Stillen, Säuglingsnahrung, (Un-)Natürlichkeit und Geschmacksprägung

Begonnen von Efeu, 06:54:09 Mi. 01.Dezember 2010

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Efeu

Es ist vielleicht ein bisschen ab vom Thema dieses Forums, aber ich bin vor einer ganzen Weile mal zufällig auf dieses Thema gestoßen und finde es recht interessant.
Vielleicht weil ich mal gehört habe, wie unsere frühe Ernährung uns prägt – was ich soweit (aus eigenen Beobachtungen) auch bestätigen kann.

Aromen und markentypische Geschmacksprofile binden Kunden. Flaschennahrung ist oft sehr süß. Durch den Geschmack der Milch können spätere Vorlieben der Säuglinge geprägt werden.
ZitatErwachsene, die Säuglingsnahrung erhielten, wählten eine Ketchup-Probe mit Vanille-Aroma, während gestillte Kinder die nicht aromatisierte Probe wählten. Der Grund dafür ist, dass Flaschennahrung häufig mit Vanillin aromatisiert wurde.

Neue Lebensmittel in Kombination mit bekannten und beliebten Speisen werden eher akzeptiert als alleine. Vorlieben werden auch durch den sozialen Zusammenhang geprägt.
An den herben Geschmack von Kaffee gewöhnt man sich erst nach häufigem Verzehr. Dieser Effekt lässt den Schluss zu, dass man nur solche Lebensmittel mag, die man häufig verzehrt und an deren Geschmack man sich gewöhnt hat. Bei der Angst vor Neuem werden neue Speisen grundsätzlich abgelehnt. Diese Reaktion ist bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen.

http://www.landwirtschaft-mlr.baden-wuerttemberg.de/servlet/PB/menu/1269503_l1_pcontent/index.html?druckansicht=ja

Es geht um die Macht der Gewohnheit, das was als "normal" gilt.
Es ist immer leichter eine Lüge zu glauben, die man schon tausende Male gehört hat, als eine Wahrheit, die man zum ersten Mal hört.

"Und wenn alle anderen die verbreitete Lüge glaubten - wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten -, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit." (George Orwell, 1984)


Die Interessen der Industrie werden wieder einmal über die Gesundheit und die günstigere/natürlichere Variante gestellt. Das Bild hat sich sogar ins Gegenteil verzerrt, natürlich wird wie selbstverständlich zu unnatürlich und abartig erklärt (und umgekehrt). Wie sich das in der Gesellschaft aber (anscheinend innerhalb relativ kurzer Zeit) derart verfestigen konnte, erscheint mir wirklich bizarr.

Ich persönlich (als Außenstehender) finde es zugegebenermaßen auch nicht toll, stillende Frauen zu sehen und mir war der Gedanke an Langzeit-Stillen auch ersteinmal befremdlich, aber: Sich einerseits über einen derartigen Anblick aufzuregen und andererseits nackte Tatsachen in Medien und Werbung sehen zu wollen (bestes Beispiel: Seite 1 der BLÖD), finde ich wirklich paradox. Doch genau das passiert.
Dabei ist Stillen doch eigentlich der natürliche Zweck der weiblichen Brust, und nicht der, als Sexfetisch und Werbeobjekt zu dienen. Über die Macht der Gewohnheit und der ständigen Wiederholung, dessen was als "normal" gilt, werden leider oft die einfachsten logischen Prozesse verdreht oder vergessen.
So wie weibliche Rinder nur Milch haben, wenn sie ein Kalb gebären und nicht etwa einfach so "Milch geben", habe ich auch schon von frischgebackenen Müttern gelesen, die sich (negativerweise) vorkamen "wie eine Milchkuh". Das natürliche nähren des eigenen Nachwuchses wird schon als falsch oder unnatürlich gesehen, dass erwachsene Menschen artfremde Muttermilch konsumieren wird hingegen zur Norm erklärt. Was ist natürlich, was ist unnatürlich?

Etwas wie "Folgemilch" ist etwas ganz Normales geworden. Von der Natur ist so etwas aber nicht vorgesehen. Entweder das Kind ist so klein, dass es Muttermilch bekommt, oder es ist alt genug, auch feste Nahrung zu sich zu nehmen. Mit besonderen Produkten für den Übergang wurde mal wieder ein künstlicher Bedarf geschaffen.

Die Prägung, die hier offenbar stattgefunden hat, die Verzerrung einer so von der Natur vorgesehenen und günstigen Sache zugunsten einer profitorientierten Industrie, dieses Schaffen von künstlichen Bedürfnissen, die es ohne Werbung und ständige Wiederholung gar nicht geben würde ist ein grundlegendes Prinzip, dass einem immer wieder begegnet und vor nichts halt macht.
Dass Mütter, die sich (allem zum Trotz) dafür entscheiden ihr Kind nicht im "norm"alen Zeitraum abzustillen, auch noch kriminalisiert werden ("Kindesmissbrauch", das Kind als Mittel zur Erfüllung sexueller Bedürfnisse), setzt dem ganzen noch die Krone auf.

