-SEK ins Haus holen..
Versteckspielerei halte ich heute für extrem schwieriger, da wundert es mich schon,
das sie soo lange durch gehalten hat.
Lass Dich nicht verhartzen !

Kuddel

Ich finde es schon gut, daß krapotke eine Diskussion über den bewaffneten Kampf angestoßen hat. Solche Dinge werden im Forum meist umschifft.

Ich denke, dieses Thema ist nicht mit ein, zwei Sätzen abzuhandeln. Dieser Wirbel um die Verhaftung von Daniela Klette zeigt auch, daß es ein unterschwelliges Interesse an der hier aus der Mode gekommenen Kampfform gibt.

krapotke

Zitat von: Onkel Tom am 09:20:35 Fr. 01.März 2024
Zitat von: counselor am 16:07:36 Do. 29.Februar 2024Die RAF war der falsche Weg. Der richtige Weg geht über die Mobilisierung der Bevölkerung für revolutionäre Veränderungen.

Da sollten wir nicht ganz so sicher sein, ob die RAF ein falscher Weg war.

Zu Anfang war es ja eine Gruppierung ausgebüchster Heimzöglinge, die im Heim
schon derbe Widersprüchlichkeiten erlebten, die aus der NS-Zeit noch weiter
vererbt wurden.. Die erste Generation, die sich nur auf Sachbeschädigung und
Sabotage beschränkten fand ich schon sinnvoll.

Sprechen wir hier von derselben RAF? Schon die erste Generation hat meinem Verständnis nach, nach den Kaufhausbrandstiftungen von 1968 fast nur noch Aktionen unternommen bei denen Menschen verletzt oder getötet worden sind. Schom die "Geburtsstunde" der RAF, die Befreiung Baaders aus dem Institut für soziale Fragen, beeinhaltete das Anschießen eines Institutsangestellten.

Die zweite Generation war im wesentlichen damit beschäftigt, die Gefangenen der ersten Generation freizupressen. Auch sie setzten massiv Gewalt gegen Personen ein.

Die dritte Generation tötete dann Personen, die sie als Führungsfiguren von Staat und Wirtschaft identifiziert hatten. Einzig die Zerstörung der JVA Weiterstadt, bewusst unter vermeidung von Toten und Verletzten ausgeführt, fällt hier als Ausnahme auf. So zumindest die offiziellen Quellen. Wobei beachtete werden muss, dass hier unbekannt sind welche Personen der dritten Generation angehörten und wer bei welchen Aktionen beteiligt war.

Zitat von: Onkel Tom am 09:20:35 Fr. 01.März 2024Die RAF war meines Erachtens Alternativlos a la "Nicht lange reden sondern machen"
was dann auch die Eskallationsspirale nach oben schraubte.

Die RAF entstand nicht im luftleeren Raum. Prügelperser, Benno Ohnesorg, Attentat auf Rudi Dutschke, Nazis in Verwaltung, Justiz, Politik, Polizei, Militär, Lehre, etc. Das alles und vermutlich noch mehr gehört benannt, wenn wir eine Einordnung vornehmen wollen. Wir haben im Rückblich aber auch den Vorteil das Ergebnis zu kennen. Die RAF war keine Avantgarde, der sich die Massen anschließen werden, so sie nur entschlossen voranschreitet. Die Massen standen der RAF feindelig oder von der Gewalt angewidert gegenüber.  Die Schaffung eines Opfermytos über die Gefangenen der ersten Generation mag Sympatien hervorgerufen haben, ist aber keine Perspektive zum Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung. Das Schlachten von Bonzen brachte offenbar das System nicht ins Wanken.


Die Rote Zora griff mal die Bekleidungskette Adler an, um Druck für den Arbeitskampf für deren Näherinnen in Asien zu erzeugen. Sie erzeugten Sachschäden. Das finde ich recht sympatisch.
,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

Kuddel

Ich bin, ähnlich wie die großen Medien, etwas verdutzt, welch Relevanz die RAF noch heute für viele Menschen zu haben scheint.

Die Zeit versucht hektisch, diese Bedeutung, die die kleine bewaffnete Gruppe noch heute hat, kleinzuschreiben:

ZitatUnsere liebsten Terroristen: Die verharmlosende Folklore rund um die RAF ist nur möglich, weil sie politisch nichts mehr mit unserer Gegenwart zu tun hat.
https://www.zeit.de/kultur/2024-03/raf-daniela-klette-festnahme-terrorismus-linksextremismus

Ich habe heute mit einem Altgenossen, der Anfang der 70er nicht in den Untergrund, sondern in die Fabrik gegangen ist, telefoniert und er sagte:"Die Leute der RAF haben damals ihr Leben riskiert, um die Welt zu ändern. Wir jammern, wie schwer es ist, sich gegen den politischen Mainstream zu stellen, aber was haben wir schon riskiert?"

Völlig unabhängig davon, wie man die Politik der RAF einschätzt, sie war ein Symbol und ist es bis heute. Sie steht für eine Radikalität, wie man sie heute nicht kennt. Man war bereit seine Freiheit, notfalls auch sein Leben, zu opfern im Kampf gegen Imperialismus, gegen den Vietnamkrieg, gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Und man bewies, daß das herrschende System, trotz eines ausgebauten Polizeistaats, nicht unangreifbar ist. Ein Hanns Martin Schleyer machte Karriere vom SS-Untersturmführer und NSDAP-Mitglied zum deutschen Arbeitgeberpräsidenten, doch trotz Personenschutz war er nicht sicher. Er fand trotz einer irrwitzigen Fahndung der deutschen Polizeibehörden im Kofferraum eines Audi 100 sein Ende.

Dieses nichts-ändern-Können der heutigen Zeit, läßt solche Aktionen in einem verklärenden Glanz erstrahlen. Der Traum davon, daß die Schweine nicht ungestraft durchkommen mit ihrer selbstherrlichen Ausübung ihrer Macht, wird auch heute weitergeträumt.

