Abenteuer Ausland - Warum Unternehmer nach Deutschland zurückkehren

Begonnen von Wilddieb Stuelpner, 11:21:59 Mi. 18.Oktober 2006

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Wilddieb Stuelpner

http://www.daserste.de/plusminus/beitrag_dyn~uid,vikxxmom10j048od~cm.asp --> ARD/SR, Sendung "plusminus" vom 17.10.2006: Abenteuer Ausland - Warum Unternehmer nach Deutschland zurückkehren

Trotz der aktuellen Diskussion um die wachsende Armut: Es gibt auch Zeichen der Hoffnung. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich leicht verbessert. Vielleicht liegt das auch daran, dass manche Firma inzwischen gemerkt hat, dass der Standort ,,D" doch nicht so schlecht ist, wie er immer gemacht wird? Eine Studie des Fraunhoferinstitutes belegt: Schon jedes fünfte deutsche Unternehmen, das einst auszog, um im Osten oder China Kosten zu sparen, kehrt inzwischen reumütig zurück. Darüber wird selten gesprochen – zu selten.

Tresore ,,made in Germany"

Im letzten Jahr hat die Firma Format einen zweistelligen Millionenbetrag in eine neue Fertigungsanlage in Hessisch-Lichtenau bei Kassel und nicht in ihr polnisches Werk investiert. Vierzig zusätzliche Stellen wurden geschaffen. Auch für Michael S. Der Werkzeugmacher hatte die Hoffnung schon aufgegeben, in seiner Heimat im strukturschwachen Nordhessen noch einmal Arbeit zu finden. Umso glücklicher ist er jetzt: "Ja, das Gefühl, wieder Arbeit zu haben, das ist schon super. Ich sage, nach langer Arbeitslosigkeit ist das in Ordnung, dass man wieder arbeiten gehen kann."

Jahrelang hatte die Firma ihre Tresore wegen der geringeren Löhne in Polen produziert. Acht Stunden brauchte ein Schweißer für einen handgemachten Rohling. Das Werk in Polen hat Format nun dicht gemacht und dort 150 Leute entlassen. In der neuen Fertigungsanlage in Deutschland werden heute nur noch Spezialtresore manuell hergestellt. Ansonsten ist die Produktion hochautomatisiert und effizient – wie in vielen Branchen üblich.

Rainer Grösch, der Geschäftsführer der Format Tresorbau blickt zurück:"Als wir damals die Entscheidung trafen, nach Polen zu gehen, lagen die Lohnkosten in Polen etwa um einen Euro. Sie haben sich inzwischen um das Zehnfache verteuert. Das bedeutet, dass ich heute zwischen zehn und elf Euro Lohnkosten dort habe, die etwa gleich sind mit einem Arbeiter, der jetzt hier in Hessisch-Lichtenau arbeitet."

Die Lohnkosten

Außerdem machen die Löhne in dem hoch automatisierten Werk heute ohnehin gerade mal noch 15 Prozent der gesamten Produktionskosten aus.

Aber es gibt auch noch andere Gründe, warum Format nach Deutschland zurückgekehrt ist, erläutert Rainer Grösch:"Einmal natürlich das Know-how, das wir das nicht transferieren mussten in das Werk nach Polen. Auf der anderen Seite die hohen stetigen Qualitätskosten, die wir dadurch hatten, dass wir ständig überprüfen mussten, ob die Qualität eingehalten wird. Und zum Dritten natürlich eine vorhandene Infrastruktur, die wir hier am Standort Hessisch-Lichtenau hatten."

