counselor, du sagst es.
Du machst dir die entscheidenden Gedanken in der Sache. Solche Überlegungen habe ich noch nie aus dem Gewerkschaftsapparat vernommen. Im Gegenteil. Als es mit Corona losging, war die erste Forderung von Verdi, "Miete zahlen!" Die haben sich nicht als erstes Gedanken gemacht um die Sorgen und Nöte der Arbeiter, sondern um die der Hausbesitzer und Spekulanten.
Die Rolle der Gewerkschaften in Deutschland ist schlimm.
Deren Kämpfe drehen sich um Arbeitsbedingungen
Selbst das ist nicht mehr automatisch so. Es gibt da jedenfalls kein automatisches Vorwärtskommen mehr. Gerade hat Verdi einen Abschluß unterzeichnet, der unter den Preissteigerungen liegt, also einen Reallohnverlust bedeutet. Das passierte nicht aus einer Positition der Schwäche heraus, denn die Basis war streikbereit und kampfeslustig wie seit Jahren nicht. Die Chinesische Regierung blickt voller Neid nach Deutschland und hat hohe Funktionäre hierher geschickt, um zu untersuchen, wie mit es so einem großen Gewerkschaftsapparat (die IGM gilt als die größte Einzelgewerkschaft der Welt, die DGB Gewerkschaften stellen oftmals den Vorsitz der Weltdachverbände) möglich ist, eine derart befriedete Arbeiterschaft zu haben. In der Chinesischen Regierung wird diskutiert, ob man sich von dem deutschen Gewerkschaftssystem eine Scheibe abschneiden kann.
Es gibt noch ein paar winzige Initiativen und Einzelmitglieder, die sich dieser DGB Politik nicht unterwerfen wollen und sich Gedanken über den betrieblichen Tellerrand hinaus machen. Die Leute, die ich mit einer solchen Haltung kenne, sind alle aus der Autoindustrie. Sie stellen durchaus die Fragen, wo, wann, was, wie produziert wird. Es sind Automobilarbeiter, die sich auch fragen, ob es überhaupt Sinn macht, Autos zu produzieren.
Ich glaube nicht, daß diese Initiativen, selbst wenn sie groß wären und viel Rückhalt hätten, in der Lage wären, den Gewerkschaftsapparat zu verändern. Der ist absolut nicht reformierbar.
Es gab tolle Entwicklungen in der Krankenhausbewegung und auch bei den "Riders", den Fahrradkurieren. Es gab da wechselseitige Solidarität und Zusammenarbeit mit Sozialen Bewegungen. Riders und Mieteraktivisten haben sich an den Protesten der Krankenhausbeschäftigten beteiligt und Gorillas Radkuriere waren bei den Aktionen der Mieter- und Krankenhausbewegung dabei.
Das sind durchaus gewaltige Schritte nach vorn, auf die man in den letzten Jahrzehnten vergeblich gewartet hat. Ich beobachte mit Sympathie die Entwicklungen in den Basisgewerkschaften, was aber auch mit viel Frust verbunden ist. Es ist nicht das einzige Problem, daß diese Gewerkschaften noch sehr klein sind. Ich versuche mich damit zu trösten, daß deren Planlosigkeit und Schwäche Kinderkrankeiten sein könnten. Immerhin gibt es auch positive Entwicklungen.
Die Verhältnisse in den Betrieben und in der Gesellschaft sind nicht voneinander zu trennen. So lange die Kämpfe in Betrieben nicht Bezug auf die gesellschaftlichen Verhältnisse nehmen und die Sozialen Bewegung sicht nicht für die Zustände im Betrieb interessieren, wird es keine gesellschaftlichen Veränderungen in unserem Sinne geben.