Das macht die Mächtigen und Medien wie die ZEIT nervös.


Kuddel

Die RAF ist aus einem gesellschaftlichen Klima und diversen Kämpfen, Bewegungen und Debatten hervorgegangen. Man sah sich als Teil eines globalen Kampfes gegen Imperialismus und Unterdrückung. In der Zeit bewaffneter Befreiungsbewegungen in Asien und Lateinamerika, Massenstreiks in Europa entstanden verschiedene Gruppen nach einem Konzept der "Stadttguerilla". Jean Ziegler (später Menschenrechtsexperte der UNO) begleitete 1964 Che Guevarra in Genf:
ZitatAm Schluss habe ich gesagt: ,,Comandante, ich möchte mit euch gehen." Das war in der Nacht vor seiner Abreise. Da hat mich Che im Hotel Intercontinental im achten Stock vor die große Glasfront gerufen, und da sind die Leuchtreklamen aufgeblitzt – der Banken, der Juweliere. Er hat gesagt: ,,Siehst du, da unten?" – ,,Ja, das ist Genf", habe ich gesagt. – ,,Das ist das Gehirn des Monsters, da musst du kämpfen."
https://taz.de/Comandante-ich-moechte-mit-euch-gehen/!776013/

Ich sehe die Gründung der RAF als einen Versuch, im Herzen der Bestie zu kämpfen. Ich habe bereits gesagt, daß ich kein RAF Fan bin, aber viele Einschätzungen, bzw. Aburteilungen, erscheinen mir zu verkürzt und werden der Organisation nicht gerecht.

Karl-Heinz Dellwo gehörte selbst der RAF an und hat lange Jahre dafür im Knast gesessen.

Er hat gerade für die Junge Welt über die "Wurzeln der Gewalt" geschrieben.

ZitatDie Geschichtsschreibung, sagen Historiker, verändert sich permanent. In den Schlagzeilen nach der Verhaftung von Daniela Klette erkennt man das nicht. Der Jargon und die entpolitisierte Rahmung sind die gleichen geblieben.  Auch 54 Jahre nach dem Entstehen der RAF, 31 Jahre nach ihrer letzten Aktion und 26 Jahre nach ihrer Auflösung. Man zählt die Toten. Die toten Mitglieder aus den bewaffneten Gruppen, die vielen Toten im Gefängnis. Die »Kollateralschäden« der Polizei bei Fahndungsmaßnahmen werden dabei selten benannt.
ZitatWar die RAF wirklich die gewalttätigste Gruppe, die aus der 68er Bewegung hervorgegangen ist? Ich habe erhebliche Zweifel daran. Personen wie Joseph Fischer, die in den 70er Jahren noch die Parole »Werft die Knarren weg, nehmt Steine« ausgaben, haben, kaum waren sie in Machtpositionen gelangt, ihre inhärente Gewaltbereitschaft staatlich ausgelebt, nicht zuletzt im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien. Wer heute dem grünen Munitionsexperten Anton Hofreiter oder Marieluise Beck und ihrem Ehemann, dem einst der »Vernichtung des Kapitals« verpflichteten KBW-Funktionär Ralf Fücks, zuhört, steht entsetzt vor einer maßlosen Gewaltbereitschaft und Kriegshetze, die irgendwann niemand mehr im Griff haben wird – und die zu einer erneuten Zerstörung Europas führen kann.

Ich möchte auf einen weiteren fundamentalen Unterschied hinweisen: Die RAF hat sich gegen das imperiale System des Kapitalismus gestellt. Ein relevanter Teil der Nachkriegs- und Enkelgeneration tritt heute mit aller Gewalt für den Fortbestand genau dieses Kapitalismus ein.
ZitatEs geht mir dabei nicht darum, die Praxis der RAF zu legitimieren oder gar zu heroisieren. Gescheitert ist gescheitert. Doch zwingt uns die heute unverkennbar gewordene Gewalttätigkeit der global herrschenden Verhältnisse, hier eine andere historische Wertung vorzunehmen.
https://www.jungewelt.de/artikel/470527.staat-und-raf-wurzeln-der-gewalt.html?sstr=Dellwo


krapotke

ZitatIch bin, ähnlich wie die großen Medien, etwas verdutzt, welch Relevanz die RAF noch heute für viele Menschen zu haben scheint.


ZitatMan sah sich als Teil eines globalen Kampfes gegen Imperialismus und Unterdrückung. In der Zeit bewaffneter Befreiungsbewegungen in Asien und Lateinamerika, Massenstreiks in Europa entstanden verschiedene Gruppen nach einem Konzept der "Stadttguerilla".

Ich denke, die RAF ist für viele Menschen eine Art Leuchtturm der damaligen gesellschaftlichen Stimmungen in der BRD. Viele finden zu ihr einen emotionalen Anknüpfungspunkt, der von Hass über Ambivalenz bis zur Bewunderung reicht. Das gilt auch für "Nachgeborene" wie mich. Autor*innen und Filmemacher*innen wie Stefan Aust gelingen mit der Anknüpfung daran wirtschaftliche Erfolge. In dieser rein rückwärtsgewandten Betrachtungsweise ist es einfach sich zu positionieren. Ich selbst verfasse hier bereits den dritten Beitrag, während bei anderen aktuellen Themen nach einem kurzen Statement bei mir Schluss ist, oder ich überhaupt keine Position formulieren kann.

ZitatSie steht für eine Radikalität, wie man sie heute nicht kennt. Man war bereit seine Freiheit, notfalls auch sein Leben, zu opfern im Kampf gegen Imperialismus, gegen den Vietnamkrieg, gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Der Versuch hier Lehren für die Zukunft zu ziehen, ist sicherlich sinnvoll.