Schlechte Erfahrungen

Ense in Nordrhein-Westfalen. Die Firma Brökelmann ist spezialisiert auf Alu-Profile. Vor allem die Kunden aus der Automobilindustrie schätzen das Fachwissen und die hohe Qualität des Mittelständlers. In Zukunft wollen sie dafür aber weniger bezahlen. Drei Großkunden drängen massiv darauf, die Produktion in ein Billiglohnland zu verlegen. Obwohl Brökelmann fürchten muss, Aufträge zu verlieren, lehnt er dies ab. Beim Versuch, einfache Profile für Fenster und Türen in Polen herzustellen, hat er schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht, erinnert sich Friedrich W. R. Brökelmann, der Geschäftsführer von Brökelmann Aluminium: "Wir haben Schulungen durchgeführt, wie man Systeme herstellt und wie man sie verarbeitet. Und dann ist das genau umgekehrt gelaufen, das heißt: Diese hoch qualifizierten Mitarbeiter sind dann abgewandert, haben sich teilweise selbstständig gemacht - oder sind auch zu Wettbewerbern gegangen und haben das Know-how mitgenommen."

Die Niederlassung in Polen musste Brökelmann aufgeben und die Mitarbeiter entlassen. Gegen die dortige Billig-Konkurrenz konnte er nicht bestehen. Langsam merken seine Kunden allerdings, dass die gewohnte Qualität und Serviceleistung in Polen nicht mehr zu bekommen ist.

Was sagt die Wissenschaft?

Genf - genauer: Die Internationale Arbeitsorganisation ILO, schon 1919 nach dem ersten Weltkrieg gegründet und heute der UNO angegliedert. Hier sind Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierungen aus 178 Staaten vertreten, um internationale Standards für die Arbeitswelt festzulegen und zu überwachen.

Peter Auer ist Leiter der Abteilung Beschäftigungsanalysen und -strategien. Der gebürtige Österreicher beschäftigt sich nicht zuletzt mit den Auswirkungen der Globalisierung auf die Arbeitsmärkte. Alle vorliegenden Studien, so sagt er, weisen darauf hin, dass der Verlust an Arbeitsplätzen durch Standortverlagerungen deutlich geringer ist als allgemein angenommen – in Deutschland wie überhaupt in Europa. Peter Auer ist sich sicher: "Es ist ganz klar, dass die Bedeutung der Globalisierung stark überschätzt wird. Die Zahlen geben das nicht her. Wir gehen von fünf Prozent aus, die wir von europäischer Ebene bekommen. Das zeigt, dass das Problem zwar existiert – sicher – und dass das im Einzelnen natürlich auch schmerzhaft ist, wenn eine Firma abwandert. Aber dass nicht die gesamte Wirtschaft abwandert, ist ziemlich klar."

Nicht die Arbeitskosten seien das Hauptproblem in Deutschland, sondern eher die schwache Binnen-Nachfrage und vor allem die Bürokratie. 20 Jahre für einen Flughafen oder 30 Jahre, um dann doch keine Transrapid-Bahn zu bauen. Ansonsten seien die Deutschen Weltmeister darin, den eigenen Standort schlecht zu reden. Außerdem ist es für Peter Auer von der Internationalen Arbeitsorganisation ein Rätsel, warum Deutschland eine solch schlechte Presse hat, obwohl der Standort gar nicht so schlecht ist: "Man ist Exportweltmeister. Wer kann dann sagen: Deutschland ist absolut nicht wettbewerbsfähig? Das ist doch lächerlich."

Know-how-Transfer ganz anders!

Zurück nach Deutschland. Eginhard Vietz war sicher, dass ihm in China keine Anfängerfehler passieren würden. Schließlich hatte er seine Werkzeuge für den Pipelinebau schon jahrelang dorthin geliefert. Als seine Partner dann ein Joint Venture-Unternehmen gründen wollten, wurde er schwach. Zu verlockend waren die Versprechungen. Heute weiß der Inhaber und Geschäftsführer von Vietz Pipeline Equipment, Eginhard Vietz, dass es nur darum ging, sein ,,firmeninternes Fachwissen" zu bekommen: "Man hat ganz genau versucht, diese Schlüsseltechnologie in eigener Regie zu produzieren und da bin ich, wie gesagt, von höchster Stelle ausgeplündert worden. Die Produktion, die wir aufgezogen hatten, war nur eine Täuschung, um mein Vertrauen zu gewinnen. Und man hatte ganz klar ein paar Kilometer weiter schon 1:1 nachgebaut."