Zitat"die Ursache dafür könnte hierzulande unter anderem an dem Einfluss der Babykostindustrie liegen. Diese habe etabliert, dass die Einführung der Beikost mit etwa sechs Monaten auch der Beginn des Abstillens sei.

"Der Druck von Ärzten, Hebammen, Müttern, Freunden und Ratgeberbüchern ist groß, dem Kind doch bitte so schnell wie möglich den Schubs in die Selbstständigkeit zu verpassen. Welch verkehrte Welt, in der die adäquate Versorgung  als Verbrechen interpretiert wird."

"Frauen, die sich dafür entscheiden, ihrem Kind länger die Brust zu geben, haben zudem mit Vorurteilen zu kämpfen. So etwa mit dem Vorwurf, sie würden geradezu sexuellen Missbrauch an ihrem Kind betreiben.
Die Assoziation mit Sexualität rühre wahrscheinlich daher, dass die nackte Brust so sehr sexualisiert sei, dass man sie sich in kaum einem anderen Kontext vorstellen könne. «Wir sehen ständig nackte Brüste», sagt Gresens. «Aber immer im Zusammenhang mit Sex.» Die eigentliche Funktion als Muttermilchspender sei aus dem Bewusstsein fast verdrängt worden. Entblößt die Mutter für ihr bereits laufendes oder sogar sprechendes Kind die Brust, dann werde das manchmal als ekelhaft, obszön und anstößig gesehen..."

http://www.news.de/gesundheit/855065384/keine-sperrstunde-fuer-mamas-brust/1/

http://www.news.de/gesundheit/855065525/verkehrte-welt/1/
Zitat"7) Weibliche Brüste werden heute durch die Werbung und Medien sexualisiert, sie dienen als Kaufanreize in der Konsumgesellschaft oder sind ein rein pornografische Darstellung für männliche Sex-Phantasien. Dabei wird ihre biologische Funktion als Nahrungsquelle und Trostspender für das Baby vollständig negiert.

So ist gerade das Stillen in der Öffentlichkeit bei uns keinesfalls normal, sondern wird als eklig oder abstoßend bezeichnet und ist oft genug Gegenstand hitziger Diskussionen. Da werden stillende Mütter schon mal vom Personal aus einem Restaurant oder Museum verwiesen, noch dazu, wenn das gestillte Kind kein Baby mehr ist. Die logische Folge ist, dass viele Mütter ihr größeres Stillkind in der Öffentlichkeit nicht mehr stillen, was aber wiederum bewirkt, dass kaum jemand in der breiten Bevölkerung ahnt, wie viele Kinder mit einem Jahr und älter noch gestillt werden."

http://www.stillkinder.de/fragen_langzeitstillen.html
Zitat"Die Einführung von Bei(!)kost (also nicht "Anstatt"kost) ist jedoch kein Grund abzustillen, denn das Stillen bietet weit über die ersten sechs Monate hinaus viele Vorteile. Wird der Säugling nach Bedarf gestillt und darf er den Zeitpunkt des Abstillens selbst bestimmen, so liegt der Zeitpunkt des Abstillens häufig erst nach dem zweiten oder dritten Geburtstag. Ein echtes Abstillen von Seiten des Kindes im ersten Jahr kommt so gut wie nie vor.
Betrachtet man das Säugeverhalten von Säugetieren und passt die Daten an den Menschen an, so würde sich ein Abstillalter zwischen 2,5 und 7 Jahren ergeben. Der Vergleich des Abstillalters von 64 traditionellen Kulturen, wie er von Katherine Dettwyler und Stuart McAdam in ,,Breastfeeding: Biocultural Perspectives", 1995, angestellt wird, kommt zu einer Kurve, deren Scheitelpunkt kurz vor dem 3. Geburtstag liegt. Der früheste Abstillzeitpunkt der untersuchten Kulturen liegt kurz vor dem ersten Geburtstag, der späteste bei etwa 5 1/2 Jahren.

Die WHO empfiehlt momentan sechs Monate voll zu stillen und das Teilstillen bis mindestens zum 2. Geburtstag und darüber hinaus, so lange Mutter und Kind es wollen."

http://de.wikipedia.org/wiki/Stillen

mousekiller

Ich hab meinen Sohn bis fast zum sechsten Monat stillen dürfen und fand es äußerst praktisch. Abgesehen davon, dass es die günstigste Variante der Säuglingsernährung ist. Angenehmer Nebeneffekt: er war nie ernsthaft krank (bis auf Erkältungserkrankungen und Ziegenpeter/Windpocken) und ihm konnte der Dreck noch so nachlaufen, es störte nicht. Bis heute keine Allergien oder ähnliches, was man als Zivilisationsseuche bezeichnen könnte. Sein Ernährungsstil ist recht gesund trotz dass er hin und wieder mal Meckes oder eine Pizza ißt.

Bei meiner Nichte ist es noch besser zu beobachten: sie ißt zwar gern Schokolade, aber zum Vesper lieber einen Keks oder Joghurt statt Kuchen.
Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal die Fresse halten.

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