,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

Onkel Tom

Zitat von: krapotke am 17:55:31 Fr. 01.März 2024Sprechen wir hier von derselben RAF? Schon die erste Generation hat meinem Verständnis nach, nach den Kaufhausbrandstiftungen von 1968

Ich denke ja und soweit mir bekannt ist waren sie schon vor der Gründung der RAF aktiv,
was sich auf Sachbeschädigung und Befreiungsaktionen von Heimzöglingen und Gefangenen
beschränkte. Mit dem ersten Mord wechselte die erste Generation zur zweiten.

Kann mich noch gut daran erinnern, wo ich als Heim-Außreißer Unterschlupf in einem Heim-Projekt
gefunden habe, wo staatlich anerkannte Erzieher_innen keinen Zutritt hatten.
Eine Ansammlung von Ausgebüxten Heimzöglingen von 14- Volljährig, die unter anderem eine ganz
normale Aufbau-Realschule besuchten, statt vorgegebener Heim-Sonderschule.
Dem Landschaftsverband Rheinland passte das gar nicht, das sich da Jugendliche selbst erziehen
und damit besser vorwärts kommen, als in diesen üblichen Landesjugendheimen.
Ein Gefilde vermischt mit 68ziger Ökofreaks und Hausbesetzern.. Stets im Clinch mit dem LVR
muss einer von der Gegenseite den Bullen geflüstert haben, das wir einem "RAF-Terroristen"
versteckt hielten. Darauf wurde das ganze Dorf Schallemich durchkämmt und der
"Walter Dörken Hof" auch Jugendhof genannt auf dem Kopf gestellt. Gesprochen hatte man über
die RAF kaum oder gar nicht. Das Symphatien bestanden, bekam ich schon mit und es wurde dort
als "Klassenkampf" bezeichnet.

Zitat von: krapotke am 11:53:50 Sa. 02.März 2024Der Versuch hier Lehren für die Zukunft zu ziehen, ist sicherlich sinnvoll.

Das vermute ich auch, wenn die Geschichte der ersten Generation beleuchtet ist.
Ich hatte damals (1980) auch gedacht, "Sie riskieren anbei ihr Leben..".
Die Ulrike Mainhoff hat ja auch reichlich Lektüre hinterlassen.


Lass Dich nicht verhartzen !

krapotke

@Onkel Tom:

ZitatMit dem ersten Mord wechselte die erste Generation zur zweiten.
Wenn du es so definierst, ergibt deine Beschreibung für mich wieder Sinn. Auch die Erfahrungen der RAF Angehörigen vor ihrem Weg in den Untergrund gehören zum Gesamtbild. Danke für das Teilen deiner petsönlichen Erlebnisse.
,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

Kuddel

Das hast du treffend beschrieben.

Diese RAF Geschichte ist ein Auslöser, ein Kristallisationspunkt für Gedanken und Gefühle, die Menschen in Bezug auf die heutige Welt haben. Die Reaktionen sind gar nicht so rückwärtsgerichtet, wie es scheint.

Die heutige Zeit hat etwas irreales, wir haben diverse Freiheiten, wir können wählen und demonstrieren, doch die Welt läuft auf Autopilot in immer schlimmere Zeiten. Rund um den Globus gewinnen rechtspopulistische bis offen faschistische Regierungen in demokratischen Wahlen, Kriege werden immer normaler, selbst in Europa und als offener Ost-West Konflikt und die ökologhischen Entwicklungen laufen in Richtung Weltuntergang. Nicht wörtlich, die Welt bleibt bestehen, doch wachsende Regionen werden unbewohnbar und das Leben dürfte mit Extremwettereignissen der Horror werden.

Da fragt man sich, was das eigene Leben bedeutet, was unsere Rolle auf dieser Welt ist. Der Mensch ist mehr als ein stoffwechselndes Säugetier, er ist ein soziales Wesen, es gilt nicht nur satt zu werden, es wird stets gerungen, wie ein Zusammenleben organisiert ist.

Aber genau das ist flötengegangen.

Wenn Menschen merken, keinerlei Einfluß auf gesellschaftliche Entwicklungen zu haben, sondern alles den Wirtschaftsinteressen unterworfen ist, scheiß auf Frieden, scheiß aufs Klima, scheiß auf alles, dann geht es nicht spurlos an ihnen vorbei.

Dann ist es ziemlich beeindruckend, wenn es Leute gab, die aufs Ganze gegangen sind und alles, auch ihr Leben, riskiert haben, um wieder Einfluß auf den Lauf der Welt zu bekommen.

Nur taugt dieser Weg kaum als Vorbild. Karl-Heinz Dellwo sagte, "gescheitert ist gescheitert".

Onkel Tom

Sorry, ich war damals für sowas zu klein obwohl ich mir da auch schon eine bessere Welt
wünschte.

Stutzig machte mich es, das sie offensichtlich Politi-Bonzen umlegen und gezielt gegen
Machthabende vorgingen. Kann mir gut vorstellen, das Franz Josef Strauß und US-Reagen
bei der RAF als "Leckerbissen" galt. Gab auch mal ein RAF-Game für den C64 mit einfacher
Spielidee aber desto stärker die darin ab zu knallenden Machthabenden waren, um so
schwerer war es, sie zu erledigen. Als Spielerbelohnung gab es das RAF-Emblem mit dem
Sound der Internationalen.
Doch die politische Ausrichtung war auch nicht so ganz eindeutig. A bissel Kommunismus/
Sozialismus, Hausbesetzertum (Autonome) und Spuren von der Blumenkinder-Gesellschaft
fühlten sich ganz gut dabei.

Letzendlich gab es von der RAF ähnliche Kritik zu Verhältnissen, die heute bejammert werden.
Das heute konserative Medien anbei ein Köttel in die Hose drücken, kann ich verstehen.