2004 gehörte Vietz zur Delegation des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, als dieser in China für mehr Zusammenarbeit warb. Vietz war damals von den unbegrenzten Möglichkeiten begeistert. Heute schätzt er den unmittelbaren Schaden auf rund eine Million Euro.

Viel mehr Sorgen macht ihm aber, dass die Chinesen inzwischen 1:1-Nachbauten seiner Maschinen zu Spottpreisen auf dem Weltmarkt anbieten: "Nicht nur die eine Million, sondern das Know-how, das dort von dem mittelständischen Unternehmer nach China gebracht wird, das ist auch noch weg und dann wird der Wettbewerber aus Asien wesentlich billiger die Produkte anbieten und den Weltmarkt damit bedienen. Und der deutsche Unternehmer hat dann das Nachsehen - nicht nur in China, sondern auch in Deutschland. Mit den eigenen Produkten wird er dann geschlagen."

Ein zweifelhaftes Kompliment

Auch am Profilhersteller Brökelmann waren chinesische Firmen interessiert. Denn trotz modernster Maschinen gelang es ihnen nicht, hochwertige Profile für die Autoindustrie herzustellen. Brökelmann hat dankend abgelehnt: "Wir werden unser technisches Know-how nicht an die Chinesen oder an andere weitergeben. Das ist unser Know-how, da stehen wir dahinter. Und das ist auch das, was die Arbeitsplätze hier in Deutschland sichert - und das ist unser Hauptanliegen."

Ansonsten kann er die Anfrage aber durchaus als Kompliment für seine Firma betrachten. Denn kopiert zu werden gilt in China als Ehre, die nur den Besten der Besten zuteil wird.

Ein Beitrag von Ingo Blank und Wolfgang Wirtz-Nentwig

Wilddieb Stuelpner

Das deutsche Unternehmen ihren Standort in Polen schließen, hat noch andere Ursachen:

Z.B. Siemens wird sich das auch noch überlegen, daß seine Handyproduktion in die polnische Stadt Lodz verlagerte. Zwar bezahlt Siemens dort an die Handymonteure nur 200 Euro/Monat, aber hat den Vorteil, sich in einer erklärten Freihandelszone zu befinden, mit einem zeitlich befristeten Profitvorteil:

Für den Firmeninvestitionen in Lodz gibt es von der EU Fördermittel, die alle EU-Bürger mit ihren gezahlten Steuern finanzieren. Alle EU-Bürger bezahlen so dankenswerterweise diese flüchtigen Firmen und bedanken sich für die eigene Arbeitslosigkeit. Wenn diese Firmen wieder zurückkommen fließen wiederholt Fördermittel.

Solange die Firmeninvestitionen in der Freihandelszone die 50%-Marke des Umsatzes nicht überschreiten, bleibt Siemens absolut steuerfrei. Ist diese Grenze gebrochen, muß Siemens Unternehmenssteuern zahlen.

Das alles zusammen betrachtet, nenne ich Firmenparasiten. Welcher EU-Bürger bekommt die gleichen Wohnort- und Arbeitsbedingungen?

Wilddieb Stuelpner

ZDF, Sendung Frontal21 vom 18.10.2006: "Dann wandern wir ab" - Verlorene Arbeitsplätze - Die Opfer der Globalisierung

Die Globalisierung spaltet Deutschland immer mehr in zwei Lager: in Gewinner und Verlierer. Zu letzteren gehört eine wachsende Zahl Arbeitnehmer - ihre Arbeitsplätze, vor allem im produzierenden Gewerbe, werden gestrichen oder ins Ausland verlagert.

von Steffen Judzikowski, Herbert Klar und Anke Lang, 16.10.2006

Mittelständler können beim weltweiten Wettbewerb der Unternehmensriesen häufig nicht mehr mithalten. Gleichzeitig steigt das Volkseinkommen - zugunsten von größeren Unternehmen und Vermögenden.