Ca. 1990 hatte ich das ganze als gescheitert abgeharkt und mir später diese Serie über RAF
in ZDF Historie verfolgt, konnte damit jedoch nicht wirklich was anfangen, da "zündelnde"
Mommente entweder gar keine Erwähnung fanden oder verzerrt dargestellt wurden.

Was mich z.B. genauer interessieren würde, wie die Hürde zwischen Sachbeschädigung und Mord
in der Disskusion der Mitstreiterschaft überwunden wurde. Das dürfte sich meines Erachtens
nicht wiederholen. Ansonsten finde ich es in D auch etwas seltsam ruhig..
Lass Dich nicht verhartzen !

counselor

Karl-Heinz Dellwo konnte ich schon auf der "Linke Literaturmesse" in Nürnberg mit seinen Laika-Verlag (https://laika-verlag.de/) erleben. Ein sympathischer Kerl.

Sein Buch "Das Projektil sind wir: der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen" ist lesenswert.

Daher setze ich einmal den folgenden Link: https://www.amazon.de/Das-Projektil-sind-wir-Generation/dp/389401556X
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Zitat von: krapotke am 10:48:18 Do. 29.Februar 2024So ließe sich vielleicht noch ein Nutzen aus diesem Irrweg des "bewaffneten Kampfes" ziehen, der außer Versehrten auf allen Seiten nichts hervorgebracht hat.
...
Auf ihre Art waren die bewaffneten Kämpfer genauso in verhängnissvoller militaristischer Logik verfangen, wie ihre Gegner.

Ich glaube, das ist etwas verkürzt und sollte so nicht stehenbleiben.

Bei TV Interviews werden Waffenbesitzer in den USA gefragt, warum sie denn Waffen hätten. Sie berufen sich dann erst einmal auf die Verfassung und dann darauf, daß sie bewaffnet sind, damit die da oben in Washington nicht einfach machen können, was wie wollen. Im Grunde bin ich ganz begeistert und möchte jedes Wort unterschreiben. Aber sie benutzen die Waffen nicht, wenn sie aus ihren Häusern geworfen werden, weil sie ihre Hypotheken nicht bezahlen können, wenn sie keine Medizinische Behandlung kriegen, wenn sie sechstellige Schulden haben für ein Studium. Es sind jedoch Rednecks, die meinen, Lateinamerikanische Einwanderer seien Schuld an irgendwas, die glauben, ihre Flagge stehe für "Freiheit", die Sozialisten und Antifas für ihre Feinde halten...

Also viel Scheiße im Kopp. Rechte mit Waffen find ich nicht gut. Hierzulande haben die Rechten ihre Waffen noch gebunkert. Sie sollen erst am "Tag X" zum Einsatz kommen.

Überhaupt, ich bin Kriegsgegner, aber kein Pazifist. Je älter ich werde, desto mehr verschwindet meine Faszination für den bewaffneten Kampf. Das mit der "militaristischen Logik" ist ein Argument, das man nicht einfach abtun kann. Die Leute aus der linken Szene mit Waffen, die ich vor Jahrzehnten mitbekommen hatte, waren keine Sympathieträger und ihr Lebensweg war nicht gerade ein überzeugend revolutionärer. Der schlimmste fing an bei den Bullen auszupacken und erzählte mehr, als er je gefragt worden ist. Er lebt heute im Zeugenschutzprogramm.

Ich denke schon, daß Waffen und die militaristische Logik einen unguten Einfluß auf Menschen haben. Und doch will ich nicht in jedem Fall den bewaffneten Kampf abtun.

Das Leben des "kieler Jung" Konstantin Gedig geht mir nicht aus dem Kopf. Ich kannte ihn nicht. Er bewegte sich nicht in der Linken Szene.

Ich habe im Forum an verschiedenen Stellen https://forum.chefduzen.de/index.php?topic=330108.msg367889#msg367889 etwas zu Konstantin Gedig geschrieben. Er kam aus "normalen" bürgerlichen Verhältnissen und hat eine Ausbildung zum Landwirt gemacht. Mit diesem Hintergrund ist er nach Rojava gegangen, hat sich den kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG ageschlossen, um die selbstverwaltete Zone, das Experiment eines multietnischen Zusammenlebens mit einem besonderen Schwerpunkt auf Frauenrechte, mit der Waffe zu verteidigen gegen den IS und den Nato-Staat Türkei.

Seht euch diese Links an und auch die Bilder darauf.
https://staepa-derik.org/2024/01/auf-den-spuren-von-konstantin-gedig-andok-cotkar-filmabend-am-20-1-24/
https://anfdeutsch.com/aktuelles/einladung-zum-gedenken-an-konstantin-gedig-39112

Da geht es auch um seine Eltern. Wie gesagt, ich halte sie für "stinknormale Eltern" und ich habe mir einige Interviews mit ihnen angesehen oder durchgelesen. Sie machen keinen gebrochenen oder verbitterten Eindruck. Sie nahmen eine Auseinandersetzung mit der Bundesregierung auf, um eine Aufklärung über die Todesumsttände ihres Sohnes einzufordern. Sie reisten nach Rojava, dem Ort, an dem ihr Sohn "glücklich war".

Sie machen ihm keine Vorwürfe für seinen Weg, sie nehmen ihren Sohn und seine Entscheidung ernst.

Es ist schwer in dieser Welt sein Leben zu leben. Wenn man mal seinen Alltag und den eigenen Selbstbetrug hinter sich läßt, bleibt nicht viel, an dem man sich festhalten kann. Diese ganzen Angebote zu einer demokratischen Partizipation, die Möglichkeiten "Zeichen zu setzen" (*schnarch*) sind doch eine Farce, dienen der Eigenberuhigung, doch der Einfluß auf den Lauf der Welt ist ein Witz.

Ich habe mir überlegt, vielleicht mal Konstatin Gedings Eltern zu besuchen. Mal sehen, vielleicht krieg ich das irgendwann mal hin.

Ach...

krapotke

ZitatZitat von: krapotke am 10:48:18 Do. 29.Februar 2024
So ließe sich vielleicht noch ein Nutzen aus diesem Irrweg des "bewaffneten Kampfes" ziehen, der außer Versehrten auf allen Seiten nichts hervorgebracht hat.
...
Auf ihre Art waren die bewaffneten Kämpfer genauso in verhängnissvoller militaristischer Logik verfangen, wie ihre Gegner.

Ich glaube, das ist etwas verkürzt und sollte so nicht stehenbleiben.

Ich weiß nicht recht, so weit auseinander scheinen wir nicht zu liegen. Weiter oben hast du auf Karl-Heinz Dellwo Bezug genommen: "Gescheitert ist gescheitert"

Ich habe dafür den Begriff Irrweg verwandt. Bei der RAF waren durchaus intelligente Menschen, es gab Widerspruch aus der Linken gegen RAF Aktionen, insbesondere wenn Normalos als Kollateralschaden auftraten. Selbstreflexion, Zwischentöne, Zweifel kommen im militaristischer Denkweise jedoch nicht vor. "Wir gegen die", "der Gegner ist noch schlimmer", Schwarz-Weiß-Denken, "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns". Das sind mMn bestimmende Denkmuster. Sie sorgen dafür, dass sich die Eskalationsspirale immer weiter dreht, dass die radikalsten Stimmen sich am ehesten durchsetzen, dass in der "Gefahrengemeinschaft" Abhängigkeiten und Verantwortungsgefühle vorherrschen, die den/die Einzelne*n weitergehen lassen, als es individuell für richtig gehalten wird.

ZitatAber sie benutzen die Waffen nicht, wenn sie aus ihren Häusern geworfen werden, weil sie ihre Hypotheken nicht bezahlen können, wenn sie keine Medizinische Behandlung kriegen, wenn sie sechstellige Schulden haben für ein Studium.

Ich glaube, Amokläufe sind in den USA keine Seltenheit und vermutlich oft durch derartige Lebensumstände getriggert.

ZitatDie Leute aus der linken Szene mit Waffen, die ich vor Jahrzehnten mitbekommen hatte, waren keine Sympathieträger und ihr Lebensweg war nicht gerade ein überzeugend revolutionärer.

Klingt nach einer guten Kurzbeschreibung für Andreas Baader. Der Wunsch die eigenen Minderwertigkeitskomplexe und Selbstzweifel durch den Nimbus des Waffenträgers zu kompensieren, ist gerade für junge Männer attraktiv. Ich denke, Baader hätte sich in anderen Zeiten bei z.B. den Hells Angels auch gut eingefügt.

Konstantin Gedig, Kampfname Andok Cotkar, wurde meinem Verständnis nach durch den Vormarsch des IS zum Beitritt in die YPG motiviert. Die öffentlichen Auftritte der Eltern habe ich leider nicht besucht, daher möchte ich hier nicht (be)urteilen.


ZitatIch denke schon, daß Waffen und die militaristische Logik einen unguten Einfluß auf Menschen haben. Und doch will ich nicht in jedem Fall den bewaffneten Kampf abtun.

Wie gesagt, so weit scheinen wir nicht auseinanderzuliegen. Ich habe mich hier mit meinen Gedanken eher konkret auf die RAF bezogem.


,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

krapotke

Zitat von: Onkel Tom am 13:42:27 Sa. 02.März 2024.....Was mich z.B. genauer interessieren würde, wie die Hürde zwischen Sachbeschädigung und Mord
in der Disskusion der Mitstreiterschaft überwunden wurde. Das dürfte sich meines Erachtens
nicht wiederholen. .....

Vielleicht war hier auch zuerst die Tat und dann folgte unter deren Eindruck bzw. Zwang der Gedanke, bzw. die Begründung.

Edit: Bei mir kommt gerade viel hoch, wenn ich mich mit der Thematik auseinandersetzte. Wir leben wieder in Zeiten des Umbruchs. Wir werden wieder vor der Frage stehen wie Veränderungen und Einfluss abseits der offiziellen Machtwege geltend gemacht werden können. Eine offene Aufarbeitung des bewaffneten Kampfes wäre wertvoll. Es könnte sich auf die Schultern dieser Menschen gestellet werden, es müssten Fehler und Irrwege ggf. nicht wiederholt werden.
,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

Onkel Tom

Zitat von: krapotke am 14:35:57 So. 03.März 2024Vielleicht war hier auch zuerst die Tat und dann folgte unter deren Eindruck bzw. Zwang der Gedanke, bzw. die Begründung.

Tjo, das könnte man am besten mit ehemaligen RAF-Mitglieder_innen beim Kaffeeklatsch
ergründen..

Ich kann zu solch Spekkulationen gegenwärtig nur meine Erfahrungen von damals
heran ziehen. Nebenbei habe ich gestern voll die grünen Pickel bekommen, wie
ich in der Glotze zur Kenntnis nehmen musste, das die Cops nach der Verhaftung
von Daniela ein Wagenplatz in Berlin auf dem Kopf gestellt haben..
Äh was ? Schallemich nun auch in Berlin ?  :Q

Zitat von: krapotke am 14:35:57 So. 03.März 2024Bei mir kommt gerade viel hoch, wenn ich mich mit der Thematik auseinandersetzte. Wir leben wieder in Zeiten des Umbruchs.
Geht mir auch so..
Lass Dich nicht verhartzen !