Der Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup von der FH Gelsenkirchen bestätigt diese Entwicklung. "Wenn wir das differenziert sehen, dann haben die großen Unternehmen sicherlich gewonnen, der Mittelstand hat verloren, aber insbesondere die abhängig Beschäftigten in Deutschland sind eindeutig auch Verlierer", sagt er gegenüber Frontal21. Arbeitnehmer würden zunehmend erpresst: "Jedes Unternehmen kann heute mit der Globalisierung drohen, kann sagen: Wenn Ihr nicht bereit seid, auf Löhne, auf Einkommen zu verzichten, wenn Ihr nicht bereit seid, länger zu arbeiten ohne Lohnausgleich, wenn Ihr nicht bereit seid, schlechtere Arbeitsbedingungen hinzunehmen, dann wandern wir schlicht und ergreifend ab."

"Das ist eine Katastrophe"

Genau so ergeht es auch den Arbeitern bei BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH in Berlin. Dort soll die Produktion von Waschmaschinen zum Jahreswechsel eingestellt werden - mehr als 500 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Die Gewerkschaften befürchten, dass die Fertigung nach Polen und in die Türkei verlegt werden soll. Gegenüber Frontal21 behauptete dagegen eine Unternehmenssprecherin: Die Waschmaschinen würden künftig im brandenburgischen Nauen produziert.

Während der Verhandlungen um den Erhalt des Berliner Standorts forderten die Arbeitgeber einen Lohnverzicht in Millionenhöhe. Die Beschäftigten gingen teilweise darauf ein - dennoch kann die geplante Schließung bislang nicht abgewendet werden. "Das ist eine Katastrophe, eine persönliche und private Katastrophe für mich, und das ist auch eine Katastrophe für das Land", sagt ein Beschäftigter. "Wir sind hier eine gute und gut laufende Fabrik, die auch Plus schafft, und jetzt sollen wir hier plattgemacht werden." Eine soziale Verantwortung könne er beim BSH-Management nicht mehr sehen, sagt ein anderer Betroffener: "Sie sehen nur den Profit in den Augen, die Dollarzeichen - und damit ist das erledigt."

Volkseinkommen gestiegen

Gewinne gibt es tatsächlich zu verteilen - auch in Deutschland. Das Volkseinkommen sei von 2001 bis 2006 um etwa 200 Milliarden Euro gestiegen, erklärt Bontrup. "Man kann formulieren: Die Bundesrepublik Deutschland ist um diese 200 Milliarden Euro auch reicher geworden insgesamt." Die Arbeitnehmer hätten davon allerdings nur etwa 30 Milliarden bekommen, verteilt auf 34 Millionen abhängig Beschäftigte. "170 Milliarden Euro an Zuwachs sind den Unternehmen und den Vermögenseinkommensbeziehern zugeflossen."

Die Arbeiter beim Berliner BSH-Werk stehen dagegen vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze und ihres Einkommens. Die geplante Produktionsschließung ist dabei eine von vielen in Deutschland. Die Zahl der Arbeitnehmer im produzierenden Gewerbe ist laut Statistischem Bundesamt seit 1991 von elf auf 7,5 Millionen im Jahr 2005 gesunken. Bis zum Jahr 2015 rechnen Experten damit, dass in dem Bereich nur noch sechs Millionen Menschen tätig sein werden.

"Wir strangulieren uns selbst"

Das bedeutet: noch mehr Arbeitslose, noch weniger Einkommen, das als Nachfrage am Markt wirksam werden kann; eine Entwicklung mit deutlichen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. "Wir haben ja [...] überall mittlerweile eine gespaltene Konjunktur, die Binnenwirtschaft funktioniert nicht mehr", warnt Wirtschaftswissenschaftler Bontrup. "Wir sind zwar Exportweltmeister, aber das reicht natürlich für eine 82 Millionen große Volkswirtschaft nicht aus. Damit strangulieren wir uns letztlich selbst."

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