Kuddel

Im Grunde geht es mir viel zu viel um die RAF. Es scheint aber Bedarf zu geben.
Die RAF diente damals als Projektionsfläche und tut es scheinbar heute noch. Es herrschte in der öffentichen Debatte ein Klima, in der die RAF das Böse schlechthin wurde, eine Bedrohung aller. Man brauchte nur zu fragen, ob die von der RAF aufgeworfene Kritik an gesellschaftlichen Mißständen nicht mal diskutiert werden könnte oder wenn man wagte, bessere Haftbedingungen für die inhalftieren RAF-Leute zu forden, dann galt man als "Sympathisant" und das war in etwa das Gleiche wie "Terrorist". Als Heinrich Böll forderte, der Staat solle sich im Umgang mit der RAF an rechtsstaatliche Regeln halten, trat die Springerpresse eine Kampagne los, die Böll zu einem Sympathisanten und Staatsfeind machte.

Auf der anderen Seite gab es in der Linken Szene die Antiimps und für die waren die RAF Leute Säulenheilige. Jeder, der es wagte, die Politik der RAF zu kritisieren, wurde niedergemacht.

Dabei gab es nach und nach auch innerhalb der RAF Kritik an einigen ihrer Aktivitäten. Insbesondere aus den Knästen gab es deutliche Kritik an bestimmten bewaffneten Aktionen.


P.S.:
Zitat von: krapotke am 12:34:01 So. 03.März 2024Klingt nach einer guten Kurzbeschreibung für Andreas Baader. Der Wunsch die eigenen Minderwertigkeitskomplexe und Selbstzweifel durch den Nimbus des Waffenträgers zu kompensieren, ist gerade für junge Männer attraktiv. Ich denke, Baader hätte sich in anderen Zeiten bei z.B. den Hells Angels auch gut eingefügt.
Ich kenne diese Beschreibungen von Andreas Baader. Ich wäre da vorsichtig. Sie stammen von bürgerlichen Journalisten, die für ihre Karriere durchaus kreativ werden. Solche Berichte werden von ihren Arbeitgebern gern genommen.

Kuddel

Kommentar aus der Schweizer WOZ:

ZitatDeutschland im RAF-Fieber

(...) Wie in einem anachronistischen Albtraum scheint derweil in der deutschen Öffentlichkeit das RAF-Fieber wieder ausgebrochen zu sein. Das polizeiliche Verfolgungsinteresse bezieht sich überwiegend auf Raubüberfälle, die das Trio zwischen 1999 und 2016 zur Finanzierung des Lebens im Untergrund verübt haben soll.

Medial stehen dagegen bis heute unaufgeklärte, der dritten Generation zugeschriebene Mordattentate im Vordergrund. (...)

Ein Grossteil der medialen und politischen Öffentlichkeit gibt sich vielmehr dem Rausch der Gangsterjagd hin und verfolgt gebannt, wie die Polizei unerbittlich die linke Szene Berlins durchkämmt. Aus Reihen der Polizei wurden bereits Forderungen laut, die eigenen Befugnisse etwa beim Einsatz von KI-gestützter Gesichtserkennungssoftware zu erweitern.

Dabei existiert die RAF politisch nur noch als Erinnerung. Die Idee der Stadtguerilla, die mit der Gruppe wie mit keiner anderen in Deutschland assoziiert wird, hat heute innerhalb der radikalen Linken keinen Einfluss mehr. Auch die zwei Gejagten standen – wie die verhaftete Daniela Klette – schon lange nicht mehr für einen bewaffneten Kampf gegen die politische Ordnung, sondern nur noch für die Frage, was mit denen passiert ist, die diese Geschichte verschluckt, aber nicht wieder ausgespuckt hat.
https://www.woz.ch/taeglich/2024/03/04/deutschland-im-raf-fieber

Kuddel

Ich staune, wie die Festnahme eines ehemaligen RAF Mitglieds, zu politischen Bekenntnissen, Positionierungen und Aufregung führte.

Es gibt eine erstaulich breite spontane Solidarität mit Daniela Klette, der Nachbar, der von einer "Genossin" spricht und sich mit "Rotfront" verabschiedet, die mit "Viel Kraft Daniela" beschriftete Matratze (https://www.zeit.de/entdecken/2024-03/rote-armee-fraktion-solidaritaetsbekundungen-daniela-klette-berlin) machte medial die Runde und es ist sogar eine Solidaritätsdemo geplant.

Damit hätte ich nicht gerechnet.

Die ganze Distanziereritis, wie die Scharen an Hobbyfahndern wundern mich weniger.

Ein paar interessante Gedanken aus dem Neuen Deutschland:
ZitatJagd auf RAF: Armselige Unterwerfungsgesten
Bei der Jagd auf ehemalige RAF-Mitglieder offenbart sich vor allem der »autoritäre Charakter«


Woran liegt es eigentlich, dass Sicherheitsbehörden, Öffentlichkeit und selbst linksliberale Journalist*innen bei der Fahndung nach ehemaligen RAF-Mitgliedern eine Tatkraft an den Tag legen, die bei den 600 bis 900 flüchtigen Rechtsextremist*innen noch nie zu beobachten gewesen ist? Was die Polizei angeht, liegt die Antwort auf der Hand. Die politischen Sympathien des »Helfers in Uniform« sind extrem ungleich verteilt: Von den hessischen SEK-Beamten, die 2020 bei dem rassistischen Anschlag in Hanau eingesetzt wurden, waren 13 in rechtsextremen Chats aktiv. Davon, dass Polizist*innen mit der radikalen Linken sympathisieren, hat hingegen noch niemand etwas gehört.

Aber was ist mit jenen klimabewegten Jung-Journalist*innen, die das Internet im Netz nach ehemaligen RAF-Mitgliedern durchforsteten und sich jetzt für ihren Spürsinn auf die Schulter klopfen lassen? Warum beteiligen sie sich an diesem unwürdigen Aktenzeichen-XY-Spektakel, bei dem Staatsmacht und Springer-Presse gemeinsam ihre Beute hetzen?

Es muss daran liegen, dass die RAF am Ende eben doch etwas völlig anderes war als »normale Kriminalität« oder gar der Nazi-Terror. Sicher: Gewalt gegen Menschen ist immer ein Verbrechen, das in jeder lebenswerten Gesellschaft geächtet werden muss. Doch die Gewalt der RAF unterschied sich von der Gewalt, wie sie in der Gesellschaft ansonsten üblich ist. Mit einigen Ausnahmen, die der Gruppe heftig vorgeworfen wurden, richteten sich die RAF-Aktionen gegen die Mächtigen: Banker, Arbeitgeberpräsidenten, Manager.

Die Argumentation der bewaffneten Gruppe lautete dabei, dass dieses Führungspersonal strukturelle Gewaltverhältnisse zu verantworten habe, die Menschen überall in der Welt das Leben kosteten. Völlig aus der Luft gegriffen war das nicht: Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, der den Gewerkschaften 1963 mit einer »Totalaussperrung« das Rückgrat zu brechen versuchte, hatte sich seine Sporen als SS-Offizier und glühender Antisemit verdient. Der Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen gehörte zum internationalen Finanz-Management, das den Ländern des globalen Südens in den 1980er Jahren die ersten neoliberalen Spardiktate aufzwang. Und Carsten Rohwedder sorgte als Leiter der berüchtigten Treuhandanstalt dafür, dass Millionen DDR-Bürger*innen in absolute Existenzangst gestürzt wurden. (...)

Während die Gewalt der Rechten bestehende Machtverhältnisse bekräftigt, indem nach unten getreten und die Spaltung zwischen Ohnmächtigen vertieft wird – Bürgergeldempfänger gegen Geflüchtete, Fließbandarbeiter gegen Transsexuelle –, hat die Gewalt der RAF wirklich »die da oben« adressiert.

Genau das verzeiht man ihr nicht. Bei vielen Polizist*innen und Staatsanwälten ist nun der berüchtigte »autoritäre Charakter« geweckt, der – wie es Erich Fromm in den 1930er Jahren analysierte – Gewissheit sucht, indem er sich an Autoritäten orientiert. Grüne und Linksliberale hingegen fühlen sich zu Unterwerfungsgesten bemüßigt. Um keinen Preis der Welt möchten sie, die an den Verhältnissen vielleicht auch schon einmal Kritik geäußert haben, von der Macht als Gegner gesehen werden. Im Kotau zeigen sie, dass sie letztlich doch auf der richtigen Seite stehen: auf der Seite der Stärkeren. (...)
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180567.klette-garweg-und-staub-jagd-auf-raf-armselige-unterwerfungsgesten.html

Ein Kommentar auf twitter:
Zitat"Was Staat und Öffentlichkeit heute mobilisiert, ist der Umstand, dass die RAF nicht den Imbissbudenbesitzer, sondern den Konzernchef ermordete."

Was ich von dem journalistischen Denunziantenpack halte, habe ich ja bereits öfter geschrieben. Merkt euch ihre Gesichter.


Onkel Tom

Soo, nun habe ich durch einen TV-Beitrag erfahren, das der erste Mord,
quasi der Sprung von der ersten Generation zur zweiten der RAF 1971 in
Hamburg vorgefallen ist.
Demnach wollte ein Polizist in HH einen Rote Armee Fraktion Kämpfer
verhaften und wurde vom Beschuldigten erschossen..

Hmm, wenn dies den Tatsachen entspricht, kann ich mir zum Wechsel von
der ersten zur zweiten Generation mehr vorstellen.
Kann dieser Vorfall "zufällig" statt abgesprochen eingetreten sein..
Ich glaube ja, das nach diesem Tötungsdelikt sich die RAF-Anhängerschaft
sich darauf besprochen habe und die Hemmschwelle Mord über Bord werfen
mussten nach dem Motto das man nichts rückgängig gemacht werden kann und
nun bitterernst wird.
Wann genau ist eigendlich die RAF gegründet worden ?

Die Hype "zur Jagt auf ehemalige RAF-Mitglieder" habe ich nur so viel
Verständnis, das der deutsche Staat Muffe schiebt, das sich eine neue
Gruppierung ähnlicher Vorgehensweisen bilden könnte.
In der Bonzenschaft dürfte ähnliche Paranoia diskutiert werden.
Ob sie es selber schuld sein, das der Druck gegen sie so wächst ?

Freiwillig rücken sie ja nix raus, was dem Wohle der Allgemeinheit
dienlich wäre..

Ich bin mal gespannt, wie es sich auf dem Sektor "subversive Unternehmungen"
weiter entwickelt.. Das bisherige Gerede ändert an den Verhältnissen leider
kaum was und da zählt ja die Macht des Finanzstärkeren..
Naja, die Vulkanulogen haben ja schon geblickt, das darüber reden kaum Gehör
bringt. Nun steht Tesla still und alles regt sich auf..

Danke für den ND-Artikel..  ;)
Lass Dich nicht verhartzen !

Kuddel

Zitat von: krapotke am 10:48:18 Do. 29.Februar 2024Auf ihre Art waren die bewaffneten Kämpfer genauso in verhängnissvoller militaristischer Logik verfangen, wie ihre Gegner.

Ich mag die Glorifizierung von bewaffnetem Kampf nicht.
Es fühlen sich eher unangenehme Menschen von Waffen angezogen und die "militaristische Logik" geht nicht spurlos an den darin Verstrickten vorbei.

Wir leben im Moment in Deutschland noch unter recht friedlichen Verhältnissen. Ich gehe davon aus, daß es nicht ewig so bleibt. Wir haben keinen Schimmer davon, wie groß die Waffenarsenale der Rechten sind. Es gibt keine offiziellen Zahlen, nicht einmal Schätzungen. Ich gehe von einer riesigen Zahl gehorteter Waffen aus.

ZitatProtokoll aus Norddeutschland
Mehr als 40.000 Waffen sind in Deutschland verschwunden.
https://www.stern.de/gesellschaft/waffen--mehr-als-40-000-sind-verschwunden---protokoll-einer-kontrolle--33774904.html
Zitat"Der größte Waffenskandal in der Geschichte der Republik"
Zahlreiche scharfe Schusswaffen sind in Schleswig-Holstein aus Behördenhand verschwunden.
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100361916/waffenskandal-in-schleswig-holstein-landesregierung-in-erklaerungsnot.html

Ich halte die 40.000 nur für die Spitze des Eisbergs. Waffen aus NS Zeiten und aus NVA Beständen und Waffen, die über die Grenze gekommen sind, wurden nicht berücksichtigt.

Die Faschisten wollen sie auch benutzen. Sie arbeiten auf den Tag X hin, an dem sie die Macht übernehmen wollen. Sie werden nicht nur Linksradikale und Antifaschisten ins Visir nehmen.

Es wird auch Gewerkschafter treffen, selbst Menschen, die nicht links, sondern einfach nur zu sozial und menschlich sind. Der CDU Politiker Walter Lübcke wurde erschossen, denn er die Aufnahme von Flüchtlingen mit Bezug auf Nächstenliebe und das Grundgesetz verteidigt. 

krapotke

ZitatIch halte die 40.000 nur für die Spitze des Eisbergs. Waffen aus NS Zeiten und aus NVA Beständen und Waffen, die über die Grenze gekommen sind, wurden nicht berücksichtigt.

Die Faschisten wollen sie auch benutzen. Sie arbeiten auf den Tag X hin, an dem sie die Macht übernehmen wollen. Sie werden nicht nur Linksradikale und Antifaschisten ins Visir nehmen.

Gewalt, Kampf und Männlichkeitskult gehören zum faschistischen Markenkern. Terror ebenso. Das Anlegen von Waffenlagern aus Beständen der abziehenden Sowjetarmee erinnere ich schon von Ingo Hasselbach in seinem Buch die Abrechnung.
Mir macht das auch Angst. Neben klandestinen rechten Terrorgruppen gibt es in diesem Land ca. 180.000 Soldat*innen und ebensoviele Polizist*innen. Ich dene, dass von dieser Gruppe bei Unruhen eine größere Gefahr für als linke gelesene Personen ausgeht und es rechte Todesschwadrone nicht unbedingt brauchen wird. Rechte können sich auf das Schaffen von entsprechenden Rechtsgrundlagen konzentrieren und die Drecksarbeit den Gewaltmonopolist*innen überlassen. Neben willigen Befehlsempfänger*innen werden sich dort  insbesondere Gefolgsleute der Rechten diensteifrig einbringen.

Linke scheinen diese Grundaffinität zur Gewalt als erstrebenswetem Zustand nicht in diesem Maße zu haben. Sie haben auch eine große Distanz zu Sicherheitsbehörden.
Was es heißen kann Bewaffnung bewusst abzulehnen, kann man am Beispiel Chile sehen. Was es heißt vor allem auf Gewalt zu setzen, am Beispiel der Oktoberrevolution.
,,Das habe ich getan" sagt mein Gedächtnis. "Das kann ich nicht getan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt das Gedächtnis nach.        Friedrich Nietzsche

Kuddel

Danke für deine Worte.
Es traut sich kaum jemand, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Wir leben in Zeiten des Umbruchs, doch die Mehrheit der Menschen, auch der politisch bewußten, kann sich schwer vorstellen, daß die Herrschende Ordnung ins Wanken geraten könnte.

Linke haben, wenn sie sich eine Revolution vorstellen, eher naive Vorstellungen. Ein paar Massendemonstrationen und dann tritt die Regierung einfach zurück, so wie in der DDR oder Tunesien. Selbst wenn unsere Regierung so vernünftig wäre, anzuerkennen, daß ihre Zeit abgelaufen ist, hätten wir noch immer die bewaffneten Faschos (und wie du zurecht erwähntest, auch die in Polizei und Bundeswehr), die sicherlich nicht einfach klein beigeben würden.

In einem Interview sagte ein bis an die Zähne bewaffneter Redneck, in den USA werde es keinen Bürgerkrieg geben, denn "wir Republikaner haben alle Waffen und die Demokraten so gut wie keine. Es gäbe maximal eine kurze Auseinandersetzung."

Ich will mir Bürgerkriegssituationen gar nicht erst vorstellen. Es sind Horrorvorstellungen.

Mir schwebt eher die iranische Revolution von 1979 vor, in der kaum Blut geflossen ist. Es waren Millionen Menschen auf der Straße und die Soldaten verweigerten den Schießbefehl und sagten, "Volk schießt nicht auf Volk!"

counselor

Wie eine Revolution verlaufen könnte, wissen wir heute noch nicht. Vielleicht gelingt es ja, dass die bewaffneten Einheiten des Staates ihre Waffen gegen ihre Befehlshaber drehen.

Schwindlig wird mir allerdings, wenn ich an die Atomwaffen denke, die sie gegen uns einsetzen könnten.

Im Moment verdränge ich solche Fragen. Wir sind ja noch nicht einmal so weit, dass wir eine Mehrheit für eine andere Gesellschaft mobilisieren können.
Alles ist in Bewegung. Nichts war schon immer da und nichts wird immer so bleiben!

Kuddel

Ein ND Journalist twitterte:
ZitatBewaffnet, katholisch, gegen die AfD. Ein Traum! 😍

"Widerstand gegen Rechtsextremismus brauche mutiges Auftreten auch im Alltag, so Bundesschützenmeister Vogt"

Darum geht's: https://www.spiegel.de/panorama/katholische-schuetzenbruderschaften-wollen-die-afd-draussen-halten-a-029d413d-80f9-46b6-bcdd-985e9909debf?sara_ref=re-so-app-sh


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